Im Ältestenrat ist eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 45 Minuten vereinbart worden. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.
Als Erste hat das Wort für die Fraktion der SPD die Abgeordnete Frau Dr. Seemann. Bitte, Frau Abgeordnete.
Sehr geehrter Herr Kollege Ritter, dass der Nutzen von Gender Budgeting ein wirklicher Beitrag oder ein wirkungsvoller Beitrag zur Umsetzung der Gleichstellung von Frauen und Männern ist, ist, denke ich, unstreitig. Da sage auch ich ganz deutlich, das ist eine Grundlage zur Umsetzung von Gender-Mainstreaming. Es geht sogar noch darüber hinaus, denn Gender Budgeting schafft mehr Transparenz hinsichtlich der Kriterien, die den haushaltspolitischen Entscheidungen zugrunde liegen, ermöglicht eine größere Zielgenauigkeit und Nachhaltigkeit.
Es bedeutet eine geschlechterbezogene Bewertung von Haushalten und integriert eine Geschlechterperspektive in allen Ebenen des Haushaltsprozesses. Das bedeutet die systematische Prüfung aller Einnahmen und Ausgaben im Haushaltsprozess bei der Aufstellung, Ausführung und Rechnungslegung sowie aller haushaltsbezogenen Maßnahmen auf den ökonomischen Effekt auf Frauen und Männer sowie auf die gesellschaftlichen Geschlechterverhältnisse.
Haushaltsgesetz und Haushaltsplan in der öffentlichen Haushaltspolitik sind in weiten Teilen schon durch Gesetze, Beschlüsse, Programme und anderes vorbestimmt. Eine genderbezogene Analyse und gleichstel
lungsorientierte Ressourcenverwendung muss sich auch auf alle diese Entscheidungen folglich beziehen. Also dieser Prozess muss gut überlegt, gut vorbereitet und vor allem von allen gewollt sein.
Aus frauen- und gleichstellungspolitischer Sicht ist das Gender Budgeting grundsätzlich als ein Teilinstrument von Gender-Mainstreaming zu befürworten,
um auch bei der Verteilung von Haushaltsmitteln die Lebenssituation von Frauen und Männern zu berücksichtigen und vor allem Gerechtigkeit bei der Verteilung zu erreichen. So weit, so gut.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, aber auch wenn wir einige Projekte oder Teilprojekte haben, es gibt letztendlich erst wenige Erfahrungen bei der Umsetzung von Gender Budgeting, wie zum Beispiel in den Ländern, von denen Sie eben gesprochen haben, insbesondere von Berlin, Herr Ritter. Ich sage ganz bewusst „erste Erfahrungen“. Deswegen beschäftigt sich die GFMK mit diesem Problem auch, weil wir die Erfahrungen erst mal auswerten wollen.
In Berlin wurde 2002/2003 der Beschluss zum Gender Budgeting gefasst. Bilanzierend wurde auf einer Konferenz 2010, also nach sieben Jahren, festgestellt, dass es positiv sei, dass der Prozess weiter bestünde und politisch unterstützt sowie gesetzlich verankert wurde. In den sieben Jahren seien das lokale konkrete und fachkundige Expertinnen- und Expertenwissen sowie Genderkompetenz und Genderbewusstsein weiter ausgebildet worden. Auch die Datenbasis konnte inzwischen verbessert werden und nach und nach werden immer mehr Bereiche erfasst.
Das heißt, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind auch in Berlin noch längst nicht am Ziel angekommen und auch dort bestehen viele Unwägbarkeiten. So viel also zu den zeitlichen Relationen.
Gender Budgeting ist demzufolge – ich habe ein Interesse, dass wir es dann auch wirklich umsetzen – ein sehr aufwendiges und komplexes Verfahren, das auf einer Genderwirkungsanalyse basiert und Genderkompetenz bei allen Beteiligten voraussetzt. Das GenderKompetenzZentrum Berlin beschreibt sieben Schritte oder Tools, die umgesetzt werden müssen. Und ich bitte Sie, mal hinzuhören, was wir in dem Zusammenhang machen müssten:
„1. Gleichstellungsorientierte Bewertung politischer/ökonomischer Strategien (durch Gleichstellungsakteure)
Diese beiden Ansätze sorgen für die Einbeziehung der Genderperspektive in haushaltsrelevante Prozesse auf der Akteursebene.
Der letzte Punkt beinhaltet eine Rechenschaftslegung und ist somit bereits eine Form des Controllings.
Und, meine Damen und Herren, nicht zuletzt müssen Instrumente und Handlungsschritte, die auf diesen Gender-Budgeting-Ansätzen basieren, auf die nationalen und regionalen Gegebenheiten und auf die einzelnen Handlungsfelder, Sachgebiete und Fachabteilungen in den Verwaltungen zugeschnitten werden.
Ist doch alles ganz einfach, meine sehr geehrten Damen und Herren von den LINKEN! Das machen wir jetzt mal ganz zum Schluss, am Ende der Legislaturperiode, das setzen wir jetzt alles um, wo wir schon in der Haushaltsaufstellung für den nächsten Doppelhaushalt sind.
Tatsache ist, die Bedingungen des Haushaltes und die Anforderungen für eine sinnvolle Umsetzung von Gender Budgeting stehen dem derzeit teils konträr gegenüber. Und wir haben noch nicht mal die Vorarbeiten dafür gemacht, dass wir jetzt im laufenden Haushaltsaufstellungsverfahren diesen Prozess überhaupt in die Gänge bringen können.
Ich erinnere mich noch an die Klausurtagung des Landesfrauenrates im Herbst letzten Jahres. Also nageln Sie mich jetzt nicht fest, lieber Herr Kollege Ritter, aber ich glaube, es war vom DGB Frau Straka, die die gleichstellungspolitischen Sprecherinnen und Sprecher der demokratischen Fraktionen fragte, wie wir es denn mit Gender Budgeting halten. Und ich erinnere mich auch, dass sie sogar nachfragte, ob das in den Regierungsprogrammen ist. Nun weiß ich nicht, ich werde mal nachgucken, ich habe es nicht gemacht, ob das in die Wahlprogramme mit reinkommen soll. Ich werde mal reingucken, ob es in Ihrem Wahlprogramm steht. Zu dem Zeitpunkt haben wir noch eine Diskussion geführt, Herr Ritter, dort auf der Klausurtagung, was überhaupt Gender Budgeting ist.
Insofern wundert mich das jetzt, wenn Sie in der drittletzten Landtagssitzung diesen Antrag stellen,
Genderinformationen im Haushaltsverfahren sind sinnvoll, wenn sie aussagekräftig und fachlich qualifiziert die wichtigsten Ergebnisse der Genderwirkungsanalyse darstellen.
Hierfür muss ein Weg gefunden werden, dass das Haushaltsverfahren nicht mit zu detaillierten Informationen und einem zu aufwendigen Prozess belastet wird. Die Technik der Haushaltsführung erschwert generell die Ermittlung der tatsächlich anfallenden Kosten für öffentliche Leistungen und damit fehlt schlicht derzeit eine wichtige Voraussetzung für eine regelmäßige Analyse der Nutzung öffentlicher Ausgaben.
Klar ist auch, eine geschlechtersensible Haushaltspolitik kann auf lange Sicht nicht funktionieren, wenn sie als bloße technokratische Übung begriffen wird. Eine gendersensible Haushaltspolitik ist immer eine Haushaltspolitik für Menschen. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, das Leben von Menschen verläuft nicht statisch, sondern unterliegt ständigen Veränderungen. Auch die Angebote und Leistungen müssen folglich den Veränderungen angepasst werden.
Eine bloße Zählung der Köpfe reicht eben nicht, wenn man das als Datenbasis nehmen will. Sicherlich braucht man als ersten Teilschritt entsprechende Daten zum Anteil von Frauen und Männern. Doch diese müssen mit dem Nutzungsverhalten öffentlicher Leistungen durch Frauen und Männer verbunden und die praktischen Auswirkungen öffentlicher Ausgaben auf die Lebenslagen der Menschen abgeschätzt werden.