Protokoll der Sitzung vom 18.12.2009

und klärenden sowie versöhnenden Gesprächen initiiert worden ist.

(Barbara Borchardt, DIE LINKE: Richtig.)

Ich glaube ebenso wie Herr Minister Caffier, dass dies eine Daueraufgabe ist, dass dies auch im Jahre 2002, also am Ende der 3. Legislaturperiode, natürlich nicht abgeschlossen war, also eine Daueraufgabe bleibt, über Generationen hinweg, und nur gelingt, wenn dieses ehrlich geschieht. Und das, meine ich, ist auch Aufgabe des Landtages, vor die dieser FDP-Antrag uns heute stellt, aber selbstverständlich ist es damit nicht abgeschlossen und selbstverständlich ist dies eine Aufgabe

aller Menschen im gesamten Bundesland und weit darüber hinaus.

Was mich persönlich ein bisschen zum Nachdenken angeregt hat in diesem Antrag der FDP, ist das kleine Wörtchen „auch“ in der dritten Zeile: „Zur Aufarbeitung der SED-Diktatur gehört auch, keine stasibelasteten Personen für herausgehobene Funktionen vorzuschlagen.“ Völlig selbstverständlich, dazu stehe ich, dazu steht auch die SPD. Aber: Was gehört denn noch dazu, wenn wir dieses „auch“ erst einmal erfüllt sein lassen wollen? Vor allem gehört dazu aus meiner Sicht, dass wir uns darüber Gedanken machen, wer war denn eigentlich damals, in der Zeit, die wir aufarbeiten wollen, Koch und wer war Kellner. Die SED und ihre Blockparteien waren Koch, der Staat war Kellner, auch das MfS als staatliches Organ war Kellner, nämlich als Schutz und Schild der Partei, wiederum der SED.

(Zuruf von Michael Andrejewski, NPD)

Meine Damen und Herren, und es lohnt sich, in die Zeiten zurückzugucken, in das Jahr 1949 und davor, als die DDR-Diktatur sich gebildet hat oder auch – aus Moskauer Sicht – gebildet wurde. Der Befehl Nummer 2 der sowjetischen Militäradministration im Sommer 1945 hat die KPD, die SPD, die CDU und die LDPD zugelassen. Im April 1946, das ist hier schon erwähnt worden, kam es zur Zwangsvereinigung von KPD und SPD zur SED. Für meine Partei und viele ältere Mitglieder der SPD ist dies heute noch ein gar nicht so einfaches Erbe, das wir miteinander zu tragen haben.

(Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

1948 initiierte die Sowjetische Militäradministration die Gründung zweier weiterer Parteien, nämlich der DBD, der Demokratischen Bauernpartei Deutschlands, und der NDPD, der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands. Ziel war es, der CDU damals und der LDPD Mitglieder abzuwerben beziehungsweise – auch damals gab es dieses noch – bei den Wahlen natürlich auch Wählerstimmen abspenstig zu machen. Besetzt wurden die Führungspositionen dieser neuen Parteien mit Mitgliedern der SED, einige jedenfalls.

(Hans Kreher, FDP: Richtig.)

Die DBD sollte als SED-nahe Bauernpartei quasi auf dem Lande für Stimmen sorgen und die NDPD, das war sozusagen der Gedanke dahinter, sollte die Vertriebenen aus den Gebieten, aus denen die damaligen Vertriebenen in die noch zu gründende DDR gekommen sind, aufnehmen,

(Udo Pastörs, NPD: Ach?!)

ehemalige Wehrmachtsangehörige, meine Damen und Herren, und natürlich auch ehemalige NSDAP-Mitglieder. Stalin erklärte im März 1948, die Trennlinie zwischen ehemaligen Nazis und Nicht-Nazis sei aufzuheben. Die SED hat diesen Spruch von Stalin in einem Vorstandsbeschluss von 1948 bekräftigt. Auch das wirft noch mal einen Blick auf das, was Herr Caffier eben schon sagte, auf dieses Wort vom ersten antifaschistisch-demokratischen Arbeiter- und Bauernstaat auf deutschem Boden. Damals ist gerade das nicht geschehen, was immer proklamiert wurde:

(Dr. Armin Jäger, CDU: Richtig.)

eine Aufarbeitung der damaligen, hinter den Menschen von damals liegenden NS-Diktatur. Und deswegen kann ich nur sagen: Wir müssen heute alle Floskeln beiseite

lassen und ehrlich uns um die Zeiten kümmern, die wir heute aufarbeiten müssen. Und das, wie gesagt, meine Damen und Herren, ist noch längst nicht vorbei.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktionen der SPD, CDU und FDP)

Nach der Gründung der DDR 1949 haben diese vier Blockparteien, also CDU, LDPD, NDPD und DBD, die führende Rolle der SED anerkannt und aufgehört, eine eigene Politik zu machen. Ich kann mir vorstellen, dass dieses Gründungsdatum der Parteien, über die ich gesprochen habe, und auch in der Deutschen Demokratischen Republik für viele Mitglieder der ehemaligen Blockparteien kein leichtes Erbe ist, wie wir alle eben schwierige Erben sind aus dieser Zeit. Ob es da weiterhilft, Herr Glawe, die Rolle der CDU als Blockpartei zu bestreiten – ich persönlich halte das für nicht richtig, mögen Sie es so tun. Ich glaube, wir müssen uns oder Sie müssen sich selbst auch genau diesem Thema wie wir alle stellen.

(Harry Glawe, CDU: Da machen Sie sich mal keine Sorgen. – Zuruf von Irene Müller, DIE LINKE)

Meine Damen und Herren, 40 Jahre weiter, 1989: Die SED hat sich umbenannt in SED/PDS, dann PDS, dann Linkspartei, dann DIE LINKE. Die SDP hat sich neu gegründet und sich später vereinigt mit der SPD/West. Bündnis 90 hat sich neu gegründet, FDP hat sich aus LDPD und NDPD gebildet, die CDU aus der DBD und der CDU aus der DDR und so weiter. Diese Geschichte ist uns näher als die Zeiten davor.

Der Herr Ministerpräsident Sellering hat in seinem Interview aus der FAZ alle seine Überlegungen, die ja zu einer heftigen Diskussion geführt haben, unter die Überschrift gestellt, das ist auch nachzulesen: Die DDR war kein Rechtsstaat. Und das, meine Damen und Herren, können wir hoffentlich alle miteinander auch – hoffentlich! –, alle miteinander auch so unterschreiben.

Wenn wir uns, meine verehrten Damen und Herren, Gedanken darüber machen, wer war eigentlich Kellner in dieser Zeit, als diese Politik gekocht wurde, dann kommen wir notgedrungen auf das ganze Thema MfS. Dazu ist viel gesagt und viel geschrieben worden, über die Rolle der hauptamtlichen und der informellen Mitarbeiter des MfS, damals und natürlich auch heute, über die menschlichen Fragen und vor allem auch über die zwischenmenschlichen Verletzungen. Zu Recht werden wir die Überprüfung auf eine mögliche MfS-Vergangenheit auch in Zukunft in Mecklenburg fortsetzen. Zu Recht wird immer wieder gesagt, dass es einen Schlussstrich unter diese Zeit auch bei der Überprüfungspraxis nicht geben kann und auch nicht geben wird. Und ich sage noch mal: Es lohnt sich, die Unterlagen der Enquetekommission aus der 3. Legislaturperiode nachzulesen.

Ich persönlich habe gerade vor Kurzem mit großem Gewinn, das will ich freimütig und auch ehrlich einräumen, eine Diplomarbeit gelesen, und zwar vom 25. Januar 1990, entstanden bei der Kreisdienststelle des MfS im damaligen Kreis Hagenow, unter dem Titel: „Die Widerspiegelung der Sicherheitspolitik der ehemaligen SED-Parteiführung in den Jahren 1988/89 in der Arbeit der Kreisdienststelle bzw. des Kreisamtes für Nationale Sicherheit Hagenow und ihre sicherheits politischen sowie sozialen Folgen im Territorium“, Autor: Klaus-Peter Künzer, Major des MfS – eine Diplomarbeit ohne großen wissenschaftlichen Abstand zu ihrem Gegenstand, aber

mit einer großen emotionalen Nähe zu ihrem Auftraggeber, der SED.

Auch in dieser Diplomarbeit, die ein kleines Licht auf eine große Frage wirft, hat sich mir immer wieder die Frage gestellt: Wer war eigentlich damals Koch und wer war Kellner? Warum hat eigentlich die SED und warum haben die Mitglieder der Blockparteien damals nicht die Erkenntnisse genutzt – die zwar auf keinem rechtsstaatlichen Wege, nämlich über dieses MfS, zustande gekommen sind, aber sie waren ja dann da –, warum hat die SED diese Erkenntnisse nicht genutzt, die durch diese Mitarbeiter des MfS in Hagenow wie in vielen anderen Kreisdienststellen und so weiter in der DDR auch an Ort und Stelle geleitet worden sind?

Es gab, wie man hieraus entnehmen kann, ganz intensive Gespräche zwischen den Mitgliedern, vor allem den Führungsmitgliedern der SED und der Blockparteien einerseits und den Mitarbeitern des MfS auf der anderen Seite über die Beurteilung der wirtschaftlichen Lage bei den Menschen in der DDR, natürlich insbesondere 1988/1989, aber natürlich auch in den Jahren davor, über die Sehnsucht nach Reisefreiheit, über ökologische Fragen, über die Tätigkeit von Oppositionsgruppen, über Handels- und Versorgungsfragen oder genauer gesagt über die Engpässe bei Handel und Versorgung. All das war bekannt. All das hätte natürlich auch die SED wissen können, wenn sie nicht über den Umweg des MfS, sondern direkt, in demokratischer Weise mit den Menschen damals in der DDR das Gespräch gesucht hätte. Niemand hätte dieser Partei verheimlicht, was wir alle miteinander gedacht haben. Es geschah aber nicht. Auch das gehört zum Thema Aufarbeitung der SEDDiktatur aus den Jahren 1949 bis 1989.

Meine verehrten Damen und Herren, auch wir als sozialdemokratische Partei lehnen diesen Antrag ab, nicht weil er grundsätzlich falsch ist, Herr Roolf, sondern – wie einige hier auch schon gesagt haben, Herr Minister Caffier – weil dies ein Thema ist, das Sie mit einem Beschluss niemals erledigen können.

(Michael Roolf, FDP: Sehr richtig. Ja, das ist richtig.)

Ich persönlich nehme Ihnen ein wenig übel …

Herr Kreher, Sie schütteln den Kopf, lassen Sie mich mal ausreden!

(Hans Kreher, FDP: Ich lasse Sie ja ausreden, ja.)

Ich will es vorsichtig sagen. Das Wörtchen „Garant“ in dem Antrag – unter der Ziffer 2, glaube ich, erscheint es, genau –, das Wörtchen „Garant“, das stößt mir persönlich ein bisschen auf. Ich will Ihnen auch sagen, warum. In einer offenen Gesellschaft kann der Staat nicht Garant dafür sein, dass die Bürger, dass die Personen – ich zitiere mal aus Ihrem Antrag –, „die … die Interessen der Bürger repräsentieren“, in irgendeiner Art und Weise vom Staat festgelegt werden. Die Personen, die die Interessen der Bürger repräsentieren, sind die Personen, also die Bürger selbst.

Und ich wünschte mir, dass auch Sie als liberale Partei dies anerkennen und in einem intensiven Dialog mit diesen Menschen in unserem Staat dafür sorgen, dass der Staat von den Voraussetzungen in der Demokratie, von den Voraussetzungen leben kann, die er selber sich nicht gibt und auch nicht geben kann, nämlich ein demokratisches Fundament der Bürgerinnen und Bürger

in Mecklenburg-Vorpommern mit einem demokratischen und aufrechten Bekenntnis zu diesem Gesellschaftssystem, das wir heute in der Bundesrepublik Deutschland haben.

Wenn ich zusammenfassend sagen darf, wie wir als Sozialdemokraten mit dem Gesamtthema umgehen, dann sage ich Folgendes: Eine Überprüfung, auch in Zukunft, auf eine mögliche Mitarbeit beim MfS wird es geben, konsequent und auch dort, wo sie hingehört. Ich habe ja schon gesagt, wir sind dafür, dass dies vor den Wahlen in den kommunalen Ämtern, also bei Bürgermeistern und Landräten, geschieht. Man kann es auch überlegen für den Landtag. Also MfS bleibt auch in Zukunft ein wichtiger Auslöser beim Thema Aufarbeitung.

Zweitens. Wir halten es für besonders wichtig, dass es offene Gespräche in einem offenen Diskurs zu den Angelegenheiten des öffentlichen Lebens mit den Menschen in Mecklenburg-Vorpommern gibt. Die Demokratie lebt von Überzeugungen. Politiker haben die Bürger zu überzeugen und sollten sich auch von den Bürgern selbst überzeugen lassen. Ob das Kinder in der Schule sind, Studenten sind – das ist Ihr Punkt 4 im Antrag – und weit darüber hinaus, völlig selbstverständlich. Öffentlichkeit und Offenheit im Dialog zwischen Politik und Bürgern ist ebenso wichtig, wenn Sie so wollen, als „Garant“ eines demokratischen Gemeinwesens und eines auch wehrhaften Staatswesens.

Drittens. Ich will es so sagen, um auch das Wort Garantie noch mal aufzunehmen: Wir sollten alle miteinander, alle Demokraten dieses Hauses miteinander nie wieder zulassen, dass die Menschenwürde missachtet und mit Füßen getreten wird und ausgetauscht wird durch ein konstruiertes und die Menschen missachtendes Menschenbild. Von diesem Menschenbild in der DDR haben wir alle genug. Wir müssen heute dafür sorgen, dass mit politischer Kraft wir alle dafür sorgen, dass es immer um die Menschen selber geht, um ihre Würde und nie um eine konstruierte Idee von diesen.

(Zuruf von Stefan Köster, NPD)

Meine Damen und Herren, es geht insbesondere in Ihre Richtung. Und ich hoffe sehr, dass wir nicht nur heute, sondern auch in Zukunft alle miteinander daran arbeiten, dass der Artikel 1 des Grundgesetzes auch für Mecklenburg-Vorpommern immer lebendig bleibt und mit Kraft erfüllt wird. – Vielen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktionen der SPD und CDU – Michael Roolf, FDP: Sehr gute Rede.)

Danke schön, Herr Dr. Timm.

Es hat jetzt das Wort für die Fraktion DIE LINKE der Abgeordnete Herr Ritter. Bitte, Herr Abgeordneter.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich kann vieles von dem, was meine Vorredner bisher gesagt haben, inhaltlich voll und ganz unterstreichen, wenn das Gesagte für alle demokratischen Parteien gilt und wenn das Gesagte für die Aufarbeitung der Geschichte in beiden deutschen Staaten gilt. Und so will ich unter Bezugnahme auf den Redebeitrag des Kollegen Timm auf eine kurze Geschichte der alten Bundesrepublik verweisen, wo nämlich unter Rückgriff auf die Aktensammlung des faschistischen Reichsinnenministeriums ab 1955 das KPD-Verbotsverfahren in Gang

gesetzt worden ist und infolge dieses Verbotsverfahrens 250.000 Ermittlungsverfahren und 100.000 Verurteilungen stattgefunden haben.

Heute geht es aber nicht um die Geschichte der alten Bundesrepublik, meine sehr verehrten Damen und Herren. Deshalb bin auch ich der FDP-Fraktion durchaus dankbar dafür, dass sie den Inhalt des Beschlusses des CDU-Landesparteitages als Antrag vorgelegt hat. Bietet er uns doch die Gelegenheit,

erstens die Frage zu beantworten, wer Interesse an einem Ende der Aufarbeitung der SED-Diktatur hat,

zweitens zu hinterfragen, ob die Bewertung der Geschichte zwischen 1945 und 1989 allein ausreichend mit der Aufarbeitung der SED-Diktatur zu bewältigen ist,

drittens aufzuzeigen, wie die einzelnen Parteien ihre Geschichte in der DDR bewerten und aufgearbeitet haben,

und schließlich viertens deutlich zu machen, dass wir im Umgang mit der Geschichte der DDR, der Bewertung der Verantwortung der SED hier im Landtag durchaus schon einmal weiter waren.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der vorliegende Antrag gibt mir auch die Möglichkeit, an die Debatten des außerordentlichen Parteitages der SED/PDS zu erinnern, der heute genau vor 20 Jahren stattfand. Der erste Punkt ist aus meiner Sicht und aus Sicht meiner Fraktion schnell zu beantworten. Wir haben kein Interesse an einem Ende der Aufarbeitung unserer Geschichte. Es liegt nämlich im Interesse unserer Glaubwürdigkeit, der Glaubwürdigkeit meiner Fraktion, unsere Vergangenheit und unsere Verantwortung immer wieder zu hinterfragen.