Gesetzentwurf der Fraktion DIE LINKE: Entwurf eines Gesetzes über die Vergabe öffentlicher Aufträge in MecklenburgVorpommern (Auftragsvergabegesetz Mecklenburg-Vorpommern – AVG M-V) (Erste Lesung) – Drucksache 5/1294 –
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie erinnern sich: Vor über einem Jahr hat meine Fraktion einen Antrag eingebracht, der zwei Forderungen enthielt. Erstens forderte er von der Landesregierung, sie sollte sich auf Bundesebene für tarifl iche Mindestlöhne als Kriterium bei der Vergabe öffentlicher Aufträge einsetzen, und zweitens, sie sollte mindestens im eigenen Land entsprechende Regelungen einführen. Das war ein erneuter Anlauf, um die längst überfällige Verabschiedung eines Landesvergabegesetzes zu erreichen. Dahinter steht auch das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes, das im Juli 2006 die Tariftreueklausel des Berliner Vergabegesetzes für verfassungskonform erklärte. Damit sind verfassungsrechtliche Bedenken auch gegen ein Vergabegesetz in Mecklenburg-Vorpommern ausgeräumt worden.
Meine Kolleginnen und Kollegen, ich wiederhole: Seit der Überweisung unseres Antrags in den Wirtschaftsausschuss ist mehr als ein Jahr vergangen.
Im September 2007 gab es dazu dann eine nicht öffentliche Anhörung und seitdem: Still ruht der See. Wir haben weder im Ausschuss die Ergebnisse der Anhörung bewertet, noch liegt uns ein Gesetzentwurf der Regierungskoalition vor. Wir sind bis heute nicht zu greifbaren Ergebnissen gekommen.
Deshalb legt meine Fraktion einen eigenen Entwurf eines Gesetzes zur Vergabe öffentlicher Aufträge in Mecklenburg-Vorpommern vor. Das ist im Interesse der Unternehmen unseres Landes, die sich um öffentliche Aufträge bewerben, das ist im Interesse von Tausenden Männern und Frauen, die bislang zu niedrigsten Löhnen schuften. Und wir wollen damit die Diskussion beschleunigen.
Deshalb ist es besser, wenn Sie zuhören. Wir machen Druck, weil auf Bundesebene durch die Große Koalition keine Schritte eingeleitet werden, um bundeseinheitlich die Intentionen des Bundesverfassungsgerichtsurteils umzusetzen. Im Gegenteil: Der Bundesverband der Deutschen Industrie bläst zum Generalangriff
auf alle, wie er meint, vergabefremden oder wettbewerbsfremden Kriterien im Vergaberecht. Er fordert ein „vereinfachtes“, modernisiertes und praxisorientiertes Vergaberecht.
Im Klartext heißt das, Regelungen, die von Unternehmen Verpfl ichtungen zur Einhaltung von Tarifl öhnen, ökologischen Standards, Ausbildungsquoten, zur Beachtung der Gleichstellung der Geschlechter und von Menschen mit Behinderungen verlangen, sollen abgeschafft oder gar nicht erst festgelegt werden. Der Wettbewerb soll also weiter auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen werden und das soll dann auch noch in einem Bundesgesetz festgeschrieben werden.
Ist das Ihre Vorstellung von sozialer Gerechtigkeit, meine Damen und Herren? Unsere sieht da anders aus. Der Mindestlohn ist die Bedingung für gute Arbeit, ohne Wenn und Aber. Mit dieser Forderung sind wir übrigens, wie Sie wissen, derselben Meinung wie Gewerkschaften, Teile der SPD und Sozialverbände. Herr Schlüter hat das ja heute auch in seiner Pressemitteilung entsprechend bekräftigt.
Noch einmal zum Bundesverfassungsgericht: In seiner Begründung hat es festgestellt, dass Tariftreueregelungen geeignet sind, Lohndumping und Verdrängungswettbewerb zu begrenzen und deshalb auch zur Stabilisierung der Sozialversicherungssysteme beizutragen. Die EU sieht das – bisher zumindest – nicht anders. Im Artikel 26 der Richtlinie über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge heißt es, ich zitiere: „Die öffentlichen Auftraggeber können zusätzliche Bedingungen für die Ausführung des Auftrags vorschreiben, sofern diese mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sind und in der Bekanntmachung oder in den Verdingungsunterlagen angegeben werden. Die Bedingungen für die Ausführung eines Auftrags können insbesondere soziale und umweltbezogene Aspekte betreffen.“ Zitatende.
In unserem Gesetzentwurf lehnen wir uns an den neuen Entwurf für das Land Berlin und das im Juli 2007 beschlossene Tariftreuegesetz Schleswig-Holsteins an. Wir fordern den Landtag auf zu beschließen, öffentliche Aufträge für Baumaßnahmen, Dienstleistungen, Schienenpersonennahverkehr und Abfallwirtschaft nur an Unternehmen zu vergeben, die sich selbst und auch ihre Nachauftragnehmer zur Tariftreue verpfl ichten. Konkret wollen wir mindestens eine Lohnzahlung von 8,00 Euro pro Stunde, wenn der gültige Tarifvertrag niedrigere Entgelte zulässt. Außerdem wollen wir durch dieses Gesetz die rechtliche Möglichkeit schaffen, dass auch kommunale Auftraggeber zum Beispiel bei Ausschreibungen zum ÖPNV diese Regelungen anwenden können. Das ist noch kein branchenübergreifender gesetzlicher Mindestlohn, da sich die Forderung ja lediglich auf den einzelnen Auftrag bezieht. Und für uns steht fest, dass wir da nicht lockerlassen, aber das Vergabegesetz wäre ein erster Schritt in die richtige Richtung. Aus unserer Sicht müssen sich öffentliche Auftraggeber vorbildhaft verhalten.
Meine Damen und Herren, die bisherige Ablehnung von Tariftreueregelungen wurde in unserem Land stets damit begründet, dass Niedriglöhne Standortvorteile bringen. Dieses Argument ist, mit Verlaub gesagt, ein alter Schuh. Einen neuen machen Sie daraus nicht. Auch mit Ihren gebetsmühlenartigen Appellen an die Arbeitgeber, gute Arbeit gut zu bezahlen, sind Sie regelmäßig gescheitert.
In schönster Einmütigkeit lehnen hier im Landtag alle Fraktionen doch sittenwidrige Löhne ab. Allerdings verstehen wir offensichtlich etwas anderes unter „sittenwidrigen Löhnen“ als zum Beispiel die CDU oder die FDP. Die Diskussion über den Postmindestlohn in unserem Hohen Hause hat einmal mehr gezeigt, dass Sie, meine Damen und Herren von der CDU und der FDP, die Wirtschaft und das System gefährdet sehen, wenn alle Menschen einen existenzsichernden Lohn erhalten. Was ist das eigentlich für ein System und eine Wirtschaft, die nur existieren können, wenn die Menschen von ihrem Lohn nicht leben können?
Wie sieht es hier bei uns im Landtag aus? Gucken Sie sich unmittelbar um! Haben Sie schon einmal die jungen Frauen, die während der Landtagsdebatten am Tresen in der Lobby stehen, gefragt, für welchen Lohn sie arbeiten? Oder fragen Sie den Sicherheitsdienst!
In unserem Land liegen zudem in vielen Bereichen die gezahlten Arbeitsentgelte weit unter dem Durchschnitt der anderen Bundesländer.
Wie ich wissen Sie, dass viele Menschen gezwungen sind, ergänzende Leistungen des Staates in Anspruch zu nehmen. In Mecklenburg-Vorpommern sind es über 37.000. Dieser Skandal muss endlich beendet werden und der Staat muss dabei vorangehen. Verheerend ist auch, dass junge, gut ausgebildete Frauen und Männer aus Mecklenburg-Vorpommern abwandern, weil das Lohnniveau so viel niedriger ist als in einigen alten Bundesländern.
Dass es anders geht, hat die Diskussion Ihrer Parteikollegen in Schleswig-Holstein bei der Verabschiedung des Vergabegesetzes gezeigt. Insbesondere CDU und FDP sind dort über ihren Schatten gesprungen. Sogar den bürokratischen Aufwand, der zweifellos bei der Durchsetzung des Gesetzes notwendig ist, haben sie als vertretbar eingeschätzt. Natürlich haben dazu wesentlich Stimmen aus kleinen und mittelständischen Unternehmen beigetragen, die einen ruinösen Lohnsenkungswettbewerb – übrigens auch im Zusammenhang mit Dumpingangeboten aus Mecklenburg-Vorpommern – nicht länger mitmachen wollen.
(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE – Toralf Schnur, FDP: Das erklären Sie mal den Berliner Kollegen!)
Er muss Fachlichkeit, Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit der Unternehmen herausfordern und sich daran orientieren, wie effektiv dieses Potenzial des Unternehmens eingesetzt wird. Nur unter solchen Bedingungen ist der Begriff „wirtschaftlichstes Angebot“ gerechtfertigt.
Unser Gesetzentwurf bietet die Chance, endlich die Verantwortung als Gesetzgeber wahrzunehmen. Denken Sie daran, es geht um die Menschen in unserem Land!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich noch einen Satz zu den Kosten des Gesetzes sagen. Ja, es sind höhere Kosten bei der Vergabe öffentlicher Aufträge zu erwarten. Wir halten das für verhältnismäßig und für verantwortbar, denn höhere Löhne kommen den Menschen direkt zugute. Im Übrigen würden so auch die sozialen Sicherungssysteme gestärkt. Alles in allem Belege für volkswirtschaftliche Vernunft und deshalb fordern wir Sie auf, stimmen Sie der Überweisung dieses Gesetzentwurfes in die Ausschüsse zu.
Im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 45 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.
Als Erster hat ums Wort gebeten der Wirtschaftsminister des Landes Mecklenburg-Vorpommern Herr Seidel. Bitte schön, Herr Minister, Sie haben das Wort.
Frau Lück, Sie haben gerade formuliert, wir wollen hier ein Gesetz machen für die Unternehmen beziehungsweise Arbeitnehmer. Da kann ich Ihnen zuerst mal sagen, bei mir hat sich überhaupt kein Unternehmen gemeldet, das dieses Gesetz haben will.
Also insofern sind das alles Aussagen, die hier in den Raum gestellt werden, die zumindest der betreffende Minister so nicht nachvollziehen kann. Aber es mag ja sein, dass das alles ab heute anders wird.
(Angelika Gramkow, DIE LINKE: Sie sollten sich mal fragen, warum Sie das nicht nachvollziehen können!)
Ich will mal etwas ganz anderes sagen: Wo allerdings Unternehmen Sorgen haben, das ist, wenn im Wettbewerb zum Beispiel Ich-AGs auftauchen.