Protokoll der Sitzung vom 24.04.2008

Meine sehr geehrten Damen und Herren der Koalition, diese Kritik müssen wir endlich ernst nehmen. Von einer ernsthaften Auseinandersetzung mit der Kritik des Gutachtens war in der Beratung unseres Ursprungsantrages leider keine Spur zu erkennen. Da wurde die Qualität sowohl des Gutachtens als solches, aber auch des Gutachters als Person angezweifelt. Mein geschätzter SPD-Kollege Dr. Nieszery, Vorsitzender des Innenausschusses, glänzte gar mit der fachlich fundierten Kritik, er sei nun schon fast 30 Jahre Mitglied des ADAC, könne die Verfassungswidrigkeit aber persönlich trotzdem nicht erkennen. Halten Sie das für eine ernsthafte verfassungsrechtliche Auseinandersetzung mit diesem Thema?

Einige von Ihnen, werte Kollegen, werden nun fragen: Warum diskutieren wir heute schon wieder über dieses Thema? Warum haben wir schon wieder diesen Antrag eingebracht? Ich sage es Ihnen gerne: Weil mich der Innenminister als auch andere Fachpolitiker, auch mein geschätzter Kollege Ringguth, regelrecht dazu aufgefordert haben.

(Beifall und Heiterkeit bei Abgeordneten der Fraktion der FDP)

Herr Präsident, ich erlaube mir, hier beispielhaft noch mal Dr. Nieszery zu zitieren: „Vor dem Bundesverfassungsgericht (ist) eine Beschwerde gegen das Automatische Kennzeichenlesesystem anhängig, zu der wir... das Urteil erwarten... Auf dieser Basis können wir dann... prüfen,“ welche Auswirkungen der höchstrichterliche Spruch auf unser Gesetz haben wird.

(Udo Timm, CDU: Na bitte.)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich kann Ihnen sagen, welche Auswirkungen das Urteil vom 11. März auf unser Gesetz hat: keine direkten.

(Udo Timm, CDU: Na das ist ja gut.)

Das war auch schon vorher klar. Schließlich wurden ja nicht die Regelungen aus M-V, sondern aus SchleswigHolstein und Hessen überprüft. Das Urteil war eine schallende Ohrfeige für die dortigen Gesetze – das ist so –, wurden doch die Unvereinbarkeit mit dem Grundgesetz und die entsprechende Nichtigkeit der vorgelegten Vorschriften festgestellt.

Dieses Urteil ermöglicht uns aber eines: eine Bewertung der von Ihnen infrage gestellten Qualität des ADAC-Gutachtens. Für die Punkte, die das Gutachten des ADAC in der hessischen und schleswig-holsteinischen Regelung als verfassungsrechtlich bedenklich darstellte, hat das Bundesverfassungsgericht die Verfassungswidrigkeit höchstrichterlich festgestellt. Spätestens jetzt müssen Sie sich selbst die Frage stellen, ob die Gutachterschlüsse hinsichtlich unserer Landesregelung nicht auch zu einer kritischen Überprüfung durch den hiesigen Innenminister führen sollten. Das wäre wohl aus unserer Sicht das Mindeste gewesen. Deshalb bitte ich um Ihre Zustimmung zu unserem Antrag, der die Landesregierung auffordert:

1. die landesgesetzlichen Regelungen unter Beachtung des Urteils und des ADAC-Gutachtens zu überprüfen,

2. den Landtag bis zum 31. Mai 2008 darüber zu unterrichten und

3. dem Landtag die Vorschläge zur Änderung des Sicherheits- und Ordnungsgesetzes zu unterbreiten.

(Udo Timm, CDU: Alles?)

Und ich bin jetzt gespannt, ob Sie Ihren eigenen Ankündigungen, lieber Kollege, also einer Überprüfung nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes, ob und wie Sie diesen Ankündigungen nun Folge leisten werden. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der FDP)

Danke, Herr Leonhard.

Meine Damen und Herren, im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von 60 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Um das Wort hat zunächst gebeten der Innenminister des Landes Mecklenburg-Vorpommern Herr Caffi er. Herr Caffi er, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bevor ich zu dem Antrag komme, gestatten Sie mir kurz eine Bemerkung in einem anderen Sachverhalt, wie ich heute früh schon mal angekündigt hatte. Wie Sie wissen, hat sich gestern Nachmittag ein schwerer Verkehrsunfall auf der Autobahn mit Schülerinnen und Schülern des Landes Mecklenburg-Vorpommern ereignet. Ich wollte Sie darüber informieren, dass erstens zum jetzigen Zeitpunkt, also heute Nachmittag, sich noch fünf Personen in stationärer Behandlung befi nden, ansonsten alle mittlerweile entlassen worden sind, und möchte die Gelegenheit nutzen, mich bei den Einsatzkräften der Polizei, der Feuerwehr, der Hilfswerke des Landes Brandenburg für den Einsatz ausdrücklich im Namen der Abge

ordneten des Landes und in meinem eigenen Namen zu bedanken.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktionen der SPD, CDU, DIE LINKE, FDP und NPD)

Meine Damen und Herren, der vorliegende Antrag der FDP-Fraktion verlangt in der Sache, die hiesigen landesgesetzlichen Regelungen zur Datenerhebung und zum Datenabgleich zwecks Erkennung von Kraftfahrzeugkennzeichen zu überprüfen, dem Landtag – wie angekündigt von Herrn Leonhard – bis zum 31. Mai einen Bericht über die Ergebnisse der Prüfung vorzulegen und dem Landtag gegebenenfalls Vorschläge zur Änderung des Sicherheits- und Ordnungsgesetzes in MecklenburgVorpommern zu unterbreiten. Hintergrund und zugleich Maßstab des Antrags sind dabei das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes sowie das Gutachten von Dr. Roßnagel, das sogenannte ADAC-Gutachten.

In der Begründung des Antrages wird auf die zahlenmäßig geringe Erfolgsquote bei den Kfz-Kennzeichenlesegeräten hingewiesen. Lassen Sie mich insoweit noch einmal deutlich sagen und klarstellen: Als Innenminister des Landes bin ich gehalten, die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger des Landes umfassend im Blick zu haben.

(Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

Um diese zu gewährleisten, sind polizeiliche Eingriffsbefugnisse wie das Kfz-Kennzeichenscanning selbst bei einer scheinbar nur geringen Erfolgsquote unerlässlich.

Diese Auffassung wird durch das Gutachten des Dr. Roßnagel zur automatisierten Erfassung der amtlichen Kfz-Kennzeichen im Übrigen gestützt. Auch Herr Dr. Roßnagel macht deutlich, dass die automatische Erhebung und Auswertung der Kraftfahrzeugkennzeichen die vom Gesetzgeber verfolgten Ziele fördert. Die Eignung scheitert nach seiner Auffassung auch nicht etwa an der großen Streubreite der Erfassungsmethode, die nur in vergleichsweise wenigen Fällen Erkenntnisse verspricht.

Außerdem sei in diesem Zusammenhang auch noch einmal deutlich auf die Kehrseite der scheinbar nur geringen Erfolgsquote hingewiesen, denn das Bundesverfassungsgericht stellt in seiner Entscheidung fest, ich zitiere: „Zu einem Eingriff in den Schutzbereich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung kommt es daher in den Fällen der elektronischen Kennzeichenerfassung dann nicht, wenn der Abgleich mit dem Fahndungsbestand unverzüglich vorgenommen wird und negativ ausfällt (sogenannter Nichttrefferfall) sowie zusätzlich rechtlich und technisch gesichert ist, dass die Daten anonym bleiben und sofort spurenlos und ohne die Möglichkeit, einen Personenbezug herzustellen, gelöscht werden.“ Zitatende.

Vor diesem Hintergrund liegt statistisch gesehen bei einem Einsatz des Automatisierten Kennzeichenlesesystems in 99 Prozent der Fälle kein Eingriff in den Schutzbereich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung vor, denn die Ermächtigungsgrundlage zum Einsatz des Automatisierten Kennzeichenlesesystems (Paragraf 43 Sicherheits- und Ordnungsgesetz des Landes) stellt sicher, dass sogenannte Nichttrefferfälle sofort nach dem Datenabgleich unwiderrufl ich gelöscht werden.

Auch die technische Funktionsweise des Automatisierten Kennzeichenlesesystems genügt der diesbezüglichen Forderung des Bundesverfassungsgerichts. So erkennt das Lesesystem Fahrzeugkennzeichen selbstständig

und legt diese in einem fl üchtigen Speicher ab. Dann erfolgt ein Abgleich der erkannten Buchstaben-ZahlenKombination mit einem Datenbestand, welcher auf einem dem System zugeordneten Notebook hinterlegt ist. Hat das Lesesystem ein zur Fahndung ausgeschriebenes Kennzeichen erkannt, liegt ein sogenannter Trefferfall vor. Das System gibt einen Signalton ab und der Trefferfall wird an das Notebook übermittelt. Daran schließt sich eine manuelle Prüfung durch die Polizeibeamten an, um Lesefehler auszuschließen und eventuell notwendige Maßnahmen einzuleiten. Alle Kfz-Kennzeichen, die nicht zu einem Treffer geführt haben, werden im fl üchtigen Speicher gelöscht und überschrieben. Die gelöschten Daten sind nicht reproduzierbar.

Dessen ungeachtet kann ich Ihnen versichern, dass in jedem einzelnen Fall bei der Ausübung der Befugnisse die polizeilichen Belange einerseits und die datenschutzrechtlichen Belange der durch die polizeilichen Maßnahmen betroffenen Personen andererseits sorgfältig gegeneinander abgewogen werden. Dies gilt auch für den Einsatz des Kfz-Kennzeichenlesesystems.

Meine Damen und Herren, in der Begründung zum vorliegenden Antrag wird mit Blick auf das sogenannte ADAC-Gutachten ausgeführt, der „Umfang der Möglichkeit einer automatisierten Erfassung und Auswertung von Kennzeichen im Grenzgebiet und in öffentlichen Einrichtungen des internationalen Verkehrs mit unmittelbarem Grenzbezug (widerspräche) der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz des Bundes nach Artikel 74 GG“.

Lassen Sie mich dazu Folgendes klarstellen: Das Bundesverfassungsgericht hat im Rahmen seiner maßgeblichen Entscheidung die Frage offengelassen, ob die Länder zur Regelung der automatisierten Erfassung der Kraftfahrzeugkennzeichen im Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebung befugt sind, da es die angegriffenen Regelungen der Länder Schleswig-Holstein und Hessen schon aus anderen Gründen für verfassungswidrig erklärt hat. Der Bund hat die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz gemäß Artikel 74 Absatz 1 Grundgesetz für die Regelung der Strafverfolgung. Die Länder sind für die Regelungen der Gefahrenabwehr und Gefahrenvorsorge zuständig. Mit Blick auf Paragraf 1 des SOG M-V lässt der Paragraf 43a SOG M-V den Einsatz des Automatisierten Kennzeichenlesesystems ausschließlich für präventive Zwecke zu.

(Der Abgeordnete Toralf Schnur bittet um das Wort für eine Anfrage.)

Herr Minister,...

Am Ende meiner Rede.

Unser Sicherheits- und Ordnungsgesetz hält sich damit im Rahmen der dem Land Mecklenburg-Vorpommern zugewiesenen Zuständigkeit.

Auch hat das Bundesverfassungsgericht in seinen Entscheidungsgründen angedeutet, dass der Einsatz des Automatisierten Kennzeichenlesesystems verhältnismäßig sein könne, soweit er auf die Situationen begrenzt wird, in denen Umstände der konkreten Örtlichkeit oder dokumentierte Lageerkenntnisse über Kriminalitätsschwerpunkte einen Anknüpfungspunkt geben, der auf gesteigerte Risiken der Rechtsgutgefährdung oder -verletzung und zugleich auf eine hinreichende Wahrscheinlichkeit hinweist, dass diesen Risiken mithilfe des Automatisierten Kennzeichenlesesystems begegnet werden kann. Als Beispiel für eine solche konkrete Örtlichkeit

führt das Gericht den Bereich nahe der Bundesgrenze an.

Vor diesem Hintergrund lasse ich derzeit in meinem Haus die Möglichkeit des präventiven Einsatzes des Automatisierten Kennzeichenlesesystems auf Grundlage des Paragrafen 43 SOG begrenzt auf den Bereich zur Bundesgrenze der Republik Polen prüfen. Aufgrund der derzeitigen polizeilichen Lageerkenntnisse und mit Blick auf die entfallenen Grenzkontrollen halte ich zur Gewährleistung der Sicherheit in unserem Land einen Einsatz des Automatisierten Kennzeichenlesesystems insbesondere im grenznahen Raum zu unserem Nachbarland für wünschenswert und weiterhin auch dringend angezeigt.

(Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zusammenfassend feststellen:

1. Festzustellen ist, dass die Regelung MecklenburgVorpommerns nicht Gegenstand der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts war.

(Zuruf von Wolf-Dieter Ringguth, CDU)

2. Festzustellen ist überdies, dass die Regelung Mecklenburg-Vorpommerns nicht mit den anlassunabhängigen und verfassungswidrigen Regelungen der Länder Schleswig-Holstein und Hessen vergleichbar ist.

Festzuhalten ist außerdem, dass das Bundesverfassungsgericht jedenfalls einen Einsatz des Automatisierten Kennzeichenlesesystems im grenznahen Raum nicht ausgeschlossen hat und der Einsatz von Automatisierten Kennzeichenlesesystemen zu präventiven Zwecken durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht ausgeschlossen wird. Es gilt jedoch, die Vorgaben des Gerichtes für einen solchen Einsatz zu beachten – und insofern sind wir da auch d`accord – und mit Blick auf Paragraf 43a SOG in jedem Einzelfall zu prüfen, inwieweit die Anwendung der Ermächtigungsgrundlage rechtlich zulässig ist.

Ich kann Ihnen versichern, dass bei mir im Haus die Prüfung der Bundesverfassungsgerichtsentscheidung in Bezug auf das Sicherheits- und Ordnungsgesetz des Landes Mecklenburg-Vorpommern sorgfältig vorgenommen wird. Und sollten wir zu einer anderen Auffassung kommen als die, die bisher der Fall ist, dann würden wir selbstverständlich die hier angemahnten Änderungen vornehmen. Ich würde aber auch dafür plädieren, dass ich den Innenausschuss, wenn wir abschließend zu einer Wertung gekommen sind, über diesen Sachverhalt informiere.

Insofern hat sich der Antrag in der Form aus unserer Sicht schon damals nicht für sinnhaft erwiesen. Diese Prüfung wird ja unabhängig durchs Haus vorgenommen. Nur geht es hier ausschließlich um den grenznahen Raum und das werden wir abschließend prüfen. – Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktionen der SPD und CDU)

Gestatten Sie jetzt die Fragen des Abgeordneten Schnur? (Zustimmung)

Sehr geehrter Herr Minister, ich habe eine Nachfrage, und zwar: Ist es richtig, dass das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil für das Scannen einen begründeten Verdacht vorausgesetzt hat? Sie haben es ja immer so schön umschrieben als präventiv, als Präventionsmittel, aber ich glaube,