Protokoll der Sitzung vom 11.05.2007

Der Paragraf 1 Absatz 2 des Kita-Förderungsgesetzes

(Andreas Bluhm, Die Linkspartei.PDS: Über den reden wir überhaupt nicht hier!)

ist eine Beleidigung des gesamten deutschen Volkes.

(Unruhe bei Abgeordneten der SPD, CDU und Linkspartei.PDS – Beifall bei Abgeordneten der NPD – Peter Ritter, Die Linkspartei.PDS: Sie sollen zum Thema reden, anstatt hier so einen Unsinn zu verbreiten! Grüßen Sie Herrn Apfel schön!)

Meine Damen und Herren, es hat jetzt das Wort die Abgeordnete Frau Dr. Linke von der Linkspartei.PDS.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete! Lassen Sie mich mit einem Zitat beginnen: „Die Kindergärten, die Kindertagesstätten und die Grundschulen sind ja nicht nur die Tore zum Bildungswesen, sie sind auch die Tore zu unserer Gesellschaft, zu Selbstentfaltung und Gemeinschaftsfähigkeit, zu berufl ichem Erfolg und staatsbürgerlicher Verantwortung. Wer dort nicht teilhaben kann, weil die Bedingungen unzulänglich sind, der wird auch auf den späteren Stufen unseres Bildungswesens nicht mithalten können. Der hat es dann auch schwer in einer Gesellschaft, die Menschen ohne Wissen und Bildung zunehmend an den Rand drängt.“ So weit ein Zitat von Johannes Rau.

Wir haben über diese gesellschaftlichen Erfahrungen der Bundesrepublik Deutschland in den vergangenen Jahren sehr intensiv gestritten. Mit dem Kindertagesförderungsgesetz vor genau drei Jahren hat das Land in starkem Maße auf Initiative meiner Partei die inhaltlichen und fi nanziellen Voraussetzungen geschaffen, um den sich auch in unserem Land anbahnenden unsäglichen Zusammenhang zwischen der sozialen Situation der Eltern und den individuellen Entwicklungschancen ihrer Kinder zu durchbrechen. Mit dem KiföG hat das Land eine grundsätzliche Neuorientierung vorgenommen und der Kinder- und Jugendhilfe eine eigene Verantwortung für die Bildung der kindlichen Persönlichkeit zugewiesen. Ich unterstütze an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich, was mein Kollege Bluhm zum Auseinanderreißen der einheitlichen Verantwortung von Inhalten und Strukturen der Kinder- und Jugendhilfe gesagt hat.

Kern dieser Verantwortung ist die chancengleiche Entwicklung aller Kinder im Land, unabhängig von der beruflichen und sozialen Situation ihrer Eltern. Die Bildung in den Kindertageseinrichtungen wurde deshalb gesetzlich verankert. Mit dem Rahmenplan zur zielgerichteten Vorbereitung von Kindern in den Kindertageseinrichtungen wurde von Wissenschaftlern des Landes in Kooperation mit der Praxis den Erzieherinnen und Erziehern ein Plan in die Hand gegeben, auf dessen Grundlage die Träger und Einrichtungen der Kindertagesbetreuung ihre eigenen Konzepte in aller weltanschaulichen und pädagogischen Breite erarbeitet haben.

(Beifall Angelika Gramkow, Die Linkspartei.PDS)

Diese trägereigenen Konzepte sind Bestandteile der Leistungsvereinbarungen, die zwischen den örtlichen Trägern der öffentlichen Jungendhilfe und den Einrichtungen beziehungsweise den Trägern der Kindertagesbetreuung abgeschlossen werden. Hier lässt sich also gut nachverfolgen, wie die 7 Millionen Euro in den vergangenen Jahren verwandt wurden, denn in diesem Prozess wurde

extra vereinbart, in welcher Weise Geld und Leistung, nämlich vorschulische Bildung in der Kindertageseinrichtung, zur Umsetzung kommen. Die umfassende Qualifi zierungsoffensive, an der sich fast alle Erzieherinnen und Erzieher des Landes beteiligt haben, die Erarbeitung von eigenen Bildungskonzepten und die ergänzende Finanzierung haben inzwischen maßgeblich zu der sehr hohen Akzeptanz des Projektes Vorschulbildung im Land beigetragen. Seit Monaten nun stagniert dieser Prozess der weiteren Umsetzung dieses Projektes, und das angesichts der außerordentlich engagiert geführten, man kann sagen forcierten Bundesdebatte durch Bundesministerin Frau von der Leyen.

Kindertagesbetreuung hat eine Beschleunigung in der Bundesrepublik erhalten und da ist es schon verblüffend, dass die Landesregierung, dass wir als Land Mecklenburg-Vorpommern hier so unberührt bis zum Sommer 2008 diese Entwicklung an uns vorüberziehen lassen wollen und so ganz im Nichtstun abwarten, was eine Kommission entwickelt.

(Beifall bei Abgeordneten der Linkspartei.PDS)

Wenn es denn gut ist, ist es okay. Klappt es nicht, dann ist es auch okay. Also das ist eher eine Ausfl ucht. Das ist doch kein überzeugendes Argument, sehr verehrter Herr Bildungsminister. Sie lassen doch Ihre eigene Arbeit jetzt nicht wegen der Arbeitsgruppen hier irgendwo ruhen.

Ich denke, wir haben gerade als Parlament eine große Aufgabe, uns an den Auftrag des Gesetzgebers zu erinnern, der nämlich festgelegt hat, schrittweise die vorschulische Bildung einzuführen, und zwar für die Kinder beginnend im Jahr vor der Einschulung. Und, Herr Heydorn hat sehr richtig hier ausgeführt, es ist ein komplexer Prozess, komplex sowohl vom Inhalt als auch von der fi nanziellen Bereitstellung her. Es ist gut, wenn man komplexe Prozesse, um sie erfolgreich zu gestalten, auch schrittweise beginnt. Also der erste Schritt ist getan und der nächste Schritt steht seit Herbst vergangenen Jahres an.

Für die Regierungsparteien ist es charakteristisch, dass sie sich einen Wettbewerb in öffentlichen Ankündigungen – und so verstehe ich auch Ihre Darlegungen, Herr Minister – mit weitreichenden Maßnahmen liefern, während deren fi nanzielle Untersetzung, deren inhaltliche Gestaltung dem Haushalt vorbehalten oder mit der Ankündigung verbunden war, wir haben gestern darüber diskutiert, die Mittel aus Kürzungen anderer sozialer Leistungen zu erschließen. Ich betone noch einmal: Es ist an der Zeit, diese inhaltliche Aufgabe zu lösen, und die besondere Situation in Mecklenburg-Vorpommern erfordert auch, besondere soziale Leistungen fi nanziell abzusichern. Es gibt jetzt Verlautbarungen der Landesregierung beziehungsweise des Koalitionsausschusses, aus denen erkennbar wird, dass Kitas künftig fi nanziell gestärkt werden sollen. Es bleibt aber unklar, wie durch das höhere fi nanzielle Engagement auch eine höhere inhaltliche Profi lierung der Kitas erfolgen soll.

Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete, Sie wissen sehr wohl, dass die Linkspartei.PDS immer die Forderung nach Elternbeitragsfreiheit in den Kindertageseinrichtungen um die Forderung nach einem umfassenden Programm der vorschulischen Bildung bereichert hat. So hat das Land in der vergangenen Legislatur neben der Einführung der vorschulischen Bildung die Mittel für die Kindertagesbetreuung um 20 Pro

zent erhöht. Ich betone das noch einmal, weil das eine einmalige Leistung unseres Landes innerhalb der Bundesrepublik Deutschland ist.

(Beifall Angelika Gramkow, Die Linkspartei.PDS, und Dr. Wolfgang Methling, Die Linkspartei.PDS)

Die Fraktion der Linkspartei.PDS schlägt drei Aufgaben vor:

Erstens. Der Auftrag des Gesetzgebers aus Paragraf 1 Absatz 3 KiföG, das heißt die verbindliche vorschulische Bildung, ist kurzfristig auf die Kinder aller Altersgruppen in der Kita auszudehnen. Das Land hat zu diesem Zweck bereits vor zwei Jahren eine Weiterentwicklung des Rahmenplanes für die zielgerichtete Vorbereitung von Kindern auf die Schule in Auftrag gegeben, wobei die Einbindung neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse und Erfahrungen des Landes aus der Umsetzung besonders gefordert waren.

Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete, dieser weiterentwickelte Rahmenplan liegt vor. Vertreter aus Wissenschaft und Praxis, die nicht mit Fragen der vorschulischen Bildung im Land befasst sind, haben hierzu bereits im Spätsommer 2006 Stellung bezogen und durchweg positive Voten abgegeben. Wir schlagen gerade auch angesichts dieser Voten dessen zügige Einführung spätestens bis zum 01.01.2008 vor, so, wie es in unserem Antrag formuliert ist. Mecklenburg-Vorpommern darf nicht zum Schlusslicht einer Entwicklung werden, die wir einmal federführend mitbestimmt haben. Dazu bedarf es fi nanzieller Mittel. Wir haben das auch in unserem Antrag begründet.

Zweitens schlagen wir vor, die ergänzende Finanzierung auch dafür einzusetzen, dass die Aus-, Fort- und Weiterbildung der Erzieherinnen auf der Grundlage dieses Rahmenplanes weiter fortgeführt wird.

Verehrte Abgeordnete, Kindertagesstätten sind Bildungsstätten für unsere Kinder. Sie werden zunehmend auch Bildungsstätten für die Eltern. Eltern sind die Brücke zwischen Kindern, Kinderkrippen und Kindergärten. Sie sind die einzigen Institutionen, in denen Eltern zweimal täglich vorsprechen und sich mit den Erzieherinnen und Erziehern zur Entwicklung ihrer Kinder austauschen können, Ratschläge, Hinweise und Ähnliches aufnehmen und diskutieren können. Überforderungssituationen der Eltern, die unsere Gesellschaft zunehmend beschäftigen, auch hier in diesem Hause, können relativ schnell erkannt werden. Vielen Eltern kann schnell geholfen werden. Elterninformationen, Elternberatungen und gegebenenfalls Elterntraining sollten künftig verbindlich in die pädagogischen Konzepte der Kindertageseinrichtungen aufgenommen werden.

Auf diese spezielle Form der Erwachsenenkommunikation ist die bisherige Ausbildung der Erzieherinnen nicht ausgerichtet. Diese Inhalte sollten deshalb kurzfristig Bestandteil der Fortbildung und langfristig zum Bestandteil der Ausbildung werden. Die sozialpädagogische Arbeit mit den Eltern ist in allen Kindertageseinrichtungen gezielt zu fördern. Die Herausbildung einer engen Erziehungspartnerschaft zwischen Eltern, Kindertageseinrichtungen und Gesellschaft sollte ein Schwerpunkt der Familienpolitik werden.

(Beifall Barbara Borchardt, Die Linkspartei.PDS, und Torsten Koplin, Die Linkspartei.PDS – Zuruf von Harry Glawe, CDU)

Hierbei sollten wir umfassend die Potenziale des Landes, Universitäten, Kindertageseinrichtungen, Vereine und Verbände, nutzen. Wir brauchen im Land keine Pilotprojekte, wir brauchen auch keine Erprobungszeiten, das ist einfach in einem Land mit fl ächendeckenden und guten langjährigen Erfahrungen nicht erforderlich. Deshalb lässt sich dieser Prozess also auch beschleunigen.

(Harry Glawe, CDU: Na ja, na ja!)

Drittens. In den letzten vier Jahren ist die Inanspruchnahme, wir hörten es heute schon, der Kindertagesbetreuung bei den Drei- bis Sechsjährigen von 90 auf 97 Prozent gestiegen. Das ist zunächst einmal ein sehr erfreuliches Ergebnis. Schaut man aber genauer hin, hat sich der Anteil der teilzeit- beziehungsweise halbzeitbetreuten Kinder seit Einführung der Hartz-Gesetze deutlich erhöht. Rechnet man die Kita-Zeiten, die Kinder in einer Kita verbringen, auf Ganztagsplätze um, dann ergibt sich eine Auslastung von 49,8 Prozent. Diese Aussage geht konform mit Aussagen der Landräte und Oberbürgermeister, dass der Anteil der Kinder wächst, deren Eltern aufgrund von Arbeitslosigkeit oder des geringen Einkommens nicht in der Lage sind, die Elternbeiträge selbst aufzubringen. Diese Beiträge werden von den Kommunen getragen, aber nur für einen Halbtagsplatz.

(Harry Glawe, CDU: Das haben Sie doch ins Gesetz reingeschrieben. Sie sind doch die Mutter des Gesetzes.)

Es ist außerordentlich wichtig, dass alle Kinder den Kindergarten besuchen können. Es ist aber problematisch, wenn Kinder wegen der fi nanziellen Situation ihrer Eltern gezwungen sind,

(Harry Glawe, CDU: Jetzt beklagen, was Sie selbst gemacht haben!)

nur eine Teilzeitbildung zu erhalten, obgleich gerade diese Kinder einer anregungsreichen Förderung ihrer Entwicklung dringend bedürfen.

(Zuruf von Harry Glawe, CDU)

Und, Herr Glawe, genau das ist es, was Sie seit 2005/2006 bemerken und was auf die bundesgesetzlichen Regelungen zurückgeht.

(Harry Glawe, CDU: Das ist Länderzuständigkeit.)

Auch das fl ächendeckende Netz, das wir haben, das eine Ganztagsbetreuung ermöglicht, auch der gesetzliche Anspruch für Kinder, deren Eltern nicht berufstätig sind, das alles sind Leistungen, welche die Altbundesbürger so nicht kennen, aber gern hätten, und für dessen Ausgaben sie uns keineswegs im Unterschied zu ihren Politikern kritisieren, nämlich dieses fl ächendeckende Netz, das wir erhalten, fi nanzieren und weiter ausbauen wollen.

An dieser Stelle, meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete, schließt sich der Kreis zu den eingangs zitierten Worten von Johannes Rau. Gerade wegen der sozialen Situation in unserem Land, die sich absehbar nicht ändern wird, müssen wir es allen Kindern ermöglichen, eine Ganztagsbetreuung in Anspruch zu nehmen, sofern es ihre Eltern wünschen, und wir sollten damit nicht noch eineinhalb Jahre warten.

Verehrte Koalitionspartner, Sie überlegen noch, was Sie mit den ergänzend aufzuwendenden Geldern in Höhe von 9 Millionen Euro fi nanzieren wollen, so war

es gestern in der Zeitung zu lesen. Ermöglichen Sie es allen Kindern, deren Eltern die Inanspruchnahme eines Ganztagsplatzes wünschen, beginnend bei den Kindern unmittelbar vor der Einschulung, und stellen Sie dafür die erforderlichen Landesmittel, und zwar ohne Kürzungen anderer sozialer Leistungen, ein.

(Zuruf von Harry Glawe, CDU)

Die Linkspartei.PDS als Fraktion kann sehr gut mit dem Antrag der FDP mitgehen, diesen Antrag in die Ausschüsse zu überweisen. – Danke.

(Beifall bei Abgeordneten der Linkspartei.PDS – Harry Glawe, CDU: Das lehnen wir ab.)

Danke, Frau Dr. Linke.

Es hat noch einmal um das Wort gebeten der Bildungsminister des Landes Mecklenburg-Vorpommern Herr Tesch. Herr Tesch, Sie haben das Wort.

Also ich denke, dass das Zitat, sehr geehrte Frau Abgeordnete Linke, von Johannes Rau stimmt, ohne dass ich es noch einmal wiederhole. Und genau deshalb ist es so, dass wir erst jetzt die Chance haben, mit allen an der Kindertagesstättenförderung Beteiligten und in enger Kooperation mit Schulen einen Rahmenplan zu entwickeln, der diesen Erfordernissen Rechnung trägt

(Harry Glawe, CDU: Sehr richtig.)

und weitgehend akzeptiert sowie auch wirklich von allen Bildungseinrichtungen in unterschiedlicher Trägerschaft angewandt werden wird. Das ist doch der Punkt. Und ich muss einfach mal sagen – ich wollte es eigentlich nicht tun –, mit Einschränkung im Jahr 2004 wurde es grundsätzlich versäumt, die Landesverbände und Repräsentanten der Träger von Kindertageseinrichtungen in die Erarbeitung mit einzubeziehen,

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

oder mit ihnen gemeinsam den Rahmenplan zu erproben und daraufhin in die pädagogische Arbeit zu implementieren.