Protokoll der Sitzung vom 18.03.2011

(Zuruf von Heinz Müller, SPD)

der Abgeordnete Herr Dr. Born von der Fraktion der CDU.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich danke Frau Ministerin Kuder ausdrücklich für den Bericht – und da stimme ich dem Kollegen Leonhard zu –, der genau unserem Antrag entspricht, denn es ist notwendig, dass wir öffentlich darüber reden, was für Opfer in diesem Land getan wird und welche Möglichkeiten sie haben, um Hilfe zu bekommen.

Ich stimme auch im Wesentlichen durchaus den Ausführungen von Frau Borchardt zu, die zu diesem Thema sich ja, wie wir wissen, meistens sehr nachdenklich äußert, eben mit einer Einschränkung, Frau Kollegin Borchardt.

(Barbara Borchardt, DIE LINKE: Ich habs doch gewusst. – Zuruf von Dr. Wolfgang Methling, DIE LINKE)

Sie haben ja vorhin schon gemeint, dass ich Sie heute wieder ärgern wolle. Ich will sagen, wo wir eine unterschiedliche Auffassung haben – aber auch wirklich in diesem Punkt ist das deutlich, ansonsten, habe ich ja gesagt, stimmen wir hier weitgehend überein –, nämlich in der Frage: Ist es angemessen, dieses Thema zum Gegenstand einer Landtagsdebatte zu machen? Und da sage ich Ihnen: Ja, gerade aufgrund der Erfahrungen, die wir gemacht haben bei der Anhörung zum Thema Kindesmissbrauch.

Jeder, der an dieser Anhörung teilgenommen hat, war zutiefst beeindruckt, was uns Opfer – ich erinnere an das eine Beispiel, wo eine Frau nach über 40 Jahren aus ihren Erfahrungen in einem der Jugendwerkhöfe der DDR berichtet hat – da gesagt haben. Und da wurde deutlich,

dass es Opfern verständlicherweise ganz besonders schwerfällt, von sich aus initiativ zu werden, sich an eine Stelle zu wenden, wo Hilfe, so weit das überhaupt möglich ist, gewährt wird.

(Zurufe von Dr. Margret Seemann, SPD, und Barbara Borchardt, DIE LINKE)

Und weil das so ist, dass Opfer aufgrund ihrer Traumatisierungen große Probleme haben, überhaupt noch eine Initiative von sich aus zu ergreifen, ist es umso notwendiger, dass wir immer wieder öffentlich machen, wo habt ihr die Chance, dass euch zugehört wird, was ja ein ganz wesentlicher Punkt ist. Und das geht eben nur durch eine öffentliche Debatte. Das können wir nicht nur in internen Ausschusssitzungen machen.

(Barbara Borchardt, DIE LINKE: Unbestritten.)

Dann sind wir uns einig.

Und um das gleich noch einmal aufzugreifen, wir sind uns alle einig, die Mitglieder im Rechtsausschuss, was die Fraktionen SPD, CDU, LINKE und FDP betrifft, dass wir natürlich dieses Thema nicht im Ausschuss ad acta legen, sondern dass wir auch Ihren Antrag, den Sie seinerzeit eingebracht haben, als Anknüpfungspunkt nehmen,

(Zuruf von Barbara Borchardt, DIE LINKE)

um auch vonseiten des Ausschusses konkrete Vorschläge zu machen, um unsere Anhörung, die wir durchgeführt haben, so auszuwerten, wie es dem Thema angemessen ist. Und das heißt, dass wir uns da ganz ernsthaft Gedanken machen, wo noch mehr getan werden kann.

Aber ich möchte doch noch einmal sehr deutlich hervorheben, dass wir eben eine völlig neue Qualität der Opferberatung haben aufgrund der Maßnahmen, die die Justizministerin dargestellt hat und die ihren Niederschlag finden in dem von ihr initiierten Modellprojekt der Psychosozialen Prozessbegleitung, und übrigens, was auch eine ganz besondere Aktualität erhält, wenn wir über die unterschiedlichsten Möglichkeiten sprechen, Opfern zu helfen, die vielen ehrenamtlich Tätigen, dass es zum ersten Mal eine Richtlinie über die Gewährung von Zuschüssen an Vereine und Verbände sowie soziale oder ähnliche Einrichtungen zur Förderung von Opferhilfeberatungen gibt, sodass man auch genau weiß, was kann man sich auch an finanzieller Unterstützung einholen als Verein, der hier tätig ist. Aber das muss eben auch in einer Richtlinie so festgelegt sein, dass das nicht irgendwelchen Augenblicksentscheidungen entspricht.

(Barbara Borchardt, DIE LINKE: Vor allem muss das an Qualität gebunden sein.)

(Barbara Borchardt, DIE LINKE: Vor allem muss das an Qualität gebunden sein.)

Eben, es muss an Qualität gebunden sein, und genau das ist eben Inhalt dieser Richtlinie.

Und es liegt uns ja der Bericht der Landesregierung im Hinblick auf die im Titel 0901 684.02 veranschlagten Zuschüsse an Vereine und Verbände sowie an soziale oder ähnliche Einrichtungen zur Förderung von Opferhilfeberatungen vom 17. Dezember, wenn ich das richtig sehe, 2010 vor. Da ist ja bereits eine erste Evaluierung der von der Justizministerin eingeleiteten Maßnahmen dargestellt.

Aber ich will noch mal einen Aspekt aufgreifen, den mein Kollege Dr. Jäger zur Begründung des Antrages angesprochen hat, der aber jetzt im Laufe der Debatte etwas in den Hintergrund getreten ist. Die Ministerin hat vorhin, so habe ich es mir jedenfalls notiert, im Wesentlichen gesagt oder ihre Rede angefangen mit: „Für den Täter wird alles getan. Er steht im Mittelpunkt des Interesses. Aber was ist mit den Opfern? Wer kümmert sich um sie?“. Das hat sie als Vorwurf, der häufig zu hören ist, formuliert.

Und genau da ist der Anknüpfungspunkt für das Modellprojekt Psychosoziale Prozessbegleitung. Denn – das hat Kollege Dr. Jäger deutlich gemacht – aufgrund unseres rechtsstaatlichen Strafprozesses, der an ganz strenge rechtsstaatliche Grundsätze gebunden ist, ist es natürlich erforderlich, dass, wenn gegen jemand ein Strafverfahren eingeleitet wird und dann auch ein entsprechender Prozess durchgeführt wird, dass er alle prozessualen Möglichkeiten auch ausschöpfen kann und dass ihm seine Tat nachgewiesen werden muss, derentwegen er angeklagt ist. Und deshalb kann man eben nicht mehr wie im Mittelalter oder so, wie es die NPD heute wieder will, einfach sagen, weil wir da einen haben, den wir gerne bestrafen wollen, dann wird er bestraft, egal ob er was gemacht hat oder nicht.

(Zuruf von Michael Andrejewski, NPD)

Dann müssen Sie ihm die Tat in einem rechtsstaatlich einwandfreien Verfahren nachweisen. Und dazu gehören nun gerade bei solchen Gewaltdelikten natürlich Zeugenaussagen und zwangsläufig sind es dann die Opfer, die befragt werden müssen.

(Zuruf von Michael Andrejewski, NPD)

Und das Entscheidende ist, dass wir jetzt durch das 2. Opferrechtsreformgesetz aus dem Jahre 2009 eine maßgebliche Verstärkung der Rechte der Opfer im Strafprozess festgelegt haben und dass wir durch das Modellprojekt, das die Justizministerin hier eingerichtet hat, der Psychosozialen Prozessbegleitung, sicherstellen, dass die Opfer vom ersten Augenblick an nach der Tat bis nach der Verurteilung des Täters, nach dem Abschluss des Prozesses, professionell begleitet werden. Das heißt, dass ihnen wirklich Hilfe zukommt. Und das ist etwas völlig Neues, was dem ursprünglichen Strafprozess nicht immanent war,

(Zuruf von Dr. Margret Seemann, SPD)

weil das gar nicht im Zentrum der Überlegungen stand.

(Dr. Margret Seemann, SPD: Das ist eine Abwertung für die Beratungsstellen.)

Und was für mich ganz entscheidend ist: Die Justizministerin ist ja zuständig für Opferberatungsstellen. Hier ist eben vonseiten der Opposition der Vorwurf gekommen: Also wer ist denn eigentlich zuständig? Hier haben wir offensichtlich ganz verschiedene Zuständigkeiten. Die Sozialministerin hat auch in vielerlei Hinsicht Verantwortung in diesem Bereich. Das Entscheidende ist, wir müssen uns auf die Situation der Opfer einstellen. Die interessiert es überhaupt nicht, wer ist hier zuständig innerhalb einer Landesregierung.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktionen der SPD und CDU – Dr. Armin Jäger, CDU: So ist das. – Wolf-Dieter Ringguth, CDU: Richtig.)

Wir müssen den Weg so leicht wie möglich für Opfer machen,

(Dr. Armin Jäger, CDU: Sehr richtig.)

dass sie sich an eine staatliche oder auch an eine ehrenamtlich tätige Stelle wenden. Und das Schlimmste, was passieren könnte, wäre, wenn da einer sagt: Also hören Sie mal zu, dafür sind wir nicht zuständig, gehen Sie mal bitte an die Stelle. Das wäre eine weitere Malträtierung eines ohnehin geschundenen Opfers.

Und deshalb bin ich dankbar, dass diejenigen, die hier gesprochen haben seitens der Regierungskoalition, genau dieser Versuchung nicht erliegen und sagen, also ich bin hier zuständig oder ich bin zuständig. Nein, natürlich brauchen wir einen, der gegenüber dem Parlament auch deutlich verantwortlich ist, aber bei den Opferberatungsstellen kommen zum Beispiel – ich habe das vorhin angesprochen –, auch vielleicht aufgrund der öffentlichen Anhörung, eine Reihe von Opfern, die in Jugendwerkhöfen schlimme Erfahrungen gemacht haben.

Und es ist einfach wichtig, dass sie dort hingehen können und dass wir ihnen diese Schwelle so niedrig wie möglich machen und dass ihnen dann geholfen wird. Und das erwarte ich von der Landesregierung, dass das so organisiert wird,

(Dr. Margret Seemann, SPD: Das machen wir auch.)

dass es für das Opfer überhaupt keine Rolle spielt, ob er zu der richtigen Stelle jetzt geht oder nicht, sondern wer sich an eine staatliche Institution wendet, der hat Anspruch darauf, dass ihm in einem Höchstmaß geholfen wird.

(Dr. Margret Seemann, SPD: Aber die muss auch fachmännisch sein.)

(Dr. Margret Seemann, SPD: Die muss natürlich auch fachmännisch sein.)

Das ist ja völlig richtig.

(Zuruf von Dr. Margret Seemann, SPD)

Deshalb sage ich ja, ich bin froh, dass das eben mal so versucht wurde, hier also jetzt auch noch auseinanderzudefinieren, wer vielleicht noch mehr tut. Es kann gar nicht genug getan werden, denn das Entscheidende ist, dass wir die Opfer erreichen, dass die sich überhaupt öffnen und dass sie bereit sind und in die Lage versetzt werden, über das, was ihnen widerfahren ist, zu reden.

Und wenn ich eben noch mal an den Strafprozess anknüpfe, dann ist das deshalb eine besondere Schwierigkeit in einem rechtsstaatlichen strafprozessualen Verfahren, dass man diesen Opfern einen größtmöglichen Schutz gewährleisten muss, ohne damit den rechtsstaatlichen Anforderungen eines Strafprozesses zu schaden. Und das heißt natürlich, der Täter ist auch erst dann Täter, wenn er rechtskräftig verurteilt ist. Und dieses Spannungsverhältnis zu sehen und da zu sagen, wir stellen uns auf die Situation des Opfers ein und machen insofern etwas anders, als es herkömmlicherweise der Strafprozess hier tut, das ist ganz wichtig.

Und jetzt will ich versuchen, den Bogen eben doch noch mal zur Opposition zu schlagen. Zu Frau Borchardt, hatte ich ja gesagt, gibt es nur eine unterschiedliche Einschätzung: Ist es richtig, das hier öffentlich zu diskutieren? Da sage ich uneingeschränkt Ja.

Und zum verehrten Kollegen Leonhard sage ich: Herr Kollege Leonhard, ich stimme Ihnen durchaus zu. Wir haben einen sehr, sehr ausführlichen Bericht der Landesregierung gehört, der diesem Thema mehr als angemessen ist und der so umfänglich ist, dass wir uns im Ausschuss natürlich weiter befassen – wir haben ja da schon entsprechende Vorarbeiten geleistet –,

(Präsidentin Sylvia Bretschneider übernimmt den Vorsitz.)

aber dass wir jedenfalls für den heutigen Tagesordnungspunkt aufgrund des Berichts der Landesregierung sagen können, wir greifen Ihre Anregungen auf und schlagen vor, dass der Landtag beschließt, den Tagesordnungspunkt mit dem Bericht für erledigt zu erklären. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktionen der SPD und CDU)