Zu dem Antrag der Koalitionäre möchte ich noch einmal darauf hinweisen, wenn Sie sich das noch mal durch den Kopf gehen lassen haben, wie es mit den Empfehlungen der Enquetekommission zu verstehen ist, dann kann es doch nur in Ihrem Sinne sein, den Antrag der Koalitionäre hier zu unterstützen und ihm zuzustimmen.
Darum würde ich Sie noch einmal bitten, denn das ist wichtig. Ich will es noch mal deutlich sagen: Wir haben es in der Enquetekommission als Verfahrensweg diskutiert, um dann deutlich so weiterarbeiten zu können und in einem Gesetzgebungsverfahren die entsprechende Reform auf den weiteren Weg zu bringen. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Es hat jetzt das Wort für die Fraktion der NPD der Abgeordnete Herr Andrejewski. Bitte, Herr Abgeordneter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Den Begriff „Reform“ wollen wir in diesem Zusammenhang mal gleich vergessen und durch „Katastrophenmanagement“ ersetzen, wobei im vorliegenden Fall das Katastrophenmanagement genauso katastrophal ist wie die Katastrophe selber, wenn nicht noch katastrophaler.
Grundlage der Lagebeurteilung könnte ein neu erschienenes Buch mit dem schönen Titel „Von Not nach Elend“ sein mit dem Untertitel „Eine Reise durch deutsche Landschaften und Geisterstädte von morgen“, verfasst von dem Journalisten Günther Lachmann. Dort werden sehr plastisch Bevölkerungsschwund, Überalterung und Verödung geschildert, nicht nur in den sogenannten neuen Ländern, sondern auch im Westen, wo es auch sogenannte Verlustregionen gibt, im Raum Gelsenkirchen etwa, aber auch in Hessen und sogar in Ostbayern. Zur Spitzengruppe zählt aber ganz klar MecklenburgVorpommern. Der Uecker-Randow-Kreis wird nach der Prognose der Landesregierung am Wert von 2002 gemessen, 34,4 Prozent der Bevölkerung verlieren, Demmin 30,6 Prozent, Ostvorpommern 21,2 Prozent, ganz Vorpommern um die 20 Prozent.
Die Landesregierung sieht diesem Kollaps, dieser Aufl ösung interessiert und däumchendrehend zu, ohne eine Ahnung, was dagegen zu unternehmen wäre. Stattdessen spielt sie mit Verwaltungsmodellen herum. Sie verharmlost diese Entwicklung als demografi schen Wandel, der auch seine Chancen biete, was so wäre, als wenn ich bankrottginge und sagte, ich würde einem wirtschaftlichen Wandel unterliegen, aber ich sehe auch Chancen.
Und die Landesregierung glaubt, die Schaffung neuer größerer Landkreise sei die Lösung. Aber was soll das bringen? Es werden ja nicht völlig menschenleere Gebiete entstehen, aus denen man die Verwaltung abziehen könnte wie die Römer ihre Legionen aus Britannien, als das Reich der Aufl ösungen entgegentaumelte oder, wie es die Pressestelle der Landesregierung wohl formuliert hätte, sich einer reformorientierten Verschlankung unterzog. In jedem Dorf und jeder Kleinstadt werden Bürger wohnen bleiben und sich auch nicht durch Wegzugsprämien, wie sie in Sachsen-Anhalt angedacht sind, dazu bringen lassen, ihre Heimat zu verlassen.
Das heißt, die gesamte Fläche muss weiter verwaltet werden, so, wie eine Plattenbausiedlung, in deren Gebäuden jeweils nur noch ein oder zwei Mieter wohnen. Solange die da nicht raus wollen, muss der ganze Block instand gehalten werden. Selbst wenn etwa Eggesin in zwölf Jahren fast ausgestorben sein sollte, für die, die bleiben, muss weiterhin die Beschulung der Kinder sichergestellt sein. Es müssen weiter Baugenehmigungen erteilt werden. Das Gesundheitsamt muss weiter die Gasthäuser, wenn es auch nur wenige sind, überwachen. Der Abfall muss entsorgt werden und so weiter. Man könnte höchstens sagen, für so wenige Menschen lohne sich der Verwaltungsapparat überhaupt nicht mehr. Aber wenn man nicht zu Vertreibungsmaßnahmen greifen will, wie damals die DDR in Grenznähe, wird man sich damit abfi nden müssen.
Was soll das bringen, die Verwaltungszentrale der Kreise von den heutigen Kreisstädten in die immer noch heutigen kreisfreien Städte zu übertragen? Wenn die sich immer weiter entvölkernden ländlichen Gebiete in Ostvorpommern und Uecker-Randow nicht mehr von Anklam und Pasewalk, sondern von Greifswald aus verwaltet werden, was verbessert sich dadurch? Man kann vielleicht ein paar Leute entlassen in den Behörden, doch dass das die erheblichen Einspareffekte herbeiführen soll, die man sich erhofft, ist zweifelhaft.
In Wirklichkeit ist die Verwaltung von Gebieten, in denen jedes Dorf und jede Stadt immer noch besiedelt ist, aber in viel zu geringem und abnehmendem Maße, viel schwieriger und deswegen auch teurer als die von Regionen mit ausreichender Bevölkerung. Es wäre deshalb sinnvoller, wenn das Land sich mit anderen betroffenen Bundesländern zusammentäte und sich gegen die widersinnige Regelung stellen würde, dass die Zuweisungen und Finanzhilfen sich mit sinkender Bevölkerungszahl verringern. Die müssten im Gegenteil erhöht werden, weil das Aufrechterhalten von Infrastruktur und funktionierenden Behördenstrukturen immer schwieriger wird und damit immer teurer, je dünner eine Fläche besiedelt ist.
Und natürlich ist es auch eine Illusion, dass man mit dem Auslaufen des Solidarpaktes II die neuen Länder auf eigenen Füßen stehen lassen könnte. Es muss einen Solidarpakt III geben, wenn hier nicht alles wegbrechen soll.
Wenn man überhaupt zusätzlich Verwaltungsstrukturen verändern wollte, dann in eine ganz andere Richtung, als sie der Landesregierung vorschwebt. Sofern Großkreise gebildet werden, wandern die Landkreisverwaltungen aus den jetzigen zwölf kleinen Kreisstädten ab, samt Arbeitsplätzen und Kaufkraft. Die ländlichen Regionen verlieren damit ihre natürlichen Zentren. Alles konzen triert sich –
wie in der Wüste in Oasen – in wenigen großen Städten. Die ziehen immer mehr an sich und der ländliche Raum gerät ins Abseits.
Glücklicherweise kann man mit Landkreisen aber wesentlich mehr machen, als sich die Landesregierung träumen lässt – nicht nur vergrößern, sondern im Gegenteil, man kann sie auch zurückbauen, wie es so schön heißt, und ihnen Aufgaben abnehmen. Abschaffen, wie es der Oberbürgermeister von Stralsund vorgeschlagen hat, geht wohl nicht. Der ist sogar noch radikaler als wir, durfte aber kandidieren als Oberbürgermeister.
Die Landkreise stehen unter dem Schutz von Artikel 28 Grundgesetz, der aber lediglich ihre nackte Existenz garantiert mit ein paar Mindestbefugnissen, sicherlich der Fach- und Rechtsaufsicht und der Befugnis, eine dann bescheidene Kreisumlage zu erheben.
Abgesehen davon ist die Aufgabenverteilung zwischen Landkreisen und Gemeinden vom Grundgesetz nicht vorgeschrieben. Man könnte den jetzigen Kreisstädten genauso die meisten Kompetenzen der Kreise als übergemeindliche Aufgaben zuteilen und die entsprechenden Behörden miteinander verschmelzen. Falls die These richtig ist, dass in einem ausdünnenden Land die Verwaltungsbefugnisse nicht mehr für alle reichen, dann muss zumindest einer dran glauben, und für die Landesregierung sind das sogar mehrere, nämlich die kreisfreien Städte, deren Status sie wohl bis auf Rostock und Schwerin größtenteils verlieren sollen, die Umlandgemeinden der kreisfreien Städte, denen als Entschädigung für die jetzigen kreisfreien Städte die Eingemeindung dann drohen wird, und die jetzigen Kreisstädte, wie Anklam oder Pasewalk, von denen am wenigsten die Rede ist, weil sie keine Lobby in der Enquetekommission haben. Gestärkt werden als Institution ausgerechnet die bürgerfernsten, abstraktesten Gebilde, mit denen sich die Menschen am wenigsten identifi zieren, die Landkreise. Das ist widersinnig.
Wir sagen, die jetzigen Kreisstädte werden aufgewertet, indem man ihnen Landkreisaufgaben überträgt. So können sie ihrer Rolle als ländliche Zentren gerecht werden. Für die Bürger bleiben die Wege zu den Ämtern die gleichen. Falls durch Verwaltungsverschmelzungen überhaupt Einsparungen zu erzielen sind, geht das so auch, und zwar ohne Großkreise. Die kreisfreien Städte behalten ihren Status, die Umlandgemeinden können ihre Selbstständigkeit verteidigen und entgehen der Zwangseingemeindung.
Geschwächt werden die Landkreise – die müssen dran glauben, das ist richtig –, denen aber außer dem Landkreistag kaum einer eine Träne nachweinen dürfte, zumal die regionalen Kreise, wie sie heute bestehen, sowieso zugunsten noch abstrakterer und noch bürgerfernerer Konstruktionen verschwinden sollen. Damit entfällt auch der übliche Standardvorwurf gegen die NPD-Fraktion, dass wir keine inhaltlichen Vorschläge hätten. Das ist einer. Das ist ein alternatives inhaltliches Konzept. Das können Sie ablehnen, es ist aber eins und wurde auch schon aufgegriffen von mehreren Oberbürgermeistern, die auch sagen, wozu brauchen wir eigentlich die Landkreise.
Es bleibt den Parteien der Großen Koalition unbenommen, nächstes Jahr besonders in die Kreisstädte bei den Kommunalwahlkämpfen zu ziehen und zu sagen, wir nehmen euch den Kreisstadtstatus weg, ihr werdet nicht länger Verwaltungssitz für eure Region sein. Die damit verbundenen Arbeitsplätze werdet ihr verlieren, weil wir einen eurer größten Arbeitgeber, nämlich die Verwaltung, abziehen. Eure Geschäfte werden noch weniger Kunden haben, noch mehr Wohnungen werden leer stehen. Ihr spielt überhaupt keine Rolle mehr, macht nichts, wenn bei euch alles verfällt, aber eure Wählerstimmen hätten wir gern. Die NPD wird sagen, nutzt eure Wählerstimmen lieber, um eure Städte am Leben zu erhalten, die Verwaltung muss hin zum ländlichen Raum und nicht weg in die großen Städte. Besser schwache Landkreise und starke Kreisstädte als Großkreise, in denen die heutigen Kreisstädte überhaupt keine Rolle mehr spielen. Das heißt, wir setzen uns für das ein, was eigentlich immer richtig ist, nämlich das genaue Gegenteil dessen, was die Landesregierung vorschlägt.
Ob der Bericht der Enquetekommission zudem auch noch rechtswidrig ist, mag dahingestellt bleiben, da wir ihn aus politischen Gründen ohnehin in Gänze ablehnen.
Es spricht aber einiges dafür. Deswegen werden wir gegen den Antrag der SPD und der CDU stimmen, aber für den der LINKEN. – Vielen Dank.
Es hat jetzt das Wort für die Fraktion DIE LINKE der Abgeordnete Herr Holter. Bitte schön, Herr Abgeordneter.
Sehr geehrter Herr Vorsitzender der Enquetekommission, sehr geehrter Herr Müller, ich fand Ihre Rede anmaßend und arrogant.
Es steht Ihnen nicht zu, zu bewerten und Zensuren zu verteilen, wer wie in der Enquetekommission arbeitet. Und es steht Ihnen schon gar nicht zu,
uns der Passivität zu bezichtigen, geschweige denn uns als Lümmel zu bezeichnen, die sich an der Arbeit der Enquetekommission nicht beteiligen. Wer Hund ist und wer Karawane, ist durch Ihre Rede beantwortet worden.
(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE – Dr. Wolfgang Methling, DIE LINKE: In einer Karawane laufen übrigens Kamele mit. – Heinz Müller, SPD: Fakten muss man beim Namen nennen dürfen.)
Mit der Entscheidung des Verfassungsgerichtes vom Juli 2007 war die jetzige Koalition aufgefordert, das Reformvorhaben neu anzufangen. Der Anfang war die Unterrichtung der Landesregierung mit dem bekannten Titel, die wir hier im November des vergangenen Jahres zur Befassung in den Landtag bekommen haben. Ich bin der Überzeugung, so, wie die Koalition und übrigens auch wir als Landtag – ich sage „wir“ unter Einschluss der LINKEN, ich will jetzt niemanden ausschließen – …
... das Verfahren begonnen haben, Herr Andrejewski, das war ein Fehler, weil das, was beabsichtigt war, nicht nur die Unterrichtung zu diskutieren, sondern sie inhaltlich zu ändern, die Enquetekommission gar nicht leisten kann, weil sie dieses nicht leisten darf. Das hätten andere reguläre Ausschüsse des Landtages leisten können.