Protokoll der Sitzung vom 09.06.2016

Ich trage jetzt vor! Sie haben ja noch Redezeit und können dann darauf reagieren!

(Egbert Liskow, CDU: Aha!)

… es liegt die Vermutung nahe, dass es unterschiedliche Zahlen gibt und dass man nicht wollte,

(Heinz Müller, SPD: Das war spekulativ, ne?!)

dass jemand die Zahlen eventuell noch anders interpretiert.

Na ja, anders kann man es doch gar nicht deuten, wenn ein Anzuhörender nicht vortragen darf. Das ist sehr seltsam. Wir halten das nicht nur für eigenartig, sondern es ist angeraten, das noch mal rechtlich zu prüfen. Das muss die Volksinitiative entscheiden, wie sie damit umgehen möchte.

Nun etwas zu den Gründen für die Ablehnung der Beschlussempfehlung in der Sache. Da haben wir drei Gründe, die wir hier heute vortragen möchten.

Erstens. Der Beschlussempfehlung ist die Fehlannahme unterlegt, dass Fallzahlverluste in den Abteilungen einen sinkenden Bedarf anzeigen. Es ist eine eindimensionale Betrachtung zu sagen, wenn wir weniger Fallzahlen im Haus haben,

(Zurufe von Egbert Liskow, CDU, und Dr. Mignon Schwenke, DIE LINKE)

dann gibt es am Krankenhaus und in der Region weniger Bedarf. Das ist doch nicht so. Was bedarfsgerecht ist, hat erfreulicherweise vor einigen Jahren der Sachverständigenrat Gesundheit definiert, der sagt, es gibt eine ganze Reihe von Kriterien, die bei der Definition von Bedarfsgerechtigkeit herangezogen werden müssen,

(Zuruf von Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

zum Beispiel die demografische Entwicklung, die Morbiditätsentwicklung insgesamt, dann die Fallzahlen, aber auch regionale Besonderheiten, womit wir wieder bei der Betrachtung, es handelt sich um ein Tourismusgebiet, wären.

Festzustellen ist, dass hier eindimensional gedacht wird, und festzustellen ist, wenn man sich über Zahlen unterhalten möchte, dass in der Region um Wolgast die Zahl der Kinder bis sechs Jahren seit 2001 tendenziell steigt. Das ist unwidersprochen, das steht auch in den Unterlagen, die wir alle, Frau Tegtmeier, gelesen haben. Wenn gleichzeitig in der Kinderheilkunde die Fallzahlen zurückgehen, muss es dafür spezielle Gründe geben. Die sind ausdeutbar, aber interessanterweise in der Anhörung dann offenkundig geworden, nämlich dass einzelne Patientinnen und Patienten, Kinder an dem Krankenhaus Wolgast gezielt vorbeigeleitet wurden. Durch gezielte Entscheidungen sind die Fallzahlen verringert worden, um anschließend zu erklären, es gäbe keinen ausreichenden Bedarf. Ich halte das für eine Form der Manipulation, wenn man so rangeht.

(Egbert Liskow, CDU: Was?)

Warum macht man das? Warum macht man das?

(Heinz Müller, SPD: Wer hat denn das gemacht? Wer ist „man“? – Zuruf von Julian Barlen, SPD)

Ja, Dr. Wygold ist identifiziert worden in der Anhörung.

(Heinz Müller, SPD: Dann nennen Sie doch Ross und Reiter!)

Wenn Sie das Protokoll gehabt hätten,

(Zuruf von Julian Barlen, SPD)

wenn Sie das Protokoll gehabt hätten, Herr Müller, hätten Sie das gewiss nachgelesen.

(Heinz Müller, SPD: Deswegen frage ich ja Sie.)

Warum macht man das also? Weil es hierfür Gründe gibt, Herr Müller.

(Zuruf von Egbert Liskow, CDU)

Und welche Gründe sind dies? Wirtschaftliche,

(Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ja, nur wirtschaftliche.)

wirtschaftliche Gründe sind das.

(Zuruf von Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es gibt eben Bereiche, die ökonomisch lukrativer sind als die geschlossenen Fachabteilungen.

(Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das war die erste Begründung.)

Bedenkt man dies und schaut zugleich nach Greifswald mit einer dortigen überdimensionierten Grund- und Regelversorgung, liegt die Vermutung nahe, dass der Antrag auf Schließung der Fachabteilungen langfristig vorbereitet wurde.

Zweitens. Die Beschlussempfehlung sanktioniert erstmals in der Geschichte – das hat hier schon mal eine Rolle gespielt, weil dankenswerterweise dazu Anträge gestellt wurden und wir uns darüber schon austauschen konnten – der Krankenhausplanung ein Unterlaufen des Prinzips der wohnortnahen Versorgung. Aus guten Gründen gab es bislang immer die Übereinkunft, dass über die Landeskrankenhausplanung auch abgesichert wird, dass die Versorgung in den Radien zwischen 30 und 50 Kilometern zu sichern ist. Wir haben vorher zwischen Peenemünde und Wolgast 20 Kilometer gehabt, in etwa 33 Minuten Fahrtzeit, nunmehr mit Peenemünde–Greifswald 54 Kilometer mit einer Stunde und 10 Minuten.

(Beate Schlupp, CDU: Wie ist es denn mit Penkun und Pasewalk?)

Statt Heringsdorf–Wolgast mit 32 Kilometern und bislang 40 Minuten, nun Heringsdorf–Greifswald 70 Kilometer, eine Stunde und 16 Minuten. Längere Wege, etwa in der Geburtshilfe, können nach Expertenangaben – da will ich sagen, dass mich die Stellungnahme

von Mother Hood e. V. schon sehr beeindruckt hat, die haben das deutlich gemacht –, insbesondere wenn der Anfahrtsweg länger als eine Stunde wäre, zu nicht beherrschbaren Notfällen führen und bringen zusätzliche soziale Belastungen für die Schwangeren mit sich. In der Anhörung ist darüber gesprochen worden, dass Rettungshubschrauber in Notfällen die längeren Wege kompensieren könnten. Für Schwangere und die Babys scheidet diese Alternative aus, weil die Stöße der Helikopter ein zusätzliches Gesundheitsrisiko darstellen.

(Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

Abgesehen davon erhöhen Hubschraubereinsätze die Kosten der Behandlung im Vergleich zur regulären Krankenhausaufnahme. Der Einsatz eines Rettungshubschraubers kostet pro Minute 60 Euro.

Eine derartige Veränderung der Versorgungsorte und der Versorgungsmittel führt zu der paradoxen Situation, dass durch die Schließung der beiden Fachabteilungen in Wolgast dort das Betriebsergebnis möglicherweise besser wird, sich die Kosten volkswirtschaftlich jedoch erhöhen, also in toto die Versicherten wieder diejenigen sein werden, die die Mehrkosten zu zahlen haben.

(Beate Schlupp, CDU: Wer hat denn das ausgerechnet?)

Das lässt sich anhand der Fallzahlen erkennen. Das haben wir jetzt nicht bis hinters Komma ausgerechnet, das lässt sich aber aus der Logik der Argumentation er- schließen.

(Beate Schlupp, CDU: Nein, das ist nicht richtig.)

Wenn Sie das nicht nachvollziehen können, tut mir das für Sie persönlich sehr leid.

(Zuruf von Beate Schlupp, CDU)

Dieser Gedanke führt also zu einer ökonomischen Analyse der getroffenen Entscheidungen, die Fachabteilungen zu schließen.

Drittens. Der Beschlussempfehlung ist die falsche Behauptung unterlegt, die Kinderheilkunde und die Geburtenstation wären ursächlich für die Defizite am Krankenhausstandort Wolgast verantwortlich. Das ist ausdrücklich nicht so. Wir haben dankenswerterweise ein sehr aussagekräftiges Gutachten an die Hand bekommen, vorgelegt von ver.di – ein Gutachten des Instituts für betriebswirtschaftliche und arbeitsorientierte Beratung GmbH vom 8. Juni 2015.

(Julian Barlen, SPD: Wobei feststeht, dass es so auf keinen Fall weitergehen kann.)

Da sind aber auch Lösungsvorschläge drin, Herr Barlen, wie Sie wissen.

Die Ergebnisverschlechterung hat nach Aussage dieses Gutachtens drei Gründe. Das sind nicht die geschlossenen Abteilungen, sondern rückläufige Bewertungsrelationen. Es gab also systembedingt, im Gesundheitssystem bedingt, für gleiche Leistungen weniger Erlöse. Weiterhin ist festgestellt worden, dass die Sachkosten konstant sind, dass also eine gleichbleibende Kostenstruktur besteht. Das Dritte – und das ist das Spannende an der

Sache – ist, dass die Personalkostensteigerung wegen des Personalaufbaus der Grund war, warum es hauptsächlich zu den Defiziten gekommen ist, hier quantifiziert mit 1,1 Millionen Euro. Das ist nachvollziehbar, weil man sich entschlossen hat, die Geriatrie aufzubauen. Das ist alles in Ordnung. Das ist kein Argument gegen die Geriatrie, es ist nur die Feststellung, dass, wenn ich sie aufbaue und vor der Zeit dann auch den Personalaufbau vollziehe, es doch klar ist, dass das Betriebsergebnis ein anderes ist als vordem.

Sehr geehrte Damen und Herren, allein diese drei falschen Grundannahmen belegen, dass die Beschlussempfehlung auch gänzlich anders hätte ausfallen können, also zugunsten der Volksinitiative. Der Präsident der Ärztekammer, der vorhin schon mal Erwähnung fand,

(Julian Barlen, SPD: Sie meinen den, der seinen eigenen Leuten in den Rücken fällt?!)