Protokoll der Sitzung vom 05.03.2008

Wir haben uns Folgendes überlegt: Wir wollen die Eltern herausfi nden, die ihre Kinder nicht zu diesen U-Untersuchungen schicken, die auch dann, wenn wir vom Öffentlichen Gesundheitsdienst sagen, wieso hast du dein Kind da nicht hingeschickt, das ist eine wichtige Sache, und daran erinnern und sagen, bitte nimm diese Möglichkeit wahr, komm zur U-Untersuchung, dass wir, wenn dann die Eltern immer noch nicht kommen, sagen, da ist etwas nicht in Ordnung, da wollen wir jemanden hinschicken, um zu schauen, was das für eine Familie ist, die sich so wenig um ihr Kind kümmert.

Wir wollen die zentrale Erfassung der U-Untersuchungen nutzen, um zu sagen, wir wollen die Familien herausfi nden, die vielleicht nur Hilfe brauchen, wo etwas so in Unordnung ist, dass man sich noch nicht einmal um die elementaren Bedürfnisse der Kinder kümmert, nämlich noch nicht einmal die wichtigsten ärztlichen Untersuchungen durchführt. Und wir wollen das ganz bewusst

als eine aufsuchende Hilfe machen, dass dann das öffentliche Gesundheitsamt kommt, nicht das Jugendamt, und dass wir nicht nur als Polizei da erscheinen, die schaut, sondern in ganz vielen Fällen wird Hilfe nötig sein. Da müssen wir Hilfsangebote machen. Nehmen Sie eine alleinerziehende Mutter mit drei kleinen Kindern. Da ist es vielleicht schwierig, alle Untersuchungen wahrzunehmen. Wir haben als Hilfsangebot, bezahlt durch das Land, Familienhebammen, die sich um solche Fälle kümmern können. Wenn das Gesundheitsamt feststellt, hier ist Hilfebedarf, dann kommen Familienhebammen, die diesen Familien helfen, die Hinweise geben, die Tipps geben, die auch ganz konkrete Hilfe leisten.

Aber wir haben auch die Möglichkeit, bei den Familien, wo wir sehen, dass die Verhältnisse so sind, dass wir zugunsten der Kinder sofort eingreifen müssen, zu sagen, die Kinder müssen aus diesen Familien herausgenommen werden. Es sind ja leider große Zahlen, bei denen es nötig ist, auch in Mecklenburg-Vorpommern, dass wir um des Kindeswohls willen die Kinder aus den Familien herausnehmen müssen, damit es ihnen gut geht. Das ist der Ansatz, den wir mit diesem Gesetz verfolgen.

Wir werden noch in dieser Landtagssitzung zu anderen Anträgen insgesamt zur Gesundheitsvorsorge sprechen, auch dazu sprechen, wann sind U-Untersuchungen sinnvoll, wann ist vielleicht eine Vorschuluntersuchung sinnvoll. Dazu will ich jetzt keine Ausführungen machen, sondern mir geht es darum, deutlich zu machen, dieses System, was wir hier installieren, dient dazu, einen Blick dafür zu bekommen, in welche Familien wir gehen müssen, um dann dort Hilfe zu leisten oder zugunsten der Kinder sofort einzugreifen. Das ist der Sinn dieses Gesetzes und deshalb kommt es gar nicht so sehr darauf an, ob wir Zwangsmittel haben, um Eltern dazu zu zwingen, U-Untersuchungen wahrzunehmen, sondern es geht darum, diejenigen Eltern zu erkennen, die das nicht tun, und zu sagen, Vorsicht, da müssen wir nachschauen. Das ist ein kleiner Einblick mehr, den wir auf diese Weise gewinnen, um helfen zu können.

Die zweite Möglichkeit ist ganz klar – und das bitte ich auch zu propagieren und draußen deutlich zu machen –, wir haben eine Hotline, bei der jeder anrufen kann, und wir sollten alle gemeinsam dafür sorgen, dass das auch wahrgenommen wird. Inzwischen ist auch alles, was es an Irritationen mit den Jugendämtern gegeben hat, ausgeräumt, die Zusammenarbeit ist gut und ich denke, dass wir auch auf diesem Wege weiterkommen.

Ganz wichtig scheint mir auch zu sein, dass wir Eltern, die in großen Schwierigkeiten sind, nicht nur mit Misstrauen begegnen, sondern gleichzeitig ein Hilfsangebot machen, zum Beispiel das Hilfsangebot der Familienhebammen. Aber wir müssen uns auch klar darüber sein, alle, die mit kleinen Kindern zu tun haben, es kann Situationen geben, wo man direkt umschalten muss von der Hilfe für die Familien auf den direkten repressiven Einsatz gegen die Eltern zugunsten der Kinder und die Kinder direkt herausnehmen muss. Dafür schaffen wir mit diesem Gesetz die Voraussetzungen. – Vielen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der SPD)

Danke, Herr Minister.

Meine Damen und Herren, im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von 45 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen.

Das Wort hat zunächst die Abgeordnete Frau Dr. Linke von der Fraktion DIE LINKE.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete! Zu oben genanntem Thema liegt den Ausschüssen seit Dezember 2007 ein Entwurf meiner Fraktion vor. Die Früherkennungsuntersuchungen bei Kindern, die sogenannten U-Untersuchungen nach SGB V, sind seit 1971 in der Bundesrepublik ein freiwilliges Angebot. Sie dienen dem rechtzeitigen Erkennen von Krankheiten, Entwicklungsverzögerungen, aber auch von Vernachlässigungen, welche die körperliche und/oder die geistige Entwicklung der Kinder gefährden oder beeinträchtigen können.

Die Situation von Kindern in unserer Gesellschaft, ihre altersgerechte Entwicklung hat meine Fraktion bewogen, in der Dezembersitzung einen Gesetzentwurf einzubringen. Ich denke hierbei sowohl an tragische Ereignisse, wie diese in den letzten Monaten und Jahren regelmäßig an die Öffentlichkeit gelangen und uns sehr erschüttern. Ich denke aber auch an Signale aus den Vorschul- und Schuluntersuchungen über den Gesundheitszustand unserer Kinder. Wir sind gut beraten, immer wieder nachzufragen, was einer altersgerechten Entwicklung der Kinder dienlich ist, was ihre Eltern unterstützt, was sich im Interesse der Entwicklung unserer Kinder in den letzten Jahren bewährt hat und inwieweit deshalb auch gesetzliche Vorgaben verändert werden sollten.

Wir haben im Land den Ausbau des Netzes der Kindertageseinrichtungen als Stätten der Bildung und der gesundheitlichen Lebensweisen etabliert. Wir haben im Land Kindergesundheitsziele, einen Landesaktionsplan zur Suchtprävention in den Kindertageseinrichtungen und Schulen. Wir haben bis 2006 erfolgreich die Kindergesundheitskonferenzen eingerichtet, und zwar als Institutionen aller an der Entwicklung der Kinder Beteiligten wie Ärzte, Pädagogen, Jugendhelfer, Eltern und Behörden. Und meine Fraktion hält es in Fortsetzung dieser Entwicklung und gerade auch nach Rücksprache mit Kommunalvertretern, mit Kinderärzten, mit Kita-Leiterinnen und auch mit Eltern für geboten, diese Erfahrungen zu sammeln, auszuwerten, zu verallgemeinern und durch gesetzliche Änderungen auch neue Handlungsschritte einzuleiten.

Im Interesse einer altersgerechten Entwicklung der Kinder zur Unterstützung ihrer Eltern, aber auch zum rechtzeitigen Erkennen von elterlichem Fehlverhalten sind wir uns einig, dass alle Kinder regelmäßig an den Frühuntersuchungen teilnehmen sollten, damit gegebenenfalls geeignete Maßnahmen zum Schutze der Kinder eingeleitet werden können. Gedacht ist unter anderem an die Überweisung zu einem Spezialisten, HNO-Arzt, Augenarzt oder Logopäden.

Anders als der Gesetzentwurf der Landesregierung sieht unser Gesetzentwurf den Aufbau eines Netzwerkes, bestehend aus dem Öffentlichen Gesundheitsdienst der Landkreise und kreisfreien Städte, den Kinder- und Jugendärzten, den Kindertageseinrichtungen, den Eltern und Jugendämtern, vor, in dem der Öffentliche Gesundheitsdienst die Federführung für das Verfahren hat. Mit unserem Gesetzentwurf werden der ÖGD gestärkt und über das Netz der Kindertagesstätten auch alle Eltern fl ächendeckend erreicht, die Eltern, deren Kinder die Kita besuchen sowieso, aber auch jene Eltern, deren Kinder nicht in eine Kita gehen, können die Angebote wohnortnah wahrnehmen.

(Dr. Wolfgang Methling, DIE LINKE: Ich glaube, das wäre besser.)

Der Entwurf der Landesregierung sieht die Schaffung einer Servicebehörde vor und nimmt sich sehr bürokratisch aus. Es klingt sehr ordnungspolitisch, wie es Gesetzen zur Gefahrenabwehr eigen ist, und die Formulierungen des Herrn Gesundheitsministers bringen das auch zum Ausdruck. Es treten Begriffe auf wie Polizei, Zwangsmittel, Misstrauen.

(Minister Erwin Sellering: Polizei ist nicht aufgetaucht.)

Doch, doch. Lesen Sie nach!

Die federführende Institution ist sehr weit weg von den Kindern und ihrem Lebensumfeld.

(Zurufe von Dr. Wolfgang Methling, DIE LINKE, und Minister Erwin Sellering)

Meine Fraktion spricht sich für die unmittelbare Förderung einer altersgerechten Entwicklung aus, und das will heißen,

(Egbert Liskow, CDU: Acht Jahre Zeit gehabt.)

dass alle Maßnahmen im unmittelbaren Lebensumfeld der Kinder angesiedelt werden sollen, aber nicht zum Aufdecken von Untaten, wie es jetzt auch hier hieß, sondern um die chancengleiche, die altersgerechte Entwicklung der Kinder zu fördern. Insofern also zwei unterschiedliche Ansätze.

Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete, nicht nur die bürokratische Ferne, nicht nur die Minderung der kommunalen Selbstverwaltung durch Schaffung einer neuen Landesinstitution, die besser vom ÖGD wahrgenommen werden sollte, begründen unsere ablehnende Haltung. Wir wissen, dass Gesetzentwürfe, Programme und Maßnahmen der Landesregierung im Rahmen der Regeln des Gesetzgebungsverfahrens defi nierten Anhörungs- und Abwägungsverfahren unterworfen sind.

So war es bis zum Jahr 2006 allgemein Usus, dass Entwürfe der Landesregierung aller Art gemäß dem Landesbehindertengleichstellungsgesetz beziehungsweise dem zuvor geltenden Integrationsförderratsgesetz dem Integrationsförderrat bei der Landesregierung zur Stellungnahme übergeben wurden. Paragraf 18 Absatz 2 des Landesbehindertengleichstellungsgesetzes lautet: „Der Integrationsförderrat ist von der Landesregierung vor dem Einbringen von Gesetzentwürfen und dem Erlass von Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften, die die Belange von Menschen mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen betreffen, anzuhören.“

(Torsten Koplin, DIE LINKE: Hört, hört!)

„Bei der inhaltlichen Gestaltung der Regelungen wird er beratend einbezogen und ist befugt, Stellungnahmen und Empfehlungen abzugeben.“

(Dr. Wolfgang Methling, DIE LINKE: Der Minister braucht keinen Rat. – Zuruf von Minister Erwin Sellering)

Das sollte doch wieder zum Handeln der Landesregierung werden. Das heißt, eine Landesregierung sollte wenigstens die von ihr selbst mitgestalteten Gesetze ernst nehmen. – Danke.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE – Torsten Koplin, DIE LINKE: Ja, aber so was von ernst nehmen.)

Danke, Frau Dr. Linke.

Herr Minister Sellering, ich mache Sie darauf aufmerksam, dass Sie hier, wenn jemand redet, vom Ministerplatz aus nicht dazwischenreden sollen.

(Dr. Wolfgang Methling, DIE LINKE: Hat er das gemacht?)

Jawohl.

(Dr. Wolfgang Methling, DIE LINKE: Das ist ja unerhört! – Barbara Borchardt, DIE LINKE: Das möchten wir bitte zu Protokoll geben. – Heiterkeit bei Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE)

Meine Damen und Herren, es hat jetzt das Wort der Abgeordnete Herr Rühs von der CDU.

(Dr. Wolfgang Methling, DIE LINKE: Ach, das ist auch ein guter Platz hier. – Torsten Koplin, DIE LINKE: Auf dem Platz ist er eifriger als sonst. – Heiterkeit bei Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren!

(Dr. Wolfgang Methling, DIE LINKE: Haben wir das im Protokoll, was Herr Koplin gesagt hat?)

Die Inanspruchnahme der Kinderuntersuchungen ist bisher nicht zufriedenstellend. Liegt die Teilnahme bei der U 1 noch bei 100 Prozent,

(Angelika Gramkow, DIE LINKE: Was glauben Sie, warum DIE LINKE einen Gesetzentwurf eingebracht hat im Dezember?)

so verringert sich die Teilnehmerrate bis zur U 9 in Mecklenburg-Vorpommern auf 80 Prozent.

Die Ergebnisse der vom Robert-Koch-Institut durchgeführten KIGGS-Studie belegen zudem, dass gerade Familien in schwierigen Lebenssituationen diese Termine seltener wahrnehmen. Der Verzicht auf dieses kostenlose Angebot kann im Einzelfall dazu führen, dass dringend gebotene Behandlungen oder Präventionsmaßnahmen unterbleiben.

Gemäß dem vorliegenden Gesetzentwurf sollen Eltern, die mit ihrem Kind eine Früherkennungsuntersuchung nicht wahrnehmen, zukünftig durch eine zu diesem Zweck beim Landesamt für Gesundheit und Soziales Mecklenburg-Vorpommern eingerichtete Servicestelle eine Erinnerung erhalten, die auf die Bedeutung der jeweiligen Untersuchung aufmerksam macht. Wenn trotz der Erinnerung Eltern mit ihrem Kind nicht an einer Vorsorgeuntersuchung teilnehmen, informiert die Servicestelle das zuständige Gesundheitsamt.

Auf der Grundlage dieser Meldung wird das Gesundheitsamt in die Lage versetzt, einen Hilfebedarf rechtzeitig zu erkennen und frühzeitig präventive unterstützende Maßnahmen einleiten zu können. Dazu sucht das Gesundheitsamt die Eltern auf, erfragt die Gründe für die Nichtteilnahme an der Früherkennungsuntersuchung und bietet Hilfe an. Diese kann sich auch auf Leistungen anderer Behörden und Hilfsangebote Dritter, zum Beispiel von Familienhebammen, erstrecken. Bei einem

begründeten Verdacht auf eine Kindeswohlgefährdung sind die Gesundheitsämter verpfl ichtet, unverzüglich das zuständige Jugendamt einzuschalten. Dem Jugendamt steht mit dem seit 2005 neu gefassten Paragrafen 8a Sozialgesetzbuch VIII das ausreichende Instrumentarium zur Verfügung, um unverzüglich zum Wohl gefährdeter Kinder einzugreifen und im schlimmsten Fall diese sofort aus der Familie nehmen zu können.

Zur weiteren Beratung ist der Gesetzentwurf in die zuständigen Ausschüsse zu überweisen, federführend in den Sozialausschuss. Im Rahmen der Ausschussberatungen werden wir uns dann noch einmal vertiefender auf Parlamentsebene mit diesem Gesetzentwurf befassen. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktionen der SPD und CDU)

Danke, Herr Rühs.