Protokoll der Sitzung vom 26.04.2018

Eine Gebärdensprachdolmetschung in Ämtern, in Behörden, in Rathäusern und in Jobcentern ist nicht möglich, und wenn ein Mensch, der eine Gebärdensprachdolmetschung benötigt, in ein Jobcenter geht, muss er diese alleine finanzieren. Das Jobcenter sagt nicht, wo man das Geld beantragen kann. Sie können doch nicht erwarten, dass ein Mensch nur, weil er gehörlos ist, immerzu eine Betreuung mitbringt! Gehörlose Menschen können alles, nur nicht hören.

Wo gibt es Blindenleitsysteme? Ich sehe hier keine. Ich bin heute mehrfach gestolpert. Dieser Plenarsaal ist sehr schön. Es ist nichts gekennzeichnet, es sind keine Kontraste da. Mir fällt das schwer.

Und damit kommen wir dann, Herr Fernandes, auch dazu, wo unsere Quote der schwerbehinderten Menschen in unserer Fraktion ist. Ich bin so ein bisschen die Quotenfrau für alles dort.

Nach wie vor haben Menschen mit Behinderungen Probleme, einen gut bezahlten Arbeitsplatz zu bekommen. Frau Drese und auch andere Menschen sprachen davon, dass sie in Werkstätten arbeiten, aber nicht alle Menschen mit einer Behinderung arbeiten in Werkstätten, und das sollte tatsächlich auch nicht das Ziel sein. Das Ziel sollte sein, sie vernünftig zu bezahlen. Und wenn man sehr wenig Geld verdient, zum Beispiel als gehörloser Mensch, dann muss man ins Jobcenter, man muss aufstocken gehen. Wie kann man das machen? Mit einer Gebärdensprachdolmetscherin! Oder sollen die die ganze Zeit Zettelchen schreiben und sich dann kommunizierend unterhalten? Ja, und wie bezahlen Sie die mit wenig Geld? Das grenzt aus. Hier muss das Land ganz, ganz unbedingt nachbessern.

Es gibt zwei Ansätze zum Thema „Integration/Inklusion von Menschen mit Behinderung“. Es ist einmal das medizinische Modell, die Pathogenese, und einmal das soziale Modell, die Salutogenese.

Das medizinische Modell ist der klassische Ansatz, mit dem wir hier alle arbeiten. Die Einschränkung wird als Problem empfunden, sie wird als Zustand behandelt und im Idealfall soll sie beseitigt werden. Ist das alles nicht möglich, dann wird der Mensch einfach optimiert. Ein funktionierendes Mitglied der Gesellschaft soll er werden. Menschen mit Behinderungen werden immer defizitär betrachtet. Behindernde Faktoren aber werden außer Acht gelassen. Nicht hören, nicht sehen oder nicht laufen zu können, macht aber überhaupt nicht unglücklich. Es sind die vorhandenen Barrieren, die Ausgrenzungen, diese machen unglücklich.

Das soziale Modell, also die Salutogenese, sieht die Probleme nicht bei den Menschen mit Einschränkungen, sondern in den gesellschaftlichen Bedingungen, in der gesamten Umwelt, und diese müssen verbessert werden. Durch die Umwelt wird nämlich Behinderung einfach nur konstruiert, sie wird geschaffen. Menschen sind nicht behindert, Menschen werden behindert.

Ein kurzes Beispiel: Dort ist ein Fluss, an dem Fluss ist keine Uferbegrenzung. Es fällt ein Mensch rein und das pathologische System sagt, wir retten den Menschen vor dem Ertrinken. Das soziale Modell, das salutogenetische Modell, wird von vornherein darauf achten, dass überhaupt kein Mensch ins Wasser fällt und nur im Notfall vor dem Ertrinken gerettet werden muss.

2009 trat die UN-Behindertenrechtskonvention in Kraft. Sie verpflichtete die unterzeichnenden Staaten, ausschließlich das soziale Modell bei der Umsetzung zu berücksichtigen. Leider sind der Blick und das Handeln nach wie vor durch den defizitären Blick, also durch die Brille „dann kann man nicht mehr ordentlich sehen“ geprägt. Menschen mit und ohne Behinderung begegnen sich sehr selten. Sie arbeiten nicht an denselben Arbeitsplätzen, sie wohnen nicht in denselben Häusern, sie können auch nicht flächendeckend ihre Freizeit miteinander verbringen, und in politischen Gremien sind Menschen mit Behinderung kaum vertreten.

Jetzt komme ich zu einem Beispiel, woran das liegt: Das liegt unter anderem am Paragrafen 41a der Kommunalverfassung. Im Paragrafen 41a der Kommunalverfassung steht, dass Gemeinden und Kommunen „im Rahmen ihrer Leistungsfähigkeit“ Beiräte oder Beauftragte benennen und einbeziehen „können“. Das heißt, Menschen mit Behinderungen sind immer darauf angewiesen, wie steht eine Gemeindevertretung zur Inklusion und wie leistungsfähig ist eine Gemeinde oder ein Landkreis und möchte die Beiräte einbeziehen. Wir haben vorbildliche Städte, wir haben aber auch nicht vorbildliche Städte. Ich komme aus einer Stadt, wo das nicht so vorbildlich ist.

Frau Drese spricht vom Integrationsförderrat. Auch da hat sie gesagt, er „kann“ angehört werden. „Angehört werden können“ ist nicht wie „angehört werden sollen“.

Der Bürgerbeauftragte hat auch zugestimmt, ein Symposium zu veranstalten. Ich würde ganz gerne eine Empfehlung geben, und zwar könnte man das machen wie mit dem Familienkonvent, was hier über Jahre stattgefunden hat. Dort wurde ein Auswahlkriterium geschaffen, was einerseits Institutionen der Familienarbeit hatte, und dann haben die Ehrenamtlichen, jeder einzelne Vater, jede Mutter konnte sich einzeln bewerben. Vielleicht wäre das etwas.

Und jetzt kommen wir einmal zu dem, was Sie gesagt haben. Sie sagten, wir reden viel „über“ Menschen mit Behinderung. Ja, das tun wir. Über Menschen zu reden sagt, es meint immer die anderen, sie sind anders. Das ist Exklusion. Viel „für“ Menschen mit Behinderung tun ist gleichbedeutend mit, das ist so eine andere Spezies, die können das nicht alleine, also müssen wir ihnen helfen. Das ist Integration. Es müsste vielmehr heißen, „mit“ Menschen werden wir gemeinsam für Chancengerechtigkeit kämpfen, indem wir über die Beseitigung aller Barrieren reden. Und das ist Inklusion.

Ich ende mit einem Zitat: „Doch sind wir die Verlierer, wenn wir ihnen, durch unsere Trägheit und Ignoranz,

weiterhin die Stimme verweigern, denn wir verpassen die Chance, mit außergewöhnlichen Menschen zu sprechen und von ihnen zu lernen.“ Zitatende. 1978 von Frau Crossley. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

Für die Fraktion der SPD hat noch mal ums Wort gebeten der Abgeordnete Heydorn.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordneten!

Es tut mir leid, Frau Larisch, aber das ist ja mehr ein Kolleg, was Sie hier abgehalten haben. Alternativen in dem Sinne, wie es heute Frau Dr. Schwenke hier gemeint hat, wir zeigen Lösungswege auf, das war nicht der Fall. Also wie jetzt Inklusion zu verstehen ist, das meine ich verstanden zu haben, aber werden wir doch mal konkret!

(Zuruf von Karen Larisch, DIE LINKE)

Sie reden hier über Häuser, die nicht zugänglich sind. Da muss man doch die Frage stellen: Was wollen Sie denn mit den Häusern machen? Wollen Sie alle abreißen und neu bauen? Wenn Sie die abreißen und neu bauen wollen, müssen Sie sagen, woher kommt das Geld. Und was das Thema Banken angeht – meines Wissens, zumindest in Schwerin, sind Banken heute für Mobilitätseingeschränkte zugänglich.

(Zuruf von Karen Larisch, DIE LINKE)

Also es gibt ja …

(Zuruf aus dem Plenum: Jetzt müssen wir den Landtag umbauen.)

Moment mal! Es gibt ja immer auch im Bauordnungsrecht diese sogenannten Bestandsschutzvarianten, da mag es noch etwas geben. Und ein denkmalgeschütztes Gebäude, das kriegen Sie mit verhältnismäßigem Aufwand häufig nicht barrierefrei. Da muss man die Frage stellen, haut man das jetzt um, baut neu und wenn, wie gesagt, immer, woher kommt das Geld. Unsere Landesbauordnung sieht heute auch vor, dass öffentliche Einrichtungen barrierefrei zu sein haben. Aber es gibt halt eine Vielzahl von öffentlichen Einrichtungen, die sind aus einer Zeit, als diese Bestimmung noch nicht galt. Wie wir das, sagen wir mal, von heute auf morgen lösen wollen, darüber muss man reden. Und man muss gucken, wie kriegt man Prioritäten definiert, wo fängt man an und wo hört man letztendlich auf. Aber hier zu sagen, das ist alles nicht im Sinne der Menschen, das weiß ich selber, aber ich habe keine Lösung parat, wie ich das Problem innerhalb von kurzer Zeit vom Tisch kriege, und das haben Sie auch nicht. Deswegen, sich hier hinzustellen und quasi ein Kolleg abzuhalten, ist nicht wirklich hilfreich und führt uns auch nicht weiter.

Noch ein Satz zu Ihrer zifferweisen Abstimmung des Antrages. Wir werden auch heute dem Punkt 3 nicht zustimmen, das machen wir nicht, aber natürlich werden wir das tun, worum wir gebeten haben, dass wir die Frage, machen wir ein Symposium, wie sieht das aus und dergleichen, interfraktionell erörtern und dann gegebenenfalls zu einem späteren Zeitpunkt einen gemeinsa

men Antrag einbringen. Aber heute lehnen wir das komplett ab. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall vonseiten der Fraktion der SPD und Dr. Ralph Weber, AfD)

Für die Fraktion DIE LINKE hat noch mal ums Wort gebeten der Abgeordnete Koplin.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Also wir halten sehr viel davon, dass man systematisch vorgeht. Das beginnt immer damit, dass man analysiert, in welcher Situation befinden wir uns. Das ist offensichtlich, Herr Heydorn, nicht Ihre Stärke. Wir haben gestern ein Thema gehabt zum öffentlichen Personennahverkehr, zunächst eine Bedarfsanalyse – wollten Sie nicht. Wir reden mehrfach morgen wieder zum Thema Armut, Armutsgefährdung, wir wollten eine Analyse, einen Armutsbericht – wollten Sie immer nicht. Heute hier eine Analyse, wo stehen wir im Gesetzgebungsverfahren und deren Umsetzung – Analyse wollen Sie nicht. Nehmen wir mal zur Kenntnis, ich weiß nicht, auf welcher Grundlage Sie Politik machen, also die Bürgerinnen und Bürger werden es Ihnen danken oder auch nicht.

Vielleicht können wir uns auf Folgendes verständigen, weil Frau Ministerin in ihrer Rede ja deutlich gemacht hat, dass sie es begrüßt, und ich habe sowohl bei Frau Friemann-Jennert als auch bei Ihnen und bei anderen Rednern, die jetzt hier gesprochen haben, immer gehört, lassen Sie uns darüber reden. Deswegen unser Vorschlag, die zifferweise Abstimmung insofern jetzt zu modifizieren, dass wir sagen, diese Debatte über ein Symposium – das ist ein Arbeitsbegriff – oder Tag der Menschen mit Behinderungen würden wir gern in den Ausschuss verweisen. Dann haben wir die Möglichkeit, diesen fachlichen Diskurs, den Sie hier auch selbst für sich angenommen haben, im Sozialausschuss zu führen, dann bereden wir das und qualifizieren die Idee. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion DIE LINKE auf Drucksache 7/1993. Hierzu ist im Rahmen der Debatte beantragt worden, die Ziffer I sowie in Ziffer II die arabischen Nummern 1, 2 und 3 einzeln abzustimmen.

Wer der Ziffer I des Antrages der Fraktion DIE LINKE zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. – Danke schön. Gegenstimmen? – Stimmenthaltungen? – Damit ist die Ziffer I des Antrages der Fraktion DIE LINKE auf Drucksache 7/1993 bei Zustimmung der Fraktion DIE LINKE, Gegenstimmen der Fraktionen von SPD, CDU, AfD und BMV abgelehnt.

Wer der Ziffer II.1 des Antrages der Fraktion DIE LINKE zuzustimmen wünscht, den bitte ich jetzt um ein Handzeichen. – Danke schön. Gegenstimmen? – Stimmenthaltungen? – Damit ist die Ziffer II.1 des Antrages der Fraktion DIE LINKE auf Drucksache 7/1993 bei gleichem Stimmverhalten abgelehnt.

Wer der Ziffer II.2 des Antrages der Fraktion DIE LINKE zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. – Danke schön. Gegenstimmen? – Stimmenthaltungen? – Damit ist die Ziffer II.2 des Antrages der Fraktion DIE LINKE auf Drucksache 7/1993 bei gleichem Stimmverhalten wie eben abgelehnt.

Im Rahmen der Debatte wurde letztlich beantragt, die Ziffer II.3 des Antrages der Fraktion DIE LINKE in den Sozialausschuss zu überweisen. Wer diesem Überweisungsvorschlag folgen möchte, den bitte ich jetzt um ein Handzeichen. – Danke schön. Gegenstimmen? – Stimmenthaltungen? – Eine, doch, eine Stimmenthaltung. Damit ist die Überweisung der Ziffer II.3 des Antrages der Fraktion DIE LINKE auf Drucksache 7/1993 bei Zustimmung der Fraktionen DIE LINKE, AfD und BMV und einer Stimme aus der Fraktion der SPD, ansonsten Ablehnung der Fraktionen von SPD und CDU abgelehnt.

(Torsten Renz, CDU: Nein, das war keine Gegenstimme, das war eine Enthaltung.)

Bitte?

(Torsten Renz, CDU: Die SPD-Stimme war eine Enthaltung.)

Das war eine Enthaltung?

(Torsten Renz, CDU: Ja. Das war keine Zustimmung.)

Ja? Okay, dann korrigiere ich mich: mit einer Stimmenthaltung aus der Fraktion der SPD abgelehnt.

Wer der Ziffer II.3 des Antrages der Fraktion DIE LINKE zuzustimmen wünscht, den bitte ich jetzt um ein Handzeichen. – Danke schön. Gegenstimmen? – Stimmenthaltungen? – Damit ist die Ziffer II.3 des Antrages der Fraktion DIE LINKE auf Drucksache 7/1993 bei Zustimmung der Fraktionen DIE LINKE und AfD, Gegenstimmen der Fraktionen von SPD und CDU sowie Stimmenthaltung der Fraktion der BMV abgelehnt.

Meine Damen und Herren, ich möchte die Gelegenheit nutzen, mich bei den beiden Frauen, Frau Szczuka und Wyrostek, herzlich für ihre Arbeit hier zu bedanken. Ich habe selber schon als Fremdsprachendolmetscherin gearbeitet, ich weiß, wie anstrengend das ist. Haben Sie herzlichen Dank! Und um das noch ein bisschen zu untermauern, habe ich ein kleines Präsent für Sie. Damit ich das den beiden Frauen überreichen kann, unterbreche ich die Sitzung für eine Minute. Ich hoffe, Sie gestatten mir das.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD, CDU, AfD, DIE LINKE und BMV)

Unterbrechung: 19.04 Uhr

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Wiederbeginn: 19.05 Uhr

Ich eröffne die unterbrochene Sitzung wieder und möchte hier bekanntgeben, dass die beiden Frauen jetzt noch eingeladen sind zu einer Schlossführung. Dabei wünsche ich ihnen auch viel Vergnügen.