Protokoll der Sitzung vom 14.12.2007

Ich bekomme gerade den Hinweis, die Geschäftsordnung regelt klar und deutlich, dass es zwei Drittel der Mitglieder des Landtages sein müssen. Damit reichen die 24 Stimmen nicht, um den Tagesordnungspunkt aufzusetzen, also ist dieser abgelehnt.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktionen DIE LINKE und NPD – Michael Roolf, FDP: Das heißt, es sind nur 36 Abgeordnete im Raum. Das ist ein starkes Stück!)

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 26: Beratung des Antrages der Fraktion der NPD – Zwangsverrentung rückgängig machen – 58er-Regelung beibehalten – SGB II überarbeiten!, auf der Drucksache 5/1061.

Antrag der Fraktion der NPD: Zwangsverrentung rückgängig machen – 58er-Regelung beibehalten – SGB II überarbeiten! – Drucksache 5/1061 –

Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Herr Köster. Bitte, Herr Abgeordneter.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In was für einer Gesellschaft leben wir eigentlich? Grundlegende Maßnahmen im Gesundheits-, Sozial- und Steuerbereich unterbleiben, weil Lobbyisten es geschickt verstehen, sich mit der politischen Klasse zu einigen, da Politik und Lobbyisten mittlerweile eine nicht zu trennende Interessengemeinschaft bilden. Beide sind nur auf ihr eigenes Wohl bedacht. Ein Gemeinwohl, wie es für politisch Handelnde eine Selbstverständlichkeit sein sollte, sucht man in der Bundesrepublik beinahe vergeblich.

Einen neuen skandalösen Einschnitt plante die Bundesregierung ursprünglich zum Jahresende. Nach der noch gültigen sogenannten 58er-Regelung, gestützt durch Paragraf 428 Sozialgesetzbuch III und Paragraf 65 Absatz 4 Sozialgesetzbuch II, unterliegen ältere Erwerbslose nicht mehr dem Zwang, sich an der Wiedereingliederung in das berufl iche Leben aktiv zu beteiligen. Stattdessen greift hier das Prinzip der Freiwilligkeit. Das Arbeitslosengeld II wird weitergezahlt. Im Gegenzug verpfl ichtet sich der Erwerbslose, den Renteneintritt zu einem frühestmöglichen Zeitpunkt zu vollziehen, sofern dieser Schritt nicht mit Abschlägen verbunden ist.

Die von der Bundesregierung ursprünglich zum 01.01.2008 geplante Neuregelung sah vor, die ALG-IIEmpfänger bereits nach Vollendung des 58. Lebensjahres, zumindest aber bei Erreichen des 60. Lebensjahres zur Inanspruchnahme einer Rente zwingen zu können, was lebenslange Rentenabschläge von bis zu 18 Prozent zur Folge gehabt hätte. Betroffen wären dabei unter anderem auch Menschen, deren Arbeitslosengeld I ausläuft, die nunmehr den Hartz-IV-Regelungen unterliegen, aber auch Bürger, die im Fall von Arbeitslosigkeit sofort ALG II beantragen müssten, da sie die notwendige Vorbeschäftigungszeit von mindestens zwölf Monaten in den vergangenen beiden Jahren nicht erfüllen.

Auch der jetzt gefundene faule Kompromiss wird den Opfern Ihrer Politik schwere fi nanzielle Schäden zufügen. Bereits jetzt reicht für viele Senioren die Rente nicht für die Miete. In Deutschland sind nirgendwo mehr Menschen auf staatliche Zuschüsse für die Unterkunft angewiesen als in Mecklenburg-Vorpommern. Vier Prozent aller Haushalte bezogen landesweit Anfang des Jahres Wohngeld. Dieses entspricht weit mehr als dem Doppelten des Bundeswertes. Betroffen gewesen wären offensichtlich auch jene unter die Zwangsverrentungsregelung gefallenen Berufstätigen, die zusätzlich zum Arbeitsentgelt SGB-IILeistungen beziehen, die sogenannten Aufstocker oder Ergänzer. Auch hier sollte dann der Grundsatz der Inanspruchnahme einer anderen staatlichen Leistung greifen, in der Folge die vorzeitige Altersrente mit Abschlägen unter möglicher Inanspruchnahme von Wohngeld bei Wegfall von Leistungen nach Sozialgesetzbuch II.

Insgesamt zur Anwendung gelangen sollte ursprünglich verschärft das in den Paragrafen 5 Absatz 1 und 9 Absatz 1 festgelegte Nachrangigkeitsprinzip von Sozialleistungen. Die Hilfebedürftigen müssten dabei vorrangig sämtliche andere Möglichkeiten ausschöpfen, die letztendlich zu einer Verringerung beziehungsweise Vermeidung der Hilfebedürftigkeit geführt hätten. Die Inanspruchnahme einer Rente mit Abschlägen zum frühestmöglichen Zeitpunkt gehört ohne Zweifel dazu. Die derzeitigen Regelungen bieten in diesem Zusammenhang die Möglichkeit, einen Arbeitslosen gegen seinen Willen und mit beträchtlichen Abzügen vorzeitig in die Rente zu schicken. Für ältere Arbeitslose, die einem neuen Sozialträger, in diesem Fall einer Rentenkasse, zugewiesen werden und somit nicht mehr zum Anwendungsbereich des Sozialgesetzbuches II zählen, entfi ele gleichzeitig der Anspruch auf berufl iche Eingliederungsmaßnahmen nach dem Sozialgesetzbuch II.

Die Bundesregierung selbst hat vor einigen Monaten eingestanden, dass die Aufhebung der 58er-Regelung das von ihr vielfach zur Sprache gebrachte Vorhaben, die Lebensarbeitszeit zu verlängern – Rente mit 67 –, zumindest partiell ad absurdum führt. Des Weiteren verlören ältere Erwerbslose, die durch Zwangsverrentung aus dem Leistungspaket des Sozialgesetzbuches II herausfallen, das Recht auf Fördermaßnahmen der „Initiative 50 Plus“.

Einige Fachleute machen überdies verfassungsrechtliche Bedenken geltend und warnen vor einer Klagewelle, die die ohnehin überlasteten Sozialgerichte überrollen könnte. Und hier möchte ich einmal jemanden zitieren: „Der Kompromiss der Koalition verringert zwar die Zahl der Betroffenen, löst aber das Problem nicht“, kritisierte Martin Künkler von der Koordinationsstelle gewerkschaftlicher Arbeitslosengruppen. Denn trotz des Kompromisses sind weiterhin viele Betroffene von der Zwangsrente bedroht, auch wenn der SPD-Parteivorsitzende Beck betont, dass die Verweisung nur erfolgt, jetzt zitiere ich, „wenn ein solcher Verweis keine unzumutbare Härte erzeuge.“ Diese schwammigen Aussagen kennen die Betroffenen leider zur Genüge. Wer entscheidet denn, wann eine Härte vorliegt? Letztendlich werden die zuständigen Stellen so wie bei den Argen Arbeitsrichtlinien befolgen müssen, die nur ein Ziel haben, und zwar das Sparen bei den Opfern.

Und jetzt möchte ich noch mal ein Zitat zum Besten geben: „Der Weg der politischen Lüge wird damit weitergegangen. Unsere Leute wollen arbeiten und nicht in Rente gehen. Statt ältere Arbeitslose bei ihrer Suche nach einem Job zu stärken und entsprechende Forderungen an die Wirtschaft zu stellen, wird jetzt einmal mehr die Lebensleistung von Menschen ignoriert,“ wird der Vorsitzende des Arbeitslosenverbandes Mecklenburg-Vorpommern Christian Köpcke am 30. November dieses Jahres in der „Ostsee-Zeitung“ hinsichtlich des gefundenen Kompromisses zitiert.

Eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit verweist auf die ohnehin schon beträchtlichen Renteneinbußen von Langzeitarbeitssuchenden. Demnach ergibt sich aus einem Jahr ALG-II-Bezug nach Halbierung der Ansprüche Anfang 2006 nur noch der Betrag von 2,16 Euro Rente. Zum Vergleich zieht die Studie den Rentenanspruch eines Durchschnittsverdieners heran, der aus einem Jahr Einzahlung in die Rentenkasse resultiert.

22,97 Euro beträgt dieser im Osten der Republik, auf 26,30 Euro beläuft er sich in den Altbundesländern. Pro Monat, den ein Erwerbsloser früher in Rente geht, ergibt sich ein Abschlag von 0,3 Prozent. Auch vor diesem Hintergrund ist festzustellen, dass die Zwangsverrentung für die Betroffenen eine unbillige Härte darstellt, der unbedingt entgegengewirkt werden muss.

Meine Damen und Herren, Sie müssen zugeben, dass sowohl das politische als auch das soziale System in der Bundesrepublik vollkommen aus den Fugen geraten ist. Sicherlich wurde die Grundlage, auf welcher unser Antrag ursprünglich basierte, nun leicht korrigiert. Die Ausführungen zu diesem wichtigen Thema waren und sind dennoch vollkommen notwendig gewesen. Auch mit der Zwangsverrentung ab 63 Jahren haben die Betroffenen Schlimmstes zu befürchten. Die Lage für die Menschen im Land wird dadurch leider nicht besser, sondern weiter schlechter. Sorgen Sie doch dafür, dass die Menschen Arbeit erhalten von der man leben kann! Hören Sie auf, diese Menschen, die sich nicht wehren können, Repressalien auszusetzen! Aber nein, hierfür ist ja die Wirtschaft zuständig. Aber wofür gibt es dann überhaupt noch die Parlamente? Wir ziehen unseren Antrag nicht zurück, obwohl die Begründung natürlich nicht mehr ganz aktuell ist. Die kommende Ablehnung unseres Antrages belegt doch deutlich Ihre abgehobene und volksfremde Politik.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der NPD)

Im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 30 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Als Erster hat das Wort für die Fraktion der SPD der Abgeordnete Herr Schulte. Bitte, Herr Abgeordneter.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wenn die Herren von der NPD einen Hauch von Anstand hätten,

(Barbara Borchardt, DIE LINKE: Haben sie aber nicht. – Michael Andrejewski, NPD: So wie Sie? – Udo Pastörs, NPD: Sie sprechen von Anstand?)

dann hätten sie bei der Einbringung ihres Antrages wenigstens ansatzweise darauf hingewiesen, dass die selbst ernannten Retter des Vaterlandes nicht in der Lage sind, eigenständige politische Vorstellungen zu entwickeln, die sich auch nur millimeterweise über der geistigen Teppichkante bewegen.

(Volker Schlotmann, SPD: Tja! – Zuruf von Michael Andrejewski, NPD)

Wenn die Herren von der NPD einen Hauch von Anstand hätten, dann hätten sie zum Ausdruck gebracht,

(Michael Andrejewski, NPD: Haben Sie nur einen Satz?)

dass sie, sobald es um inhaltliche und politische Sacharbeit und Anträge geht, bei Dritten, nämlich bei den von ihnen so verhassten demokratischen Parteien, auf Ideenklau gehen müssen.

(Stefan Köster, NPD: Oh! – Michael Andrejewski, NPD: Seit wann haben Sie denn Ideen? – Udo Pastörs, NPD: Sie haben doch nur Ideen, den anderen die Taschen vollzustopfen.)

Hätten Sie diesen Anstand, dann hätten Sie darauf hingewiesen, und bräuchten hier nicht dazwischenzuschreien, dass, lange bevor die NPD ihren Antrag hier im Landtag einreichte, die Bundestagskollegen von der Linkspartei bereits am 6. November dieses Jahres einen Antrag zu diesem Thema in den Bundestag eingebracht hatten.

(Raimund Borrmann, NPD: Sie sind aber hier nicht im Bundestag. – Peter Ritter, DIE LINKE: Richtig, so ist es. Weil Sie nur abschreiben können.)

Hätten Sie diesen Anstand, dann hätten Sie darauf hingewiesen, dass die Koalitionsfraktionen von CDU/CSU und SPD in Berlin sich bereits Anfang November auf eine Neuregelung im Interesse älterer Arbeitsloser im Koalitionsvorsteuerausschuss verständigt haben,

(Stefan Köster, NPD: Der zwischenzeitlich wieder zurückgenommen worden ist. – Zuruf von Barbara Borchardt, DIE LINKE)

lange bevor die NPD hier im Landtag ihren Antrag eingereicht hatte. Und dann hätten die Herren auch deutlich gemacht, dass die Fraktionen von CDU/CSU und SPD bereits am 11. November – das Datum des NPD-Antrages ist der 28.11. – dieses Jahres einen entsprechenden Gesetzentwurf in den Bundestag eingebracht haben.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der Faktion der NPD – Raimund Borrmann, NPD: Das war ein Faschingsantrag! – Peter Ritter, DIE LINKE: Ihr seid die Karnevalsfraktion, das ist doch klar.)

Aber dieser Anstand, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, …

(Michael Andrejewski, NPD: Alaaf!)

Ich kann nur sagen, getroffene Hunde bellen. Mehr fällt mir dazu jetzt nicht ein.

(Michael Andrejewski, NPD: Haben Sie hier „wau, wau“ gehört?)

Aber dieser Anstand hätte dann deutlich gemacht, dass die NPD hier, wie in allen anderen Fällen, den gesellschaftspolitischen Entwicklungen wieder nur hinterherhinken kann und sich der Antrag der NPD bereits bei Antragstellung erledigt hatte. Aber, meine Damen und Herren, dieser Anstand ist, wen wundert es, natürlich nicht vorhanden.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der SPD)

Den Herren von der NPD kommt es ja auch nicht, das haben sie ja nicht erst in dieser Landtagssitzungswoche deutlich gemacht, auf inhaltliche Arbeit an.

(Volker Schlotmann, SPD: So ist das.)

Den Herren von der NPD reicht es offenbar, wenn sie bei den Menschen in diesem Land den falschen Schein von politischer Arbeit erwecken können.

(Michael Andrejewski, NPD: Sie wollen doch unsere Inhalte verbieten.)

Und in diesem einen Punkt hat natürlich der Vorredner recht, als er sagte: Der politische Weg der Lüge wird weitergehen, bloß er geht halt bei der NPD weiter.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktionen der SPD und DIE LINKE – Stefan Köster, NPD: Oh, Herr Schulte! – Udo Pastörs, NPD: Das ist aber billig, Herr Schulte. – Zuruf von Michael Andrejewski, NPD)

Meine Damen und Herren, ältere Langzeitarbeitslose werden auch in Zukunft nicht befürchten müssen, vor ihrem 63. Lebensjahr

(Stefan Köster, NPD: Aber dann, aber dann.)

mit fi nanziellen Abschlägen vorzeitig in Rente geschickt zu werden.

(Michael Andrejewski, NPD: Das werden wir ja sehen.)

Die sogenannte 58er-Regelung, die Ende dieses Jahres tatsächlich ausgelaufen wäre, wird in veränderter Form weiterhin bestehen bleiben.