Protokoll der Sitzung vom 21.04.2016

(Torsten Renz, CDU: Nein.)

Keine Auszeit. Wir fahren also in der Tagesordnung fort.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 32: Aussprache gemäß § 43 Ziffer 2 der Geschäftsordnung des Landtages zum Thema „Gute Arbeit braucht eine stärkere Regulierung von Leiharbeit und Werkverträgen“.

Aussprache gemäß § 43 Ziffer 2 GO LT zum Thema Gute Arbeit braucht eine stärkere Regulierung von Leiharbeit und Werkverträgen

Im Ältestenrat ist eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 60 Minuten vereinbart worden. Ich sehe und höre dazu keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Das Wort hat für die Fraktion DIE LINKE der Abgeordnete Herr Foerster.

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wer früher etwas von einem Werkvertrag hörte, der dachte an den Handwerker, der die heimische Mischbatterie wechselt, oder an den Freiberufler, der im Auftrag der Verwaltung eine Studie erstellt. Reden wir heute über Werkverträge, dann denken wir häufig an andere Dinge, zum Beispiel an die mehr als hundert griechischen Kollegen, die in Stahlcontainern in Lubmin und in verschimmelten Räumen in Groß Stieten im August 2014 ohne Lohn und Verpflegung zurückgelassen wurden,

(Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ja.)

nachdem sie zuvor zehn bis vierzehn Stunden täglich auf dem Gelände der Nordic-Yards-Werft in Rostock verbracht hatten. Dank des engagierten Eingreifens der Kollegen vom DGB Nord, vom Jobcenter, vom Landratsamt und auch von einzelnen Abgeordneten meiner Fraktion konnte seinerzeit schnelle und effektive Hilfe organisiert werden.

Doch was ist seitdem passiert? Die Antwort hat sechs Buchstaben und heißt „nichts“. Eigene Aktivitäten, wie den von Linksfraktion und IG Metall seinerzeit geforderten Runden Tisch „Werkverträge“, lehnte die Landesregierung ab. Frau Ministerin Hesse verwies stattdessen auf den für 2015 geplanten Gesetzentwurf ihrer Parteifreundin Andrea Nahles und hoffte darauf, dass auch der

Gesetzentwurf des Bundesrates in die Beratungen miteinbezogen wird. Mittlerweile ist es bekanntlich April 2016 und das angesprochene Gesetz ist nach wie vor nicht verabschiedet. Bereits der erste Entwurf scheiterte am Widerstand von CDU und CSU und auch der aktuelle Entwurf hat es schwer, als Gesetz das Licht der Welt zu erblicken.

Selbst wenn es noch klappen sollte, wird das Gesetz den Ansprüchen an eine echte Regulierung wohl kaum gerecht, denn Schritt für Schritt arbeitet insbesondere die CSU gemeinsam mit der Arbeitgeberlobby daran, den Gesetzentwurf immer weiter zu verwässern. Dagegen sind am 9. April mehrere Tausend Gewerkschafter in München unter dem Motto „Wir lassen uns nicht spalten!“ auf die Straße gegangen.

Darüber hinaus gibt es aber noch wesentlich pikantere Entwicklungen. Auf eine solche verwies mein Parteikollege Klaus Ernst in einer Pressemitteilung aus dem Februar 2016. Demnach erhielt die CSU im Dezember 2015 circa 358.000 Euro als Parteispende von der Bayerischen Metall- und Elektroindustrie. Anfang 2016 forderte sie dann den Verzicht auf Neuregelungen im Bereich Leiharbeit und Werkverträge. Die Arbeitgeber begrüßten diese Haltung, woraufhin die CSU im Februar 2016 auch den überarbeiteten Regierungsentwurf ablehnte, obwohl dieser bereits abgeschwächt daherkam und eine deutliche Annäherung an Arbeitgeberforderungen zeigte. Angesichts solcher Vorgänge muss man sich nicht darüber wundern, dass Politiker in der Bevölkerung regelmäßig am schlechtesten abschneiden, wenn das Vertrauen zu bestimmten Professionen abgefragt wird.

Eine Regulierung in den Bereichen Leiharbeit und Werkverträge wäre allerdings enorm wichtig. In zwei von drei Betrieben werden Arbeiten mittlerweile über Werkverträge fremdvergeben. Ziel ist nichts anderes, als errungene Standards zu unterlaufen, niedrige Löhne zu zahlen und Arbeitszeiten zu erhöhen. Wenn der Missbrauch also nicht endlich gestoppt wird, bedeutet das in Zukunft noch mehr Scheinselbstständigkeit, noch mehr Arbeit ohne Sozialversicherung und ordentliche Tarifverträge.

Im Gesundheitsbereich haben die großen privaten Klinikbetreiber Werkverträge für sich entdeckt und reihenweise konzerneigene Kleinstbetriebe für den Transport von Patienten, für die Essensanlieferung oder auch für die Reinigung geschaffen. Auf den Knochen der Beschäftigten und der Patienten werden hier hemmungslos die Profite gesteigert. Ähnliche Praktiken erleben wir in der Logistik, bei den Postdienstleistern, an den Flughäfen oder auch in der Fleischindustrie, wo Kollegen aus Rumänien oder Bulgarien angeworben werden, dann erst ihre teuren Vermittler bezahlen müssen und zum Schluss zu miserablen Stundenlöhnen schuften.

Es geht also hier nicht um die Werkverträge des Alltagslebens, bei denen Privatpersonen oder Firmen gelegentlich eine fremde Leistung in Anspruch nehmen, zum Beispiel Handwerksarbeiten, sondern um Werkverträge, bei denen Aufgaben des eigenen Geschäftsbereichs dauerhaft mit dem Ziel an Drittfirmen abgegeben werden, die Beschäftigten deutlich unter Tarifniveau zu entlohnen und die Mitbestimmungsrechte der Betriebsräte auszuhebeln, und es geht um Scheinwerkverträge, bei denen es sich eigentlich um Arbeitnehmerüberlassungen handelt und mit denen die Regulierungen für Arbeitnehmerüberlassungen unterlaufen werden sollen.

Um den Missbrauch in diesem Bereich effektiv zurückzudrängen, bräuchte es nach unserer Auffassung vor allem eine Stärkung der Rechte von Betriebsräten, klare Abgrenzungskriterien zwischen Werkverträgen und illegaler Arbeitnehmerüberlassung, die Umkehr der Beweislast vom Arbeitnehmer zum Arbeitgeber und ein Verbandsklagerecht für die Gewerkschaften.

Mit den im Regierungsentwurf geplanten Änderungen werden zwar die Informationsrechte der Betriebsräte konkretisiert, von wirklicher Mitbestimmung kann jedoch keine Rede sein, denn in Paragraf 80 wird lediglich festgeschrieben, dass der Arbeitgeber des Entleihbetriebes den dortigen Betriebsrat über die Dauer des Einsatzes, den Einsatzort und die Arbeitsaufgaben der eingesetzten Personen informieren muss.

Unzureichend ist auch die Möglichkeit, das Unterlassen dieser Informationspflichten zu sanktionieren. Aus unserer Sicht wäre es effektiv, wenn Verstöße gegen die Unterrichtungspflichten zur Unzulässigkeit des Fremd- personaleinsatzes führen würden. Dann bräuchte man natürlich auch einen Unterlassungsanspruch für den Betriebsrat, damit dieser mittels einstweiliger Verfügung entsprechend agieren kann.

Problematisch ist auch die fehlende Einbeziehung von Werkvertragsarbeitnehmern in die Regelungen zu personellen Einzelmaßnahmen. Der Regierungsentwurf ignoriert, wie Werkverträge als personal- und beschäftigungspolitisches Instrument verwendet werden, um im Betrieb dauerhaft bestehende Aufgaben zu erledigen. Obwohl die Schutzbedürfnisse hier denen der Stammbelegschaft oder denen von Leiharbeitern vergleichbar sind, wird es auch in Zukunft kein Zustimmungsverweigerungsrecht für die Betriebsräte geben.

Auch die Umkehr der Beweislast sucht man im Regierungsentwurf vergeblich. Nach gegenwärtiger Rechtslage müssen Werkvertragsarbeitnehmer nämlich selbst nachweisen, dass es sich bei ihrer Beschäftigung eigentlich um Leiharbeit handelt. Dies ist aufgrund des strukturellen Informationsdefizits nicht zuzumuten. Daher müsste eine effektive Regelung darauf zielen, konkrete Abgrenzungskriterien zu definieren. Vier könnten es sein: Wird eine Tätigkeit auf Weisung von Beschäftigten des Auftraggebers ausgeführt, werden Werkvertragsbeschäftigte in organisatorische Abläufe des Auftraggebers einbezogen, machen sie die gleiche Arbeit wie Stammbeschäftigte und nutzen sie dafür Materialien und Werkzeuge des Auftraggebers, dann haben sie keine volle Autonomie über die Erstellung ihres Werkes. Wenn ein Beschäftigter das in einem Gerichtsverfahren in mindestens zwei der genannten Punkte nachweisen kann, dann sollte die Beweislast auf den Arbeitgeber übergehen.

Neben dem Missbrauch von Werkverträgen sollte der Gesetzentwurf auch eine Weiterentwicklung im Bereich der Leiharbeit mit sich bringen, die bundesweit weiter auf dem Vormarsch ist. 910.000 Menschen waren im Juni 2015 bei einem der bundesweit 17.400 Verleihbetriebe beschäftigt. Das sind 13 Prozent mehr als im Vorjahr.

Zwar stellt Leiharbeit nach Auffassung der Bundesagentur mitunter eine Beschäftigungsperspektive für Arbeitslose, von Arbeitslosigkeit bedrohte Arbeitnehmer, Berufseinsteiger oder Berufsrückkehrer dar, jedoch bietet sie keine langfristige Perspektive. Die häufig sehr kurze

Dauer von Leiharbeitsverhältnissen deutet eher darauf hin, dass Verleiher ihren Personalbestand möglichst elastisch ihrer Auftragslage anpassen. Deshalb braucht gute Arbeit tatsächlich auch eine stärkere Regulierung von Leiharbeit.

Für meine Fraktion bedeutet das unter anderem, dass diese wieder auf ihre Kernfunktion zurückgeführt wird, und das war mal die Bearbeitung von Auftragsspitzen. Das könnte man zum Beispiel tun durch die Festlegung einer dreimonatigen Höchstüberlassungsdauer und mit der Umsetzung des Prinzips „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ ab dem ersten Tag. Zudem sollte ausgeschlossen werden, dass Leiharbeiter im Rahmen von Streiks, wie zuletzt 2015 bei der Post geschehen, als Streikbrecher zum Einsatz kommen.

Wenn ich mir nun den Gesetzentwurf der Regierung unter diesen Aspekten anschaue, dann muss ich ihn mit Ernüchterung zur Kenntnis nehmen, denn die vorgeschlagenen Änderungen enthalten an keiner Stelle eine Regelung, die dazu dient, den Einsatz von Leiharbeitnehmern in den Einsatzbetrieben als bedarfsorientiertes, zeitlich begrenztes Instrument zur Flexibilisierung festzuschreiben. Vor allem die Länge der Höchstüberlassungsdauer von 18 Monaten ist völlig willkürlich gesetzt und arbeitsmarkt- sowie beschäftigungspolitisch kontraproduktiv,

(Torsten Renz, CDU: Was schlagen Sie vor an der Stelle?)

da nach Ermittlungen des IAB lediglich 13,8 Prozent der Leiharbeitsverhältnisse länger als 18 Monate dauern.

(Torsten Renz, CDU: Was schlagen Sie vor?)

Habe ich Ihnen gesagt:

(Torsten Renz, CDU: Sagen Sie es noch mal!)

Höchstüberlassungsdauer drei Monate.

Hinzu kommt, dass die Tarifvertragsparteien der Entleiherbranche auch noch eine höhere, maximal 24 Monate dauernde Höchstüberlassungsdauer festlegen können.

Nicht viel besser ist es im Bereich Equal Pay. Die 11.000 Leiharbeiter hierzulande verdienten zuletzt rund 30 Prozent weniger als ihre fest angestellten Kollegen. Lag der Monatsverdienst eines Vollzeitbeschäftigten Ende 2013 im Mittel bei 2.138 Euro, so erhielt ein ebenfalls vollzeitbeschäftigter Leiharbeiter nur 1.474 Euro. Der DGB geht wohl nicht zu Unrecht davon aus, dass der größte Teil der Differenz auf Lohndrückerei zurückzuführen ist.

Dem Regierungsentwurf folgend soll Leiharbeitern künftig nach 9 Monaten das gleiche Entgelt zustehen wie den Stammbeschäftigten. Durch Tarifvertrag kann auf bis zu 15 Monate abgewichen werden. Auch hier: Ein Viertel der Leiharbeitsverhältnisse dauert jedoch überhaupt nur 9 Monate. Zudem kann der Verleiher den Leiharbeitnehmer jederzeit auswechseln und mit der Beendigung des Leiharbeitsverhältnisses vor Ablauf der 9 Monate die Regelung aushebeln.

Auch die Regelung, mit der ausgeschlossen werden sollte, dass Leiharbeitnehmer als Streikbrecher zum

Einsatz kommen können, bleibt hinter den Erwartungen zurück. Zum einen lässt sie weiterhin den Einsatz von Streikbrechern auf werk- oder dienstvertraglicher Grundlage zu, zum anderen kommt sie nur dann zum Tragen, wenn der Entleihbetrieb unmittelbar von Arbeitskampfmaßnahmen betroffen ist. Bei nur mittelbarer Betroffenheit, zum Beispiel bei Streiks in der Zulieferindustrie, ist der Einsatz von Leiharbeitern weiter möglich.

Unterm Strich bleibt also wenig Substanzielles übrig. Die Arbeitgeberlobby kann sich auf CDU und CSU verlassen und die Arbeitsministerin der SPD hat in vielen Punkten bereits nachgegeben. Somit wird uns das Thema erhalten bleiben und neuerliche Skandale, wie die einleitend beschriebenen, sind leider zu erwarten. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

Das Wort hat jetzt die Ministerin für Arbeit, Gleichstellung und Soziales Frau Hesse.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bei den Stichwörtern „Werkverträge“ und „Leiharbeit“ schwingt für den einen oder anderen immer gleich das Wort „Missbrauch“ mit, dabei sind beide, Leiharbeit wie Werkverträge, prinzipiell legitime Mittel unternehmerischer Gestaltung und erhöhen die Flexibilität von Betrieben.

(Regine Lück, DIE LINKE: Aber nur für Spitzenzeiten ist das mal ins Leben gerufen worden.)

Erst solche Unternehmen, die etwa Verträge konstruiert haben, die eine verdeckte Arbeitnehmerüberlassung dar- stellen, machen aus diesem legitimen Mittel üble Trickserei. Diese Trickserei müssen diejenigen ausbaden, die mit einem entsprechenden Vertrag arbeiten oder deren Job dadurch verdrängt wird. Dagegen müssen wir uns wehren und der Titel dieser Aussprache weist da auch gleich in die richtige Richtung. Wir brauchen mehr Regulierung, damit es weniger Schlupflöcher gibt. Das Thema hat uns hier im Plenum schon mehrfach beschäftigt und ich habe an dieser Stelle bereits betont, dass eine wirkungsvolle und treffsichere Regulierung nur vom Bund ausgehen kann.

Die Bundesregierung hat den Handlungsbedarf auch erkannt und in ihrem Koalitionsvertrag festgehalten. So hat die Bundesministerin Ende vergangenen Jahres eine Novelle des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes vorgelegt. Eine überarbeitete Fassung dieses Entwurfs gibt es seit Februar, wohlgemerkt eine, zu der sogar die Wirtschaftsverbände Zustimmung signalisiert hatten. Das Kabinett hat sich aber bis heute nicht mit diesem Entwurf befasst.

Bremsklotz ist – Herr Foerster hat es bereits genannt – nicht die CDU, sondern die CSU, der ein besserer Schutz der Beschäftigten anscheinend nicht so wichtig ist, genauso wenig wie das Einhalten des Koalitionsvertrages. Ich habe wenig Verständnis für eine solche Verzögerungstaktik und ich bin mir sicher, die Betroffenen haben es noch weniger.

Ich betone es an dieser Stelle gerne: Andrea Nahles hat geliefert. Verbesserungen sind also greifbar und wer jetzt

untätig die Hände hebt, verspielt Vertrauen. Immerhin ist nach dem jüngsten Berliner Koalitionsgipfel sicher, dass die Arbeitsministerin ihren Entwurf den anderen Ressorts zuleiten darf. Das ist mittlerweile geschehen und wir werden uns mit dem Gesetzentwurf auch auseinandersetzen.

Meine Damen und Herren, ich bin froh, dass wir hier in Mecklenburg-Vorpommern anders mit unseren Verabredungen im Koalitionsvertrag umgehen. Diese Regierung setzt um, wozu sie sich verpflichtet hat. Wer zuverlässige Politik machen will, darf Eitelkeiten nicht über Kompromissfähigkeit siegen lassen. Je schneller sich Berlin also mit dem Gesetzentwurf aus dem BMAS befasst, desto besser, auch für uns in Mecklenburg-Vorpommern. Schließlich wäre dieses neue Arbeitnehmerüberlassungsgesetz eine stabile Basis, um auch hier beispielsweise die Zusammenarbeit von der Finanzkontrolle Schwarzarbeit, dem Arbeitsschutz und anderen Beteiligten weiter zu verbessern und entsprechende Vollzugsaufgaben stringent durchzusetzen. Dann kommen wir vielleicht auch dahin, die Instrumente Leiharbeit und Werkverträge vom Generalverdacht des Missbrauchs zu befreien. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD und CDU)

Vielen Dank, Frau Ministerin.

Das Wort hat für die Fraktion der CDU der Abgeordnete Herr Renz.