eine Politik für das eigene Volk, und deshalb sollten wir die Fremden unverzüglich in die Heimat zurückschicken. – Vielen Dank.
(Stefan Köster, NPD: Die Australier wollen die Boote sogar versenken, die Schiffe versenken. – Thomas Krüger, SPD: Es hört Ihnen keiner mehr zu, Herr Köster. – Zuruf von Michael Andrejewski, NPD)
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Entwurf eines Gesetzes zur Einstufung der Demokratischen Volksrepublik Algerien, des Königreiches Marokko und der Tunesischen Republik als sichere Herkunftsstaaten genügt nicht den Anforderungen, die nach unserer Verfassung und dem Recht der Europäischen Union an die Einstufung eines Staates als sicherer Herkunftsstaat zu richten sind.
Gemäß Artikel 16a Absatz 3 Satz 1 Grundgesetz kann als sicherer Herkunftsstaat ein Staat bestimmt werden, bei dem aufgrund der Rechtslage, der Rechtsanwendung und der allgemeinen politischen Verhältnisse gewährleistet erscheint, dass dort weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfinden. Nach Anhang 1 zur EU-Verfahrens- richtlinie gilt ein Staat als sicherer Herkunftsstaat, wenn sich anhand der dortigen Rechtslage, der Anwendung der Rechtsvorschriften in einem demokratischen System und der allgemeinen politischen Lage nachweisen lässt,
dass dort generell und durchgängig weder Verfolgung noch Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe, noch Bedrohung infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts zu befürchten sind.
Sowohl nach Verfassungs- als auch nach Europarecht sind damit nicht nur die innerstaatlichen Gesetze in den
Blick zu nehmen, sondern insbesondere auch die Anwendung dieser Gesetze in der Praxis vor dem Hintergrund der allgemeinen politischen Situation in dem jeweiligen Staat. Von Bedeutung dabei sind demokratische Strukturen, Mehrparteiensystem, freie Betätigungsmöglichkeit für eine Opposition, Religionsfreiheit, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit, Meinungs- und Pressefreiheit sowie Unabhängigkeit der Gerichte. Wird in einem Staat regionale Verfolgung ausgeübt, steht dies seiner Einstufung als sicherer Herkunftsstaat zwingend entgegen, denn nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist die dort allgemein herrschende Situation entscheidend. Ist eine, wenn auch nur regionale politische Verfolgung feststellbar, so ist nicht gewährleistet, dass in diesem Staat allgemein keine politische Verfolgung stattfindet, worauf Artikel 16a Absatz 3 Grundgesetz abstellt. Sicherheit vor politischer Verfolgung muss daher landesweit bestehen.
Ebenso wenig darf der Gesetzgeber einen Staat, in dem nur Angehörige einer bestimmten Minderheit, nicht hingegen andere, dieser Minderheit nicht angehörende Personen verfolgt oder misshandelt werden, für sicher erklären. Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts würde eine derart eingegrenzte Feststellung des Fehlens politischer Verfolgung Inhalt und Funktion der Herkunftsstaatenregelung widersprechen. Artikel 16a Absatz 3 Grundgesetz ist darauf gerichtet, für bestimmte Staaten im Wege einer vorweggenommenen generellen Prüfung durch den Gesetzgeber feststellen zu lassen, dass in ihnen allgemein keine politische Verfolgung stattfindet und deshalb die Vermutung der offensichtlichen Unbegründetheit individueller Asylbegehren aufgestellt werden kann.
„Dieses Konzept gerät … schon“ dann „ins Wanken“, und hier zitiere ich das Bundesverfassungsgericht, „wenn ein Staat bei genereller Betrachtung überhaupt zu politischer Verfolgung greift, sei diese auch (zur Zeit) auf eine oder einige Personen- oder Bevölkerungsgruppen begrenzt. Tut er dies, erscheint auch für die übrige Bevölkerung nicht mehr generell gewährleistet, daß sie nicht auch Opfer asylrechtlich erheblicher Maßnahmen wird.“ Zitatende.
Nach diesen Maßstäben ist Algerien kein sicherer Herkunftsstaat. Oppositionelle Betätigung zieht in Algerien nach Berichten internationaler nicht staatlicher Organisationen Verfolgung nach sich.
Das gilt für Personen, die an Demonstrationen teilnehmen, Menschenrechtsverteidiger, Anwälte, Mitglieder von Nichtregierungsorganisationen und kritische Journalistinnen und Journalisten. So berichtet Amnesty International unter anderem über das Verfahren gegen das führende Mitglied der algerischen Liga zur Verteidigung der Menschenrechte, das am 2. Oktober 2015 unter dem Vorwurf festgenommen wurde, eine öffentliche Institution beleidigt und zum gewalttätigen Aufstand angestiftet zu haben. Nichtregierungsorganisationen müssen sich in einem aufwendigen Verfahren beim algerischen Innenministerium registrieren lassen. Die Registrierung wird aber häufig verschleppt und verweigert
und Mitglieder derartiger Organisationen werden anschließend wegen illegaler Aktivitäten festgenommen
Die Beleidung staatlicher Institutionen ist genauso Strafe wert wie die des Propheten. Kritische Journalisten werden auf dieser Grundlage zu Freiheitsstrafen verurteilt. Einvernehmliche homosexuelle Handlungen unter erwachsenen Männern sind verboten und werden strafrechtlich verfolgt. Der zivilgesellschaftliche Einsatz für die Rechte der Betroffenen wird unterbunden.
Zwar schreibt die Bundesregierung in ihrem Gesetzentwurf, ich zitiere: „Homosexualität wird für die Behörden dann strafrechtlich relevant, wenn sie offen ausgelebt wird“, Zitatende, damit lässt sich die Sicherheit eines Herkunftsstaates jedoch nicht begründen. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat längst klargestellt, Zitat: „Bei der Prüfung eines Antrages auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft können die zuständigen Behörden von dem Asylbewerber nicht erwarten, dass er seine Homosexualität in seinem Herkunftsland geheim hält oder Zurückhaltung beim Ausleben seiner sexuellen Ausrichtung übt, um die Gefahr einer Verfolgung zu vermeiden.“ Zitatende.
Auch Marokko ist danach kein sicherer Herkunftsstaat. In Marokko kommt es regelmäßig zu unter Folter erzwungenen Aussagen, insbesondere in Verfahren, die die nationale Sicherheit berühren, darunter vor allem Auseinandersetzungen um den Status der Westsahara. Die UN-Arbeitsgruppe zu willkürlicher Haft fand bei ihrem Länderbesuch im Jahr 2013, Zitat, „eine Vielzahl glaubwürdiger Berichte über grausame, unmenschliche und entwürdigende Behandlung von Gefangenen und Inhaftierten“, Zitatende. Dies gilt vor allem für Personen, die unter dem Anti-Terrorismus-Gesetz festgehalten werden. Die UN-Arbeitsgruppe bestätigte die Aussagen des UNSonderberichterstatters zu Folter, dass in diesen Fällen, Zitat, „ein systematisches Muster von Foltervorfällen und Misshandlungen sicher ist“.
In Marokko ist das wichtigste Beweismittel im Strafprozess das Geständnis, was der Erzwingung von Geständnissen durch Misshandlung oder Folter Vorschub leistet. Homosexualität ist strafbar und wird auch verfolgt. Amnesty International berichtet über eine Vielzahl von Fällen in den Jahren 2013 und 2014, in denen männliche Personen wegen, Zitat, „sexuell abweichenden Verhaltens mit gleichgeschlechtlichen Partnern“, Zitatende, zu drei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt wurden. Die Pressefreiheit ist stark eingeschränkt. Aktuell müssen sich fünf Journalisten, die Fortbildungen zum Thema Bürgerjournalismus anboten, vor Gericht verantworten.
Und schließlich kann auch Tunesien nicht als sicherer Herkunftsstaat eingestuft werden. In seinem Bericht aus dem Jahre 2015 stellte der Sonderberichterstatter gegen Folter der Vereinten Nationen fest, dass Folter und Misshandlung in Tunesien weiterhin regelmäßig angewandt werden, insbesondere bei der Bekämpfung des Terrorismus und als Mittel zur Geständniserpressung. Nach glaubwürdigen Berichten sind mehr als die Hälfte der Untersuchungshäftlinge von Misshandlungen betroffen, ein Viertel von ihnen wird mit vorgefertigten Aussagen konfrontiert und ein hierauf beruhendes Geständnis unter Folteranwendung durchgesetzt. Journalisten, Blogger und Menschenrechtsverteidiger werden wegen kritischer
Berichte und Äußerungen strafrechtlich verfolgt. Protestierende Unterstützer werden im Rahmen des Gerichtsprozesses, beispielsweise eines Rappers, durch die Polizei misshandelt und auch festgenommen. Der Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen zur Unabhängigkeit der Justiz stellte 2015 in diesem Zusammenhang fest, dass Korruption im tunesischen Justizwesen weit verbreitet ist und die Staatsanwaltschaft sich mit den Interessen der Regierung identifiziert. Das tunesische Strafgesetzbuch bestraft die, Zitat, „freiwillige homosexuelle Betätigung unter Erwachsenen“, Zitatende, mit bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe. Eine Nichtregierungsorganisation, die die Rechte von Homosexuellen verteidigte, wurde aufgelöst.
Ich denke, das sind genug Gründe, hier die drei Länder nicht als sichere Herkunftsstaaten einzustufen. Ich hoffe, dass unser Ministerpräsident danach handelt. – Danke für die Aufmerksamkeit.
(Beifall vonseiten der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Vincent Kokert, CDU: Das hat er ja deutlich gemacht, dass er es nicht tut.)
Meine Damen und Herren, wir sind damit am Schluss der heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Landtages für Donnerstag, den 7. Juli 2016, 9.00 Uhr ein. Die Sitzung ist geschlossen.