Protokoll der Sitzung vom 07.07.2010

„Freiberuflich und selbständig gewerblich Tätige sind in den Kreistagen unterrepräsentiert, teilweise kaum noch vorhanden“, meine Damen und Herren. „Das hängt nicht zuletzt mit der – vor allem zeitlichen – Belastung zusammen, die ein Kreistagsmandant mit sich bringt. Kraftvolle Selbstverwaltung ist aber darauf angewiesen, dass Vertreter aus möglichst vielen gesellschaftlichen Gruppen sich zusammenfinden, um im Austausch der Meinungen vor dem Hintergrund unterschiedlicher Kenntnisse und Erfahrungen lebensnahe, die Probleme bewältigende Entscheidungen zu treffen. Es ist vorauszusehen, dass in den neuen Kreisen die Selbstverwaltung sich noch deutlich weiter von kraftvoller Selbstverwaltung entfernen wird.“

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Das ist Ihre persönliche Meinung, ne?! – Zuruf von Torsten Renz, CDU)

Und zur Zumutbarkeit von Ehrenamt sagt das Urteil Folgendes aus: „Die Arbeitslast vieler Kreistagsmitglieder wird beträchtlich höher sein wegen des größeren Zeit

aufwands für die Wege zwischen Wohnung und Sitz der Kreisverwaltung. Dagegen kann nicht eingewandt werden, dies treffe nur auf eine Minderheit zu, da die Mehrheit oder jedenfalls viele Bürger am Kreissitz oder in dessen Nahbereich wohnten. Das ist weitgehend ein Ergebnis der Einkreisung der bisher kreisfreien Städte. Für die Bürger außerhalb der Nahbereiche der künftigen Kreisstädte aber verhält es sich in aller Regel so, dass sie – vielfach deutlich – längere Wege zurückzulegen haben, um zum Kreissitz zu gelangen. Gerade darauf, dass auch Bürger aus den entfernteren Bereichen zumutbar ein Kreistagsmandat wahrnehmen können, kommt es aber an. Sonst wäre nachhaltig in Frage gestellt, dass die Bevölkerung aller Gebietsteile des Kreises sich im Kreistag wiederfände. Es bestünde die Gefahr, dass Probleme der häufig strukturschwächeren Randbereiche nicht genügend in den Blick genommen würden.“

Und, meine Damen und Herren, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, wir sehen mit dem heute hier vorliegenden Gesetzesentwurf diese Argumente nicht entkräftet und sehen im Wesentlichen auch die Deckung des Gerichtsurteils, was wie folgt ausführt – und ich will es dann auch abschließend machen –:

„Zusammenfassend ist fraglich, ob in den Kreisen noch Aufbau der Demokratie von unten nach oben im Sinne von Art. 3 Abs. 2“ unserer Landesverfassung in Mecklenburg-Vorpommern „geleistet werden kann...“, weil „faktisch weite Kreise der Bevölkerung von der Tätigkeit im Kreistag ausgeschlossen“ sein werden und weil „diejenigen“, meine Damen und Herren, „die sie wahrnehmen, die Grundlagen für verantwortliche Entscheidungen nicht verlässlich gewinnen können, weil sie die Gemeinden mit ihren Besonderheiten nur noch schwer im Blick haben können.“

Hinzu kommt, nach all dem, was wir inhaltlich auch im Zusammenhang mit dem Urteil, mit dem damaligen Urteil des Landesverfassungsgerichts überprüft haben, dass wir zu der Feststellung gelangen, dass wir es sehr wohl mit einem durchaus intransparenten und nicht ergebnisoffen geführten Abwägungsverfahren zu tun haben.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Das ist eine Unterstellung, ne?! – Toralf Schnur, FDP: Nein, das ist keine Unterstellung.)

Wir haben lediglich vier Beratungen im Innenausschuss durchgeführt und ich will ausdrücklich sagen, dass wir die Anhörungen nicht mitgezählt haben,

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Aha!)

denn die Anhörungen gehören nach der Geschäftsordnung nicht ursächlich zu den Beratungen im Innenausschuss. Und wir haben,

(Heinz Müller, SPD: Das war aber trotzdem sehr spannend.)

wir haben als FDP-Fraktion dafür,

(Toralf Schnur, FDP: Da haben Sie zum ersten Mal recht.)

wir haben als FDP-Fraktion dafür Sorge getragen, dass zunächst einmal das Gutachten der KGSt und das Gutachten des ifo Instituts als Beratungsgegenstand in den Ausschuss kommen. Sie haben es damals lediglich zur Kenntnisnahme bekommen und konnten uns dann im Rahmen des Innenausschusses nachträglich nach unserer,

(Heinz Müller, SPD: Haben Sie es denn gelesen?)

nach unserer...

(Toralf Schnur, FDP: Auswendig gelernt haben wir es.)

Wir haben es zumindest gelesen, was die Kosten angeht. Darauf komme ich gleich noch mal, lieber Kollege Herr Müller.

(Heinz Müller, SPD: Aha, gut, prima!)

Es hat dann dazu geführt, dass wir uns inhaltlich im Innenausschuss auch in einer Anhörung zu dem Thema beschäftigt haben.

Die Beratungen haben ausschließlich über das heute vorliegende Modell von sechs Kreisen plus zwei kreisfreien Städten stattgefunden, wobei ich an dieser Stelle feststellen will, dass die Landesregierung den Landesteil Vorpommern – und da spreche ich hoffentlich, hoffentlich spreche ich für alle Abgeordneten, die hier für den Landesteil Vorpommern in diesem Plenum sitzen – völlig bei ihren Planungen ausgeklammert hat, denn Vorpommern,

(Heinz Müller, SPD. Oh!)

denn Vorpommern wird zukünftig, meine Damen und Herren, keine eigene kreisfreie Stadt haben.

Und zum KGSt-Gutachten, lieber Kollege Müller, nur noch eines: Genauso, wie beim ersten Reformversuch zwischen 180 Millionen, 160 Millionen Einsparungen damals immer so hin und her schwabbelten, ne,

(Toralf Schnur, FDP: Jetzt sind es ja nur noch 80!)

sind es heute 80 Millionen, also genau, glaube ich, 84,5 Millionen, die in einem Zeitraum von zehn Jahren eingespart werden sollen.

(Toralf Schnur, FDP: Das stimmt auch hinten und vorne nicht.)

Dabei – aus unserer Sicht, muss man ja wieder sagen, aus Sicht der FDP – ist aus unserer Sicht unberücksichtigt geblieben, dass schon die Fusionsrendite für nicht fusionsbedingten Personalabbau bis zum Inkrafttreten des Gesetzes im September 2011 von knapp 20 Millionen Euro abgerechnet werden müssen. Das ist auch in der Anhörung deutlich geworden, sowohl vom Landkreistag als auch vom Städte- und Gemeindetag. Mieten, die sogenannten Mieten, die man dann für frei gezogene Kreissitze einsetzen kann, sind aus unserer Sicht in den Regionen, die infrage kommen könnten, sowohl in Anklam als auch in anderen Regionen, zu hoch angesetzt worden. Auch das ist uns wiederum bestätigt worden.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der FDP – Sebastian Ratjen, FDP: Luftnummer!)

Die steigenden Kosten im Sozialbereich sind überhaupt nicht berücksichtigt worden. Und was aus unserer Sicht,

(Heinz Müller, SPD: Die haben ja auch nichts mit der Kreisgebietsreform zu tun.)

und was aus unserer Sicht …

(Heinz Müller, SPD: Oder steigen die Sozialkosten wegen der Kreisgebietsreform?! Was erzählen Sie da überhaupt für einen Müll?! – Zuruf von Sebastian Ratjen, FDP)

Lauter schreien bringt nichts, lieber Kollege Müller.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Trotzdem hat er recht. – Heinz Müller, SPD: Was haben denn die Sozialkosten mit der Kreisgebietsreform zu tun?! So ein Quatsch! – Sebastian Ratjen, FDP: Herr Müller, brüllen Sie nicht so! – Raimund Frank Borrmann, NPD: Verletzen Sie nicht die Würde dieses Hauses!)

Was noch viel schlimmer ist, ist, dass über 400 Hinweise, 400 gutachterliche Hinweise der Landrätinnen und Landräte keinen Niederschlag bei den Gutachten gefunden haben, also wiederum eine fiktive Zahl, die nicht für ein transparentes und wirklich nachvollziehbares Verfahren dienlich war.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Das ist eine fi ktive Rede, die Sie hier halten, oder? – Zuruf von Raimund Frank Borrmann, NPD)

Aus all diesen Gründen wird es diesmal wohl wieder darauf hinauslaufen, dass unmittelbar nach Beschlussfassung mit einer Mehrheit der heutigen Koalition von SPD und CDU zahlreiche Klagen vor dem Landesverfassungsgericht eingereicht werden. Der Schaden, der Schaden eines erneuten Scheiterns des Reformgesetzes wäre für das Land ebenso wie für das Vertrauen in die Arbeit der Landespolitik nicht mehr geradezurücken. Und aus unserer Sicht haben die Landesregierung und die Koalition es versäumt, die kommunale Ebene mit ins Boot zu nehmen und für sich und für die Reform zu gewinnen, meine Damen und Herren.

Nach allem kommt die FDP-Fraktion zu dem Ergebnis, dass man dem erneuten Reformanlauf dieses Mal eben durch die Große Koalition nicht mit ruhigem und gutem Gewissen zustimmen kann, und deswegen werden wir kraft der FDP-Fraktion heute hier gegen beide Gesetzesentwürfe stimmen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der FDP – Dr. Norbert Nieszery, SPD: Gegen beide?!)

Wir unterstützen die namentlichen Abstimmungen, die durch DIE LINKE gefordert wurden. Wir werden ausdrücklich einen Änderungsantrag der LINKEN unterstützen, nämlich, wenn Sie hier heute die Kraft haben als Koalition, diese beiden Gesetzesentwürfe durchzubringen,

(Heinz Müller, SPD: Haben wir.)

dann wenigstens die Kraft zu besitzen, das Einstiegsdatum auf 2014 zu konzentrieren.

Und abschließend, meine Damen und Herren, muss ich dann eine persönliche Erklärung hier gleichzeitig mit einfließen lassen. Ich bitte das ausdrücklich nicht zu protokollieren als persönliche Erklärung, sondern warum ich einen Änderungsantrag für einen Kreissitz für Bergen auf der Insel Rügen eingebracht habe.

(Torsten Renz, CDU: Das ist interessant. – Zuruf von Dr. Norbert Nieszery, SPD)

Meine Damen und Herren, wenn wir hier in diesem Plenum nicht die Kraft haben, dass wir den einzigen Insellandkreis in der gesamten Bundesrepublik Deutschland nicht so belassen, wie er eben gerade ist mit einem ei genen Kreissitz,

(Vincent Kokert, CDU: Usedom kriegt auch noch einen anderen Landkreis und Hiddensee.)

dann tut mir das alles leid, meine Damen und Herren. – Vielen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der FDP – Zurufe von Heinz Müller, SPD, und Torsten Renz, CDU)

Danke schön, Herr Leonhard.