Protokoll der Sitzung vom 21.10.2015

(Dr. Ursula Karlowski, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Haben Sie meiner Rede denn eigentlich zugehört?)

wir brauchen mehr Veredlung, und Veredlung heißt Wertschöpfung.

Richtig ist aber auch, dass wir Konzentrationen in über- großen Ställen kritisch sehen. Ein Negativbeispiel dafür ist Alt Tellin. Die Diskussion um sozialräumlich verträgliche Lösungen werden wir daher weiterführen. Wenn wir über landwirtschaftliche Strukturen reden, kommen wir nicht an den Betriebsgrößen vorbei. Richtig ist, dass wir in Mecklenburg-Vorpommern im Bundesvergleich sehr große Betriebe haben. Richtig ist aber auch, dass das keine Erfindung und Entwicklung der Neuzeit ist, wir hatten auch vor mehr als hundert Jahren schon sehr große Betriebe. Die Größenordnung hat der Minister hier schon ausgeführt, das kann ich sehr gut weglassen. Heute haben wir 4.725 landwirtschaftliche Betriebe, 3.000 davon sind im Haupterwerb, also eine deutliche Aufsplittung der früheren Strukturen.

Nun kann man ja behaupten, der Staat müsse stärker auf die Strukturen eingehen. Das ist nach Auffassung meiner Fraktion aber zuallererst Sache der Landwirte selbst. Sie agieren als Unternehmer und sie agieren am Markt. Wir als Politik setzen Rahmenbedingungen, die nicht immer auf ungeteilte Freude der Branche treffen, die aber auch zu einer leistungsfähigen Landwirtschaft beigetragen haben. Bedauerlich, aber in anderen Industrie- und Gewerbebereichen ebenso zu beobachten, ist die Entwicklung der Beschäftigtenzahlen. Lagen sie nach der Wende bei 5,5 Arbeitskräften je 100 Hektar, so waren dies 2010 nur noch 1,4 Arbeitskräfte auf 100 Hektar. Das ist ganz klar auch eine Folge der Mechanisierung.

Nun gibt es ja auch in Mecklenburg-Vorpommern die Idee, das Land zum Garten der Metropolen zu entwickeln. Das hat indirekt Frau Dr. Karlowski hier ja auch wieder in ihrer Rede genannt. Ziel wäre es, so habe ich das verstanden, mit einem großflächigen Gemüse-/Obstanbau mehr Arbeit und mehr Wertschöpfung in der Fläche zu generieren.

(Zuruf von Dr. Ursula Karlowski, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das bedeutet ja eben auch eine veränderte Agrarstruktur und dann könnte man das erzeugte Gemüse oder Obst in Berlin, in Hamburg, in den Metropolen absetzen. Das ist eine Vorstellung, das will ich zugestehen, die auf den ersten Blick interessant ist. Aber was heißt das denn in der Praxis? Das heißt, dass wir unsere Märkte, dass die Landwirte ihre Märkte aufgeben und investieren, um ihre Produkte in einen gesättigten Markt abzugeben. Nichts anderes ist das, denn wir haben in Hamburg und Berlin einen gedeckten Bedarf an Obst und Gemüse. Ich habe nicht gelesen, dass da Knappheit an Obst und Gemüse herrscht. Und wir konkurrieren gegen den Gemüse- und Obsthändler, der seit 30 Jahren da auf dem Markt steht, und machen dem Konkurrenz. Das ist schwierig. Dazu kommt noch, dass wir, wenn wir mit unserem Plan erfolgreich sind, vielleicht Gemüsebauern aus SchleswigHolstein oder Niedersachsen kaputt machen.

(Zuruf von Dr. Ursula Karlowski, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ist das unser Ziel? Ich denke, nicht.

Frau Dr. Karlowski, mein Arbeitskreis ist in der letzten Woche in Boddin gewesen, bei Boddinobst. Ich empfehle, einfach mal dahin zu fahren

(Torsten Renz, CDU: Nee, das können Sie denen nicht zumuten.)

und mit den Leuten, mit den Geschäftsführern dort zu reden, um festzustellen, wie die Marktsituation ist. Und Sie werden feststellen, dass die um jeden Cent kämpfen müssen und darum kämpfen müssen, am Markt erfolgreich bestehen zu können.

Und, Frau Dr. Karlowski, wenn Sie dann beispielsweise biosanica anführen und auch mal zu biosanica fahren – da war ich auch –, kann der Geschäftsführer Ihnen genau erklären,

(Zuruf von Torsten Renz, CDU)

warum er so günstig ist und warum er inzwischen eine Marktführerschaft hat. Eben nicht,

(Zuruf von Dr. Ursula Karlowski, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

eben nicht, weil der Geschäftsführer,

(Zuruf von Dr. Ursula Karlowski, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

eben nicht...

Hören Sie doch einfach mal zu!

(Heinz Müller, SPD: Frau Präsidentin, was ist denn hier los?)

Eben nicht, weil der Geschäftsführer darauf setzt, dass er in Hamburg absetzt, sondern darauf setzt, ganz klar, Ware einzukaufen, die möglichst billig ist. Diese Produkte bekommt er vor allem auf dem polnischen Markt. Und die Frage, ob der deutsche Markt interessant wäre, verneint er deshalb, weil die Produktionskosten hier einfach zu hoch sind.

(Dr. Ursula Karlowski, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Und wie analysieren Sie denn die Agrarstruktur von Mecklenburg-Vorpommern?)

Das sollten Sie vielleicht mal mit dem Geschäftsführer dort vor Ort besprechen.

(Zuruf von Dr. Ursula Karlowski, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Betrachten können wir auch die Agrarstruktur nach ökologischer und konventioneller Wirtschaftsweise. Tun wir das, dann nehmen wir zur Kenntnis, dass Mecklenburg-Vorpommern das führende Land im Ökolandbau ist, übrigens weit vor allen Ländern, die beispielsweise grüne Agrarminister haben. Insofern brauchen wir hier keine Belehrung. Knapp 9 Prozent der Landesfläche werden ökologisch bewirtschaftet, im Bundesdurchschnitt sind es 6,3 Prozent.

(Dr. Ursula Karlowski, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Ja, das ist auch immer noch zu wenig.)

Klar ist, Frau Dr. Karlowski, wir wollen hier weiterkommen, das ist unser gemeinsames Ziel. Sie wollen das, wir wollen das. Wir werden weiterhin daran arbeiten und ich begrüße daher ausdrücklich, dass der Minister den Förderrahmen, gerade für den Ökolandbau, deutlich verbessert hat. Ich glaube, darin stimmen wir miteinander überein.

Dann, meine Damen und Herren, gibt es ja immer Oberbegriffe in der Landwirtschaft. Bisher war es die Massentierhaltung, jetzt ist es ganz viel die industrialisierte Landwirtschaft. Deswegen will ich auf diesen Oberbegriff auch mal eingehen, denn auch das ist ja eine Strukturfrage.

Dazu muss man zuerst einmal klären: Was ist Industrie? Industrie zeichnet sich nach Wikipedia dadurch aus, dass ein hoher Grad an Mechanisierung und Automatisierung vorhanden ist. Meine Damen und Herren, wenn dieser Vorwurf darauf gerichtet ist, dass das Futter durch einen Automaten in optimaler Zusammensetzung und zu einem optimalen Zeitpunkt zugeführt wird

(Jochen Schulte, SPD: Das ist McDonald’s.)

oder aber, dass die Kuh selbst entscheiden kann, wann sie zum Melkroboter geht und sich abmelken lässt, dann frage ich: Na und? Was ist daran denn schlimm? Oder geht es darum, dass über Computertechnik Erntemengen und Nährstoffzusammensetzungen im Boden durch Überfahren analysiert werden und dann beim Düngen der Computer einen optimalen Düngereinsatz realisiert? Oder sehen wir Probleme dabei, dass die ersten Maschinen GPSgesteuert autonom über den Acker fahren – heute schon, da ist das autonome Fahren schon Realität – und nur noch der Mensch im Vorgewende die Maschine steuert?

Ja, das ist ein hoher Grad an Mechanisierung und Automatisierung, der sich wahrscheinlich auch nur auf großen Flächen rechnet. Und ja, das kann man auch als Industrialisierung bezeichnen. Aber was an dieser Industrialisierung ist schlimm? Wollen wir etwa die Rückkehr zu einer Landwirtschaft mit Schubkarre und Forke,

(Dr. Ursula Karlowski, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh!)

zu einer Landwirtschaft mit kleinen Betrieben, in denen Wochenende und Urlaub unrealisierbare Träume sind?

(Zuruf von Minister Dr. Till Backhaus)

Wollen wir das wirklich? Ich will es nicht.

(Minister Dr. Till Backhaus: Ab September kann ich hier einen Tipp geben, dass wir das machen.)

Das ist nicht mein Ziel, das ist nicht meine Vorstellung von unserer Landwirtschaft.

(Minister Dr. Till Backhaus: Ab September kann man das machen. – Zuruf von Dr. Ursula Karlowski, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich frage mal: Wer glaubt denn ernsthaft, dass sich genügend junge Menschen in diesem Land finden, die bereit sind, sich auf ein solches Leben einzulassen? Es ist doch heute schon schwierig, für die Landwirtschaft junge Leute zu begeistern.

(Ulrike Berger, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ich dachte, wir hätten das gleiche Ziel, Herr Krüger.)

Das ist heute schon schwer.

Meine Damen und Herren, das heißt nicht, dass meine Fraktion nicht auch Entwicklungen in der Landwirtschaft kritisch sehen würde. Das heißt es überhaupt nicht. Ich möchte nur davor warnen, Oberbegriffe zu definieren und dann die Landwirtschaft pauschal darunterzusetzen und zu verurteilen.

(Heiterkeit und Zuruf von Dr. Ursula Karlowski, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

So einfach ist das Leben eben nicht.

Was sieht meine Fraktion kritisch? Es gab und gibt zu Recht Diskussionen zum Tierschutz. Es kann nicht richtig

sein, dass wir die Tiere an die Anlagen anpassen. Umgekehrt wird ein Schuh daraus. Ich begrüße daher ausdrücklich, dass die Koalition in Berlin auf Bestreben meiner Partei den Passus zur Einführung eines TieranlagenTÜVs in die Koalitionsvereinbarungen mit aufgenommen hat, und hoffe, dass Bundesagrarminister Schmidt nun bald auch belastbare Vorschläge auf den Tisch legt und die auch in die Realität umgesetzt werden. Gleiches gilt im Übrigen für die Düngemittelverordnung. Der Bundesminister muss nun liefern, ein Aussitzen darf es nicht länger geben.

Übrigens, mit der von mir beschriebenen Automatisierung lassen sich eben auch die Düngermengen viel bedarfsgenauer steuern. Ich begrüße daher ausdrücklich, dass unser Agrarminister Till Backhaus mit Vertretern von Umwelt- und Tierschutz sowie Vertretern des Berufsstandes einen Tierschutzplan mit ganz konkreten Zielen erarbeitet hat. Das ist ein Fortschritt und das ist gut so.

Zum Thema Agrarstrukturen gehört auch, dass Ackerpreise sich in den letzten Jahren massiv nach oben entwickelt haben. Das haben meine Kollegen hier auch entsprechend ausgeführt. Richtig ist auch, dass die BVVG zum Anstieg mit beigetragen hat. Sie ist es, davor möchte ich warnen, aber nicht allein, das müssen wir auch zur Kenntnis nehmen.

(Minister Dr. Till Backhaus: Sehr richtig.)