Protokoll der Sitzung vom 27.04.2018

Ich habe sie sehr aufmerksam verfolgt und finde Ihre Redebeiträge, Frau Friemann-Jennert, immer anregend,

(Zuruf von Simone Oldenburg, DIE LINKE)

auch wenn wir LINKEN oft grundsätzlich andere Positionen haben.

(Zuruf von Henning Foerster, DIE LINKE)

Aber weil das so ist, hören wir ganz genau zu, zum Beispiel auch auf die Widersprüchlichkeiten. Sie haben gesagt, auf Bundesebene wird so viel gemacht und man müsse jetzt die Langzeitarbeitslosen fit machen. Gleichzeitig ist aber zu vermerken, und das ist Ausfluss der aktuellen Politik der Bundesregierung und der Ausstattung der Bundespolitik hinsichtlich der Ressourcen, die den Jobcentern zur Verfügung stehen, dass allein in Mecklenburg-Vorpommern im Verlauf dieses Jahres 7.000 Maßnahmeteilnehmerinnen und Maßnahmeteilnehmer weniger sind in Fragen der Beschäftigungsförderung und der Qualifizierung sowie Weiterqualifizierung.

(Maika Friemann-Jennert, CDU: Darüber haben wir aber gestern diskutiert. – Zuruf von Jens-Holger Schneider, AfD)

Darüber haben wir gestern diskutiert, aber ich möchte es einmal festhalten,

(Minister Harry Glawe: Die Fähigkeit verloren zuzuhören und sich auch auf das neue Thema einzustellen, das ist ja nicht zu glauben!)

dass es hier einen Widerspruch gibt,

(Minister Harry Glawe: Das ist ja nicht zu glauben!)

wenn Sie einerseits sagen, die Langzeitarbeitslosen sollen fit gemacht werden, andererseits aber eine Politik betreiben, die diese Aussage völlig konterkariert.

Es ist zu glauben, Herr Glawe, dass ich Ihnen jetzt gerne sage:

(Minister Harry Glawe: Mir brauchen Sie nichts zu sagen!)

Stimmen Sie unserem Antrag zu!

(Minister Harry Glawe: Das ist ja wohl nichts!)

Tun Sie ein gutes Werk an diesem Tag! – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

Herr Minister, ich komme nicht umhin, noch mal zu sagen, dass Sie von der Regierungsbank bitte Ihre Kommentare lassen!

(Minister Harry Glawe: Jawohl!)

Sie sind Abgeordneter, setzen Sie sich in die Reihen Ihrer Fraktion! Dort können Sie auch Zwischenrufe machen, nicht von der Regierungsbank!

(Minister Harry Glawe: Ja, Sie haben recht.)

Jetzt hat das Wort für die Fraktion der AfD der Abgeordnete Förster.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!

Zunächst ein Satz zu Herrn Koplin: Ich finde, das ist schon sehr weit hergeholt, uns hier vorzuwerfen, wir wollten den Sozialstaat abschaffen oder angreifen.

(Beifall vonseiten der Fraktion der AfD)

Da sind wir schon ganz nah, so, wie Sie das interpretieren,

(Torsten Koplin, DIE LINKE: Nächster Tagesordnungspunkt! Wir treffen uns gleich wieder! Wir treffen uns gleich wieder!)

an der Verfassungswidrigkeit, und das wäre Ihnen dann noch lieber. Also mit diesem Schubladendenken kommen wir nicht viel weiter.

Es ist völlig klar, niemand in diesem Lande findet Armut gut oder wünscht anderen Menschen Armut. Es ist genauso klar – ich glaube, auch da ist ein großer Konsens –, dass wir hier seit Jahrzehnten eine Entwicklung haben,

die man als ungesund beschreiben kann, weil die Schere sehr auseinandergeht. Es ist nicht mehr so, dass einer, der eine bessere Ausbildung hat und wo das jeder, der einen einfachen Beruf hat, akzeptieren würde, das Fünf- oder Zehnfache verdient, sondern wir haben eine Entwicklung, wo es irgendwo absurd wird, wo man in großen Konzernen sich die Taschen noch mit Boni vollschüttet, obwohl man vorher die Bevölkerung betrogen hat.

(Zuruf von Thomas de Jesus Fernandes, AfD)

All das gibt es, da sind wir uns wahrscheinlich völlig einig.

Aber, um auf die Realität zurückzukommen, Arm und Reich wird es immer geben, weil es eine Frage des Abstands ist. Wie mein Kollege schon darauf hingewiesen hat, wird die Armut, wie wir sie hier verstehen, statistisch abgeleitet aus dem, was viele verdienen, andere weniger verdienen.

Ich fange jetzt an mit einem Artikel aus dem „Medienspiegel“ von heute. Der hat mich dazu ermuntert, mich hier zu Wort zu melden. In dem Artikel wird die Schulleiterin der Förderschule Behrenhoff, interviewt. Der letzte Absatz lautet wie folgt, ich erlaube mir zu zitieren: „Sind die Umgangsformen das größte Problem? Sie sind ein Schwerpunktthema. Ein anderes ist der fehlende Antrieb, etwas lernen zu wollen. Leider haben wir Kinder, die in Familien groß werden, in denen sie nichts anderes kennengelernt haben als Eltern, die nicht arbeiten. Es reicht nicht, die Sätze für das Arbeitslosengeld II zu erhöhen. Wir haben Schüler, die aus einem Hartz-IV-Haushalt kommen und trotzdem tolle Klamotten tragen. Und wir haben Schüler, in denen die Eltern zwar sehr viel arbeiten, das Einkommen aber gering ist, es für das Wenigste reicht.“ Es geht dann noch weiter.

Ich erlaube mir einfach mal, aus meiner Kindheit zu berichten:

(Ministerin Birgit Hesse: Nein! – Simone Oldenburg, DIE LINKE: Wieder von anno dunnemals. – Peter Ritter, DIE LINKE: Ach, schon wieder! – Zuruf von Patrick Dahlemann, SPD)

Da würde ich mich insofern als Experten bezeichnen, weil ich statistisch mit Sicherheit zunächst in Armut gelebt habe, habe das aber als Bescheidenheit empfunden. Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, wie erfreut meine Mutter war, als sie eine Arbeitsstelle fand und es ihr und mir – sie war mit mir alleine – etwas besser ging. Ich weiß noch heute, dass sie ihre Zettel geschrieben hat, wie viel sie noch pro Tag gegen Ende des Monats ausgeben konnte. Es war natürlich noch D-Mark, ganz kleine Beträge.

(Jörg Heydorn, SPD: Früher hatten wir mal ʼnen Kaiser, Herr Förster.)

Ja, richtig.

(Zuruf von Andreas Butzki, SPD)

Ich bin morgens als sogenanntes Schlüsselkind allein nach dem Wecker aufgestanden, zur Schule gegangen, habe meine Schulaufgaben gemacht.

(Tilo Gundlack, SPD: Das habe ich auch gemacht.)

Aber meine Mutter hat mich so erzogen, ich hätte nicht gewagt, sie nicht zu machen. Dann haben wir gespielt und hatten den Riesenvorteil, dass wir genug Kinder waren

(Zuruf von Karen Larisch, DIE LINKE)

und kein Fernsehen existierte, also unbeaufsichtigt und uns ganz allein überlassen haben wir uns sozialisiert und fit fürs Leben gemacht.

(Zuruf von Martina Tegtmeier, SPD)

Was ich damit sagen will, ist Folgendes: Bei der gesamten Diskussion und auch dieser Spahn-Schelte

(Zurufe von Patrik Dahlemann, SPD, und Martina Tegtmeier, SPD)

ist der Blick einseitig im Grunde auf das Geld ausgerichtet, was einer braucht, und wo man noch mehr reinstecken muss. Die Spahn-Schelte ist für mich auch ein Ausdruck, es war ja schon ein bequemer Trend, einer großen Verlogenheit. Es geht bei der Armut zunächst mal um die Armut im Kopf und die Armut im Portemonnaie. Beides ist oft miteinander verbunden und voneinander abhängig.

(Karen Larisch, DIE LINKE: Na, na, na, na, na, na!)

Wenn Sie das hier mal ganz nüchtern betrachten, und deshalb habe ich diesen Artikel vorgelesen, ist es so, dass sie in einem Milieu groß werden, wo sie lernen, dass die Grundversorgung, auch wenn die bescheiden ist – dazu zählt, dass man nicht frieren muss, dass man nicht hungern muss –, dass diese Grundversorgung die Regel ist, ohne dass man dafür etwas tun muss. Deshalb ist mein Beispiel, ich habe ja nicht heldenhafte Dinge berichtet, sondern was ich Ihnen damit sagen wollte, ist: Für ein Kind, das so groß wird wie ich damals, ist es ein besseres Rezept, ganz früh schon zu lernen, dass man Verantwortung tragen muss und dass man sich alles, was man bekommt, irgendwo auch verdienen muss, dass man, ohne etwas dafür zu tun, normalerweise nichts bekommt.