Eine zweite Meldung: Der Ethikrat diskutiere, wie Integrationsverweigerung und Diskriminierung die medizinische Versorgung von Einwanderern behindern.
Eine dritte und hier letztangeführte Meldung: Die zunehmende Mobilität der Menschen wirke sich auch auf die Liebe aus. Immer mehr Frauen und Männer finden ihren Partner beziehungsweise ihre Partnerin grenz- und kulturübergreifend.
Binationale Partnerschaften seien dabei nicht nur private Lebensentwürfe einzelner, sondern zugleich Ergebnis gesellschaftlicher und politischer Entwicklungen.
So unterschiedlich diese Nachrichten auch sein mögen, sie alle verdeutlichen eines: Integration ist immer auch Beziehung, und zwar nicht nur allgemein die Beziehung zu einer Gesellschaft und ihrer Institution, sondern vor allem konkret zu Personen. Es drängt sich die Frage auf, wie sich Integration hier bei uns gestalten soll, zumal nur wenige aus der Mehrheitsgesellschaft daran teilhaben wollen. Selbst wohlwollende deutsche Zeitgenossinnen und Zeitgenossen sehen ihren Beitrag zur Integration neben ihrer Toleranz vor allem in der Bereitstellung passender Instrumente, etwa der Sprachförderung, und nicht in der tatsächlichen Veränderung oder besser, der Öffnung ihrer und des Landes selbst für einen Wandel, der aus dem Zusammenleben resultieren könnte.
Diese Fragen und weitere Problembereiche sind seitens des Landes eigentlich bereits klar als Handlungsauftrag benannt. In der in unserem Antrag genannten Konzeption zur Förderung der Integration der im Land lebenden Migrantinnen und Migranten, deren Umsetzung durch die amtierende Koalition freilich bestenfalls halbherzig angegangen wird, meinen wir, wird herausgearbeitet, dass eine nachhaltige Integration nicht die einseitige Integration, also de facto Assimilation, sondern die beiderseitige Integration miteinander ist, also die Integration der Deutschen mit den ausländischen Kulturen.
Eine Integration mit jemandem oder mit etwas ist die gleichzeitige Veränderung aller Beteiligten. Wahrscheinlich haben Sie Angst davor.
(Michael Andrejewski, NPD: Wir lernen Türkisch. – Peter Ritter, DIE LINKE: Die können Sie gar nicht verstehen bei Ihrem Dialekt.)
Für eine solche Entwicklung schafft die Landesregierung im Zusammenhang mit Einwandererkulturen nur bedingt oder gar nicht erforderliche Rahmenbedingungen.
Erhellend beschrieb der Journalist Arno Widmann die Frage der Identität im Kontext von Europa schon vor Jah
ren. Ich darf zitieren: „Es gibt keinen Grund zur Angst, die eigene Identität zu verlieren. Man hat sie nämlich nicht.“
„Man erwirbt sie“, Herr Pastörs. „Man erwirbt sie, in dem man sie mehrt. Es gibt da nichts zu verteidigen außer der Freiheit, sie mehren zu dürfen.“ Zitatende.
Aber auch die Mehrheit der Migrantinnen und Migranten verfällt in ein solches Denkschema, indem sie nur eines sein können, entweder Deutsche oder ihre Herkunftsnationalität. Aus diesem Entweder-oder-Denken heraus glauben sie, weder noch zu sein, und reagieren auf diesen Konflikt beispielsweise mit Rückzug oder mit übersteigertem Nationalismus. Dabei sollte es nicht um ein Entweder-oder gehen, sondern um ein Sowohl-als-auch. Kulturen in Einheit und Reinheit existieren nirgends, weder in den Nationalkulturen noch in den Kulturen der Völker.
Das Zeitalter der Migration bringt nicht nur die Mobilität von Menschen mit sich, sondern auch die von Waren und Wertevorstellungen sowie die permanente Konfrontation mit anderen Kulturen. Sitten und Gebräuche lösen sich von alten Praktiken und mischen sich mit neuen Sitten und Gebräuchen.
Integration bedingt interkulturelle Öffnung. Es geht um die Wahrung der zentralen kulturellen Grundrechte der Menschenwürde, wozu das Recht auf kulturelles Leben gehört und des gleichen Rechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit derer, die – aus welchen Gründen auch immer – ihr Herkunftsland verlassen und in der Fremde vorübergehend oder dauernd ein neues Zuhause suchen. Migrantinnen und Migranten erleben die Lebensform der Gesellschaft, in die sie einwandern in der Regel als Dominanzkultur, die eigene Lebensform und Lebensweise bestenfalls toleriert, oftmals aber faktisch missachtet und entwertet.
Das Recht auf Anerkennung der je eigenen authentischen Lebensform, das in einer pluralistischen Gesellschaft eigentlich unbestritten ist, degeneriert nicht nur so zur bloßen Toleranz, die uns einander ertragen lehrt, sondern sie fordert Respekt von der Reichhaltigkeit der je anderen Lebensform beziehungsweise Kultur. Eine interkulturelle Praxis, die den Streit zwischen den Kulturen nicht verhindert, sondern zivilisiert,
Die Möglichkeit der Bewahrung und Pflege der kulturellen Eigenheiten der Herkunftsgesellschaft hat eine grundlegende Bedeutung im Integrationsprozess. Die von Migrantinnen und Migranten häufig selbstinitiierten Strukturen und Aktivitäten innerhalb der Migrantengemeinschaft wirken förderlich auf die Schaffung einer ethnischen Infrastruktur, die neben Glaubens- und Kultureinrichtungen auch Unternehmen zutage befördert und enorme Selbsthilfepotenziale freisetzt.
Oliver Scheytt, derzeit Geschäftsführer der RUHR.2010, und Nikolaj Beier, dort Redakteur für Kommunikation, schreiben – und ich halte das für ein bemerkenswertes
Zitat: „Gesellschaftlicher Wandel hat unmittelbare Auswirkungen auf die Kultur, und der kulturelle Wandel – der Wandel von Einstellungen und Lebensweisen – hat Auswirkungen auf gesellschaftliche Entwicklungen.“ Zitatende.
Allen gebe ich recht, die angesichts dessen, dass Integration zu einer der wichtigsten gesellschaftlichen Herausforderungen und Chancen geworden ist, übrigens unabhängig von der Anzahl der bei uns lebenden Migrantinnen und Migranten, darauf verweisen, dass Interkultur, Migrantenkultur und interkulturelle Bildung Bereiche von besonderer Bedeutung sind.
Ich möchte etwas zu den Begriffen „Interkultur“ und „Migrantinnen- und Migrantenkultur“ sagen: Nach unserem Verständnis ist Interkultur der Austausch zwischen und das Miteinander von Kulturen, der wechselseitige Dialog und Lernprozess. Migrantenkultur umfasst die soziokulturellen Ausdrucksformen und kollektiven Identitäten, die sich entwickelt haben und sich durch neue Erfahrungen und den Austausch mit dem Aufnahmekontext weiterentwickeln. In Bezug auf interkulturelle Bildung wird auf – Zitat – „Bildungsansätze für den pädagogischen Umgang mit der Vielfalt der Kulturen und ihrer interkulturellen Vermittlung und Verständigung“ verwiesen. Zitatende.
Alle drei Aspekte, Interkultur, Migrantenkultur – hier als Sammelbegriff für verschiedene Kulturen der Migrantinnen- und Migranten gebraucht – und interkulturelle Bildung, finden wir in unseren Wahlkreisen vor. Sie führen aber zumeist ein Nischendasein, weil die kulturelle Dimension von Migration und deren Konsequenzen kaum Berücksichtigung finden. Kultur aber ist bestens geeignet, Integrationsprozesse aktiv positiv zu begleiten, die bekanntlich nicht von selbst funktionieren. Natürlich gibt es Beispiele dafür, dass interkulturelle Projekte und Vorhaben der Migranten- und Migrantinnenkultur ideell und finanziell gefördert werden. Das geschieht dem Grunde nach aber lediglich gemäß der Richtlinie zur Förderung kultureller Projekte. Stellt jemand einen Antrag, kann er finanziell unterstützt werden, ohne Antrag geschieht nichts.
Aber, meine Damen und Herren, die Arbeit zur Förderung der Inter- und Migrantenkultur wird vor allem von Einrichtungen geleistet, die zum Beispiel als Migrantenselbstorganisation ein vielschichtiges Angebot zur Orientierung der Migrantinnen und Migranten in der Aufnahmegesellschaft bereithalten. Die Vereine und Verbände, Initiativgruppen und andere privat initiierte öffentliche Institutionen nehmen eine wichtige Funktion bei der Integration der Einwanderer ein. Migrantinnen und Migranten finden hier Orientierungshilfen und Unterstützung bei der Bewältigung des Alltags, sie knüpfen soziale Kontakte und haben nicht selten die Möglichkeit, auch die Sprache des Aufnahmelandes zu erlernen und weiterhin zu festigen.
Die Kulturarbeit ist ein wesentlicher Bestandteil der Einrichtungen und verfolgt häufig einen interkulturellen Ansatz. Doch die tägliche Arbeit der Vereine und Verbände steht meistens auf einem wackeligen finanziellen Sockel. Nehmen wir als Beispiel Schwerin: In der Landeshauptstadt leben zurzeit circa 6.000 Menschen mit Migrationshintergrund. Jeder Zehnte ist eingebürgert. Etwa 1.600 sind Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler. Der Anteil an Migrantinnen und Migranten liegt in ganz Schwerin bei vier Prozent,
Sprachprobleme der Migrantinnen und Migranten erschweren die Verständigung mit der alteingesessenen Bevölkerung und damit auch die Integration. Die wenigen Integrationsangebote wie Freizeiteinrichtungen und Begegnungsstätten reichen nicht aus.
Dabei fehlt es auch an entsprechenden Angeboten im Kulturbereich. Für die vorhandenen Angebote gibt es Zuwendungen von Land und Kommunen, in Vereinen ergänzt durch Mitgliedsbeiträge. Aber die erzielten Einnahmen decken häufig gerade einmal die Kosten für die Miete und die Betriebskosten der Einrichtung. Für die eigentliche Arbeit der Einrichtung zur Förderung der Inter- und Migrantinnen- und Migrantenkultur bleibt wenig oder gar kein finanzieller Spielraum mehr übrig. Offen sind dann aber immer noch die Posten, die die eigentliche Arbeit der Einrichtung betreffen. Das sind neben den Aufwendungen für die Öffentlichkeitsarbeit, Büromaterialien, Kostüme, Instrumente – ich komme gleich zum Schluss –, Fahrkosten zu den Auftritten und dergleichen mehr.
Es ließe sich noch vieles aufzählen. Wir möchten einen Bericht, um erkennen zu können, was sich in den letzten Jahren getan hat, um daraus ableiten zu können, welche Notwendigkeiten sich für politisches Handeln hier im Landtag ergeben, um letztendlich die Arbeit auf diesem Gebiet zu befördern. Ich danke an dieser Stelle zunächst für das Interesse und hoffe auf eine fruchtbringende Aussprache. – Schönen Dank.
Meine Damen und Herren, im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von 45 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.
Das Wort hat zunächst die Ministerin für Soziales und Gesundheit. Frau Ministerin, Sie haben das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Der Antrag der Fraktion DIE LINKE sieht vor, die Landesregierung aufzufordern, einen Bericht zur Förderung von Interkultur und Migrantinnen- und Migrantenkultur vorzulegen. Anliegen ist es, auf dieser Basis Erkenntnisse für die Integrationspolitik zu gewinnen.
Mein Haus ist federführend zuständig für die Integration von Migrantinnen und Migranten. Wir sehen es als