Das Wort zur Berichterstattung hat der Vorsitzende des Europa- und Rechtsausschusses Herr Müller von der Fraktion der SPD.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Ihnen liegt die Beschlussempfehlung und der Bericht des Europa- und Rechtsausschusses auf Drucksache 5/3050 vor. Wir empfehlen Ihnen, den Gesetzentwurf zum Untersuchungshaftvollzugsgesetz Mecklenburg-Vorpommern mit kleineren Änderungen und im Übrigen unverändert und flankiert mit einer Entschließung anzunehmen.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Wir stehen hier vor einer Neuregelung einer Sachmaterie und es ist heutzutage nicht mehr häufig der Fall, dass der Landtag erstmalig einen Bereich regelt. Meist sind es doch Änderungen vorhandener Gesetze.
Heute, ich komme noch dazu, ist es wieder so, dass wir einen Bereich erstmalig als Land regeln, den wir bislang noch nicht geregelt hatten. Wir haben gerade noch rechtzeitig die Ausschussberatungen erfolgreich abschließen können, gerade rechtzeitig, damit wir noch im Dezember mit unserer Beschlussfassung eine Rechtsgrundlage für die Untersuchungshaft schaffen können.
Wie Sie wissen, war der Bund bis Mitte 2006 für den Untersuchungshaftvollzug zuständig. Bis heute gibt es daher nur wenige bundesrechtliche Einzelbestimmungen zum Untersuchungshaftvollzug, und zwar in der Strafprozessordnung, im Strafvollzugsgesetz und im Jugendgerichtsgesetz. Im Rahmen der Föderalismusreform I ist die Zuständigkeit für den Bereich des Untersuchungshaftvollzugs auf die Länder übergegangen.
Die Landesregierung hat dem Landtag im September 2009 einen Entwurf eines Untersuchungshaftvollzugsgesetzes vorgelegt. Dieser Gesetzentwurf beruht auf einem Musterentwurf, der gemeinsam mit elf weiteren Bundesländern erarbeitet worden ist. Thüringen hat beispielsweise den entsprechenden Entwurf bereits vor einem knappen Jahr zur Ersten Lesung im Landtag gehabt.
Bedauerlicherweise hat der entsprechende Entwurf unseren Landtag fast neun Monate später, nämlich Ende September 2009, erreicht und wurde federführend an den Europa- und Rechtsausschuss und zur Mitberatung an den Finanzausschuss überwiesen. Im Rahmen der Beratungen haben wir eine öffentliche Anhörung durchgeführt, in der Vertreter aus Wissenschaft und Praxis zu Wort kamen. Die angehörten Sachverständigen haben den Gesetzentwurf begrüßt, jedoch auch Anregungen zur Änderung des Gesetzentwurfes an der einen oder anderen Stelle gegeben.
Diese Anregungen haben in 20 Änderungsanträgen zu dem Gesetzentwurf der Landesregierung Eingang gefunden. Die Ausschussmehrheit hat sich im Ergebnis auf die wenigen Ihnen vorliegenden Änderungsempfehlungen verständigt.
Die erste inhaltliche Änderung betrifft die Anwesenheit anderer Gefangener beim Zugangsgespräch. Nach Auffassung des Ausschusses soll die Anwesenheit anderer Gefangener beim Zugangsgespräch grundsätzlich ausgeschlossen sein. Es geht hier nämlich um die Wahrung der Privatsphäre und die Einhaltung des Datenschutzes.
Wenn es aber beim Zugangsgespräch unüberwindbare sprachliche Verständigungsprobleme geben sollte, was durchaus vorkommen kann, meine sehr verehrten Damen und Herren, dann soll die Anwesenheit eines anderen Gefangenen, der der Sprache des Untersuchungsgefangenen mächtig ist, ausnahmsweise zulässig sein.
Die zweite inhaltliche Änderung betrifft die Unterbringung von Müttern mit Kindern in einer Justizvollzugsanstalt. Im Ausschuss bestand Einvernehmen, dass die Unterbringung von Müttern mit ihren kleinen Kindern von der weiteren Voraussetzung abhängig gemacht werden soll, dass dies auch dem Kindeswohl dienlich ist. Insofern soll der Gesetzeswortlaut ergänzt werden. Eine entsprechende Regelung gibt es auch im Paragrafen 80 Absatz 1 des Strafvollzugsgesetzes.
Weiterhin, meine sehr verehrten Damen und Herren, haben wir im Europa- und Rechtsausschuss einer Entschließung zugestimmt, wonach die Landesregierung prüfen soll, inwieweit sich im Rahmen des Gesetzvollzuges Möglichkeiten und Probleme, insbesondere
hinsichtlich der getrennten Unterbringung der Untersuchungsgefangenen von Strafgefangenen, der einzelnen Unterbringung von Untersuchungsgefangenen während der Ruhezeit, der Beschäftigung, Entlohnung und der Freizeitgestaltung der Untersuchungsgefangenen sowie der Auswirkung auf den Personalbedarf ergeben. Ein entsprechender Bericht über die Ergebnisse dieser Prüfung soll dem Europa- und Rechtsausschuss bis zum 31. März 2011 vorgelegt werden.
Meine sehr verehrten Damen, meine Herren, ich möchte an dieser Stelle nicht versäumen, den Mitgliedern des Europa- und Rechtsausschusses für die Zusammenarbeit bei diesem Gesetzgebungsverfahren zu danken. Mein ganz besonderer Dank, meine sehr verehrten Damen und Herren, gilt hier der parlamentarischen Opposition für die konstruktive Mitarbeit in einem vor allem in zeitlicher Hinsicht sehr anspruchsvollen Gesetzgebungsverfahren,
wobei es selbst für ein Mitglied einer Regierungsfraktion wie mich nicht ganz einfach nachvollziehbar ist, warum dieser Gesetzentwurf so spät in das Parlament eingebracht wurde, ein Gesetzentwurf wohlgemerkt, der auf einem Mustergesetzentwurf beruht. Andere Landesregierungen waren hier deutlich schneller.
Ebenfalls möchte ich mich im Namen des Europa- und Rechtsausschusses bei allen Sachverständigen für ihre mündlichen und schriftlichen Stellungnahmen bedanken.
Meine sehr verehrten Damen, meine Herren, da der Bund seine Regelung im Bereich der Untersuchungshaft bereits mit Wirkung zum 1. Januar 2010 angepasst hat, ist es wichtig, dass auch unser Landesgesetz zum 1. Januar 2010 in Kraft tritt. Ich bitte Sie daher im Namen des Ausschusses, meine sehr verehrten Damen und Herren, der Beschlussempfehlung zu folgen und den Gesetzentwurf der Landesregierung mit den dargestellten Änderungen und der Entschließung anzunehmen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Im Ältestenrat ist eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 60 Minuten vereinbart worden. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.
Als Erste hat ums Wort gebeten die Justizministerin des Landes Frau Kuder. Bitte schön, Frau Ministerin, Sie haben das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Recht und Wirklichkeit der Untersuchungshaft im Speziellen werden auch als „Seismograf“ für das rechtspolitische Klima eines Landes bezeichnet.
Wir befassen uns mit dem vorliegenden Gesetzentwurf, mit dem Vollzug der Untersuchungshaft, dem Wie. Vollzug der Untersuchungshaft tritt aber erst ein, wenn diese angeordnet wird, also beim Vorliegen einer Entscheidung über das Ob. Insoweit wurden gerade in letzter Zeit kritische Stimmen laut, die Justiz tue sich mit dem Ob der Untersuchungshaft schwer. Dem ist nicht so, auch wenn des Volkes Stimme da manchmal anderer Auffassung ist als der zuständige Haftrichter.
Lassen Sie mich an dieser Stelle die Gelegenheit nutzen, klarzustellen, wer wann und warum in Untersuchungshaft genommen werden kann. Für das Ob der Untersuchungshaft sind die Regelungen der Paragrafen 112 fortfolgende der Strafprozessordnung, also Bundesrecht, maßgeblich. Zweck der Untersuchungshaft ist grundsätzlich, die Durchführung des Strafverfahrens zu sichern. Untersuchungshaft ist keine vorweggenommene Strafe und deshalb von der Strafhaft zu unterscheiden.
Untersuchungshaft bedeutet nicht, dass diese Person schuldig ist, sondern sie ist nur verdächtig. Für den bloß Verdächtigen gilt die Unschuldsvermutung. Diese gilt so lange, bis die Schuld durch ein Gericht rechtskräftig festgestellt ist.
Unter welchen Voraussetzungen kann Untersuchungshaft angeordnet werden? Erste Voraussetzung ist, der Beschuldigte ist mit hoher Wahrscheinlichkeit der Täter. Er ist also dringend verdächtigt. Zusätzlich ist ein Haftgrund erforderlich. Dazu gehören die Flucht, die Fluchtgefahr oder auch Verdunkelungsgefahr, also die Gefahr, der Beschuldigte könnte eine andere Person, die von der Tat weiß, beeinflussen oder Spuren verwischen.
Als weiterer Haftgrund ist die Tatschwere zu nennen. Über den Zweck der Verfahrenssicherung hinaus kann die Untersuchungshaft aber auch zur Verhinderung weiterer Straftaten angeordnet werden. Wird ein Tatverdächtiger wegen Wiederholungsgefahr inhaftiert, so handelt es sich um eine präventive Maßnahme. Weil es sich um eine präventive Maßnahme handelt, darf Untersuchungshaft wegen Wiederholungsgefahr nur in besonderen Ausnahmefällen bei besonders schweren Delikten angeordnet werden, die gesetzlich abschließend in Paragraf 112a StPO aufgeführt sind.
Voraussetzung ist dabei, dass diese Taten wiederholt und/oder fortgesetzt begangen worden sind und eine schwerwiegende Beeinträchtigung der Rechtsordnung eingetreten ist. Ferner muss für die Anlasstaten – außer bei Sexualdelikten – eine Mindeststrafe von einem Jahr zu erwarten stehen.
Dringender Tatverdacht und Haftgrund rechtfertigen die U-Haft nur, wenn die Untersuchungshaft auch verhältnismäßig ist. Die Untersuchungshaft muss zum Gewicht der Straftat und zu der voraussichtlichen Strafe in einem angemessenen Verhältnis stehen. Wie schwer ist die vorgeworfene Straftat? Was wäre die Strafe für diese Tat? Gibt es mildere Maßnahmen? Untersuchungshaft ist im Hinblick auf die Unschuldsvermutung nur hinnehmbar, wenn und weil sie auf eine Ultima-Ratio-Maßnahme reduziert wird und der Betroffene so unvoreingenommen wie ein Unschuldiger behandelt wird.
Von diesem Leitgedanken muss auch die Gestaltung des Vollzuges der Untersuchungshaft geprägt sein, womit ich zum Wie zurückkomme. Ich habe Ihnen bereits im Rahmen der Ersten Lesung die Kernpunkte des vorliegenden Gesetzentwurfes dargelegt. In der Diskussion haben lediglich einzelne Formulierungen und teilweise, wie ich finde, praxisferne Detailfragen im Vordergrund gestanden: So ist beispielsweise gefordert worden, in Paragraf 14 die Option einer gemeinsamen Unterbringung mit ihren bis zu drei Jahre alten Säuglingen oder Kleinkindern nicht nur Müttern, sondern auch Vätern zu eröffnen.
anderem, ich zitiere: „Weibliche Untersuchungsgefangene, die durch die Inhaftierung von ihren Säuglingen oder Kleinkindern getrennt werden, sind zum Teil besonders haftempfindlich. Auch ihre Kinder leiden in der Regel unter dem Verlust der Bindung oder der fehlenden Nähe zu ihrer Mutter. Deshalb ermöglicht die Bestimmung die gemeinsame Unterbringung von Müttern mit ihren Kindern. Eine vergleichbare Situation besteht im Verhältnis inhaftierter Väter zu ihren Kindern nicht.“
Dazu stehe ich, meine Damen und Herren. Auf der Grundlage unserer vollzuglichen Erfahrung können wir uns die Unterbringung von Säuglingen und Kleinkindern in geeigneten Fällen zwar im Frauenvollzug vorstellen, nicht aber in Abteilungen des Männervollzuges.
Ich sage klipp und klar, ich bin nicht bereit, aus Gründen einer vermeintlichen Modernität – gewissermaßen der guten Ordnung halber – Dinge in das Gesetz aufzunehmen, von denen jeder weiß, dass diese tatsächlich nicht Praxis werden.
Ein Gebot der Praxis, meine Damen und Herren, ist auch die Regelung in Paragraf 7 Absatz 2, wonach andere Gefangene beim Zugangsgespräch nur zugegen sein dürfen, wenn anders eine sprachliche Verständigung nicht möglich ist. Die ursprünglich im Gesetzentwurf der Landesregierung enthaltende Formulierung ist im Zuge der Beratungen des Gesetzentwurfes in dem eben von mir vorgetragenen Sinne verschärft worden, um den absoluten Ausnahmecharakter deutlich zu machen, was ich für richtig halte.
Meine Damen und Herren, der Anteil ausländischer Straf- und Untersuchungsgefangener beträgt in Mecklenburg-Vorpommern lediglich zwischen sechs und sieben Prozent. Mit den meisten dieser Gefangenen gibt es keine sprachlichen Verständigungsprobleme. Sollte dies ausnahmsweise doch einmal so sein, kann für das innerhalb der ersten zwei Stunden zu führende Zugangsgespräch in der Untersuchungshaft nicht immer ein Dolmetscher erreicht oder hinzugezogen werden. Wenn dann der seltene Glücksfall vorliegt, dass ein anderer zuverlässiger Gefangener die betroffene Fremdsprache und auch deutsch spricht, liegt es auch im Interesse des neu aufgenommenen verunsicherten Untersuchungsgefangenen, das erste Zugangsgespräch unter Zuhilfenahme dieses Gefangenen zu führen. Lediglich für diese seltenen Ausnahmefälle wurde diese Regelung geschaffen. In diesen Fällen aber ist sie auch erforderlich.
Es hat jetzt das Wort für die Fraktion DIE LINKE die Abgeordnete Frau Borchardt. Bitte schön, Frau Abgeordnete.