Protokoll der Sitzung vom 25.01.2017

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Leiwe Meckelbörger und Vurpommern! Wir leben in einem Land, das historisch in kleinteiligen Strukturen gewachsen ist. Das begründete sich seinerzeit schon in den sprichwörtlichen Kleinstaatereien, beruhend auf den Eigentumsverhältnissen auch dieses landwirtschaftlich geprägten Landstriches.

Noch zu Zeiten meiner Großeltern war es üblich, dass man nicht weiter weg heiratete, als man mit einem Pferdefuhrwerk an einem Tag fahren konnte.

(Torsten Renz, CDU: Wann war das ungefähr?)

Dementsprechend kleinteilig waren auch die Verwaltungsstrukturen ausgelegt. Die hier ansässigen Menschen haben sich über die Jahrhunderte mit diesen kleinteiligen Strukturen identifiziert. Sie sind somit identitätsstiftend und Bestandteil des Heimatgefühls. Durch die gesellschaftlichen Veränderungen und durch den rasanten technischen Fortschritt entstand auch im Bereich der Verwaltung Modernisierungsdruck. Dabei orientierten sich die Verwaltungsstrukturen zunächst noch an den vorhandenen alten Strukturen. Durch die zwei Weltkriege und ihre Folgen wurde dieser Prozess in seiner Kontinuität zwar unterbrochen,

(Torsten Renz, CDU: Aber der Erste Weltkrieg war doch vor 1920. – Heiterkeit bei Marc Reinhardt, CDU)

aber in seiner Intensität noch gesteigert.

(Vizepräsidentin Beate Schlupp übernimmt den Vorsitz.)

In dieser historischen Linie mit all ihren Brüchen sind auch die Verwaltungsreformen, die sich durch die Wende im Lande nun ergeben haben, zu betrachten. Die Zeiten des Pferdefuhrwerks sind lange vorbei. Reformen werden größtenteils von Menschen veranlasst, deren Vorfahren nicht hier gelebt haben und deren Blut, Schweiß und Tränen nicht auf diesem Boden vergossen wurden, um die Existenz ihrer Familien zu sichern. Statistiken sowie Zahlen- und Technikhörigkeit haben den menschlichen Faktor bei all den Reformen der jüngeren Zeit, also auch bei dieser Kreisgebietsreform weitgehend ausgeblendet.

Mit Blick auf die schon angesprochene demografische Bevölkerungsstruktur stelle ich mir dabei einmal exemplarisch meinen Vater vor, der in einigen Tagen seinen 90. Geburtstag bei recht guter körperlicher und geistiger Verfassung feiern wird.

(Thomas Krüger, SPD: Das sei ihm gewünscht.)

Ohne das weiter ausführen zu wollen, wäre für ihn das Ende eines Behördenganges konkret beim Bezahlen am

Kassenautomaten erreicht, denn Bargeldannahme und Quittungsblock sind im Zeitalter von E-Government endgültig in den Bereich der nostalgischen Vergangenheit verbannt worden.

Sehr geehrte Damen und Herren, was ich damit zunächst zeigen möchte, ist, dass der Weg, der hier im Lande mit der zurückliegenden Reformorgie beschritten wurde, ganze Teile der Bevölkerung ausklammert,

(Zuruf von Torsten Renz, CDU)

denen die Onlinezugänge nicht zur Verfügung stehen, die aufgrund mangelnder öffentlicher Verkehrsanbindung die Wege zu den Behörden nicht mehr alleine schaffen und dann vor Ort beim unweigerlichen Kampf mit den Maschinen aufgeben müssen. Und das sind grob geschätzt 20 bis 25 Prozent der Menschen, die hier im Lande leben, also 300.000 bis 400.000 überwiegend Ältere, die direkt abgehängt werden. Stillschweigend darauf zu hoffen, dass sich das Problem der digitalen Analphabeten in den nächsten Jahren biologisch von alleine löst, ist in meinen Augen höchst menschenverachtend.

Auch die ökonomische Seite der Kreisgebietsreform sieht kurz zusammengefasst verheerend aus. Die Kreisumlagen der reformierten Regionen sind kontinuierlich gestiegen.

(Torsten Renz, CDU: Das stimmt nicht.)

Die angekündigten Einspareffekte sind komplett ausgeblieben, Herr Minister.

(Martina Tegtmeier, SPD: Das stimmt auch nicht.)

Selbst eine vorübergehende Kostendämpfung ist nicht erkennbar. Als Maßstab seien hier nur die durchschnittlichen Euro-pro-Kopf-Zahlen der Kreisumlage aufgeführt. Das geht los mit 280,22 Euro im Jahre 2011, dann über 297,23 Euro im Jahre 2012, über 322,32 Euro im Jahre 2013 und 347,31 Euro im Jahre 2014, weiter mit 354,60 Euro im Jahre 2015 bis 365,32 Euro im Jah- re 2016. Quelle: Städte- und Gemeindetag.

Meine Damen und Herren Abgeordnete der Regierungsfraktionen, Sie haben die Legislative benutzt, um den Rückzug der Judikative und Exekutive aus der Fläche zu betreiben. Sie haben dabei die Bürgerinitiativen, die sich dagegen etabliert hatten, mit einem kühnen Handstrich vom Tisch gewischt. Zeitlich flankierend korrespondieren erschwerend mit dieser Kreisgebietsreform zum Beispiel Maßnahmen wie die Schließung von Schulstandorten, die Schrumpfung der Theaterlandschaft, der mehr oder weniger sanfte Zwang zu Gemeindefusionen, der massive Ausverkauf der Wald- und Ackerflächen an Finanzinvestoren,

(Torsten Renz, CDU: Was werfen Sie denn jetzt alles in einen Topf?)

die Ausdünnung des ÖPNV nebst der Stilllegung von Bahnstrecken, die demonstrative Tatenlosigkeit bei der Schließung von Gesundheitseinrichtungen, die umstrittene Amtsgerichtsreform, die Abschaffung des Grenzschutzes und der Abzug der Polizeieinheiten. Damit ist so ziemlich an alles, was den Menschen vor Ort wichtig ist, massiv Hand angelegt worden.

Jetzt wird es hier im Hohen Hause als Phänomen betrachtet, wenn sich das Vakuum füllt, das dieser Rückzug aus der Fläche hinterlassen hat. Und den Fokus weg von den Ursachen, die hier im Hause liegen, gerichtet, beginnt das Kurieren der Symptome. In besonders betroffenen Regionen wird ein Gesundbeter berufen, mit millionenschweren Programmen gegen rechts werden ganze Strukturen geschaffen und alimentiert. Den Linksextremismus öffentlich zu benennen, erwartet ja schon niemand mehr von den Regierenden. Aber spätestens seit dem 12. Dezember sollte der menschenverachtende und gegen jedes Gesetz verstoßende islamische Extremismus mit auf der Agenda stehen. Wäre nicht Frau von Allwörden vorhin gewesen, hätte man davon hier in diesem Hohen Hause nichts, aber auch gar nichts gehört.

(Beifall vonseiten der Fraktion der AfD)

Meine Damen und Herren, wir erleben gerade den Übergang unseres Rechtsstaates in einen Linksstaat. Während Sie, meine Damen und Herren der Regierungsfraktionen, noch Ihre Erfolge feiern, geht der soziale Zusammenhalt in der Bevölkerung verloren. Und mit dem Schwung dieses desaströs wirkenden Erfolgsrezeptes zündeln Sie bereits an der nächsten Stufe, die nach demselben Strickmuster ablaufen soll – dem Finanzausgleichsgesetz. Es steht zu erwarten, dass Sie sich auch hier Ihren Verpflichtungen, die Kommunen mit einer aufgabengerechten Finanzierung auszustatten, entziehen werden.

(Thomas Krüger, SPD: Jetzt bin ich auf Ihre Alternative mal gespannt, weil Sie sind ja von der Alternativen.)

Und Sie werden womöglich auch dabei nicht eher Ruhe geben, bis auch die letzte Kommune im Lande finanziell nicht mehr handlungsfähig ist. Ich erlaube mir die Frage in den Raum zu stellen: Sind Ihnen diese Reformen das wert?

(Thomas Krüger, SPD: Und wo ist die Alternative jetzt?)

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall vonseiten der Fraktion der AfD – Thomas Krüger, SPD: Wieder nicht, wieder keine Alternative.)

Das Wort hat jetzt für die Fraktion der SPD die Abgeordnete Frau Tegtmeier.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Nach dem Hören von so viel Unsinn war ich direkt kurz sprachlos. Das hat sich aber schon wieder gelegt.

(Heiterkeit vonseiten der Fraktion der AfD)

Herr Kröger hat ja sehr in der Historie herumgefischt. Zur Wahrheit der ganz normalen Entwicklung gehört allerdings auch, dass wir zu Wendezeiten zum Beispiel noch über 1.150 Gemeinden hier im Land hatten. Jetzt sind wir bei etwas über 750. Da ist keine einzige Zwangsfusion dabei gewesen, das ist eine ganz natürliche Entwicklung.

Die Kreisstrukturreform war eine notwendige Reform, auch wenn sie nicht in allen Teilen von jedermann und

jederfrau so mitgetragen werden konnte. Wenn Sie sich mal die Kreisumlagen vor 2011 oder vor 2009 anschauen, wie die sich entwickelt haben, sind die ja förmlich durch die Decke gestoßen. Wir hatten mal Kreisumlagen, die natürlich im zweistelligen Bereich lagen, aber in den 20er-Prozentzahlen. Wir haben es uns sogar mal leisten können, eine Deckelung der Kreisumlagen hier im Land zu haben. Das war dann aber vor dem Hintergrund zurückgehender Finanzeinnahmen einfach vorbei und wir hatten steile Anstiege der Kreisumlagen gerade bis zur Kreisstrukturreform, die wesentlich stärker waren als das, was Sie jetzt umrechnen, indem Sie ja nicht die Kreisumlagenprozente nehmen, sondern die absoluten Zahlen hier ansetzen, die nur deshalb höher sind bei niedriger werdender Prozentzahl, weil eben die Bemessungsgrundlagen auch mehr werden, da die Gemeinden ganz einfach selber mehr Einnahmen haben.

Aber da wir schon so schön bei der Historie waren und hier alles Mögliche angesprochen wurde, möchte ich noch einmal auf die schwierigen Rahmenbedingungen hinweisen, mit denen wir gestartet sind, denn – Frau Rösler sagte es nicht umsonst – die Kreisgebietsreform stand ja nicht allein da. Sie gehörte in den Gesamtrahmen eines riesigen Verwaltungsmodernisierungsprojektes, zu dem noch zehn andere Bestandteile gehörten.

(Jeannine Rösler, DIE LINKE: Davon ist aber nicht mehr viel übrig geblieben.)

Und schwierigerweise wurde ein ganz riesiger Brocken praktisch kurz nach Inkrafttreten der Kreisstrukturreform Gesetz, nämlich die Einführung der Doppik – flächendeckend. Und, sehr geehrte Damen und Herren, was das an Mühen gekostet hat, das einzuführen, das kam ja noch mal obendrauf. Deswegen ist es auch so schwierig, eine Vorher-Nachher-Bilanz zu ziehen. Aber ich teile ganz die Auffassung des Innenministers, dass wir noch gar nicht am Ende angelangt sind und auch noch gar nicht angelangt sein können.

Wir hatten neben der Kreisgebietsreform, ich habe es gesagt, die Einführung der Doppik. Wir haben uns aber nicht, wie Frau Rösler eben sagte, im Land gemütlich zurückgelehnt und auf Landesebene selber gar nichts gemacht. Wir fahren hier das Personalkonzept seit 2004 – immer wieder wird bedauert, wo uns unsere Personaldecke mittlerweile viel zu dünn ist, aber auch das ist ein Bestandteil –, die Fortführung des E-Governments, die Weiterentwicklung des Landesraumentwicklungsprogramms, daran sind auch viele von Ihnen beteiligt, die Stärkung des Ehrenamtes war auch ein Big Point, da haben wir viel auf den Weg gebracht in den letzten Jahren. Was natürlich noch als ganz großer Reformschritt bevorsteht, ist die Reform des kommunalen Finanzausgleichs.

Also wir haben sicherlich keine Begeisterungsstürme ausgelöst, vor allen Dingen nicht bei denen, die bei der Kreisstrukturreform verloren haben – Bedeutung verloren, Aufgaben verloren, die sie an die Kreise abgeben mussten, wie zum Beispiel die Hansestadt Wismar, weshalb der Bürgermeister der Hansestadt Wismar das natürlich auch besonders kritisch sieht. Aber immer da, wo man Aufgaben, wo man Prestige abgeben muss, hält sich natürlich der Enthusiasmus in Grenzen. Also die Kreisaufgaben der ehemals kreisfreien Städte sind seinerzeit an die Kreise übergegangen. Teilweise konnte man vertraglich andere Regelungen treffen. Das alles war Bestandteil des Gesetzes.

Und was natürlich ganz besonders schwierig war – das ist in der Debatte, die auch schon angesprochen wurde, das war im März 2015 alles schon mal auf den Tisch gekommen, denn seit der Debatte hat sich ja nicht mehr sehr viel weiterentwickelt, was das angeht –, die schwierigste Gestaltung aus meiner Sicht als Kreistagsmitglied in Nordwestmecklenburg, aber sicherlich auch in anderen Kreisen, waren die Auseinandersetzungen und Vereinbarungen bei den Vermögensauseinandersetzungen. Das hat in vielen Landkreisen richtig massiven Ärger gegeben und das Land selber hat dann einen entsprechenden Leitfaden dazu erstellt, damit da ein bisschen Befriedung in die ganze Geschichte hineinkam. Es war schon sehr erstaunlich, wie unterschiedlich so einzelne Vermögenswerte angesetzt wurden, nämlich die abgebenden, ehemals kreisfreien Städte hatten vollkommen andere Wertvorstellungen von den Dingen, die auf Kreisebene übergingen, als die Vertreter aus den Landkreisen. Also es war schon teilweise ein bisschen abenteuerlich und ein sehr, sehr mühsamer und auch sehr, sehr langfristiger Prozess.

Wo wir längst noch nicht am Ende der Fahnenstange angekommen sind, das ist das Thema „bürgernahe Verwaltung“. Und da muss ich noch mal Herrn Kröger direkt ansprechen. Er hat hier seinen alten, rüstigen Vater angeführt,

(Torsten Renz, CDU: Nein, das war der Opa.)

um jemanden als Beispiel zu benennen, der jetzt bei so einer Kreisstrukturreform besonders gekniffen ist, sage ich mal. Ich weiß ja nicht, was Ihr 90-jähriger Vater in der Kreisverwaltung zu tun hat oder warum er die Kreisverwaltung aufsucht. Ich selber habe meine Kreisverwaltung bisher nur ein- oder zweimal aufsuchen müssen, als ich ein Auto umgemeldet habe oder neu angemeldet habe. Ansonsten hatte ich damit irgendwie noch nicht wirklich was zu tun.

(Zuruf von Jörg Kröger, AfD)

Womit wir mehr zu tun haben, das ist vielleicht die Amtsverwaltung. Wenn ich meinen Ausweis verlängern lassen will, gehe ich zu meiner Amtsverwaltung, und für einige andere Dinge auch. Aber meine Kreisverwaltung, als Kreistagsmitglied suche ich die öfter auf, aber als normale Bürgerin meines Landkreises eher doch ziemlich, ziemlich selten.

(Dr. Matthias Manthei, AfD: Dann können wir die Kreise ja auflösen, wenn man sie gar nicht braucht.)

Und das betrifft übrigens das Amtsgericht ganz genauso.