Protokoll der Sitzung vom 03.04.2009

überhaupt für soziale Rechte hier in irgendeiner Weise in die Bütt zu gehen.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktionen der SPD und DIE LINKE)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! „Bürgernähe gesucht“ – unter diesem Motto hat die EU-Kommission in einem Weißbuch „darüber nachgedacht, wie sich mit einer besseren Kommunikation mehr Bürgerengagement … stimulieren lässt. So soll“, so der damalige Anspruch, „der unübersehbaren Krise der EU begegnet werden.“ Eigens dafür lud die Europäische Kommission rund 300 Vertreterinnen und Vertreter der europäischen Zivilgesellschaft zu einer großen Diskussion ein. An Vorschlägen fehlte es in Bezug auf mehr Dialog und Transparenz nicht. Unter anderem kam auch der Vorschlag mit dem Stichwort: mehr Macht den Bürgern. Viele hofften, dass diese Konferenz nicht nur ein Feigenblatt war.

Und wie ist die Situation heute? Wenn wir uns im Landtag mit Richtlinien und Verordnungen der Europäischen Union befassen, dann haben diese immer ihren Ursprung in Vorschlägen der Kommission. Dort liegt bekanntlich das alleinige Initiativrecht. Und nur der Rat oder das Europäische Parlament können die Kommission auffordern, bestimmte Rechtsakte auf den Weg zu bringen.

Die Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union können das nicht. Eine Volksgesetzgebung, wie wir sie etwa in Deutschland, zwar nicht auf Bundesebene, aber immerhin auf Landesebene kennen, ist der EU fremd. Die fehlende direkte Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger auf europäischer Ebene könnte nun endlich geschlossen werden, denn nach dem EU-Vertrag in der Fassung des Vertrages von Lissabon Artikel 11 Absatz 4 können „Unionsbürgerinnen und Unionsbürger, deren Anzahl mindestens eine Million betragen und bei denen es sich um Staatsangehörige einer erheblichen Anzahl von Mitgliedstaaten handeln muss, … die Initiative ergreifen und die … Kommission auffordern, im Rahmen ihrer Befugnisse geeignete Vorschläge zu Themen zu unterbreiten, zu denen es nach Ansicht jener Bürgerinnen und Bürger eines Rechtsakts der Union bedarf, um die Verträge umzusetzen“.

Mit diesem Aufforderungsrecht erhielten die EU-Bürgerinnen und -Bürger erstmalig die Möglichkeit, quasi auf der Stufe mit dem Rat und dem Europäischen Parlament stehend, sich direkt mit Begehren an die Kommission zu wenden und damit unmittelbar in den europäischen Rechtssetzungsprozess eingebunden zu werden.

Meine Damen und Herren, wir sollten uns in diesem Zusammenhang auch vor Augen halten, dass die Politik in der Europäischen Gemeinschaft von Anfang an allein von den Regierungen der Mitgliedsstaaten maßgeblich bestimmt wurde. Die Bürgerinnen und Bürger blieben nur in der Rolle des Zuschauers. Selbst die Abgeordneten des Europäischen Parlaments konnten erst 1979 erstmalig direkt vom Volk gewählt werden. Und schaut man sich den gescheiterten Ratifizierungsprozess vom Verfassungsvertrag, also auch den aktuellen Ratifizierungsprozess zum Vertrag von Lissabon an, dann wird, denke ich, deutlich, dass der europäische Einigungsprozess, den alle demokratischen Fraktionen im Landtag ausdrücklich unterstützen, ohne die direkte Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger an seine Grenzen stößt.

Meine Damen und Herren, die LINKE teilt auch hier daher ausdrücklich die wesentliche Feststellung des federführenden Ausschusses für konstitutionelle Fragen, die wir im ersten Punkt unseres Antrages formuliert haben. Und um scheinbar nahe liegenden Einwänden gleich zuvorzukommen: Wir bleiben trotz Zustimmung zur europäischen Bürgerinitiative bei unserer ablehnenden Haltung zum Vertrag von Lissabon.

(Detlef Müller, SPD: Aber das passt doch nicht zusammen.)

Die Gründe der Ablehnung wie etwa die nicht hinreichende demokratische Legitimation aufgrund fehlender Volksabstimmung zum Vertrag in allen Mitgliedsstaaten bleiben nach wie vor bestehen. Insofern ist es aus unserer Sicht auch konsequent, für die Stärkung der direkten Demokratie einzutreten und auf eine schnellstmögliche Umsetzung zu drängen.

(Dr. Wolfgang Methling, DIE LINKE: Sehr richtig.)

Und sollte der Vertrag von Lissabon nicht in Kraft treten, etwa weil er durch das Bundesverfassungsgericht oder auch durch die ausstehende Volksabstimmung in Irland kassiert wird, dann darf es kein Aus für die europäische Bürgerinitiative bedeuten. Alle Entscheidungsträger sind unserer Auffassung nach angehalten, sich für eine unmittelbare Beteiligung der EU-Bürgerinnen und -Bürger einzusetzen. Neben der vertraglichen Vereinbarung, die zurzeit im Vertrag von Lissabon getroffen wurde, muss daher vor allem auf eine schnellstmögliche Umsetzung hingearbeitet werden.

Meine Damen und Herren, die notwendige Umsetzung erscheint allerdings derzeit fraglich. Im Vertrag steht, dass die Bestimmungen über Verfahren und Bedingungen zum Europäischen Parlament vom Europäischen Parlament und vom Rat durch Verordnung festgelegt werden. Geplant war, dass das Europäische Parlament trotz des ungewissen Ausganges des Ratifizierungsprozesses vom Vertrag von Lissabon den Erlass dieser Verordnung noch vor Ablauf dieser Legislaturperiode vorbereitet.

Hierzu hat der federführende Ausschuss für konstitutionelle Fragen eine Entschließung vorbereitet. Wir haben das Dokument in der Antragsbegründung aufgeführt. Doch diese Aufforderung an die Kommission zur Unterbreitung eines Vorschlages für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Umsetzung der Bürgerinitiative ist leider nach wie vor vom Europäischen Parlament nicht verabschiedet worden. Die ursprünglich geplante Beratung im Europäischen Parlament am 9. März 2009 wurde verschoben. Insbesondere vor diesem Hintergrund halten wir es für geboten, dass sich der Landtag klar positioniert und damit seine Unterstützung für das Wirksamwerden einer europäischen Bürgerinitiative deutlich zum Ausdruck bringt, daher auch die Beschlusspunkte 2 und 3 in unserem Antrag.

Meine Damen und Herren, von daher reicht es meiner Auffassung nach auch nicht aus, erst einmal die Entscheidung des Europäischen Parlaments abzuwarten, denn wenn wir über Europafähigkeit und direkte Demokratie reden oder auch darüber reden, die EU den Bürgerinnen und Bürgern näherzubringen, dann drängt es sich geradezu auf, gerade heute und damit frühzeitig ein Zeichen zu setzen und die Einführung der europäischen Bürgerinitiative aktiv zu unterstützen.

Ich denke, der heutige Beschluss wäre auch ein gutes Beispiel für gelebte Europafähigkeit des Landtages. Bringen wir uns also aktiv in die Debatte ein und setzen wir uns dafür ein, dass das schon seit Langem diskutierte Demokratiedefizit in der EU zumindest durch die Einführung der europäischen Bürgerinitiative ein Stück weit beseitigt wird. Ich hoffe auf eine konstruktive Diskussion. – Danke.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE)

Danke, Frau Borchardt.

Meine Damen und Herren, im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von 45 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Das Wort hat zunächst der Abgeordnete Herr Müller von der SPD.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Liebe Frau Kollegin Borchardt! Als ich das erste Mal Ihren Antrag gelesen habe,

(Peter Ritter, DIE LINKE: Warst du begeistert.)

da war ich begeistert und es gingen mir zwei Dinge durch den Kopf.

(Wolfgang Griese, DIE LINKE: Erstens zustimmen, zweitens loben. – Dr. Wolfgang Methling, DIE LINKE: Die Rede beginnt ja gut.)

Erstens habe ich mir ein bisschen Sorgen gemacht und zweitens habe ich dann doch wieder so ein bisschen Hoffnung gehabt.

(Zuruf von Andreas Bluhm, DIE LINKE)

Ja, Herr Kollege Bluhm, schauen wir mal.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE)

Was die Sorgen betrifft: Also insofern habe ich mir Sorgen gemacht, meine sehr verehrten Damen, meine Herren der Linksfraktion, ich habe so ein bisschen den Eindruck, als hätten Sie eine Portugalallergie.

(Gabriele Měšťan, DIE LINKE: Woran machen Sie denn das fest?)

Und was die Hoffnung betrifft, da habe ich so gedacht, es ist aber durchaus eine Besserung zu erkennen.

Lassen Sie mich was zur Portugalallergie sagen. Ich glaube, sie geht sogar so weit, dass der Name der portugiesischen Hauptstadt Ihnen schon so manches Unbehagen bereitet, dass er Ihnen irgendwie nicht so richtig über die Lippen geht.

(Barbara Borchardt, DIE LINKE: Also wir waren mal mit dem Ausschuss da. Es war herrlich da. Waren Sie nicht mit? – Zuruf von Andreas Bluhm, DIE LINKE)

Ja, aber in eurem Antrag und in Ihrem Antrag taucht das Wort „Lissabon“ erst als letztes Wort auf, und, meine sehr verehrten Damen, meine Herren, ich denke, das ist nicht der richtige Ansatz, denn in Ihrem Antrag hätte der Vertrag von Lissabon,

(Dr. Wolfgang Methling, DIE LINKE: Gibt es da eine Vorschrift, wann das kommen muss? – Heiterkeit bei Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE – Zuruf von Andreas Bluhm, DIE LINKE)

hätte der Vertrag von Lissabon zunächst an den Anfang Ihres Antrags gestellt werden sollen, denn der Vertrag von Lissabon garantiert ja die Einführung einer europäischen Bürgerinitiative.

(Barbara Borchardt, DIE LINKE: Nee, die garantiert er eben nicht.)

Insofern will ich das noch mal sagen: Es ist der Vertrag von Lissabon, der die Einführung der europäischen Bürgerinitiative vorsieht, und nicht, Frau Kollegin Borchardt, irgendein Beschluss eines Ausschusses des Europäischen Parlaments.

(Zuruf von Norbert Baunach, SPD)

Ich glaube, da haben Sie etwas verwechselt. Sie verwechseln die Berichterstattung über ein Ereignis mit dem Ereignis selbst. Das ist ungefähr so, als wenn Sie statt des WM-Fußballendspiels den anschließenden Kommentar eines DFB-Funktionärs bejubeln würden,

(Norbert Baunach, SPD: Oh, oh!)

also ein klarer Fall einer Verwechslung, vielleicht eine Folge Ihrer Portugalallergie. Wir von der Koalition bevorzugen das Original, nämlich den Vertrag von Lissabon und nicht den Kommentar des Ausschussberichtes aus dem Europäischen Parlament.

Und der zweite Gedanke war ja der der Hoffnung, meine sehr verehrten Damen, meine Herren, und darum lassen Sie mich auch zur Hoffnung etwas sagen. Ich glaube, was die Hoffnung betrifft, die ich habe, zeigt sich, dass Sie schon auf dem richtigen Weg sind, denn Sie fangen ja schon an, die eine oder andere Rosine, und in diesem Fall ist es die Rosine der Europäischen Bürgerinitiative, sich herauszupicken.

(Barbara Borchardt, DIE LINKE: Warum soll man nicht das Gute umsetzen lassen? – Irene Müller, DIE LINKE: Wir machen immer das Gute.)

Wollen mal sehen, was als Nächstes kommt.

(Dr. Wolfgang Methling, DIE LINKE: Wir picken die Rosinen raus. Sie suchen die nicht mal.)

Doch, doch.

Doch, meine sehr verehrten Damen, meine Herren, eines sollten wir uns doch noch mal vor Augen führen: Der Vertrag von Lissabon stellt ein Gesamtpaket dar. Er ist ein Kompromiss, der die Interessen aller EU-Mitgliedsstaaten miteinander in Einklang zu bringen versucht. Er ist ein in vielen langen Verhandlungen erarbeiteter Kompromiss, was nicht zuletzt ein Verdienst – da muss ich jetzt mal ein bisschen Werbung für unseren Bundesaußenminister machen –, von Frank-Walter Steinmeier ist.

(Dr. Wolfgang Methling, DIE LINKE: Ja, der ist überhaupt ganz stark. – Zuruf von Barbara Borchardt, DIE LINKE)

Also, meine Damen, Rosinen rauspicken, meine Herren, ist einfach nicht. Das würde bedeuten, wir machen das Paket noch mal wieder auf. Und das, glaube ich, kann keiner im Ernst wollen.

(Irene Müller, DIE LINKE: Wir werden aber nicht das ganze Negative schlucken.)