Frau Ministerin, Sie sagten: „Wer nicht hören will, muss fühlen.“ Ich hoffe nicht, dass das ein Plädoyer für die Einführung der Prügelstrafe ist.
(Unruhe und Heiterkeit bei Abgeordneten der Fraktionen der SPD und CDU – Udo Pastörs, NPD: Blödsinn.)
Wir sprechen heute über die Kriminalität von Jugendlichen und Heranwachsenden. Junge Menschen sind in ihrer Persönlichkeit noch stark formbar. Dieser Gedanke liegt dem Jugendstrafrecht zugrunde und muss bei allen diesbezüglichen Maßnahmen natürlich berücksichtigt werden. Anders als erwachsene Straftäter haben Jugendliche erst eine sehr kurze Phase der Persönlichkeitsentwicklung durchlebt, auf die sie zum Teil selbst gar keinen Einfl uss hatten. Prägend für junge Menschen ist die Sozialisation in der Familie und im gesellschaftlichen Umfeld. Es scheint mir wichtig, wenn wir über Verschärfung des Jugendstrafrechts sprechen, gerade dieses gesellschaftliche Umfeld junger Menschen in den Blick zu nehmen.
Wie sieht dieses Umfeld aus in unserer heutigen Gesellschaft? Wir wissen, dass wir durch die hohe Arbeitslosigkeit, insbesondere durch die hohe Langzeitarbeitslosigkeit, in der Bundesrepublik über 2,5 Millionen Kinder und Jugendliche haben, die in Armut leben, die von gesellschaftlich wichtigen Möglichkeiten ausgeschlossen sind, wie Berufsausbildung oder Teilnahme an Sportvereinen, Musikschulen, Theater. Darüber haben wir heute schon gesprochen. In vielen, gerade in dünn besiedelten Regionen unseres Landes erleben wir ein Wegbrechen der Kinder- und Jugendeinrichtungen. Fast jeder siebte Jugendliche verlässt die Schule ohne Abschluss. Jungen Menschen ein Leben ohne Gewalt, ohne Drogen und damit auch ohne Kriminalität zu ermöglichen, heißt, ihnen eine Perspektive zu geben, eine Perspektive jenseits von Hartz IV und Arbeitslosigkeit. In einem Land wie Mecklenburg-Vorpommern mit einer hohen Arbeitslosigkeit der Eltern setzt das eine wachsende Verantwortung der Gesellschaft für die Kinder und Jugendlichen voraus,
die sich in Angeboten wie Ganztagskindergartenplätzen, Ganztagsschulen, aber auch Freizeiteinrichtungen und Lehrstellen für alle Kinder darstellt.
Es ist bekannt, dass Ursachen für Aggressivität, für Drogenkonsum, für Kriminalität als Ausdruck der Ausgrenzung, als falsch verstandene Konfl iktbewältigungsstrategie sehr früh gelegt werden. Folglich müssen auch sehr früh die Gegenmaßnahmen greifen, die selbstverständlich in der Familie, in Freizeiteinrichtungen in einer Art und Weise des Lebens praktiziert werden, die Kindern Freiräume zur Entfaltung ihrer kreativen, sportlichen, künstlerischen Möglichkeiten, eben Möglichkeiten der Integration bieten. Es geht um ein breites Spektrum von Angebots- und Fördermöglichkeiten, um ein breites Spektrum von Integration auf dem Weg zu einer starken Persönlichkeit, die in Konfl iktsituationen eben nicht den Ausweg in Gewalt, in Drogen oder Kriminalität sieht.
Herr Nieszery hat sehr klar auf die Bestrebungen, auf die Maßnahmen der vorhergehenden Landesregierung verwiesen. Wir haben das Kinder- und Jugendprogramm, den Landesaktionsplan Suchtprävention, das Konzept der vorschulischen Bildung hier gemeinsam verabschiedet. All diese Ansätze fußen auf dem Konzept der Prävention, Prävention als vorausschauend angelegter Prozess, der Vertrauen, Langfristigkeit, Kontinuität und Integration gleichermaßen berücksichtigt. Ich denke, es ist an der Zeit, dass diese Programme wieder aus der Versenkung der Landespolitik geholt werden, dass an diese Konzepte angeknüpft wird
und dass wir wahltaktisch motivierte Forderungen nach Strafverschärfung, Wegsperren von sozial auffälligen jungen Menschen dorthin verbannen, wo sie hingehören.
(Harry Glawe, CDU: Ach, Frau Linke, Sie müssen mal bei der Wahrheit bleiben und nicht immer nur Aufzählungen machen! Das sind Plattitüden, die Sie hier vortragen.)
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Jugendgewalt in Deutschland ist wohl ein gesellschaftliches Problem, für das es keine Patentlösungen gibt. Was aber ganz sicher nicht hilft, sondern Lösungen behindert, ist eine Politik des Verschweigens, des Verharmlosens und der Tabuisierung,
denn die Lebenswirklichkeit hat sich verändert. Bürger meiden zunehmend öffentliche Verkehrsmittel und bestimmte Gegenden aus Angst vor Jugendgewalt. Und wer das bestreitet, lügt. Das dürfen wir nicht länger hinnehmen, denn rechtsfreie Räume darf es in Deutschland nicht geben. Die Menschen erwarten mit Recht, dass der Staat alles daransetzt, seine Bürger entschlossen und
erfolgreich vor kriminellen Übergriffen zu schützen. Vorrangig müssen alle Maßnahmen den Schutz potenzieller Opfer von Straftaten im Blick haben. Das sind die Fakten.
Die Gewaltkriminalität in Deutschland ist in den letzten 15 Jahren um 15 Prozent gestiegen. Jugendliche und heranwachsende Täter verüben rund 43 Prozent aller Gewaltdelikte und fast die Hälfte der Gewalttäter in Deutschland ist nicht deutscher Herkunft. Gott sei Dank ist in Mecklenburg-Vorpommern dieses Problem nicht annähernd so gravierend wie zum Beispiel in Berlin oder in hessischen Großstädten.
Dort beträgt nämlich der Anteil der Gewalttäter mit Migrationshintergrund knapp 80 Prozent der rund 500 gefassten Intensivtäter.
Nur mit einem differenzierten Maßnahmenkatalog können wir angemessene und zielgruppenorientierte Lösungen der Jugendgewalt wirklich fi nden. Und damit der Staat seine Bürger selbst vor Jugendgewalt schützen kann, müssen präventive und repressive Maßnahmen ergriffen werden, die sich im Übrigen, meine Damen und Herren von der LINKEN, nicht ausschließen, sondern sehr wohl sinnvoll ergänzen.
Den Blick ausschließlich auf die Prävention zu richten, ist der völlig falsche Weg, weil er nicht ausreichend ist. Es gibt keine Erfolgsgarantie, insbesondere dann nicht, wenn Betroffene und ihre Familien für vorbeugende Maßnahmen nicht mehr zugänglich sind. Klar ist, dass Prävention unverzichtbar ist, und da bin ich mit Ihnen absolut d´accord. Kinder- und Jugendkriminalität hat nicht nur eine, sondern vielfältige Ursachen. Der Verlust von Werteorientierung – viel zu wenig darüber gesprochen, nur lamentiert –, fehlende Zukunftsperspektiven und mangelnde soziale Kompetenzen auch in Familien können ebenso eine Rolle spielen wie eine schlechte Ausbildung, das Wohnumfeld und die Überforderung der Eltern bei der Erziehung ihrer Kinder. Auch Gewaltdarstellungen in den Medien und entsprechende Einfl usswirkungen, Integrationsprobleme, eigene Gewalterfahrungen junger Menschen ebenso wie mangelnde Sprachkompetenzen – im Übrigen bei ausländischen und inländischen Jugendlichen – kommen als Auslöser von kriminellen Verhaltensweisen insbesondere von Gewalthandlungen infrage. Allein schwierige Sozialisation von Tätern darf allerdings nicht als Entschuldigung für ihre Taten herangezogen werden. Nicht die Gesellschaft ist für das Verbrechen an sich und seine Folgen verantwortlich, sondern der Täter selbst.
Integration, meine Damen und Herren, ist keine Einbahnstraße, das ist richtig. Nicht nur staatliche Maßnahmen zur Integration sind nötig, sondern, und das wird regelmäßig übersehen, der Wille der Betroffenen selbst zur Integration, zur Anerkennung und Respektierung unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung und unserer deutschen Kultur sind unverzichtbar. Die wichtigsten Beiträge für eine nachhaltige Gewaltprävention leistet eine auf Wertevermittlung ausgerichtete Erziehung in der
Familie. Es geht hier nicht um die Bildung, sondern um die Erziehung zu Werten. Schule, Kirche und Freizeiteinrichtungen können die Erziehung der Eltern nur unterstützen und darauf aufbauen. Aber wo Defi zite festgestellt werden, bedarf es gezielter Förderung über die unterschiedlichen Entwicklungsphasen junger Menschen hinweg. Der erfolgreichen Verhinderung von Gewaltkriminalität durch eine systematische und umfassende Präventionsarbeit kommt maßgebliche Bedeutung zu. Wir aber müssen Grenzen setzen mit raschen und konsequenten Reaktionen. Wir müssen jugendlichen Tätern klare Grenzen setzen und durch unverzügliches Handeln dem staatlichen Gewaltmonopol auch Geltung verschaffen.
Mit Freude habe ich die Mitteilung unseres Generalstaatsanwalts Herrn Trost in einer Pressemitteilung zur Kenntnis genommen, dass unsere Jugendgerichte besonders schnell reagieren – die Justizministerin hat es ausgeführt – und auch eine überdurchschnittlich hohe Verurteilungsquote von heranwachsenden Tätern haben. Strafe muss spürbar sein. Eine Justiz, die schwere Gewaltdelikte lediglich mit Teilnahme an Trainingskursen, Verwarnungen, Arbeitsleistungen oder auch reine Bewährungsstrafen ohne Zusatzreaktionen wie Arbeitsstunden oder Arrest ahndet, wird von vielen jugendlichen Tätern nicht mehr ernst genommen. Sie erfüllt auch nicht den Strafanspruch unseres Staates.
Jugendliche Straftäter müssen frühzeitig und nicht erst nach einer langen kriminellen Karriere etwa in Erziehungscamps, Erziehungsinternaten oder ähnlichen Einrichtungen mit therapeutischem Gesamtkonzept, und das ist meines Erachtens ausschlaggebend für den Erfolg, ein Leben mit festen Strukturen und Respekt vor dem anderen lernen. Auch als Alternative oder Ergänzung zur Haftstrafe kommt eine Unterbringung in einem, wenn nötig, geschlossenen Erziehungsheim oder in einem Präventionsprojekt in Betracht. Warum nicht? Dabei geht es doch um die konsequente Umsetzung des Erziehungsgedankens unter intensiver Betreuung, Erziehung zu einer eigenständigen Organisation des Privatlebens mit geregeltem Tagesablauf, das konsequente Anstreben eines Schulabschlusses.
Im Übrigen – Frau Borchardt, Sie müssten sich erinnern –, als wir in Bützow waren, haben wir festgestellt, dass Mehrfachschulabbrecher oder die, die eine Lehre abgebrochen haben, dort endlich begriffen haben, dass es Sinn macht, einen Abschluss zu haben, und es auch durchziehen.
Das Erlernen eines sozial verantwortlichen Verhaltens in einer Sozialgemeinschaft sowie die Konfl iktlösung ohne Gewalt heißt, Diskurs zu führen, zu streiten, ohne zu brüllen, den anderen anzuhören, um überhaupt etwas mitzubekommen. Für delinquente Kinder, die noch nicht strafmündig sind, bei denen die kriminelle Karriere aber bereits vorgezeichnet ist, kommt als Ultima Ratio ebenfalls eine Unterbringung in einer besonderen, dafür zu schaffenden Einrichtung in Betracht, um sie aus dem gewaltgeprägten familiären Umfeld, so denn vorhanden, herauszulösen.
Mit unserem Generalstaatsanwalt begrüße ich daher die Einführung eines sogenannten Warnschussarrests.
Ständiges Fehlen beispielsweise im Schulunterricht, meine Damen und Herren, muss doch durch konsequentes Anzeigen bei Eltern und Behörden auch sanktioniert werden. Eltern müssen gegebenenfalls durch Bußgelder dazu angehalten werden, ihrem Erziehungsauftrag zur Bildung ihrer Kinder gerecht zu werden.
(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der CDU – Irene Müller, DIE LINKE: Ja, aber wer bezahlt denn das?)
Niemand in dieser Welt wünscht sich, kriminell zu werden. Sie sind auch Opfer ihrer eigenen Erziehung oder der Defi zite, die Eltern haben. Da kann man nicht die Augen verschließen. Das ist nun einmal so. Man kann nur dagegenreden, wenn man nichts davon versteht.
(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der CDU – Irene Müller, DIE LINKE: Richtig, genau. Das ist wahr. Genau.)
(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der CDU – Zurufe von Angelika Gramkow, DIE LINKE, und Torsten Koplin, DIE LINKE)