Als eine der Ursachen ist dabei auch die übermäßig lange Überprüfung der kommunalen Haushalte beim Innenministerium zu benennen. Die Folgen sind oftmals versteckte Sparanweisungen, Einsparungen im Perso
nalbereich, Haushaltssperren, unpraktikable Strukturvorgaben und Einmischung in die fachliche Ausgestaltung von Hilfen. Bekannt gewordene Fälle von elterlichem Fehlverhalten werden in der Öffentlichkeit sehr oft als ein Versagen von Jugendhilfe beziehungsweise Überforderung von Jugendämtern propagiert. Tatsächlich sind sie in der überwiegenden Praxis jedoch eine direkte Folge von schlechter und unzureichender personeller und finanzieller Ausstattung der öffentlichen Träger der örtlichen Jugendhilfe.
Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete, wir treten dafür ein, dass die Landesregierung sich dafür einsetzt, dass die bedingt pflichtigen Aufgaben, also die sogenannten freiwilligen Aufgaben des Achten Sozialgesetzbuches den Pflichtaufgaben gleichgestellt werden. Hierbei besitzen der Erste Abschnitt des Zweiten Kapitels des SGB VIII, also „Jugendarbeit, Jugendsozialarbeit, erzieherischer Kinder- und Jugendschutz“, sowie der Paragraf 74 SGB VIII, also die freie Jugendhilfe, besondere Bedeutung. Wir halten es für geboten, die finanziellen Rahmenbedingungen für die Erfüllung der bedingt pflichtigen Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe in den Kommunen zu verbessern. Das Land sollte den Betrag, der vertraglich mit den Kommunen je 10- bis 26-jährigen Jugendlichen vereinbart wird, mindestens um 50 Prozent aufstocken. Die freiwilligen, also bedingt pflichtigen Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe in den Kommunen sollten generell aus den Haushaltssanierungskonzepten herausgenommen werden und die Anzahl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Kinder- und Jugendhilfe sollte erhöht werden.
Die Landesregierung sollte umgehend die Festlegung der Koalitionsvereinbarung Nummer 52 umsetzen. Hier heißt es, ich zitiere: „Die Landesinitiative ‚Jugend- und Schulsozialarbeit‘ hat sich bewährt und wird fortgeführt.“ Das klingt gut, wird aber durch die Praxis konterkariert. 2007 wurden in den Landkreisen und kreisfreien Städten 311 Fachkräfte in der Jugendsozialarbeit und 252 in der Schulsozialarbeit gefördert. Ein Jahr später waren es nur noch 253 Fachkräfte in der Jugendsozialarbeit. Der Öffentlichkeit wird nun gern suggeriert, dieser Rückgang von 59 Fachkräften würde durch einen Anstieg in der Schulsozialarbeit aufgefangen. Weit gefehlt, lediglich um 8 Fachkräfte wurde die Anzahl der Schulsozialarbeit in den Landkreisen erhöht, ein Defizit also von insgesamt 51 Fachkräften, nachlesbar im Detail in einer entsprechenden Kleinen Anfrage, die ich im April gestellt hatte.
Gleichzeitig haben sich aber in Ziffer 161 ihres Koalitionsvertrages die Koalitionäre dazu verpflichtet, „dass in jeder weiterführenden und beruflichen Schule grundsätzlich ein Schulsozialarbeiter tätig werden kann.“ Die Expertenkommission zur Schulsozialarbeit unter Leitung von Professor Prüß empfiehlt die Ausweitung der Schulsozialarbeiter auch auf Grundschulen, besonders in sozial benachteiligten Einzugsgebieten. Die Kommission fordert zudem eine verlässliche Finanzierung und den Abschluss längerfristiger Verträge. Die Initiative des Bildungsministers, Lehrer als Schulsozialarbeiter zu gewinnen, mag unterschiedlich beurteilt werden, darf aber nicht zur Belastung der kommunalen Haushalte führen. Also der Bildungsminister sollte neben den Personal- auch die sächlichen Kosten für diese Aufgabenerfüllung tragen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete, Handlungsbedarf liegt auf der Hand. Anliegen unseres Antrages ist es, die präventiven, selbstgestalteten Kinder- und Jugendhilfestrukturen zu stärken, Kindern und Jugendlichen damit die Rahmenbedingungen zu sichern, die sie in die Lage versetzen, es heute zu lernen, demokratisch ihre Belange selbst zu gestalten, damit sie es morgen für uns alle tun können. – Vielen Dank.
Im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von 30 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist es so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.
(Vincent Kokert, CDU: Nicht der Kultusminister? Das ist ja komisch. Der ist doch so gebeten worden. Warum sagt der denn nichts?)
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Die Forderungen, die sich im Antrag der Fraktion DIE LINKE finden, werden im Bereich der Jugendhilfe kaum Gegner finden. Frau Dr. Linke hat die Situation in den Kommunen in diesem Bereich zutreffend beschrieben, aber wir müssen feststellen, es ist kommunale Selbstverwaltung. Ich denke, was nicht geht, ist, dass wir die Kommunen jetzt ganz rauslassen aus der Verantwortung und so tun, als ob Bundesgesetzgebung oder Land mit einem Geldsegen, den ich mir nicht vorstellen kann, nachdem heute bekannt geworden ist, dass bis 2012 über 500 Millionen Euro Steuergelder fehlen werden, alles retten können. Ich denke schon, wir sollten bei dem Dreiklang Kommunen-Land-Bund bleiben. Und dass das Land die Kommunen vielseitig bei der Aufgabendurchführung unterstützt, das habe ich hier vielfältig vorgetragen.
Es ist ja klar, wer sollte denn bitte gegen eine Verbesserung der finanziellen Rahmenbedingungen für die Kinder- und Jugendhilfe in den Kommunen sein? Und wir übersehen dabei, dass nicht die Landesregierung als Erster der Ansprechpartner ist, bekanntlich erfüllen die Kommunen die Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe im eigenen Wirkungskreis. Möglicherweise zielt der Antrag auf eine Erhöhung des Landesanteils im Bereich des Finanzausgleichs, aber er könnte bestenfalls mittelbar der Kinder- und Jugendhilfe in den Kommunen zugute kommen. Genauere Vorschläge gibt der Antrag jedoch nicht her.
Die viel gewünschten Verbesserungen der konzeptionellen Rahmenbedingungen des Kinder- und Jugendprogramms sind ebenfalls ziemlich allgemeine Forderungen, die natürlich jeder unterschreiben kann, die aber auch finanziell untersetzt werden müssten. Ihnen stimmen vor allem jene zu, die ihre Erfüllung nicht zu bezahlen haben. Auch die Schaffung einheitlicher personeller und sächlicher Strukturen der öffentlichen Jugendhilfe, wie sie sich als Forderung im Antrag findet, ist nicht Aufgabe der Landesregierung, sondern Teil der kommunalen Selbstverwaltung. Zwar kann die Landesregierung etwa durch die Oberste Landesjugendbehörde
auf Vereinheitlichungen und Standards im Kinderschutz hinwirken, dies jedoch nicht im Sinne von reinen Umsetzungsmaßnahmen, wie sie der Antrag fordert. Gleiches gilt im Grundsatz für den Ausbau der Schulsozialarbeit und für den Stopp des Abbaus der Jugendsozialarbeit. Die Landesregierung fördert verlässlich den weiteren Ausbau der Schulsozialarbeit bis 2013 aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds. Dies ist eine Ergänzungsleistung der Jugendhilfe für die Schulen.
Wir denken darüber nach, wie wir weit über 2013 und das Ende dieser ESF-Förderung der Schulsozialarbeit hinaus die weitere Finanzierung auf eine landesrechtliche Grundlage stellen. Frau Dr. Linke, ich glaube schon, dass es sich an dieser Stelle zeigt, dass das Land massive finanzielle Kraftanstrengungen unternimmt, Schulsozialarbeit und Jugendsozialarbeit mit zu unterstützen. Und wenn wir jetzt wirklich – also viele Probleme, die Sie über die Jugendhilfe in den Kommunen beschrieben haben, die sind zutreffend, und da teile ich auch die Einschätzung, dass da mehr passieren muss – noch den Kommunen versprechen würden, neben den Personalkosten bei der Schulsozialarbeit, die Herr Tesch übernimmt, die die Hauptkosten sind, zu sagen, jetzt müssen wir auch noch die sächlichen Kosten übernehmen, also den Raum in der Schule,
dann finde ich, gelinde gesagt, übertreiben wir es an der Stelle ein bisschen. Die Kommunen müssten Interesse daran haben, dass wir das gemeinsam machen. Wir übernehmen an der Stelle den größten Part. Und ich muss auch ganz klar sagen, als Sozialministerin fordere ich die Kommunen auf, dass sie auf diese Bausteine setzen, die wir als Landesregierung setzen: Investitionen in Bildung, Investitionen in Kinder und Jugendliche, hier die Schwerpunkte zu setzen und nicht …
(Wolf-Dieter Ringguth, CDU: Das machen die auch. Das machen die auch. Das machen die aber auch. – Gabriele Měšťan, DIE LINKE: Das machen aber viele.)
Ja, weiß ich. Da greife ich noch mal auf – ich werde gleich andere Beispiele berichten –, was mein Kollege Bildungsminister gestern gesagt hat, dann muss man sich auch in der Kommune vor Ort entscheiden, auf Straßen zu verzichten, um nicht in Beton zu investieren,
sondern in die Köpfe der Kinder. Ich nenne Ihnen zwei Beispiele, die ich mir wünschen würde als Sozialministerin: Ich würde mir wünschen, dass die Oberbürgermeisterin der Landeshauptstadt Schwerin sich entscheidet, nicht Geld für einen Sportplatz auszugeben, für die Subventionierung eines Sportplatzes, sondern für die Jugendhilfe. Das wäre eine tolle Maßnahme. Ich mache Ihnen ein weiteres Beispiel: Ich würde mir wünschen …
(Unruhe bei Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE – Andreas Bluhm, DIE LINKE: Da spielen Sie jetzt aber den einen Bereich gegen den anderen aus. Das ist nicht fair.)
Sport im Sportpark, das ist doch kein sozialer Sport. Im Sieben-Seen-Sportpark können sich doch viele, für die Sie sich angeblich immer engagieren, gar nicht sehen lassen.
Doch, darum geht es in der Kommune vor Ort. Da muss man sich mal entscheiden. Man kann sich auch wie im Landkreis Rügen dafür entscheiden, dass die Träger, die bei der Kita-Finanzierung 50.000 Euro am Ende des Jahres übrig haben,
das nicht behalten können, sondern ausgeben für verbesserte Betreuungsschlüssel, für die Investitionen in Kinder und Bildung. Das kann man alles vor Ort machen. Ich könnte Ihnen noch viele andere Beispiele nennen und natürlich gibt es auch positive Beispiele. Insofern dürfen wir die Kommunen, denke ich, nicht da aus der Pflicht lassen.
Der Antrag der Fraktion DIE LINKE greift ein Problem auf, das derzeit nicht nur in Mecklenburg-Vorpommern intensiv diskutiert wird. Es geht dabei um die Frage, ob angesichts der allgemeinen demografischen und wirtschaftlichen Entwicklung und den damit verbundenen Sparzwängen die örtliche Leistungsfähigkeit der Jugendhilfe nicht zu sehr unter Druck gerät. Das darf natürlich nicht passieren, da bin ich bei Ihnen. Nur weil Kinder und Jugendliche zurückgehen, heißt das nicht, dass die Probleme in diesem Bereich geringer werden. Das bedeutet, dass in diesen Bereichen nicht linear gespart werden darf.
Die örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe und damit die kreisfreien Städte und Landkreise sind zwar ebenso wie das Land zur Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit verpflichtet, dieser Grundsatz darf aber nicht zu einem Abbau der Jugendhilfestrukturen und damit zu einer Schwächung des Kinderschutzes führen.
Das Land wird weiterhin die Kommunen unterstützen, genauso wie es die Verpflichtung nach Paragraf 82 des Kinder- und Jugendhilfegesetzes vorsieht. Dabei ist die laufende und auch für die nächsten Jahre abgesicherte Förderung der Schulsozialarbeit nur ein Teil. So unterstützt das Land die freien und öffentlichen Träger seit Langem zuverlässig über den Landesjugendplan, über die Kommunalverträge nach dem Kinder- und Jugendfördergesetz, über zahlreiche Förderprogramme im Bereich der sozialraumorientierten Angebote sowie im Bereich der Familien- und Elternangebote. Dabei wurde besonderer Wert auf den Kinderschutz gelegt. Ich habe es schon erwähnt: Einführung der Kinderschutzhotline, Hebammenprogramm, Vorsorgeuntersuchung belegen dies ausdrücklich.
Die ebenfalls unterstützenden Leistungen im Kindertageseinrichtungsbereich befinden sich in einem nennenswerten Umfang und werden nochmals um 15 Millionen Euro jährlich aufgestockt. Bei dieser nennenswerten Unterstützung soll es auch in Zukunft bleiben. Hier möchten wir in der Landesregierung auch weiterhin zuverlässiger und kontinuierlicher Kooperationspartner der kommunalen Träger bleiben. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich bin der Sozialministerin ein Stück weit dankbar, denn sie hat einen Teil meiner Verwirrung aufgelöst. Ich habe zuerst überlegt, sind wir jetzt eigentlich beim Finanzantrag oder sind wir beim Innenantrag? Ihre Überschrift hat ein Stück weit etwas anderes vermuten lassen. Ich hatte mich ein Stück weit auf konzeptionelle …
Ja, es stellte sich ein Stück weit auf Finanzen ab. Aber irgendwo ließ er auch vermuten, dass Aussagen zu konzeptionellen Rahmenbedingungen erfolgen oder so.
(Andreas Bluhm, DIE LINKE: So ist die Politik. Alles ist nur mit Finanzen verbunden. – Zuruf von Vincent Kokert, CDU)