Protokoll der Sitzung vom 27.04.2018

Ich halte es auch für eine demokratische Tugend dieses Landtages, dass wir immer und immer wieder darüber Auskunft bekommen, was die Expertinnen und Experten an Erkenntnissen gewonnen haben, was sie uns empfehlen, und zwar in der Unterschiedlichkeit der Ansichten. Keine Frage, unser geschätzter Mitarbeiter Jörg Böhm ist als Vorsitzender des Arbeitslosenverbandes ein Experte. Nehmen Sie das zur Kenntnis!

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

Es ist unbestritten, dass er weiß, wovon er redet, und dass er ein Interessenvertreter von Arbeitslosen und von Arbeitslosigkeit Bedrohten in diesem Land ist.

(Heiterkeit bei Torsten Renz, CDU: Ich habe das so verstanden, er zweifelt das an.)

Es ist mehrfach so – mit Verweis darauf –, Sie kommen immer wieder mit diesem Thema um die Ecke und kochen parteipolitische Süppchen, es wären jetzt andere Zahlen und das müsste man mal zur Kenntnis nehmen. Ich würde Ihnen gern zwei Leseempfehlungen geben, weil ich die für hoch spannend halte. Ich beschäftige mich sehr damit, weil es einige Phänomene in dieser Gesellschaft gibt, die wir zur Kenntnis nehmen müssen. Dazu gehört auch, dass es einerseits eine deutliche Verbesserung des Wohlstandes gibt, aber andererseits eine deutliche Verfestigung von Armutslagen oder von Armutsbedrohung.

Da gibt es einerseits von Slavoj Žižek …

(Torsten Renz, CDU: Das kann ich nicht schreiben. Das kann ich nicht schreiben.)

Dann werde ich Ihnen das später gerne noch mal an die Hand geben.

… das jüngst erschienene Buch „Disparitäten“ und andererseits von Anthony Atkinson das Buch „Ungleichheit“.

Beide verweisen darauf, dass wir es mit einer Polarisierung zu tun haben, die begleitet ist von dem Phänomen, dass es Menschen gibt, denen es nicht gut geht, die ausgegrenzt sind und die in Armut leben oder von Armut bedroht sind – die Kirchen haben das vor einigen Jahren mal in einem gemeinsamen Papier benannt als „Die Menschen im Schatten“ –, und dass wir zur Kenntnis nehmen sollen, dass es einem Teil der Bevölkerung nicht gut geht. Das müssen wir auch deshalb zur Kenntnis nehmen, weil darin ein sozialer Sprengstoff liegt, der sich Bahn brechen wird, wenn man damit nicht umgeht.

Nun ist gesagt worden, Frau Ministerin hat darauf Bezug genommen, wir machen einiges in diesem Land, es wird zur Kenntnis genommen, dass es diese Situation gibt und Sie haben gerade Ihre Anstrengungen hinsichtlich der Bekämpfung von Kinderarmut erwähnt. Das ist auch nicht in Abrede zu stellen. Die Frage ist nur: Gehen wir – das ist ein Spiegel, den wir uns vorhalten müssen –, gehen wir systematisch vor, haben wir einen Überblick auch über lange Zeitreihen?

Selbstverständlich haben wir unterschiedliche Analysen an die Hand bekommen. Diese Analyse, der Forschungsbericht von der AWO aus dem Jahr 2015 ist einer, auf den ich gern dann noch mal zurückkommen möchte, aber es sind jeweils Momentaufnahmen.

(Zuruf aus dem Plenum: Richtig!)

Unser Ansinnen mit dem Antrag ist es, eine solche Reihe auf den Weg zu bringen. Ich sage ganz selbstkritisch, auch wir LINKEN haben es damals in der Regierungszeit mit der SPD zusammen nicht fertiggebracht, das auf den Weg zu bringen. Hätten wir noch mal die Chance, das ist in die Hand versprochen, würden wir das machen,

(Torsten Renz, CDU: Aha!)

weil es notwendig ist. Wenn man wirklich zielgerichtet gestalten will, muss man eine fundierte Analyse haben. Es geht nicht darum und es steht auch nicht in unserem Antrag, dass wir das im Jahresintervall haben wollen, sondern in einem längeren. Die AWO hat in ihrem Forschungsbericht empfohlen, alle zwei Jahre. Ich glaube, auch das ist noch zu kurzfristig, weil es in der Tat, Frau Ministerin, ein Kraftakt ist, so etwas auf den Weg zu bringen, aber mindestens alle drei Jahre sehr wohl. Somit hat man immer eine Aufnahme des Bestandes und der sozialen Lage der Bevölkerung in der Differenziertheit, einmal in der Legislaturperiode, um dann in einer entsprechenden Zeitreihe wirklich Schlussfolgerungen ziehen zu können, insbesondere um sehen zu können, ob die vielen kleinteiligen Einzelmaßnahmen auch greifen. Ansonsten ist es immer nur ein Versuch und Irrtum und man irrlichtert dann faktisch in der Politik herum. Das ist nicht unser Ansinnen.

Ich habe gesagt, ich möchte auf einzelne Punkte eingehen. Ich fand diesen Hinweis, Frau Ministerin, dass wir wohl von den LINKEN nicht erwarten könnten, dass die CDU auf Distanz zu Herrn Spahn geht – ja, das könnten wir schon und das erwarten wir auch –, das steht im Grunde genommen auch in dem zweiten Punkt unseres Antrages, und zwar aus folgendem Grund: Wir müssen uns selbst fragen: Machen wir Politik für die Menschen in diesem Land?

(Dietmar Eifler, CDU: Machen wir! Machen wir!)

Sind wir dem verpflichtet, dieser Landesverfassung, den Grundsätzen, die wir uns selbst gegeben haben, oder geht es hier um Machtspielchen, Machterhalt und die Absicherung von Positionen?

(Zuruf von Dietmar Eifler, CDU)

Herr Spahn sitzt an einer sehr einflussreichen Stelle und vertritt Positionen, die wir nicht vertreten, und wir wollten gerne wissen, wie Sie sich dazu verhalten.

(Zuruf von Dietmar Eifler, CDU)

Wir hatten schon eine Erwartungshaltung, dass Sie sich damit auseinandersetzen. Dankenswerterweise, Frau Friemann-Jennert, haben Sie gesagt, wie Sie sich positionieren. Es hätte auch anders sein können. Besser wäre es aus unserer Sicht, besser wäre es gewesen, wenn Sie eine andere Position bezogen hätten.

(Minister Harry Glawe: Wir schicken Herrn Spahn Ihre Position zu, dann kann er sich äußern.)

Was Positionen betrifft, möchte ich mich auch an die AfD wenden. Sie haben kein gutes Haar an unserem Ansinnen gelassen. Ich bin immer wieder verwundert, was an Ihren Einschätzungen, Positionen denn die Alternative für Deutschland sein soll. Ich empfinde die Position in hohem Maße, und meist sind das, was Sie vortragen, neoliberale Positionen, sie sind nur in einem Punkt qualitativ anders als das, was man von anderen neoliberalen Parteien erlebt,

(Zuruf von Torsten Renz, CDU)

und zwar, …

Ja, ja, ich gucke dann so ein bisschen unauffällig auffällig in Ihre Richtung.

… und zwar in einem Punkt unterscheiden sie sich. Sie wollen Hand anlegen an den Sozialstaat, an einzelne Punkte des Sozialstaats.

(Unruhe vonseiten der Fraktion der AfD)

Das ist kein Quatsch, schauen Sie in Ihre Programmatik!

(Zurufe von Thomas de Jesus Fernandes, AfD, und Jens-Holger Schneider, AfD)

Hier sind auch Begriffe gefallen wie zum Beispiel

(Simone Oldenburg, DIE LINKE: Vorlesen!)

„Sozialindustrie“, „Sozialmafia“.

(Zurufe von Thomas de Jesus Fernandes, AfD, und Jens-Holger Schneider, AfD)

Oder die Widersprüchlichkeit, die sich zeigt, das ist immer so Schein und Sein: Sie geben vor, dass Sie zum Beispiel für höhere Löhne eintreten. Henning Foerster hat darauf vorhin hingewiesen, als hier kürzlich zur Debatte stand Vergabemindestlohn, da waren Sie dagegen – also eben am Pult für höhere Löhne und beim Vergabemindestlohn dagegen.

(Thomas de Jesus Fernandes, AfD: Nicht nur Geld umverteilen, sondern mehr Geld lassen.)

Das ist eine widersprüchliche Politik. Die hat ihren tieferen Sinn darin, dass Sie einen Horror haben vor dem Sozialstaat.

(Unruhe vonseiten der Fraktion der AfD – Zurufe von Dirk Lerche, AfD, und Jens-Holger Schneider, AfD)

Am Ende geht es auch um Menschenbilder. Da bin ich an einem Punkt, wo ich auf Artikel 20 Grundgesetz verweisen möchte. Im Artikel 20 Absatz 1 des Grundgesetzes heißt es: „Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer“ und Sozialstaat.

(Dr. Ralph Weber, AfD: Sozialer Rechtsstaat.)

„Sozialer Rechtsstaat“ steht da nicht, sondern, ich lese vor: „Die“ BRD „ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.“

In Artikel 20 Absatz 4 steht: „Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.“

(Jens-Holger Schneider, AfD: Oh ja! – Zuruf von Horst Förster, AfD)

Insofern ist das ein Punkt, wo wir widerständig sind gegen Ihre Politik,

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

weil wir in Ihren Worten und in manchen Taten erkennen, dass Sie den Sozialstaat angreifen in dem Bestand, wie er jetzt ist. Das ist unsere Erkenntnis. Überzeugen Sie uns eines anderen! Ich denke, das wird Ihnen nicht gelingen.

Einen Widerspruch möchte ich noch aufmachen mit Blick auf die CDU-Fraktion.

(Minister Harry Glawe: Was?!)

Ich habe sie sehr aufmerksam verfolgt und finde Ihre Redebeiträge, Frau Friemann-Jennert, immer anregend,