Protokoll der Sitzung vom 29.10.2020

Und es geht nicht nur um Zustimmung – wobei man sich natürlich fragen muss, warum ist die Zustimmung so groß in Deutschland, wahrscheinlich, weil wir eine Situation bisher politisch garantiert haben, die so ist, wie sie ist –, es geht nicht um kurzfristige Umfragen und Zustimmung, sondern es geht eben auch darum, die Lage in Deutschland möglichst so zu belassen und der Bevölkerung zu garantieren, dass der Schutz der Gesundheit und dass das öffentliche Leben weitergehen. Das ist die eigentliche Zielstellung, der wir uns verpflichtet fühlen sollten.

(Beifall vonseiten der Fraktion der CDU)

Und wenn hier ausgeführt wird, dass die Lage um uns herum – ob in Europa oder in Deutschland – viel, viel kritischer ist als in Deutschland, dann kann ich Ihnen nur sagen, Herr de Jesus Fernandes, mit Ihrem Zwischenruf, das kann man mit Deutschland alles nicht vergleichen, glaube ich, sind Sie auf dem Holzweg.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD und CDU – Peter Ritter, DIE LINKE: Aber ganz deutlich.)

Deswegen müssen wir uns doch fragen, wenn wir zu einem Beschluss kommen wollen: Wie ist denn die Lage in Deutschland? Und da habe ich den RKI-Bericht nur stichpunktartig vom gestrigen Tag noch mal für Sie, insbesondere für die Diskussion, die sich hoffentlich sachlich dann anschließt. Wir stellen fest eine zunehmende Beschleunigung der Übertragung in der Bevölkerung in

den letzten sieben Tagen deutschlandweit, einen Wert von 93,6 Fällen auf 100.000 Einwohner. 93,6! Vor Monaten haben wir diskutiert, ob es überhaupt möglich ist, in M-V den Wert 10 oder ähnliches zu erreichen. Deutschlandweit 93,6! Die Inzidenz der Personen über 60 Jahre beträgt inzwischen wieder 59,3. In 132 Kreisen in Deutschland haben wir einen Wert von über 100.

Wir stellen fest, das Infektionsgeschehen kann nicht mehr vollständig nachvollzogen werden, und damit ist der Zustand, dass Infektionsketten nicht unterbrochen werden können, eine Herausforderung. Und ich will Ihnen auch sagen, in den letzten zwei Wochen sind die Patienten vom 14.10., die sich in Intensivbehandlung befunden haben, von 602 auf 1.569 angestiegen. Und diese Lage, die ich eben beschrieben habe, das ist die Lage in Deutschland, und diese Lage ist bedeutend besser, wesentlich besser als um uns herum.

Und wir müssen uns die Frage stellen: Wollen wir, dass dieser Zustand so bleibt? Und daraus resultiert dann die Antwort, die auch Sie geben müssen. Müssen wir etwas tun? Wir sagen Ja. Wir legen Ihnen diesen Antrag vor, und wir müssen darüber diskutieren, was müssen wir tun. Und ich denke, es geht vielen wie mir in privaten Gesprächen, dass die Menschen um uns herum Maßnahmen möglicherweise nicht mehr verstehen, weil wir, Politik, und alle anderen, die auch hier mit uns in dieser Gesellschaft zusammen Verantwortung tragen, ob das Medien sind oder andere, dazu beitragen müssen, dass eine Erkenntnis da ist, ob gehandelt werden muss oder nicht, nämlich diese Zustimmungsraten, was ich sagte, um die wir kämpfen müssen, die benötigen ein Erklären, aber auch ein Klarsein in den Köpfen der Politik, ein Erklären, um Menschen mitzunehmen.

Frau Schwesig hat richtigerweise gesagt, wir müssen politisch sofort handeln. Aber ich glaube, mindestens genauso wichtig, wenn nicht sogar noch wichtiger, ist der zweite Punkt, den sie benannt hat, die Bürger mitzunehmen. Ansonsten laufen wir Gefahr – das erlebe ich tagtäglich in Gesprächen –, dass uns Aktionismus vorgeworfen wird, dass man unsere Politik nicht nachvollziehen kann. Und da muss jeder vor seiner eigenen Tür auch noch mal wieder kehren und überlegen, ob jedes Interview rund um die Uhr, ob Äußerungen, wir sind coronafrei, wir sind der sicherste Landstrich, der sicherste Kreis – was auch immer, ich will da keine Person dran festmachen –, wir müssen uns überlegen, und das jeder für sich, ob das richtig ist, das ständig vor uns herzutragen, weil ich glaube, das trägt mit dazu bei, die Bevölkerung zu verunsichern.

Und jetzt haben wir eine ganz besondere Situation, nämlich, dass gestern auf Bundeskanzlerebene mit den Ministerpräsidenten sehr, sehr harte und drastische Maßnahmen vereinbart worden sind. Und deswegen bin ich auch so froh, dass wir hier heute, genau hier, uns positionieren können, debattieren können darüber, ob wir diese Maßnahmen mittragen, ob wir andere Schwerpunkte zusätzlich setzen wollen, und deswegen muss hier die Debatte stattfinden.

Wenn wir uns diesen Antrag vornehmen, dann glaube ich, habe ich – insbesondere Punkt 1 und 2 – die Lage in Deutschland beziehungsweise auch in MecklenburgVorpommern zumindest angerissen, Sie können es nachvollziehen. Das gesamte Land hat heute die Farbe Orange. Und ich sage Ihnen noch mal rückblickend, ich

selbst hätte es im Mai, im Juni auch so nicht für möglich gehalten. Und wir bekennen uns mit diesem Beschluss ganz klar im Punkt 3, dass wir das, was in Berlin gestern vereinbart wurde, teilen und bestätigen.

Im Punkt 4 sagen wir auch, die Strategie ist richtig, das öffentliche Leben, insbesondere Schulen, Kitas, offen zu halten, Wirtschaft so weitestgehend wie möglich am Laufen zu halten. Dazu zählt insbesondere auch die Versorgungswirtschaft. Und was mir persönlich in letzter Zeit in den Diskussionen etwas gefehlt hat – ich glaube, das muss auch mehr in den Fokus gerückt werden –, die Industrie, die für die Grundversorgung, sprich Energie et cetera, verantwortlich ist, die sollten wir in unseren Überlegungen nicht außen vor lassen.

Und was mich besonders freut, ist, dass wir gemeinsam – die Antragsteller – der Auffassung sind als Tourismusland Nummer eins, dass, ich sage mal, unser Bereich Gastronomie für uns als Land systemrelevant ist, und wir daraus ableiten, gemeinsam, dass das, was rechtlich möglich ist, wir auf den Weg bringen wollen über unseren MV-Schutzfonds, dass nämlich genau diese Branche, die es so hart getroffen hat, hier zusätzlich mit Geld unterstützt wird – fünf Prozent über dem, was vom Bund kommt. Das heißt, wir werden eine Zusicherung über 80 Prozent geben. Ich glaube, das ist ein wichtiges, gutes Signal, was wir heute hier durch unsere Beschlussfassung auf den Weg bringen können.

(Beifall vonseiten der Fraktion der CDU)

Im Punkt 6 ist es dann so, da es noch nicht ausreichend rechtlich einschätzbar ist, dass wir aber diesen Punkt als Prüfauftrag mitaufgenommen haben, dass genau bei dieser Branche, die ich eben angesprochen habe, mit Mitarbeitern über 50 hier diese beihilferechtlichen Prüfungen stattfinden müssen und dass wir sehr wohl gewillt sind, dann auch über Lösungen entsprechend zu diskutieren und nachzudenken und umzusetzen.

In einem letzten Punkt haben wir uns – ich fasse den mal so ein bisschen zusammen unter dem Motto „gesellschaftliches Leben“ – auch darauf verständigt, dass es Bereiche gibt, wie insbesondere den Kinder- und Jugendsport, denen wir uns besonders verpflichtet fühlen. Das hat was mit gesellschaftlichem Leben in der Gesamtheit zu tun. Und wir, die Antragsteller, sind der Auffassung, dass hier Handlungsbedarf besteht, und sagen ganz klar in Richtung Landesregierung, hier muss auf dem Verordnungswege gehandelt werden.

Insofern freue ich mich auf die Debatte, freue mich auf Ihre alternativen Vorschläge und wünsche uns eine sachliche Diskussion. – Herzlichen Dank!

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD und CDU)

Vielen Dank, Herr Renz!

Es ist vereinbart worden, eine verbundene Aussprache mit einer Dauer von bis zu 158 Minuten vorzusehen. Ich sehe und höre dazu keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Das Wort hat zunächst für die Fraktion der AfD der Fraktionsvorsitzende Herr Kramer.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Liebe Landsleute! Es geht heute nicht darum, die Lage in irgendeiner Weise zu verharmlosen, nein, es muss allen Fraktionen in diesem Landtag in der heutigen Debatte darum gehen, dass wir den gesellschaftlichen Schaden in dieser Krise so gering wie möglich halten.

(Beifall vonseiten der Fraktion der AfD)

Die Ausführungen der Ministerpräsidentin werden diesem einleitenden Gedanken nicht gerecht. Ihre Worte lassen die erschreckend verunsicherte Politik der Landesregierung erkennen – eine Politik des blinden Aktionismus, durch die erneut unnötige Kollateralschäden in Kauf genommen werden.

(Beifall vonseiten der Fraktion der AfD)

Das, was Sie als Ministerpräsidentin, Frau Schwesig, hier heute den Bürgern in Form eines Teil-Lockdowns mitteilen, ist nicht logisch. Es gibt von Ihnen keine fundierte Argumentation, warum die eine Branche schließen muss, die andere aber nicht.

(Thomas Krüger, SPD: Dann haben Sie nicht zugehört.)

Ich erinnere mich an ein Gespräch mit einem Hotelier am Montagvormittag und wir debattierten darüber und er äußerte seine Angst und seine Unsicherheit in Bezug auf die zweite Welle, in Bezug auf einen Wellenbrecher, seine Angst in Bezug auf einen möglichen Lockdown, den wir ja jetzt nun haben, einen sogenannten Lockdown light, und hat gesagt, Nikolaus, wenn das kommt, kann ich mich erschießen. Und so denken Dreiviertel aller Gastronomie- und Hotelbetreiber.

(allgemeine Unruhe)

Ein Drittel, entschuldigen Sie bitte! Ein Drittel.

Genauso unlogisch ist: Erklären Sie das doch mal einem Kind oder einem Jugendlichen, es soll im Bus, im öffentlichen Personennahverkehr, im voll besetzten Bus zur Schule fahren, sitzt dort in seiner Klasse, der Klassenraum ist gefüllt, darf aber nachmittags nicht mit seinen Freunden draußen auf dem Fußballacker bolzen gehen! Das ist doch völlig unlogisch. Und das erklären Sie mal unseren Bürgern, meine Damen und Herren, das erklären Sie mal!

(Beifall vonseiten der Fraktion der AfD)

Mit diesem Maßnahmenpaket verlieren unsere Bürger erneut ihre Mündigkeit. Sie verpassen unserer Gesellschaft ein künstliches Koma.

Frau Ministerpräsidentin, Sie haben gestern in der vom SPD-Fraktionsvorsitzenden als „historische Krise“ bezeichneten Lage die historische Chance verpasst, eine selbstbewusste und souveräne Politik für MecklenburgVorpommern zu machen. Ihre Zustimmung zu diesen Beschlüssen ist ein historischer Fehler.

(Beifall vonseiten der Fraktion der AfD)

Sie sprechen von einem nationalen Kraftakt, jetzt, wo Sie doch sonst die Nation immer so verteufeln.

(Beifall vonseiten der Fraktion der AfD)

Der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung Andreas Gassen und renommierte Virologen haben gestern zu Recht darauf hingewiesen, dass diese unreflektierten Maßnahmen einem erneuten Lockdown sehr, sehr nahekommen. Und zu Recht fragt er öffentlich, ich zitiere: „Wie oft wollen Sie denn noch einen Lockdown machen?“.

Liebe Bürger, ja, wir müssen diese Corona-Krise ernst nehmen und genau im Blick behalten, aber genau das vermag die Ministerpräsidentin aktuell nicht. Anstatt eine kluge und regional differenzierte Corona-Politik in Form eines Marathons zu gestalten, wird im November zum desaströsen Kurzsprint ausgeholt. Frau Schwesig handelt rein administrativ und nicht zum Wohle des Landes.

(Beifall vonseiten der Fraktion der AfD)

Die gestern vereinbarten Beschlüsse sind ein bundesdeutsches Zwangskorsett, wodurch unserem Bundesland massiver wirtschaftlicher Schaden droht. Wir brauchen regionale Problemanalysen und Fakten sowie darauf aufbauende Lösungen anstatt der nun verhängten Kollektivbestrafung gesamter Branchen.

(Beifall vonseiten der Fraktion der AfD)

Und, meine Damen und Herren, ich darf meine Vorwürfe gegenüber der Ministerpräsidentin mit zwei Zahlenvergleichen untermauern. Wie hat sich zuletzt die Zahl der in einer Woche gemeldeten Infizierten in MecklenburgVorpommern entwickelt? In der 33. Kalenderwoche, also gut zwei Monate zurückgerechnet, hatten wir insgesamt 31 Neuinfektionen im Land. In der gerade vergangenen 43. Kalenderwoche, also sehr aktuell betrachtet, zählten wir insgesamt 431 gemeldete Neuinfektionen. Im Wochenvergleich verzeichnen wir also einen deutlichen Anstieg.

Aber wie hat sich die Zahl der intensivmedizinischen Corona-Patienten seit Ausbruch der Corona-Krise in Mecklenburg-Vorpommern entwickelt?

(Thomas Krüger, SPD: Sie haben es nicht verstanden.)

Wir hatten während der ersten Welle am 14. April einen Höchstwert von 14 Patienten, Herr Krüger, 14! Im Verlauf des Sommers fiel dieser Wert sogar zeitweise auf null. Gestern waren es 10 Personen, meine Damen und Herren, 10, die über ein Intensivbett in MecklenburgVorpommern behandelt werden mussten, Herr Krüger. Und was ist an diesen Zahlen nun nicht zu verstehen?

(Thomas Krüger, SPD: Was haben Sie denn nicht verstanden? Das ist die Frage.)

Wir sehen also …

Sie verstehen offensichtlich den Zusammenhang nicht, Herr Krüger.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Erläutern Sie den doch mal! – Glocke der Vizepräsidentin)