Tagesordnungspunkt unwichtig sein. Gesetz über den Vollzug der Untersuchungshaft in Mecklenburg-Vorpommern – wen interessiert es schon?
(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Kein Gesetz ist unwichtig, was wir hier machen. – Zuruf von Raimund Frank Borrmann, NPD)
Dass Juristen das ein wenig anders sehen, liegt, glaube ich, in der Natur der Sache. Ich ermahne uns alle, genau hinzuschauen, was wir heute verabschieden werden. Immerhin reden wir über einen Bereich, der den härtesten Eingriff in Bürgerrechte im Rahmen eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens darstellt. Weil das so ist, hat der Gesetzgeber strenge Voraussetzungen für die Anordnung der Untersuchungshaft festgeschrieben. Dies gilt verstärkt in Jugendstrafverfahren. So darf die Untersuchungshaft keine vorweggenommene Strafe sein, also eine Strafe, die bereits wegen eines Verdachtes, eine Straftat begangen zu haben, verbüßt werden müsste, ohne dass in einem rechtsstaatlichen Verfahren die Unschuldsvermutung widerlegt wurde.
Zur Verhängung der Untersuchungshaft, Frau Kuder hat darauf aufmerksam gemacht, müssen konkrete Voraussetzungen geprüft werden beziehungsweise vorhanden sein, auf die ich an dieser Stelle nicht näher eingehen möchte. Wir haben uns also die Frage zu beantworten, ob das vorliegende Gesetz den hohen Anforderungen entspricht.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, in der Debatte im Oktober habe ich aus Sicht meiner Fraktion zum wiederholten Male auf die Unsinnigkeit der Übertragung der Aufgaben auf die Länder im Zusammenhang mit der Föderalismusreform I aufmerksam gemacht. An dieser Auffassung hat sich auch bis heute nichts geändert, im Gegenteil, denn was uns vorgelegt wurde, ist ein Mustergesetzentwurf, an dem fast alle Länder mitgearbeitet haben und wo der Gestaltungsspielraum durch andere Vorschriften sehr gering ist.
Und dass es so ist, zeigte auch die Ausschussberatung dieses Gesetzentwurfes im Europa- und Rechtsausschuss. Und nebenbei gesagt: Nicht mehr erstaunlich war der parlamentarische Umgang im Europa- und Rechtsausschuss mit unseren Anträgen. Um unsere Anträge nicht anzunehmen, wurden gleichlautende Anträge seitens der Regierungsparteien gestellt.
Und auch das kann ich mir nicht verkneifen: In der öffentlichen Anhörung wurde durch die benannten Sachverständigen auf konkrete Probleme aufmerksam gemacht, die wohl auch durch die Koalitionsfraktionen anerkannt werden. Aber anstatt diese durch Änderungen am Gesetz aus dem Weg zu räumen, sollen lediglich Prüfaufträge verabschiedet werden. Halbherzig ohne Ende nennen wir das. So weit zum Verfahren.
Nach europäischen Standards sind Untersuchungsgefangene und Gefangene anderer Haftarten grundsätzlich getrennt unterzubringen. Sinn und Zweck ist es doch, den Untersuchungshaftgefangenen, der noch als unschuldig gilt, vor schädlichen Einflüssen seitens der Gefangenen anderer Haftarten zu schützen. Und davon aus organisatorischen oder sonstigen Gründen abzuweichen, ist aus unserer Sicht nicht hinnehmbar. Vor diesem Hintergrund sieht unser Änderungsantrag auch eine Streichung vor.
Daneben soll Paragraf 11 Absatz 1 Satz 2 Ziffer 3 ebenfalls gestrichen werden. Danach sollen „aus Gründen der Sicherheit und Ordnung der Anstalt“ vom Trennungsgrundsatz Ausnahmen möglich sein. Diese Regelung geht uns viel zu weit. Das ist ein Einfallstor, um faktisch den Trennungsgrundsatz auszuhebeln. Aus den Stellungnahmen heraus wurde deutlich, dass man dieser Gefahr durch einen klaren Tatbestandskatalog entgegenwirken könnte. Aber dies ist nicht geschehen.
Und kommen wir zum zweiten Kritikpunkt: die Regelung nach Paragraf 7 Absatz 2. Hier geht es um die Frage der Anwesenheit Dritter bei der Aufnahme. Zugegeben, hier hat sich etwas verändert. Im Gesetzentwurf wurde davon gesprochen, dass andere Gefangene in der Regel und so weiter nicht dabei sein sollten. Jetzt liegt uns die Empfehlung vor, wonach immer noch andere Strafgefangene zugegen sein dürfen, wenn eine sprachliche Verständigung anders nicht möglich ist. Auch hier haben wir eine Änderung beantragt, denn die Voraussetzungen, unter denen ein anderer Gefangener beim Zugangsgespräch anwesend sein soll, sind nicht genannt. Lediglich aus der Gesetzesbegründung ist zu entnehmen, dass die Gegenwart eines anderen Strafgefangenen von der Einwilligung des Betroffenen abhängt. Warum kann man das nicht klar im Gesetz regeln? Das entzieht sich uns.
Dazu kommt die Verschwiegenheitspflicht für den Gefangenen, der an einem solchen Zugangsgespräch als Dolmetscher teilnimmt. Die Daten des Betroffenen müssen doch geschützt werden vor einer Weitergabe. Wir reden hier über das Erstgespräch in der Einrichtung, bei dem der Betroffene Fragen zum Beispiel hinsichtlich seines Suchtmittelkonsums, der körperlichen Verfassung, zum eingebrachten Bargeld, den Versuch von Selbsttötung et cetera beantworten soll. Das sind doch alles höchst sensible Daten, die als solches auch geschützt werden müssen.
Bei einem Dolmetscher unterlägen diese Daten der beruflichen Verschwiegenheitspflicht und würden somit vertraulich behandelt, doch bei einem Mitgefangenen ist dies nicht der Fall. Und nicht nur das, es muss doch sichergestellt werden, dass die Fragen vom entsprechenden Gefangenen selber gut verstanden und dann in ausreichendem Maße übersetzt werden können. Schließlich erklärt der Untersuchungsgefangene zum Schluss die Richtigkeit seiner Daten. Und wie kann er dies, wenn nicht die konkrete Übermittlung der Fragen sichergestellt ist?
Der dritte Kritikpunkt ist die Unterbringung von Müttern mit Kindern, geregelt in Paragraf 14. Positiv ist, dass durch die Beschlussempfehlung nun auch das Kindeswohl gesetzlich im Paragrafen 14 geregelt ist. Dennoch fordern wir auch weiterhin eine Gleichstellung von Müttern und Vätern, sodass die Möglichkeit besteht, auch Väter mit ihren Kindern in Untersuchungshaft unterzubringen, so, wie es zum Beispiel auch in dem Gesetz in Brandenburg vorgesehen ist.
Und die Argumente gegen die Gleichstellung können wir nach wie vor nicht nachvollziehen, zumal am 3. September 2009 das Urteil des EGMR ergangen ist, wonach das Sorgerecht, betreffend die Bevorzugung von in diesem Fall unverheirateten Müttern gegenüber Vätern, in Deutschland diskriminierend sei. Und auch mit der vorliegenden Regelung setzen wir diese Diskriminierung weiterhin fort. Auch Ihre Argumente, dass es zum Beispiel keinen Bedarf gebe, diese Regelung auch auf Väter zu beziehen, sind doch nicht stichhaltig. Sie schließen den Fall doch gleich aus, und zwar aus Kostengründen.
Und die Argumente der Folgewirkungen und Kindern im Männerbereich vermögen mich ebenfalls nicht zu überzeugen, denn dieselben Argumente könnte ich Ihnen für den Frauenbereich entgegenhalten. Und völlig außer Acht lassen Sie die Tatsache, dass bei einer gemeinsamen Unterbringung von Vater und Kind in dem Paragrafen 14 Untersuchungshaftvollzugsgesetz hohe Anforderungen gestellt werden, wie man dem Kindeswohl entsprechen muss, die baulichen Gegebenheiten geprüft werden müssen, die der Sicherheit nicht entgegenstehen dürften.
Und zum Schluss das Thema Personal. Diesbezüglich wurde uns in den Anhörungen beziehungsweise schriftlichen Stellungnahmen mitgeteilt, dass bereits jetzt das Personal in den Justizvollzugsanstalten knapp sei. Beispielhaft wurden die Justizvollzugsanstalten Bützow und Waldeck angeführt. In der schriftlichen Stellungnahme des Bundes der Strafvollzugsbediensteten Deutschlands, Landesverband Mecklenburg-Vorpommern, heißt es, ich zitiere: „Eine Aufwertung (Verbesserung) des Stellenschlüssels im Bereich der Untersuchungshaft ist zwingend geboten, um den umfangreicheren Anforderungen und Aufgaben auch gerecht werden zu können.“ Zitatende.
Nun übertragen wir mit dem Gesetz weitere Aufgaben. Erinnern möchte ich nur an die begrüßenswerte Erhöhung der Besuchszeit oder die Kontrolle des Schriftverkehrs. Diese Regelungen sind natürlich mit einer Mehrbelastung des Personals verbunden, vor der Sie die Augen verschließen.
Und die bereits bestehenden Probleme in diesem Bereich sind doch bekannt, hier insbesondere im mittleren Dienst. Da verweise ich an dieser Stelle auf die Antwort der Regierung auf meine Kleine Anfrage aus dem Jahre 2008.
Meine Damen und Herren, so weit die Kritikpunkte unsererseits, die wir versucht haben, auch durch entsprechende Änderungsanträge abzumildern. Von daher bitte ich Sie, unseren Änderungsanträgen zuzustimmen. – Danke schön für die Aufmerksamkeit.
Es hat jetzt das Wort für die Fraktion der CDU der Abgeordnete Dr. Jäger. Bitte schön, Herr Abgeordneter.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Kollegen! Mit der Annahme des Gesetzentwurfes, so, wie er Ihnen heute als
Beschlussvorlage vorliegt, schaffen wir die gesetzlichen Grundlagen für den Vollzug der Untersuchungshaft in unserem Land. Die Besonderheit liegt darin, dass wir die neue Zuständigkeit, die uns zugewachsen ist im Rahmen der Föderalismusreform, nicht einfach so alleine genutzt haben, sondern sinnvollerweise uns mit zwölf anderen Bundesländern abgestimmt haben. Das war im ersten Durchgang, in der Ersten Lesung hier schon mal Gegenstand. Ich halte das für einen Wert an sich, wenn man das schafft. Das schafft nämlich die Möglichkeit, dass wir neben anderen Zuständigkeiten im Bereich des Justizministeriums auch jetzt eine reibungslose Zusammenarbeit auf diesem Rechtsgebiet haben, nachdem wir die erfolgreiche Zusammenarbeit im Jugendstrafvollzug bereits geschaffen haben.
Das, meine Damen und Herren, diese Kongruenz, die wir gewollt haben, hat auch dazu geführt, dass wir nach sehr eingehender Beratung im Ausschuss dazu gekommen sind, dass wir die hier noch einmal jetzt als Beschlussvorlage zur Änderung vorgetragenen Überlegungen und Änderungsvorschläge der Fraktion DIE LINKE mehrheitlich – nach sehr eingehender Diskussion – abgelehnt haben. Und da wir sie dort so diskutiert haben, werden Sie verstehen, dass wir uns hier auch entsprechend als Koalition verhalten wollen.
Das Untersuchungshaftvollzugsgesetz ist von dem zentralen Gedanken geprägt, dass die Aufgabe allein darin besteht – darauf hat die Ministerin dankenswerterweise noch mal deutlich hingewiesen –, dem in den Haftgründen Flucht, Fluchtgefahr, Verdunklungs-/Wiederholungsgefahr zum Ausdruck kommenden Gefährdungspotenzial für die Durchführung des Strafverfahrens entgegenzuwirken. Die Aufgabe heißt also, dass nur durch die sichere Unterbringung des Untersuchungsgefangenen die Durchführung des geordneten Strafverfahrens gewährleistet wird und dass man der drohenden Gefahr weiterer Straftaten begegnen will. Deswegen muss, das ist richtig, das hat Frau Kollegin Borchardt hier auch noch mal gesagt, Leitlinie für die Untersuchungshaft sein: Es gilt die Unschuldsvermutung. Das bedeutet, dass über den Freiheitsentzug hinausgehende Beschränkungen so weit als irgend möglich verringert werden müssen. Das, so glauben wir, diese Voraussetzung erfüllt der vorliegende Gesetzentwurf.
Es hat im Rahmen der Anhörung sehr viel Zustimmung gegeben, allerdings auch Änderungsvorschläge, von denen einige hier schon von der Frau Kollegin Borchardt diskutiert worden sind, gerade unter dem Gesichtspunkt der Unschuldsvermutung. Das ist auch völlig legitim. Wir haben aber nach Abwägung aller Argumente unsere Auffassung dahin gehend im Ausschuss ausdrücken können – wir, das heißt jetzt, die SPD und die CDU –, dass das Gesetz, das wir heute verabschieden wollen, ganz überwiegend diesen Anforderungen Rechnung trägt. Da, wo wir glaubten, dass wir noch Bestätigung für diese Überlegung brauchten, haben wir dies mit dem Entschließungsantrag zum Ausdruck gebracht.
Und, Frau Kollegin Borchardt, das ist nicht nur kleine Münze. Wir sind schon der Auffassung, dass wir …
Ja, Entschuldigung – ich hoffe, es ist jetzt noch parlamentarisch genug –, dass auch wir im Rechtsausschuss nun nicht gerade alle die Weisheit mit Löffeln gefuttert haben, ich sage jetzt das andere Wort nicht,
sondern es ist schon gut, dass wir gemeinsam mit den anderen Ländern, die diese parallelen Regelungen getroffen haben, Erfahrungen sammeln. Und der Kollege Dankert war es, der dies in die Ausschussberatungen so eingebracht hat. Ich stehe genau zu dieser Überlegung.
Es ist in der Anhörung gefordert worden, das sagte ich schon, dass wir in einzelnen Punkten weitergehen sollen. Und ich stimme der Justizministerin hier noch mal ausdrücklich zu, es gibt eine Menge auch praktischer Gesichtspunkte, die wir uns aus dem Vollzug haben berichten lassen, die manches, was schön klingt, dann doch nicht umsetzungsfähig erscheinen lassen. Sollte sich – und das sage ich hierzu, ich glaube, das darf ich für alle, die dem Gesetz zustimmen – aufgrund der Dinge, die wir jetzt in Auftrag geben, nämlich weiter die Dinge unter Beobachtung zu halten, ergeben, dass Bedarf besteht, dann, bin ich sicher, werden wir auch die Kraft haben, diesem Bedarf zu entsprechen.
Wir sind jedenfalls als Koalitionsfraktionen der Meinung, dass man diesem Gesetzentwurf mit gutem Gewissen zustimmen kann. Wir bekommen damit ein sehr modernes und ein sehr leistungsfähiges Untersuchungshaftgesetz. Ich bitte Sie um Zustimmung zu unserem Antrag. Und ich habe gesagt, die Anträge, die wir im Ausschuss schon behandelt haben und die wir mehrheitlich abgelehnt haben, werden wir auch hier jetzt in der Fassung eines Änderungsantrages ebenfalls ablehnen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Es hat das Wort für die Fraktion der FDP der Abgeordnete Herr Leonhard. Bitte schön, Herr Abgeordneter.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Notwendigkeit, ein Untersuchungshaftvollzugsgesetz zu verabschieden, ist völlig unstreitig. Und wenn die Länder, weil sie die Gesetzgebungskompetenz nach der Föderalismusreform erhalten haben, einen gemeinsamen Musterentwurf erarbeiten, ist das auch nach meiner Auffassung der richtige Ansatz. Letztlich wird sich die FDP-Fraktion zu diesem Gesetzesentwurf aber enthalten.
Nicht ganz unschuldig an dieser Entscheidung ist auch der Entschließungsantrag, meine Damen und Herren. Diesem hat die FDP-Fraktion im Ausschuss zwar zugestimmt, aber ehrlicherweise gehört dazu auch die Aussage, dass man die aufgeführten Themen vorher hätte eingehender beraten können oder sogar müssen.
Etwaig entstehende Probleme im Gesetzesvollzug kann man logischerweise erst nach Anwendung des Gesetzes in Erfahrung bringen. Wenn die Landesregierung aber aufgefordert werden soll, über die Möglichkeiten, beispielsweise der getrennten Unterbringung der Untersuchungsgefangenen von Strafgefangenen zu berichten, dann ist es eigentlich kein Thema, was man erst nach Vollzug des Gesetzes,