bekommt mit dem Inhalt, er solle Leistungen zurückerstatten, die er nie erhalten hat. Ja, da können die lange fordern. Wäre er aber noch Hartz-IV-Empfänger und erhielte genau so einen unberechtigten Bescheid, indem eine Sanktion verhängt wird, eine Leistungskürzung um ein Drittel oder gar um 100 Prozent wegen eines Fehlverhaltens, das sich eine durchgedrehte Software zusammenfantasiert hat, was könnte er dann machen?
Er könnte Widerspruch einlegen, der aber keine aufschiebende Wirkung hat, und das ist ein Schock für die Leute, denn es ist mittlerweile als Allgemeinwissen durchgesickert, dass wenn man Widerspruch einlegt, erst mal Ruhe ist. Die prüfen dann, was man an Argumenten zu sagen hatte, und man hat Ruhe. Die Leute denken dann, es passiert ja nichts. Und dann kommen am Ersten die Leistungen nicht. Die wissen überhaupt nicht, dass das so ist, bis sie es zum ersten Mal spüren. Und da kann ich Ihnen sagen, da bricht Panik aus in den Familien, wenn kein Geld da ist. Sie können das Widerspruchsverfahren abwarten, aber das kann Monate dauern. Eine Klage kann Jahre dauern und hat auch keine aufschiebende Wirkung.
Das sogenannte einstweilige Rechtsschutzverfahren kann sich mittlerweile auch über Monate erstrecken, ohne in irgendeiner Weise dazu einen Anlass gegeben zu haben. Nur infolge von Behördenunfähigkeit oder gar Willkür kann ein Arbeitslosengeld-II-Empfänger gezwungen sein, monatelang mit zwei Dritteln des Regelsatzes auszukommen. Zwar glaubt das Bundessozialgericht in ständiger Rechtsprechung, dass zwei Drittel zum Überleben reichen würden, das restliche Drittel sei eine Art Luxus und soll eine angemessene Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglichen. Da kann man nur bedauern, dass ein Jahr mit Hartz IV nicht zu den Einstellungsvoraussetzungen für Sozialrichter gehört, besonders für Bundessozialrichter. Das würde sie vielleicht von Wolke sieben holen, auf der sie dahinschweben.
Noch viel verheerender ist natürlich eine Leistungskürzung um 100 Prozent. Das kann bedeuten, dass Familien nichts zu essen haben, zumal die Gemeinden, wie es das Gesetz will, in solchen Fällen Sachleistungen erbringen können, aber nicht müssen. Nicht überall ist eine Tafel. Die Anklamer Tafel zum Beispiel nützt ihnen gar nichts, wenn sie irgendwo in Miedow wohnen und sie nicht das Geld für den Bus haben. Zumindest werden die Betroffenen aber großen Ärger mit ihren Vermietern, Energieversorgern und Banken haben, wenn die Überweisungen nicht funktionieren.
Dieser Schaden ist nicht wiedergutzumachen, auch wenn die Leistungen schließlich angewiesen werden, wenn sie irgendwann ihren Fehler gesehen haben. Wie oft geschehen solche Fehler? Über 20 Prozent der Widersprüche und Klagen sind erfolgreich, dabei gehen noch längst nicht alle Betroffenen vor Gericht. Und was sind die Folgen? Behördenversagen dieser Art kann in labilen Familien den Ausschlag zum Zusammenbruch des geordneten Zusammenlebens geben. Und wenn das Jugendamt dann genauso versagt, kann das durchaus zu weiteren Tragödien und vernachlässigten Kindern führen. Das passiert nicht nur in armen Familien, das ist richtig, aber Armut ist ein Beschleuniger.
und das nicht nur zum Spaß, das hat ja seinen Sinn. Die Behörde kann während des Widerspruchsverfahrens die Richtigkeit ihres Handelns überprüfen, etwa eine Abrissverfügung im Bauwesen, und wenn sie festgestellt hat, dass die Verfügung rechtswidrig war, steht das Haus erfreulicherweise noch und es ist nichts Unwiderrufl iches angerichtet worden. Das sollte auf dem sozialen Sektor auch nicht zugelassen werden. Was wäre so schlimm daran, wenn Widersprüche und Anfechtungsklagen bei Leistungen der Grundsicherung aufschiebende Wirkung hätten?
Um einen Einwand vorwegzunehmen, den vielleicht schon jemand vorbereitet hat: Bei Bescheiden, die Anträge auf Gewährung von Leistungen ablehnen, würde eine aufschiebende Wirkung in der Tat nichts bewirken. Wenn der ablehnende Bescheid in seiner Wirkung gehemmt wird, bringt das den Antragsteller der begehrten Leistungen nicht näher, das ist richtig, aber bei Sanktionen doch. Und bei Sanktionen von rein belastenden Verwaltungsakten würde ein Leistungsbezieher, der diese durch sein Verhalten verdient hätte, was es auch gibt, später nach Ablauf des Widerspruchs- und Klageverfahrens bestraft werden. Das ist immer noch besser, als wenn Unschuldige bestraft und nach Monaten vielleicht rehabilitiert werden, wenn ihre Existenz vielleicht schon irreparabel zugrunde gerichtet ist.
Zudem ist die Rechtslage in dieser Hinsicht auch nicht einheitlich. Widersprüche gegen Aufrechnungsbescheide haben nämlich aufschiebende Wirkung. Das geht komischer weise. Zaubert die Behörde plötzlich Ansprüche gegen den Erwerbslosen aus dem Hut und will diese gegen laufende Leistungen aufrechnen, was in dem betreffenden Monat auch auf eine Kürzung hinausliefe oder vielleicht sogar auf eine Nichtleistung über Monate hinweg, dann lässt sich das mit einem Widerspruch aufhalten. Warum ist das nicht bei Sanktionen möglich? Weil man die Hartz-IV-Bezieher in ständiger Furcht halten will? Weil das der Zweck von Hartz IV ist, Druck auszuüben und Unsicherheit zu verbreiten?
So wünschenswert eine Erhöhung der Regelsätze wäre, die jetzt diskutiert wird, noch wichtiger sind Rechtssicherheit und ein Ende der Willkür bei Strafmaßnahmen. Deshalb muss das SGB II in dieser Hinsicht schleunigst geändert werden. – Danke.
Meine Damen und Herren, im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von 30 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In Paragraf 39 SGB II ist geregelt, dass Widersprüche oder Anfechtungsklagen gegen einen Verwaltungsakt, der über Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende entscheidet oder den Übergang eines Anspruchs bewirkt, keine aufschiebende Wirkung haben. Mit dem Wegfall der aufschiebenden Wirkung soll verhindert werden, dass der Leistungsträger dem Hilfebedürftigen weiterhin streitige Leistungen gewähren muss, obwohl bereits bekannt ist, dass vermutlich kein Anspruch mehr auf diese Leistungen besteht.
Denn das hätte zur Folge, dass die spätere Rückforderung nicht mehr durchsetzbar wäre, da der Hilfebedürftige über diese Leistungen bereits verfügt hat.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Regelungen des Paragrafen 39 SGB II stellen eine Abweichung von dem Grundsatz nach Paragraf 86a Sozialgerichtsgesetz dar, dass Widerspruch und Anfechtungsklage eine aufschiebende Wirkung zukommt. Diese Ausnahme bedeutet unbestritten eine belastende Wirkung für den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, auch wenn sich die Ausnahme innerhalb gesetzlich festgelegter Grenzen bewegen muss. Der Gesetzeswortlaut bezieht sich nach dem normalen Sprachgebrauch nur auf Hilfen, die dem Arbeitslosen gewährt werden. Die Gesetzesbegründung zu Paragraf 39 SGB II gibt hierzu auch keine Interpretationshilfe, da dort lediglich der Gesetzestext ohne weitere Hinweise wiedergegeben ist.
Die Auslegung des Paragrafen 39 SGB II, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist deshalb hinsichtlich der Einbeziehung von Aufhebungs- und Rückforderungsbescheiden in der Rechtsprechung und den Kommentaren sehr umstritten. Der Wegfall der aufschiebenden Wirkung „dem Grunde nach“ ist jedoch nicht streitig, da die sofortige Vollziehung, zum Beispiel die Leistungseinstellung zur Vermeidung von ungerechtfertigten Überzahlungen, im öffentlichen Interesse liegt. Insofern ist eine generelle Neuregelung des Paragrafen 39 SGB II nicht erforderlich. Ich empfehle daher die Ablehnung des vorgelegten Antrages.
(Beifall bei Abgeordneten der Fraktionen der SPD und CDU – Udo Pastörs, NPD: Sehr billig, was Sie da vorgetragen haben. Sehr billig. – Zuruf von Stefan Köster, NPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Erstens frage ich mich, wozu hier überhaupt Debatten stattfi nden, wenn Sie sowieso nicht darauf achten, was wir zur Begründung sagen, sondern einfach vorbereitete Texte ablesen.
Das führt dann dazu, dass man sagt: Dieser NPD-Antrag kam nur deswegen zustande, weil der Intelligenteste von der NPD Peter Marx in Niedersachsen ist und Wahlkampf macht, während er da vorne sitzt.
Es ist genau das Gleiche. Vielleicht schauen Sie mal, wo ist denn eigentlich der Intelligenteste von Ihnen? Das lässt sich ja hier überhaupt nicht unterscheiden.
(Beifall und Heiterkeit bei Abgeordneten der Fraktion der NPD – Zurufe von Dr. Armin Jäger, CDU, und Irene Müller, DIE LINKE)
(Reinhard Dankert, SPD: Hauptsache Sie haben Ihren Laptop nicht verpfändet. Es kann ja sein, dass Sie bar bezahlen.)
Es würde keinem höherrangigen Recht widersprechen, wenn man den Widersprüchen in diesen Fällen aufschiebende Wirkung verliehe. Es wäre nicht grundgesetzwidrig, das könnte man machen. Es ist eine Abwägung zwischen den Belangen des Staates. Er könnte einem Nichtberechtigten, der sich wirklich Leistungen ergaunert, Leistungen geben und könnte sie vielleicht nicht zurückbekommen. Aber auf der anderen Seite könnten Ungerechtigkeiten vermieden werden, denn die 20 Prozent erfolgreicher Widersprüche und Klagen zeigen, dass die Behörden häufi g auf dem falschen Dampfer sind. Ich meine, Ungerechtigkeit gegenüber unschuldigen Opfern wiegt höher, als dass der Staat vielleicht ein paar Hundert Euro verliert.
Ansonsten gebe ich noch eine kleine Vorschau aufs nächste Jahr, auf eine andere haarsträubende Ungerechtigkeit.