Protokoll der Sitzung vom 28.01.2010

Diese Grundelemente der totalen Kriegsführung versuchte vor allem die SS schon während des Polenfeldzuges umzusetzen. So wurden sowohl polnische Funktionäre als auch jüdische Menschen gleich nach dem Einmarsch in Polen systematisch verfolgt und getötet. Binnen weniger Monate wurden im westlichen Polen weit mehr als eine Million Menschen ihrer Heimat beraubt und umgesiedelt, um Platz für deutsche Siedler zu schaffen. Aber das war erst der Anfang! Die Pläne für die Vertreibung von Millionen Polen und Russen lagen bereit. Die SS kalkulierte alleine für diese Landnahme mit mehr als 30 Millionen russischen Opfern!

Eine wesentliche Verschärfung der Kriegsführung wurde jedoch für Hitlers eigentlichen Krieg, den Krieg gegen Russland, geplant und umgesetzt. Die brutalen Richtlinien für die Kampfführung der Wehrmacht in Russland ließen keinen Zweifel daran, dass das „Unternehmen Barbarossa“ ein reiner Vernichtungskrieg werden sollte. Mit den sogenannten „verbrecherischen Befehlen“ begaben sich Hitler und seine Generäle außerhalb der internationalen Konvention des Kriegsrechts. Die kommandierenden Generäle zogen willig mit. Schon am 2. Mai 1941, also noch vor Beginn des Russlandfeldzuges, erließ der Befehlshaber der Panzergruppe 4, Generaloberst Erich Hoepner, folgenden Befehl zur bevorstehenden Kampfführung, ich darf zitieren:

„Der Krieg gegen Rußland ist ein wesentlicher Abschnitt im Daseinskampf des deutschen Volkes. Es ist der alte Kampf der Germanen gegen das Slawentum, die Verteidigung europäischer Kultur gegen moskowitisch-asiatische Überschwemmung, die Abwehr des jüdischen Bolschewismus. Dieser Kampf muß die Zertrümmerung des heutigen Rußland zum Ziel haben und deshalb mit unerhörter Härte geführt werden. Jede Kampfhandlung muß in Anlage und Durchführung von dem eisernen Willen zur erbarmungslosen, völligen Vernichtung des Feindes geleitet sein. Insbesondere gibt es keine Schonung für die Träger des heutigen russisch-bolschewistischen Systems.“ Zitatende.

Die Truppe kämpfte nach diesen unbarmherzigen Prämissen. Tausende Politkommissare wurden unmittelbar nach ihrer Gefangennahme erschossen. Unzählige Regimenter russischer Kriegsgefangener kamen in den Lagern um. Dörfer wurden systematisch niedergebrannt. Niemand weiß, wie viele Menschen verhungerten, weil die Versorgung der Truppe absoluten Vorrang hatte.

Wer von Ihnen, Herr Pastörs, trauert eigentlich um diese Menschen?

(Udo Pastörs, NPD: Ich, zum Beispiel.)

Am schwersten jedoch litten die jüdischen Menschen. Nahezu in jeder eroberten Ortschaft fanden Erschießungen statt, die meist von den unmittelbar nachrückenden Einsatzgruppen des Sicherheitsdienstes durchgeführt

wurden. Eine der schlimmsten Gräueltaten des gesamten Krieges wurde am Rande Kiews begangen, in der Schlucht von Babij Jar.

Am 19. September nahm das 29. Armeekorps, das der 6. Armee Reichenaus unterstand, die ukrainische Hauptstadt ein. Bereits am 26. September wurde in einer gemeinsamen Besprechung zwischen Wehrmacht und SS festgelegt, einen Großteil der jüdischen Bevölkerung zu eliminieren. Mit öffentlichen Aufrufen forderte man die jüdischen Menschen der Stadt auf, sich am 29. September 1941 zwecks Umsiedlung auf einem bestimmten Platz einzufinden. Zum Erstaunen der Verantwortlichen kamen zu vorgegebener Stunde viele Tausend Menschen zusammen. Zu Fuß mussten sie bis zu einer kleinen Schlucht am Rande der Stadt laufen. In nur zwei Tagen wurden in der Schlucht von Babij Jar 33.771 Menschen erschossen, überwiegend Kinder, Frauen und ältere Männer. Eine unvorstellbare Grausamkeit!

Wer von Ihnen, Herr Pastörs, trauert um diese Menschen?

Auf diese Weise wütete die SS noch über ein Jahr in Russland. Dann kam Stalingrad. Die Reste der 6. Armee kapitulierten und wurden in die Gefangenschaft geführt. Nur ganz wenige Soldaten kamen zurück. Auch das ein Verbrechen, keine Frage.

Und die Rote Armee rückte unaufhaltsam vor bis ins Deutsche Reich. Jetzt, meine Damen und Herren, hatte sich das Blatt gewendet. Eine frühzeitige Evakuierung der Menschen wurde aber durch das nationalsozialistische Regime, insbesondere durch den Gauleiter von Ostpreußen, Erich Koch, verhindert.

(Wolf-Dieter Ringguth, CDU: Schlimm, ganz genauso schlimm. – Zuruf von Gino Leonhard, FDP)

Zu Beginn des Jahres 1945 waren viele Menschen in Ostpreußen eingekesselt. Einer dieser Eingekesselten war mein damals elfjähriger Vater. Als der Geschützdonner immer näher kam, musste er mit ansehen, wie die Nazis in der „Wolfsschanze“ ihre Sachen packten und gen Westen zogen. Seine Nachbarn aber, die ebenfalls aus dem Kessel flüchten wollten, wurden von den Nazis aufgegriffen und zur Abschreckung am nächsten Baum aufgehängt. Erst als es schon fast zu spät war, wurde schließlich doch noch die Evakuierung befohlen. Nun führten Panik, die rasch vorrückende Rote Armee und der strenge Winter dazu, dass die Flüchtlinge unsagbares Leid ertragen mussten. Aber das war den Nazis offenbar gleichgültig.

Offensichtlich setzten die Nazis andere Schwerpunkte, denn annähernd zeitgleich mit dem Untergang der „Gustloff“, wurde das größte Naziverbrechen auf ostpreußischem Boden begangen. In der Nacht zum 31. Januar wurden 6.000 bis 7.000 jüdische Menschen von der SS auf das Eis der Ostsee getrieben. Dann begann das bestialische Morden. Die SS exekutierte jeden der Häftlinge aus dem KZ Stutthof einzeln. Später spülte die Flut Hunderte von Leichen an den ostpreußischen Strand.

Wer von Ihnen, Herr Pastörs, trauert eigentlich um diese Menschen?

Währendessen drang die Rote Armee unaufhaltsam vor. Was aber hatten die Nazis erwartet, die den Krieg mit höchster Brutalität geplant und durchgeführt hatten? Glaubte man wirklich, dass die Sowjets das unsagbare Leid, das ihr Volk ertragen musste, einfach vergaßen?

Konnte man Gnade, Ritterlichkeit oder Menschlichkeit von denen erwarten, die man überfallen hatte, um sie gnadenlos zu vernichten? Nein, die russischen Armeen nahmen Rache für ihr Volk, entsetzliche Rache für millionenfaches Leid, indem sie neues Leid erzeugten. Sie vergalten Unrecht durch neues Unrecht, dem nun Millionen Deutsche zum Opfer fielen durch Tod, Misshandlung, Vergewaltigung, Vertreibung. Deshalb darf die Frage nach den Ursachen für dieses Leid niemals ausgeblendet werden.

Um es auf den Punkt zu bringen: Die „Wilhelm Gustloff“ wurde von russischen Torpedos versenkt. Die eigentliche Schuld am Tod der 9.000 Passagiere aber tragen Adolf Hitler und all diejenigen, die seinen Wahn und seine Verbrechen an den Völkern aktiv unterstützt haben!

(lang anhaltender Beifall bei Abgeordneten der Fraktionen der SPD, CDU, DIE LINKE und FDP)

Niemand weiß genau, wie viele Menschen zwischen 1933 und 1945 unter der Naziherrschaft in Europa getötet, verletzt, vertrieben oder traumatisiert wurden. Ihnen allen ist eines gemeinsam: Sie sind allesamt Opfer eines bis aufs Äußerste menschenverachtenden Systems. Opfer waren Kinder und alte Menschen, Kranke und behinderte Menschen, Priester und Pastoren, Lesben und Schwule, Kommunisten und Sozialdemokraten, Sinti und Roma, Menschen jüdischen Glaubens, Polen, Griechen, Russen, Deutsche, Italiener, Holländer, Ungarn, Briten, Franzosen, Dänen. Hinter dieser zweifellos unvollständigen Aufzählung verbergen sich unzählige einzelne Opfer. Jedes mit einer eigenen Persönlichkeit, einer eigenen Geschichte, vor allem aber mit einer eigenen, unantastbaren Würde, die millionenfach mit Füßen getreten wurde.

Deshalb ist für uns Demokraten von FDP, DIE LINKE, CDU und SPD, für die zu sprechen ich heute die Ehre habe, die Trauer um die Opfer nicht differenzierbar. Unsere Trauer unterscheidet nicht zwischen Nationalitäten, Glaubensrichtungen oder politischen Überzeugungen. Wir trauern um Menschen!

(lang anhaltender Beifall bei Abgeordneten der Fraktionen der SPD, CDU, DIE LINKE und FDP)

Genau deshalb, Herr Pastörs, lehnen wir Ihren Antrag ab. Das ist der Unterschied zwischen Ihnen und uns. Sie wollen die Tragödie der „Gustloff“ benutzen, um zwischen den Opfern zu differenzieren und um die Gräueltaten des Nationalsozialismus zu verharmlosen. Und das, da können Sie sicher sein, lassen wir Ihnen niemals durchgehen!

(lang anhaltender Beifall bei Abgeordneten der Fraktionen der SPD, CDU, DIE LINKE und FDP)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Zwischenruf des Fraktionsvorsitzenden Udo Pastörs findet kein Äquivalent in unserer Geschäftsordnung, um darauf entsprechend reagieren zu können. Ihre Äußerung, Herr Pastörs zeugt von Ihrer Unmenschlichkeit, Ihrer Menschenverachtung und von Ihrem Völkerhass. Und vor dem Hintergrund, dass ich nur die Geschäftsordnung so auslegen kann, wie wir sie uns gemeinsam gegeben haben, Herr Pastörs, und dass ich das jetzt an dieser Stelle tue, tue ich auch vor dem Hintergrund, dass ich Wert darauf gelegt habe, dass Sie

sich den Redebeitrag von Herrn Dr. Nieszery anhören müssen, vor diesem Hintergrund, Herr Pastörs, schließe ich Sie von der heutigen Sitzung aus, gemäß unserer Geschäftsordnung Paragraf 99.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Fraktion der NPD hat eine Auszeit von 20 Minuten beantragt. Ich unterbreche die Sitzung. Wir setzen unsere Sitzung um 17.10 Uhr fort.

Unterbrechung: 16.49 Uhr

(Die Dauer der Unterbrechung wird zwischenzeitlich verlängert.)

Wiederbeginn: 17.16 Uhr

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir setzen die unterbrochene Sitzung fort.

Das Wort hat der Abgeordnete Herr Andrejewski für die Fraktion der NPD.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Da hier von nationalsozialistischen Verbrechen die Rede war, möchte ich mal hinzufügen oder sagen, dass ich kürzlich was Interessantes über Auschwitz gelesen habe, was ich in der Schule nicht lernte, in einem Buch von Hubertus Knabe, der Ihnen vielleicht bekannt ist.

(Zuruf von Torsten Koplin, DIE LINKE)

Er sagte, dass Auschwitz nicht nur befreit worden ist, sondern auch gleich weitergeführt worden ist als Konzentrationslager von den Sowjets.

(Zuruf von Dr. Armin Jäger, CDU)

In diesem Buch fand ich leider nur einen Satz dazu, es ist weitergeführt worden. Da frage ich mich doch, …

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Das ändert aber nichts am Verbrechen der Nazis.)

Nein, aber Sie wollen doch über alle trauern. Haben Sie über die auch getrauert?

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Ja, ja, das tue ich auch. Auch über die Taten rede ich.)

Wissen Sie das eigentlich? Haben Sie sich mal gefragt, wer da eingeliefert worden ist von den Stalinisten? Ich habe nirgendwo gefunden, was für Menschen das waren, ob das Deutsche, Russen, Polen, Juden, Christen waren, weswegen, wie viele Opfer es gab, wie viele nicht nationalsozialistische Opfer es in Auschwitz gegeben hat, nichts. Dazu habe ich nichts in der Schule gelernt,

(Dr. Marianne Linke, DIE LINKE: Wo sind Sie denn zur Schule gegangen?)

nie irgendwas in der Zeitung gelesen, erst in diesem einen Buch. Das ist ganz neu. Das kommt jetzt raus. Und auch über die sollten Sie vielleicht trauern.

(Irene Müller, DIE LINKE: Vielleicht sollten Sie mal nach Auschwitz gehen, dann sehen Sie das nämlich alles. – Zurufe von Dr. Norbert Nieszery, SPD, Wolf-Dieter Ringguth, CDU, und Helmut Holter, DIE LINKE)

Was den kausalen Zusammenhang betrifft, den Sie hier erwähnt haben, dass das Sowjetvolk mit dem Herzen voll berechtigter Rache nach Deutschland gegangen

wäre, um dort Vergeltung zu üben für Verbrechen: Erst mal gibt es kein Sowjetvolk. Gehen Sie mal ins Baltikum oder in die Ukraine und erzählen irgendwas, dass die mal Mitglieder vom Sowjetvolk waren! Es war das kommunistische System, das über die Völker geherrscht hat.

(Barbara Borchardt, DIE LINKE: Was versuchen Sie jetzt eigentlich hier, Herr Andrejewski? – Regine Lück, DIE LINKE: Das ist ja Ihre Denke, Herr Andrejewski. – Zuruf von Andreas Bluhm, DIE LINKE)

Und zweitens hat das stalinistische System in Deutschland keineswegs sich einmalig verhalten. Das, was in Ostpreußen geschehen ist und in den anderen deutschen Ländern, wo Millionen umgebracht wurden, genau das ist in Polen auch geschehen.

(Barbara Borchardt, DIE LINKE: Na, nun sagen Sie doch was zu Ihrer eigenen Geschichte!)

In Ostpolen, wo die Polen vertrieben wurden, wurden die Frauen massenhaft vergewaltigt, genauso wie in Deutschland. Die Leute wurden gefoltert, in Lager gebracht, abgeschlachtet, vertrieben.