Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die von der LINKEN formulierte Forderung, die Thema dieser Aktuellen Stunde ist, „Kommunale Selbstverwaltung braucht Zukunft“, kommt für viele Kommunen leider schon zu spät, zum Beispiel für die ostvorpommerschen Gemeinden Hohendorf, Buddenhagen, Neuendorf A und Putzar, die mit größeren Nachbarkommunen gegenwärtig zwangsvereinigt werden,
Sie hätten auch selbstständig bleiben und massive Kürzungen ihrer Schlüsselzuweisungen hinnehmen können, wodurch sie als Gemeinden nicht mehr lebensfähig gewesen wären.
Man setzt sie ja unter Druck. Wir machen euch finanziell fertig oder ihr vereinigt euch. Wie viele andere kleine Gemeinden, deren Einwohnerzahl jetzt auf unter 500 abgesunken ist, genossen auch Hohendorf, Buddenhagen, Neuendorf A und Putzar 20 Jahre lang kommunale Selbstverwaltung mit einem eigenen Bürgermeister und einer Gemeindevertretung und hätten das auch gerne beibehalten. Das nimmt man ihnen jetzt weg, nennt das Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung durch Vernichtung von Kommunen und degradiert diese Kommunen zu bloßen Ortsteilen, ohne dass etwa bei den Hohendorfern irgendein Zusammengehörigkeitsgefühl mit Wolgast vorhanden wäre. Dafür sind die Entfernungen viel zu groß. Es entstehen künstliche Gebilde ohne Identität, genau wie die geplanten Großkreise, die keiner will.
Hohendorf, Buddenhagen, Neuendorf A und Putzar könnte es aber auch noch viel schlimmer treffen. Bei anderen Ortschaften ist es mittlerweile fraglich, ob dort überhaupt noch demnächst ein Bus hält – Stichwort „Lebensqualität“.
Einer Beschlussvorlage aktuell des Kreistages Ostvorpommern ist eine Liste von Dörfern beigelegt, bei denen die Gefahr besteht, dass sie in naher Zukunft nicht einmal mehr durch Rufbusse oder Linientaxis verkehrstechnisch bedient werden. Das wird dann der Fall sein, wenn die bis 2012 zugesagte Förderung des ÖPNV im darauffolgenden Zeitraum unter das Niveau fallen sollte, das nach Ansicht aller Beteiligten schon das absolut Notwendige darstellt. Betroffen wären beispielsweise, tut mir leid, dass ich Sie mit Einzelheiten langweile, in Anklam– Ducherow die Ortschaften Gnevezin, Bargischow und Woserow und auf der Strecke Anklam–Jarmen die Dörfer Pretzen, Priemen, Steinmocker und Kagenow.
53 Dörfer – sage und schreibe 53 Dörfer! – sind auf dieser Liste aufgeführt. Für diese Ortschaften ist kommunale Selbstverwaltung schon längst kein Thema mehr, da geht es nur noch um das kommunale Überleben. Und keiner weiß – keiner! –, quer durch die Parteien vor Ort, ob die Landesregierung die jetzige Förderung des ÖPNV durch den Kreis noch weiter dulden wird über das Jahr 2012 hinaus. Quelle allen Übels ist auch hier der Bevölkerungszusammenbruch, gerne als demografischer Wandel verharmlost.
Von 2000 bis 2010 sind beispielsweise die Fahrgastzahlen des Busunternehmen AVG, das in der Region eine große Rolle spielt, um 56 Prozent zurückgegangen. Der Überalterung müssen die Verkehrsunternehmen Rechnung tragen durch die Anschaffung sogenannter Standardniederflurbusse, Niederflurkleinbusse und Linienbusse mit Behindertenlifts, also Spezialfahrzeuge für ältere und behinderte Bürger.
Ganz Ostvorpommern entwickelt sich zu einem einzigen Altersheim. Der ganze Kreis wird sozusagen altersgerecht eingerichtet. Kommunale Selbstverwaltung entfällt mangels Masse, stattdessen wandern Wölfe ein. „Der Mensch geht, der Wolf kommt“ – mit diesem Slogan sollten CDU und SPD in den Wahlkampf ziehen. Zuletzt war es der Dreißigjährige Krieg, der sich in Ostvorpommern bevölkerungspolitisch so verheerend ausgewirkt hat wie die Herrschaft dieser Parteien.
Honeckers Bilanz war dagegen noch Gold. Zu dessen Zeiten war das Land wenigstens noch lebendig. Auch die Städte im ländlichen Raum werden vom Niedergang erfasst, sodass es immer weniger kommunal zu verwalten gibt.
Pasewalk, Anklam, Grimmen und viele andere ehemalige Kreisstädte verlieren ihre Kreisverwaltung und außer jeweils einem kleinen Alibibüro der neuen Großkreise wird da auch nicht viel bleiben, allen Wahlversprechen zum Trotz. Diesen Städten werden Sparmaßnahmen aufgezwungen, die die Reste des kulturellen Lebens nach und nach abwürgen, bis die Leute von selber abwandern, was wohl auch gewollt ist, was in Anklam die Grafik- und Design-Schule getan hat. Die wandert jetzt ab nach Greifswald. Und durch die Verschlechterung der Lebensbedingungen vor Ort werden die Institutionen und kulturellen Verbände und Leute förmlich hinausgetrieben.
Es reicht nicht aus, über eine Katastrophe dieses Ausmaßes, und was anderes ist es nicht, mal ein bisschen zu palavern in der Aktuellen Stunde. Die kommunale Selbstverwaltung ist nur noch zu retten durch eine offene Rebellion der Kommunen gegen die Landesregierung, nötigenfalls mit zivilem Ungehorsam.
Wenn eine Gemeinde – und es gibt auch schon Ansätze dafür, auch außerhalb der NPD –, wenn eine Gemeinde sich strikt weigert, ein ruinöses Haushaltssicherungskonzept zu verabschieden, dann kann man sie vielleicht noch unter Zwangsverwaltung stellen. Bei 100 Gemeinden wird das schon schwierig, da gerät die Landesregierung an ihre Grenzen.
Eine Revolution ist heute noch notwendiger als 1989, weil weit mehr auf dem Spiel steht. Ob der ländliche Raum in
Mecklenburg-Vorpommern eine Kulturlandschaft bleibt, von Menschen besiedelt und gestaltet, oder eine Ödnis, in der die Wölfe heulen, das entscheidet sich in diesen Jahren, und die Wolfsrichtlinie ist ja schon in Arbeit.
Was ich Herrn Holter nicht vorwerfe, ist, dass er die Enquetekommission nicht erwähnt hat. Dieser Schwafelverein wäre vielleicht imstande, die Kommunen einzuschläfern, aber bestimmt nicht, sie zu retten.
Ich mache noch einmal darauf aufmerksam, wenn die rote Lampe hier erleuchtet, dass die Redezeit abgelaufen ist, und bitte dann die Abgeordneten, das nicht zu ignorieren, sondern zu beachten.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Regierung in Mecklenburg-Vorpommern, aber auch die jeweiligen Parlamente, die in der Verantwortung stehen, haben sich mindestens seit Mitte der 90er-Jahre in meinen Augen jeweils sehr verantwortungsvoll mit der Zukunft der kommunalen Selbstverwaltung in Mecklenburg-Vorpommern auseinandergesetzt.
Die kommunale Selbstverwaltung findet in einem Gesamtrahmen statt und dient immer den Menschen, die in den Gemeinden in unserem Land leben.
Jedoch auf kommunaler Ebene sind wir einem ständigen Prozess unterworfen, das wurde bereits angesprochen, der demografischen Entwicklung. Wir haben viele Menschen verloren, wir haben viele finanzielle Mittel verloren und werden weitere verlieren. Aber diese Zahlen, die kennen wir alle seit sehr, sehr langer Zeit.
Anfang der 90er-Jahre haben wir es, was die Landesentwicklung angeht, mit einigen Fehlentwicklungen zu tun gehabt.
Ich hätte eigentlich von Herrn Holter erwartet, dass er darauf so ein bisschen eingehen würde, denn er war es, der als damals zuständiger Minister hier einige Weichen gestellt hat, was unsere Landesentwicklung anging.
Als ich 1994 zur Kommunalpolitik kam, war es noch so, dass wir es damals mit einem 5-Orte-System zu tun hatten. Wir hatten das urbane Zentrum, Mittelzentrum, Grundzentrum, den ländlichen Zentralort, aber wir waren auch froh, wenn wir wenigstens ein Siedlungsschwerpunkt waren oder ihn in greifbarer Nähe hatten, denn das bedeutete immer auch Geld, das bedeutete immer auch Entwicklungsmöglichkeiten der Gemeinden, was Ansiedlungen als auch zahlungskräftige Einwohnerinnen und Einwohner anging.
Während der Zeit, in der Sie als Minister für Bau und Landesentwicklung zuständig waren, wurde dieses Ortesystem umgestellt auf das 3-Orte-System, wenn ich mich nicht irre.
Es wurde gestrafft. Das hatte natürlich auch die Auswirkung, dass viele Gemeinden nicht mehr ländlicher Zentral ort waren und auch nicht mehr Siedlungsschwerpunkt.
Das mag so manch einer beklagt haben, aber im Großen und Ganzen diente es ja dem gesamten Land. Es diente dazu, Fehlentwicklungen, gerade was auch die Siedlungsstrukturen anging, Einhalt zu gebieten. Es ging darum, das Ausbluten der Städte zumindest zu stoppen, wenn nicht gar auch umzukehren. Und ein gewisser Umkehrungsprozess hat, denke ich mal, an der einen oder anderen Stelle mittlerweile auch stattgefunden.
Aber auch das hat Herr Holter natürlich nicht gemacht, nur um die betreffenden Gemeinden zu ärgern oder die Menschen, die dort wohnen, sondern das hatte einen Sinn.
Und es ging auch damals schon darum, dass die kommunale Daseinsvorsorge hier im Land bei den immer weniger werdenden Menschen trotz alledem flächendeckend gesichert werden sollte. Das lag dem schon zugrunde. Und dem lag auch zugrunde, dass das zwischenzeitlich durch die entsprechenden Parlamente hier im Land auf den Weg gebracht und auch installiert wurde.