Protokoll der Sitzung vom 09.06.2010

Der Kormoran, meine Damen und Herren, ist nicht nur eine geschützte Tierart, er ist auch fast unumstrittener Anwärter auf den Titel „Meistgehasster Vogel“. Dabei spielt die zunehmende Existenzbedrohung des Berufsstandes und die daraus resultierende Existenzangst der Fischer eine wesentliche Rolle und das ist wohl auch der wahre Grund, warum sich dieses Parlament immer wieder mit diesem Vogel beschäftigt. Rudi Borchert sagte vorhin, gefühlt alle halbe Jahre einmal steht er auf der Tagesordnung,

(Raimund Frank Borrmann, NPD: Wie die Theater.)

und wir haben ihm quasi eine herausgehobene Stellung in der Vogelwelt eingeräumt. In dieser Situation, meine Damen und Herren, haben der NABU und der Landesbund für Vogelschutz in Bayern den Kormoran zum Vogel des Jahres 2010 gewählt.

(Dr. Wolfgang Methling, DIE LINKE: Das ist ja furchtbar.)

Beide Verbände wollen sich damit offensiv für den Schutz des Kormorans einsetzen. Das aber, meine Damen und Herren, und erinnern wir uns an den letzten Parlamentarischen Abend des Landesanglerverbandes, ließ Angler und Fischer zornentbrannt aufschreien, und die Emotionen kochen ja immer noch hoch. Und just...

(Udo Timm, CDU: Das ist eine Provokation gewesen.)

Und just da hat die FDP den rettenden Einfall mit einem erneuten Antrag und wir haben die Gelegenheit, ohne Emotionen Argumente auszutauschen, ohne Emotionen. Ein Schelm, der Böses dabei denkt!

(Udo Timm, CDU: Die sollen doch eine große Kolonie umsiedeln.)

Der Fischereitag des Landesverbandes der Kutter- und Küstenfischer steht vor der Tür und die Frage aller Fragen an Politiker jeglicher Couleur ist inzwischen: Sag, mein Freund, wie hältst du’s mit dem Kormoran?

(Barbara Borchardt, DIE LINKE: Wie hältst du es mit dem Vogel?!)

Ohne Emotionen, meine Damen und Herren, und ohne Stichelei kann man wohl sagen, dass wir den Punkt 1 des Antrages nicht mehr diskutieren müssen, denn es ist nicht zu leugnen, dass vonseiten der Landesregierung über die Jahre hinweg eine Reihe von Aktivitäten sowohl im Bund als auch gegenüber der EU vorgenommen wurden. Dazu muss man die Landesregierung wahrlich nicht auffordern. Es bedarf keiner Aufforderung.

Dass die Ergebnisse der Bemühungen hinter den allgemein gehegten Erwartungen zurückbleiben, hängt aus meiner Sicht nicht mit den Mühen der Landesregierung, sondern eher mit der konsequenten Haltung der EU zum Artenschutz und insbesondere zur EU-Vogelschutzrichtlinie zusammen. Die Position, die die EU-Kommission in diesem Zusammenhang an die HELCOM übermittelte, ist eindeutig, nämlich: Es wird kein europäisches Bestands

management geben, insbesondere auch deswegen nicht, weil selbst bei einer Reduzierung des Bestandes keineswegs davon auszugehen ist, dass sich die Konflikte an den Konfliktorten, also lokal reduzieren werden. Nach Meinung von Fachleuten gibt es bei der EU höchstens eine Bereitschaft, die besten Praktiken zum Umgang und der Koexistenz mit dem Kormoran zu verallgemeinern.

Und ganz ehrlich, meine Damen und Herren, die Vorschläge der FDP in Bezug auf die Novellierung der Kormoranlandesverordnung gehören definitiv nicht dazu. Denn eine wie auch immer bestimmte Zielpopulation mit allen Mitteln erreichen zu wollen, ist nicht rechtskonform, wohl aber lokale Maßnahmen bei korrekt nachgewiesenen Schäden. Oder wie will man denn objektiv begründen, meine Damen und Herren, warum die „FDP Tausende Kormorane abschießen lassen (will)“, so eine Presseüberschrift in der „Ostsee-Zeitung“ vom 8. Juni dieses Jahres? Diese Begründung kann sich natürlich an der Höhe des durch den Kormoran verursachten Schadens messen lassen, denn alles andere wäre Töten ohne vernünftigen Grund, was, klugen Menschen sei Dank, nach den Regelungen des Tierschutzes unzulässig ist.

Wie schädlich ist aber der Kormoran in Bezug auf die Fischerei hier im Land und in der Ostseeregion? Schäden an Teichwirtschaften sind unstrittig, sind nachweisbar, können verhindert werden oder werden ersetzt. Schäden an Netzen oder Beschädigungen gefangener Fische in den Netzen werden nach einem Urteil des Verwaltungsgerichtes Freiburg auch als Schaden anerkannt. Dazu möchte ich aber bemerken, dass ich in Angelzeitungen zwar schon Fotos von durch den Kormoran angefressenen Fischen gesehen habe, dass aber deshalb ein Antrag auf Schadensregulierung gestellt wurde, ist mir noch nicht zu Ohren gekommen. Die Minderung des Aalertrages in Binnengewässern ist ebenfalls schadensersatzpflichtig.

(Ute Schildt, SPD: Das bringt keinen auf die Idee.)

Im Zuge der Schadensersatzverfahren kommt aber, meine Damen und Herren, eine von vielen Variablen bei biologischen Prozessen ins Spiel, nämlich die sogenannte kompensatorische Fähigkeit von Fischbeständen gegenüber den Verlusten durch Entnahme, was so viel heißt wie: Ein Fisch, den der Kormoran frisst, ist nicht zugleich ein Fisch weniger im Wasser beziehungsweise in den Netzen. Die Natur steuert hier gegen. Selbst wenn eine Art überfischt wird oder den Winter nicht überlebt, haben andere Arten bessere Bedingungen. Daher sind aus Sicht der heutigen Wissenschaft einfache Hochrechnungen zur Schadensberechnung des Kormoranfraßes untauglich. Diese Erkenntnis ist nicht so neu. Denn bereits im Jahr 1908 schrieb Ernst Hübner in seiner „Avifauna von Vorpommern und Rügen“ Folgendes, ich zitiere:

„Carbo cormoranus, männlich und weiblich, der 1837 in großer Zahl die rügenschen Gewässer besiedelte und größere Brutkolonien in den Reiherhorsten der Insel Vilm und der Halbinsel Drigge bei Stralsund aufzuweisen hatte, wurde bald darauf stark verfolgt und zog sich auf das Haff- und Odermündungsgebiet zurück. Auch jetzt findet er wegen des Fischereischutzes nirgends mehr eine bleibende Stätte und geht zusehends der Ausrottung entgegen. Zu jenen Zeiten, also 1837, ein gemeiner Vogel unserer Heimat, war der Fischreichtum der See- und der Binnengewässer trotz seiner Räuberei ein ganz

außerordentlicher. Der delikate Lachs, heute kaum noch zu erhalten, war wegen Massenfanges als Nahrungsmittel entwertet. Die Heringe wurden zuweilen in ganzen Fuhren zu Düngerzwecken auf die Äcker gefahren. Hecht und Aal, Barsch und Flunder waren wohl feil und andere Fischarten wie Hornhecht, Dorsch und Aalmöwe wurden überhaupt nicht beachtet. Und jetzt besteht trotz Ausrottung aller Fischräuber empfindliche Fischarmut.“ So weit Ernst Hübner vor 100 Jahren.

Das Beispiel soll zeigen, meine Damen und Herren, dass eine einfache mathematische Aufrechnung des durch den Kormoran verursachten Schadens, so, wie Sie es demonstriert haben, Herr Leonhard, keinesfalls ausreicht, um ein objektives Bild zu erhalten, und schon gar nicht, um den massenhaften Abschuss und andere hier vorgeschlagene Maßnahmen gegen den Kormoran zu begründen.

Auch die Erfolgsaussichten, meine Damen und Herren, der weiterhin vorgeschlagenen Maßnahmen sind mehr als fragwürdig. Im Ostseeraum brüten insgesamt etwa 170.000 Paare Kormorane. Der Bestand in MecklenburgVorpommern macht nur etwa sechs bis sieben Prozent der Population aus. In Dänemark und Schweden gibt es jeweils circa 40.000 Brutpaare, in Polen circa 25.000 mit den Schwerpunkten Oderhaff und Frisches Haff. Wir sind sozusagen umzingelt von Kormorankolonien. Und der Anstieg der Population in Deutschland, Frau Schlupp hat es gesagt, wird meist mit den Wanderungsbewegungen im Ostseeraum begründet. Neue Kolonien entstanden insbesondere in Küstennähe. Hier, im gesamten Ostseeraum, müsste man also mit einem sinnvollen Management ansetzen, wenn wir auf der EU-Ebene nicht weiterkommen, und der Minister hat auch gesagt, dass das sozusagen der Plan B ist.

Der Bestand an Brutpaaren in unserem Land pendelt seit Jahren zwischen 12.000 und 14.000 Brutpaaren. Er wird als relativ stabil eingeschätzt. Aufmerksame Beobachter, Herr Leonhard, weisen aber darauf hin, dass an Binnenseen, an denen sonst reichlich Kormorane zu beobachten waren, derzeit wenig Tiere zu sehen sind.

(Gino Leonhard, FDP: Ja, die sind auch alle an der Ostsee!)

Und inzwischen wurde auch bekannt, dass die sich in den letzten Jahren – sie sind nicht an der Ostsee – bei Greifswald gebildete Kolonie in diesem Jahr nicht bezogen wurde. Möglicherweise ist das eine Folge des langen Winters, mit Sicherheit aber keine Grundlage für die ständige Behauptung von wachsenden Populationen.

(Gino Leonhard, FDP: Weil da kein Fisch mehr ist.)

Na ja, da habe ich aber was anderes gehört.

In den Monaten Juli bis Oktober, den Hauptschadensmonaten für die Fischer, wird der Kormoranbestand insbesondere von Rast- und Durchzüglern bestimmt. Und selbst wenn es gelänge, und das hat auch schon Frau Schlupp gesagt, den einheimischen Bestand zu reduzieren, würde sich damit das Schadengeschehen wenig verändern, da dieses zu einem erheblichen Teil außerhalb der Brutzeit sogar überwiegend von nicht brütenden Vögeln bestimmt wird. Massenhafte Reduzierungen des Bestandes führen im Folgejahr zu erhöhter Zuwanderung dieser hochmobilen Vogelart aus anderen Gebieten. Das zeigen sowohl die Erfahrungen im Anklamer Stadtbruch, Erfahrungen aus Dänemark, aber auch die Daten aus Ringfunden.

Und im Kormoranbericht des LUNG heißt es auf Seite 6, ich zitiere: „Aufgrund der populationsinternen Kompensationsmechanismen für Eingriffe in den Bruterfolg sowie das hohe Zuwanderungspotenzial ist davon auszugehen, dass Maßnahmen, die auf eine Verminderung der Reproduktion der Kormorane in Mecklenburg-Vorpommern hier nicht geeignet sind, eine zukünftige Verminderung des hiesigen Brutbestandes zu erreichen.“ Zitatende. Das, was wir alle praktisch erfahren haben: Mutter Natur lässt sich eben nicht austricksen, auch wenn sie in diesem Falle in der Gestalt eines Kormorans daherkommt.

Aber, meine Damen und Herren, selbst wenn es gelänge, den Kormoranbestand durch Vergrämungs- und Tötungsmaßnahmen signifikant zu verringern, wenn es weniger Kormorane gäbe, würden diese bevorzugt Gebiete mit der besten Nahrungsverfügbarkeit aufsuchen,

(Zuruf von Wolfgang Griese, DIE LINKE)

und der Konflikt mit den Fischern wäre weiterhin da. Denn die heimliche Losung lautet doch, Sie wissen es alle: „Nur ein toter Kormoran ist ein guter Kormoran!“

(Harry Glawe, CDU: Richtig.)

Ach ja, noch ein paar Worte zu den Forderungen unter Punkt 2. d) im vorliegenden Antrag, nämlich den Abschuss und die Vergrämung von Kormoranen in Schutzgebieten zu ermöglichen. Meinen Sie das wirklich, wie Sie das hier aufgeschrieben haben, liebe Kollegen der FDP?

(Gino Leonhard, FDP: Sonst hätten wir das nicht aufgeschrieben.)

In Schutzgebieten stehen festgelegte Schutzziele im Vordergrund. Das sind in der Regel nicht die Kormorane, das gebe ich zu, aber eine allgemeine Freigabe von Schutzgebieten für den Abschuss von Kormoranen ist nicht nur fragwürdig, sondern auch gesetzwidrig. Der Minister hat darauf hingewiesen, auf das Urteil des Verwaltungsgerichtes Hannover vom 27.04. dieses Jahres. Wenn Sie es denn wirklich ernst meinen, dann, muss ich sagen, ist dieser Antrag entweder frei von jeder Gesetzeskenntnis vorbereitet worden oder die FDP-Fraktion geht davon aus, dass bestehendes Natur- und Tierschutzrecht ignorierbar ist.

Ich möchte nur einige Paragrafen aufführen, gegen die verstoßen werden würde, sollte dieser Antrag in die Realität umgesetzt werden:

Paragraf 10 Bundesnaturschutzgesetz, dort heißt es: „Der Kormoran ist eine besonders geschützte Tierart.“

Paragraf 42 Absatz 1 Bundesnaturschutzgesetz, dort heißt es: „Die Tötung von Tieren geschützter Arten ist streng verboten.“

Paragraf 42 Absatz 1 Bundesnaturschutzgesetz, dort heißt es: „Verboten ist auch die Störung an sowie Zerstörung von Nist-, Brut-, Wohn- und Zufluchtstätten.“

Natürlich können Ausnahmen von den Schutzbestimmungen zugelassen werden, Frau Schlupp hat sie benannt, wenn der Schaden nachgewiesen wird und sich der Erhaltungszustand der Population einer Art nicht verschlechtert. Aber genau das ist ja wohl das Ziel des Antrages, weshalb er abzulehnen ist.

Meine Damen und Herren, das bisher Gesagte mag in Einzelbewertungen auch manch ein Kollege aus meiner Fraktion in dieser Deutlichkeit nicht mittragen, es ändert aber nichts an der Bewertung des Antrages in Gänze.

Und, meine Damen und Herren, ich bin nicht neidisch auf parlamentarische Initiativen anderer Fraktionen im Landtag und ich gönne auch der FDP den Erfolg. Sie haben ihn ja auch bitter nötig. Jedoch ist der von der FDP als inhaltlicher Schwerpunkt der Landtagswoche auserkorene Kormoran nicht geeignet, politische Schlappen auf anderen Gebieten auszubügeln, und ich finde, das hat er einfach auch nicht verdient,

(Gino Leonhard, FDP: Der arme Kormoran.)

besonders nicht in dieser Weise, da der Antrag zum einen in eklatanter Form gegen gesetzliche Grundlagen verstößt und zum Zweiten nicht geeignet ist, den Fischern zu helfen, denn die Krise der Fischer hat vielfältige andere Ursachen, die nicht durch die Zahl der Kormorane bestimmt wird. Ich denke bloß an die steigende Zahl der Fischdiebstähle, die Diebstähle und Zerstörung von Fischereigerät,

(Michael Roolf, FDP: Und der Steuererhöhung. Steuererhöhung nicht vergessen. Mindestlohn auch noch. – Zuruf von Barbara Borchardt, DIE LINKE)

denen die Landesregierung keine wirksamen Maßnahmen entgegenhält bisher. Wir sind gern bereit, einer Verbesserung des Schutzes vor dem Kormoran bei Teichanlagen, bei Aalen oder Netzen zuzustimmen.

Und damit, meine Damen und Herren, komme ich dann auch zum Schluss. Und, Herr Leonhard, speziell für Sie und auch für Sie, Frau Schlupp: Mir ist weder in der Ostsee noch in den Weltmeeren eine Fischart bekannt, die durch den Kormoran oder eine andere Vogelart in ihrem Bestand bedroht ist, wohl aber ist eine Überfischung der Bestände die Ursache der Bestandsbedrohung, durch welche Fischer auch immer.

(Gino Leonhard, FDP: Genau deswegen lassen wir die Kormorane, wo sie sind.)

Ich komme auch zum Schluss.

Dagegen sind Maßnahmen angebracht, auch wenn sie unpopulär sind.

(Zuruf von Egbert Liskow, CDU)