Protokoll der Sitzung vom 21.04.2016

Es gab ganz viele Diskussionen dazu: Was ist dann die Jugendhilfearbeit eines Trägers? Was ist die pädagogische Arbeit? Es gab viele Argumente dafür und dagegen. Wir haben uns immer wieder dagegen entschieden, dem Träger das Votum zu geben. Ich denke, Herr Foerster wird auf die letzte Legislaturperiode eingehen. Ich kann nur auf die eingehen, in der ich Jugendhilfeausschussvorsitzende war.

Gerade „Lea-Sophie“ hat uns alle gemahnt. Ich finde es einfach unerträglich, diese Worte hier zu hören. Niemand, aber auch niemand, der in der Verwaltung oder in den Einrichtungen ist, hat irgendetwas mit Absicht gemacht.

(Michael Andrejewski, NPD: Es ist nie einer schuld, nie.)

Nichtsdestotrotz müssen wir natürlich gucken, wo die Brüche in der Vermittlung sind. Gerade auch der Fall von „Power for Kids“ hat gezeigt, dass es eben unterschätzt wurde. Und – ich habe die ganzen Unterlagen da – mit jedem Träger wird vereinbart, wer anerkannter Träger der Jugendhilfe ist, wer dort arbeitet. Die haben alle ein Führungszeugnis, die machen alle kollegiale Beratung, die machen Supervisionen. Die machen das doch nicht zum Spaß. Ich finde, das müssen wir nach außen tragen, auch wenn wir uns in der Sache streiten.

Die Jugendhilfe braucht vor Ort Unterstützung. Sie leidet natürlich auch unter der Ökonomisierung und den Spar

zwängen. Wenn wir eins aus dem Fall, ich nenne es mal den Fall „Lea-Sophie“, gelernt haben, dann ist doch die Frage: Wenn wir den Sozialpädagogischen Dienst eines jeden Jugendamtes sehen, wie viele Fälle haben denn die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter? Warum gibt es diese Arbeitsverdichtungen? Die gibt es, weil die Fälle immer komplexer werden. Es gibt nämlich nicht die einzige Lösung, wie Sie es meinen und sie immer wieder propagieren. Da muss nämlich genau geguckt werden.

Das, was wir perspektivisch schaffen müssen, ist letztendlich eine Harmonisierung. Das ist Bundesaufgabe des SGB II, III und VIII, auch des SGB XII. Da müssen wir einfach mehr rangehen. Es gibt viele Punkte. Sie sind aber eins nicht, sie sind im Grunde genommen an rechtliche Vorgaben gebunden und stellen den Menschen nicht in den Mittelpunkt. Ich glaube, da brauchen wir perspektivisch in der Rechtsprechung vielleicht ein anderes Denken, in dem der Mensch wieder mehr in den Mittelpunkt kommt. Ich glaube, das ist die Schwierigkeit. Wir sitzen doch hier im Land. Insbesondere die Kolleginnen und Kollegen in den Jugendämtern, die an der Basis, müssen aber diese Gesetze umsetzen.

Ich denke, dass die Rahmenbedingungen wichtig sein werden. Das SGB VIII ist ein Rahmen und der muss möglicherweise in Punkten auch noch mal novelliert werden. Denn wenn ich an die Jugendhilfeausschussmitglieder denke – wir wissen alle, wie die Ausschüsse besetzt sind, Frau Hesse, Sie wissen das auch aus der früheren Arbeit –, dann ist es doch so, dass die Aufgaben, gerade für die ehrenamtlichen Politikerinnen und Politiker, die da sitzen, in den letzten Jahren derartig gewachsen sind, weil sie nämlich Teil der Verwaltung sind.

Hier ist zu überlegen, wie wir perspektivisch Strukturen hinkriegen, sodass auch der Jugendhilfeausschuss tatsächlich auf Augenhöhe mit der Verwaltung ist. Denn dort sind doch die Probleme. Wir haben immer wieder die Haushaltskonsolidierung. Klar haben wir sensibilisiert für den Kinderschutz und natürlich ist es auch toll und gut, dass wir eine Kinderschutzhotline haben, aber wenn da jemand anruft, ist das Kind schon in den Brunnen gefallen. Wir müssen nämlich vorher anfangen! Von daher ist eine Präventionsstrategie wichtig, da ist viel zu tun. Ich denke, auf andere Bereiche, gerade was „Power for Kids“ angeht, wird Herr Foerster eingehen.

Ich möchte jetzt auf das Landesprogramm Kinderschutz, auf die Unterrichtung und auf die Aussprache zu sprechen kommen. Ich denke, das Ziel, was wir alle haben, ist, gute und gleiche Start- und Teilhabechancen für Kinder und Jugendliche zu erreichen und sie zu verbessern. Im Vorwort ist angemerkt, dass das Landesprogramm eben nicht abschließend ist, dass Lücken und Bedarfe fortlaufend überprüft und Synergien angestrebt werden sollen. Da sind wir, glaube ich, alle beieinander.

Wenn ich mich jetzt an die Debatte von gestern Abend erinnere, dann ist natürlich die Frage, wie Kinderschutz definiert wird. Natürlich finde ich das Kinderschutzprogramm aus dem Justizministerium für die Prozessbegleitung für missbrauchte Kinder und Jugendliche toll. Ich würde mir die Rahmenbedingungen für andere Bereiche auch wünschen. Das sind die Ziele, wo ich denke, da muss man punktuell weiterarbeiten. Aber es geht im Grunde genommen darum, dass die Kinder erst gar nicht dahin kommen. Deswegen halte ich beim Kinderschutz die Elternarbeit immer für das ausschließlich Wichtige.

Wir müssen uns Gedanken machen, wie wir die Eltern mitnehmen. Jedes Elternteil liebt sein Kind, das ist einfach so, das ist die Brisanz dabei.

Wir müssen versuchen, Gewaltketten zu durchbrechen. Das Frauenhaus ist schon genannt worden, das ist ein Ansatz. Aber dort gehen die Frauen hin, wenn die Kinder manchmal leider schon über Jahre Gewalterfahrungen sammeln mussten, manchmal auch vom Opfer zum Täter wurden. Das sind die Gewaltketten. Ich denke, da braucht es Stetigkeit. Ich glaube, das ist etwas ganz Wichtiges. Da wünsche ich mir einfach, dass wir ein Stück weit vom Aktionismus wegkommen.

Wie gesagt, mit dem Fall „Lea-Sophie“ kam die Kinderschutzhotline. Dann waren da wieder nicht solche optimalen Rahmenbedingungen für das Kinderschutztelefon, sodass man sagt, okay, wir entscheiden uns jetzt dazu, wir machen das über einen bestimmten Zeitraum. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die dort sind, haben dann eben auch die Möglichkeiten. Sie müssen aber auch die Möglichkeit der Weiterbildung und des Austausches im Sozialraum haben, sie brauchen die Supervisionen für sich und sie brauchen eine gute Fallrelation, klar, und Geld. Das Problem ist das Geld. Aber ich werbe immer wieder dafür: Geld frühzeitig einzusetzen, kostet am Ende weniger. Ich glaube, das ist ein Paradigmenwechsel, dafür müssen wir uns einsetzen.

Aber – und ich denke, das ist auch schon erreicht worden – manchmal ist es so, dass Menschen dann aufwachen, wenn sie selber davon betroffen sind oder in ihrer näheren Umgebung etwas passiert. Es ist bei LeaSophie so gewesen. Dadurch gibt es eine höhere Sensibilität, die Menschen rufen häufiger an. Aber die Frage ist im Grunde genommen: Was ist für das Kind gut? Da gibt es eben noch andere Dinge. Ich würde es nicht immer nur an Gewalt festmachen, sondern was haben denn unsere kleinen Kinder manchmal heute vom Leben? Sind sie vielleicht schon kleine Erwachsene und werden von klein auf konditioniert zu funktionieren?

(Zuruf von Stefan Köster, NPD)

Ich wünschte mir, dass wir dort hinkommen, dass sich Kinder mit guten Erzieherinnen und Erziehern frei entwickeln können. Ich glaube, dass wir gute Erzieherinnen und Erzieher, Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen haben.

Ich möchte auch noch mal auf den Bereich der Armut zu sprechen kommen, über die auf Seite 7 zu lesen ist und die als der größte Risikoverstärker gilt. Ich glaube, wir diskutieren das sehr oft und es ist auch immer die Frage der Sozialberichterstattungen. Ja, sie sind eine Basis weiterzuarbeiten. Aber solange wir die Diskrepanz haben, dass wir ein Landesjugendamt beim KSV haben, wo wir keine Weiterentwicklung haben, zum Beispiel bei einer Unterarbeitsgruppe Kinderschutz, die dann ganz konkrete Handlungsempfehlungen gibt, glaube ich, ist es so eine kleine Mogelpackung, dass man eben sagt, man hat ein Gesetz.

Ich selber denke, das SGB VIII hat im Grunde genommen alles drin. Es muss in Teilen noch mal angepasst werden. Ich überlege oft, ob ein Kinderschutzgesetz die Rahmenbedingungen verbessert. Da bin ich in Teilen ambivalent, das gebe ich auch ehrlich zu, weil ich nicht weiß, was am Ende drinsteht: Haben wir noch mehr

Korsetts des Regelwerks? Wie kann der Mitarbeiter oder die Mitarbeiterin überhaupt vor Ort noch arbeiten, personenzentriert an den Problemen des Kindes, und nicht Statistiken ausfüllen? Da kenne ich selber die Praxis und weiß, dass die Bürokratie in den letzten Jahren so derartig gestiegen ist, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter oft wenig Zeit haben, das, wofür sie eigentlich da sind, zu machen. Ich glaube, das kann ich hier sagen – ich sehe Herrn Mucha, der aus der Praxis kommt, nicken, ich komme auch aus der Praxis und kann das einfach sagen –, dass wir lieber mehr Zeit hätten, auch noch mal mit anderen Kollegen zusammenzuarbeiten, damit eben der Kinderschutz gar nicht notwendig wird.

Aber ich möchte noch auf drei Sachen zu sprechen kommen, und zwar werden wir eine Anhörung zum Schwangerschafts- und Schwangerschaftskonfliktgesetz haben. Da wird es zum Beispiel darum gehen, dass sich die Eigenanteile auf 20 Prozent erhöhen. Ich denke, wenn wir das ernst nehmen, dann müssen wir auch schauen, wie wir die Eigenanteile reduzieren können, denn diese Beratung ist kostenfrei. Auch dafür müssen die Kollegen Zeit haben und nicht die Zeit darauf verwenden, Projekte zu machen, um dann eine Kofinanzierung ihrer Personalkosten hinkriegen zu müssen. Ich hoffe, dass wir das Finanzministerium noch ein Stück weit davon überzeugen können, dass gerade die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in dem Beratungssystem keine Gelder und keine Gebühren für ihre Beratung nehmen. Das ist ein hohes Gut, das dürfen wir nicht verlassen.

Ich möchte als Letztes auf einen Punkt zu sprechen kommen, der doch sehr traurig ist. Es geht darum, dass minderjährige Kinder und Jugendliche, bundesweit 8.000 un- begleitete Minderjährige – das haben die Medien gesagt – verschwunden sind. In Mecklenburg-Vorpommern belief sich ihre Zahl im vergangenen Jahr auf 58. Das ist nachzulesen in der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage meiner Bundestagskollegin Luise Amtsberg. 58 – die Zahl mag im Bundesvergleich gering erscheinen, aber unabhängig von der Anzahl handelt es sich eben um unbegleitete Minderjährige, die besonderer Unterstützung bedürfen und gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention auch einen Anspruch darauf haben.

Insofern ist jedes einzelne Kind oder jeder einzelne Jugendliche mit ungeklärtem Verbleib ein ernst zu nehmender Fall. Vielleicht kann Frau Hesse den Sozialausschuss unterrichten, ob es da neue Erkenntnisse gibt. Bei so viel Bürokratie, die wir haben, ist es unverständlich, dass das dann passiert. Ich denke, auch das ist Kinderschutz, den wir unterstützen. – Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall vonseiten der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und Peter Ritter, DIE LINKE)

Ich werde die letzte Rednerin jetzt enttäuschen müssen, weil mir weitere Wortmeldungen nicht vorliegen. Von daher schließe ich die Aussprache.

Im Rahmen der Debatte ist beantragt worden, die Unterrichtung durch die Landesregierung auf Drucksa- che 6/5268 zur Beratung an den Sozialausschuss zu überweisen. – Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Die Gegenprobe. – Gibt es Stimmenthaltungen? –

(Zuruf aus dem Plenum: Das müssen wir auszählen. – Peter Ritter, DIE LINKE: Können wir das bitte mal auszählen?)

Ist das ein offizieller Antrag? Dann bitte ich die Schriftführer … Ich rufe noch mal auf und die Schriftführer zählen dann.

Wer stimmt also für den Überweisungsvorschlag?

(Heiterkeit bei Barbara Borchardt, DIE LINKE: Braucht ihr jetzt eine Auszeit, oder wie? – Unruhe im Präsidium – Jochen Schulte, SPD: Lasst doch mal euren eigenen Schriftführer in Ruhe!)

Also es ist Aufgabe der Schriftführer, hier auszuzählen. Wenn es da eine Differenz gibt, denke ich, liegt es im Interesse des Parlaments, diese Differenz aufzuklären.

(Schriftführer Johann-Georg Jaeger: Wir haben hier eine Differenz. Schriftführer Thomas Schwarz: Jawohl, wir haben eine Differenz.)

Von daher bitte ich um Verständnis.

(Schriftführer Johann-Georg Jaeger: Wir zählen bitte noch einmal.)

Die Schriftführer bitten noch einmal denjenigen, die Hand zu erheben,

(Zuruf von Barbara Borchardt, DIE LINKE)

der jetzt dieser Überweisung zuzustimmen wünscht.

(allgemeine Unruhe – Torsten Renz, CDU: Jetzt neue Auszeit! – Der Abgeordnete Torsten Renz tritt an das Präsidium heran.)

Herr Renz, es tut mir leid, aber wir sind in der Abstimmung.

(allgemeine Unruhe – Barbara Borchardt, DIE LINKE: Zu spät! Guten Morgen!)

Wir sind in der Abstimmung und in der Abstimmung kann auch keine Auszeit beantragt werden. Die Auszeit kann ich allenfalls nach der Abstimmung zulassen.

(allgemeine Unruhe)

So, wir haben jetzt gezählt. Ich würde sagen, diejenigen, die der Überweisung zuzustimmen wünschen, können jetzt die Hände wieder runternehmen. Ich rufe jetzt diejenigen auf, die dagegen stimmen, die bitte ich jetzt um ein Handzeichen. –

(Silke Gajek, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Ihr könnt den Arm runternehmen, das zählt nicht doppelt!)

Gibt es Stimmenthaltungen? – Das ist nicht der Fall, damit ist der Überweisungsvorschlag mit den Stimmen der Fraktionen DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und NPD, bei Gegenstimmen der Fraktionen von SPD und CDU angenommen.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE – Dr. Ursula Karlowski, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Juchhu!)

Also, meine Damen und Herren, auch in diesem Fall bitte ich, von Jubel und Ähnlichem abzusehen. Ich habe das Abstimmungsverhalten verkündet. Wir sind hier im Parlament und nicht …, na gut, ich verkneife mir zu sagen, wo wir denn eben nicht sind.

Ich frage die Fraktion der CDU, ob sie noch eine Auszeit nehmen will oder ob sich dieser Antrag erledigt hat.

(Zuruf von Torsten Renz, CDU)

Ich frage jetzt nach der Auszeit.

(Torsten Renz, CDU: Nein.)