Antrag der Fraktionen der SPD und CDU E-Residency als Baustein digitaler Wirtschaft und Wertschöpfung – Drucksache 7/3411 –
Natürlich hat die Präsidentin nie Schuld. Das ist schon kraft Amtes nicht möglich, aber mal unabhängig von dieser Tatsache …
Ich sag doch, das gilt kraft Amtes. Ich weiß, wer hinter mir sitzt. Ich weiß immer, wer mir im Nacken sitzt.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, das ist natürlich jetzt etwas schwierig, an dieser Stelle diesen Antrag einzubringen, der sich mit einem ganz, ganz anderen Thema beschäftigt, mit dem Thema „digitale Wirtschaft“ mit dem Schlagwort „E-Residency“, als die Debatte, die eben in diesem Plenarsaal stattgefunden hat. Ich persönlich – wenn ich das vielleicht an dieser Stelle noch mal sagen darf –, ich persönlich finde ja diese Art von Debatten doch immer wieder, na ja, zumindest wohltuend. Ich finde nichts schrecklicher in diesem Haus, als wenn hier tatsächlich so blutleer miteinander oder aneinander vorbeigeredet wird. Und ich schätze in dem Zusammenhang auch immer – das schauspielerische Talent ist jetzt übertrieben – die Art und Weise, wie der Kollege Ritter in der Lage ist, seine Dinge pointiert hier vorzubringen. Das muss man an der Stelle auch mal sagen. Aber zurück zum eigentlichen Antrag, der jetzt hier zur Debatte steht.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, worüber sprechen wir eigentlich in diesem Haus immer wieder? Wir sprechen hier über Digitalisierung, über Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft – damit meine ich auch die Wirtschaft in Mecklenburg-Vorpommern –, und wir reden häufig in diesem Kontext über das Thema, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, über das Thema Breitbandausbau. Aber, um es vielleicht auf den Punkt zu bringen, Breitbandausbau ist genauso wenig Digitalisierung wie der Bau von Autobahnen Mobilität ist. Beides ist Voraussetzung dafür, dass Digitalisierung in einer Gesellschaft, in einer Wirtschaft stattfinden kann. Und vielleicht findet ja auch der Kollege Liskow den Weg zu seinem Platz oder nach draußen, dann störe ich ihn wenigstens nicht.
Und, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, worum es meiner Fraktion, worum es den Koalitionsfraktionen geht,
ist, die Frage nicht nur in den Raum zu stellen, sondern hoffentlich auch mit Ihrer Unterstützung einer Beantwortung zuzuführen: Was kann man eigentlich in diesem Land machen? Der Energieminister ist in seiner Funktion für das Thema Digitalisierung vor Kurzem in Estland gewesen, und Estland ist ja immer wieder ein lobendes Beispiel dafür, was alles im Bereich Digitalisierung gemacht worden ist und gemacht werden kann.
Aber, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, schauen wir uns doch mal bitte an, wie stehen wir denn tatsächlich hier in Deutschland da.
So schlecht von den Grundvoraussetzungen her – da beziehe ich Mecklenburg-Vorpommern jetzt auch mit ein –, so schlecht sind wir gar nicht. Und ich spreche jetzt ausdrücklich nicht, damit da nicht wieder ein falscher Zungenschlag reinkommt, ich spreche jetzt ausdrücklich nicht über das Thema Breitbandausbau – da muss zweifelsohne in Deutschland, auch in Mecklenburg-Vorpommern noch viel gemacht werden –, aber über die Frage der Digitalisierung.
Die Digitalisierung im Zusammenhang mit dem Thema E-Residency konzentriert sich auf die Frage einer digitalen Unternehmerschaft, um es vielleicht mal so zusammenfassen zu können. Anders als bei den übrigen, bei den heute in Deutschland üblichen Vorgehensweisen – jemand will ein Unternehmen gründen, sagen wir mal, eine GmbH, geht zum Notar, macht die Unterlagen fertig, die Unterlagen werden vom Notar eingereicht, dann muss er möglicherweise noch sein Gewerbe anmelden, geht tatsächlich zum Gewerbeamt, in vielen Fällen passiert das dann auch alles noch schriftlich, also in Papierform – geht es bei diesem Thema E-Residency um etwas anderes. Es geht um die Frage, diese ohnehin bestehenden Vorgänge in vielen verschiedenen Bereichen, die aber letztendlich alle miteinander zusammenhängen, nämlich die Frage, die Gründung eines Unternehmens, tatsächlich virtuell, digital durchführen zu können. Das ist möglich.
Heute schon ist es so in Deutschland, dass wir das elektronische Handelsregister haben. Sie können das gar nicht mehr irgendwie in Papierform machen, da ist es schon so. Wir haben in einzelnen Bereichen das tatsächlich so, dass Gewerberegisterauskünfte elektronisch gegeben werden. In Berlin, in der Stadt Berlin, im Land Berlin wird so was nur noch elektronisch gemacht. In anderen Bereichen sind wir durchaus auch so weit. Sie können heute in allen Bereichen Ihre Steuererklärung elektronisch abgeben, in manchen Bereichen müssen Sie sie sogar elektronisch abgeben, da haben Sie gar keine andere Möglichkeit mehr. Sie haben in vielen anderen Bereichen auch die Möglichkeit, dies heute schon in Deutschland elektronisch zu tun.
Aber was Sie nicht tun können – das ist der qualitative Unterschied –, was Sie nicht tun können, ist eigentlich die Verknüpfung dieser vielen verschiedenen Bereiche, dass Sie tatsächlich hingehen können, dass Sie die Unternehmensgründung möglicherweise in Zusammenarbeit mit einem Notar – ich will die Notare nicht arbeitslos machen – elektronisch vorbereiten und durchführen können, dass das beim Handelsregister angemeldet wird, dass das automatisch weitergeht an die Finanzbehörden, an die Berufsgenossenschaften, möglicherweise an die
Sozialversicherungsträger, an all diese Bereiche, die tatsächlich dort eine Rolle spielen. Das ist der qualitative Unterschied.
Das ist heutzutage in einem kleinen Land – und das sollte vielleicht auch die Herausforderung für uns in Mecklenburg-Vorpommern sein –, in einem kleinen Land mit 1,3 Millionen Menschen tatsächlich schon möglich. Estland macht es uns vor. Wir haben natürlich einen qualitativen Nachteil: Wir können das nicht alleine machen, wir hängen immer mit dran am Schlapp der Bundesrepublik Deutschland. Aber wir könnten natürlich hier in dieser Region, in diesem Land, in Mecklenburg-Vorpommern mit den Möglichkeiten, die ohnehin schon bestehen, sagen, wir wollen das ausprobieren, wir wollen das ausprobieren, und zwar im Interesse der gesamten Bundesrepublik Deutschland, dass diese Möglichkeit auch gemacht wird und wir hier tatsächlich mal Vorreiter sind.
Und, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, ich werde immer darauf angesprochen, wenn ich mich mit diesem Thema mit Kolleginnen und Kollegen oder auch mit anderen normalen Menschen unterhalte: …
… Spielt das denn überhaupt eine Rolle? Und dann kann man sich natürlich die Frage stellen – ich nehme jetzt mal die Zahlen aus Estland, ich glaube, da sind inzwischen so zwischen 15.000 und 20.000 virtuelle Unternehmen gegründet worden, die dort übrigens auch Steuern zahlen, zumindest als Unternehmen, das ist nämlich losgelöst von der eigentlichen persönlichen Steuerpflicht, das spielt auch hier eine Rolle, und das ist mir in dem Zusammenhang genauso wichtig –, wir reden in diesem Haus immer wieder über Vereinfachung für die schon bestehenden Unternehmen: Wie kann ich bürokratische Vorgänge für Unternehmen, auch für Menschen in diesem Land, in der Bundesrepublik Deutschland, in Mecklenburg-Vorpommern einfacher machen?
Wir müssen doch einfach mal die Vorgänge sehen – bleiben wir beim Thema Unternehmensgründung –, die wir heute durchgehen. Die sind teilweise 100/150 Jahre alt. Da sind die Grundlagen dafür gelegt worden, wie man eine Gesellschaft in Deutschland, in MecklenburgVorpommern gründet. Die Digitalisierung – und damit steht eben auch dieses Thema E-Residency in Zusammenhang –, die Digitalisierung ist die Herausforderung, das neu zu denken, weil digitale Vorgänge auch andere Herausforderungen stellen, andere Herausforderungen, wie man Bürokratie gestaltet, wie man Bürokratie, Verwaltung miteinander verknüpft und wie man über das Momentum einer virtuellen Unternehmensgründung letztendlich den Bürgerinnen und Bürgern, den Unternehmerinnen und Unternehmern auch hier vor Ort das ganze Wirtschaftsleben vereinfacht.
Das, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, sind der eigentliche Hintergrund und die eigentliche Zielstellung dieses Ansatzes.
Wenn ich mir das zum Schluss gestatten darf, nehmen Sie es einfach so: Dieser Antrag, das Thema E-Residency, ist das Messer, das durch die Brust ins Auge der Bürokratie gehen soll, um sie letztendlich für eine Vielzahl von Menschen hier in Mecklenburg-Vorpommern, in Deutschland insgesamt zu vereinfachen. Und der erste Schritt ist einfach der Versuch, über ein Modellprojekt die Voraussetzung dafür zu schaffen, dass wir denjenigen, die möglicherweise ein virtuelles Unternehmen in Deutschland, in Mecklenburg-Vorpommern gründen wollen, den Schritt erleichtern.
Und mit dem Brexit-Chaos, das wir immer noch erleben dürfen, gehe ich mal davon aus, dass allein in den nächsten Monaten noch eine Vielzahl Interessierter aus Großbritannien kommt und sich überlegt, ob sie nicht zumindest einen virtuellen Unternehmenssitz innerhalb der Europäischen Union anmeldet. Das tun sie momentan vorrangig in Estland oder ausschließlich in Estland, das könnten sie in der Zukunft vielleicht auch in Mecklenburg-Vorpommern tun. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Im Ältestenrat ist vereinbart worden, eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 90 Minuten vorzusehen. Ich sehe und höre dazu keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.
Ums Wort gebeten hat für die Landesregierung der Minister für Energie, Infrastruktur und Digitalisierung Herr Pegel.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Liebe Gäste! Nachdem der Kollege Schulte die E-Residency weitgehend erläutert hat, ist das schwer, noch was hinterherzulegen. In der Sache selbst ist das in der Tat eine Pionieraufgabe, die von daher nicht alleine ein Bundesland leisten kann, sondern, weil wir rechtliche Regelungen des Bundes bräuchten, nur gelingt, wenn die Bundesrepublik nicht unerhebliche Öffnungsklauseln in verschiedene Bereiche einführt.
Zuweilen ist es ja der erste Schritt, den jemand ergreifen muss, und ich glaube, dass wir momentan deutschlandweit eine relativ starke Digialisierungsdynamik haben. Wir haben das im OZG vorgegebene Ziel, 2022 sämtliche Verwaltungsdienstleistungen in Deutschland online anzubieten.
Es gibt also einen relativ starken Prozess, auf dem man sich zuführend dann auch mit so einer weiteren Bemühung auf den Weg machen kann. Wir würden gerne von Ihnen den Auftrag mitnehmen und im Bundesrat dafür werben, dafür werben, dass man genau an verschiedenen Gesetzen, die es zurzeit eigentlich gar nicht zulassen, so etwas ermöglicht, um damit, ich sage mal, ein bisschen eine rein auf Unternehmen bezogene halbe Staatsangehörigkeit, die rein digital funktioniert, zu ermöglichen.
Wenn Sie schauen, wie stark Estland zurzeit von dieser Idee profitiert, dann muss man vor allem den Brexit mit in
den Blick nehmen, aber auch den Binnenmarkt der Europäischen Union. Beide sind für diese rein digitale Unternehmensstaatsbürgerschaft wichtige Treiber. Mit dem Brexit gibt es eine nicht unwesentliche Zahl von Unternehmen, die in Großbritannien wissen, dass sie mittelfristig, wenn sie im europäischen Binnenmarkt weiterhin tätig sein wollen, innerhalb der Europäischen Union einen Sitz brauchen. Und diese elektronische Residenz eines Unternehmens genügt hierfür, dass an der Stelle nicht wenige Brexit-Opfer zurzeit diese Chancen nutzen, ohne dass sie sofort physikalisch ganze Bürokomplexe verlegen müssen.
Auf der anderen Seite hat die E-Residenz in Estland erhebliche Anziehungswirkung für Nicht-EU-Unternehmen, die aber ihrerseits Interesse haben, aus einem EUMitgliedsstaat heraus im Binnenmarkt aktiv werden zu können. Beides führt nicht automatisch dazu, dass Unternehmen all ihre Produktionen verlegen, aber es führt dazu, dass sie einen ersten Kontakt ins Land haben, es führt dazu, dass in Estland in ganz erheblichem Umfang internationale Konzerne kleinere Vertriebseinheiten aufbauen. Und auch diese kleineren Einheiten sind als Arbeitsplatzmotor und im Wirtschaftsleben Estlands durchaus von zentraler Bedeutung.
Man mag jetzt fragen, sind wir überhaupt halbwegs so weit, dass wir es können. Herr Schulte hat die Punkte angesprochen. Das digitalisierte Handelsregister ist längst Realität. Ich werbe aber auch dafür, dass wir in den nächsten Monaten – da bin ich Rostock im Übrigen dankbar, die werden Vorreiter sein – im Rahmen der MVPlattform, der ersten großen digitalisierten Verwaltungszugangsmöglichkeit mit einigen Kommunen gemeinsam erste Verwaltungsdienstleistungen tatsächlich digitalisieren. Da wird die Gewerbean-, -um- und -abmeldung – unter anderem in Rostock von denen federführend vorbereitet – dazugehören.
Wir werden also ein Stück weit ein Angebot machen können, dass ich in der Tat die grundlegenden Funktionalitäten, die ich brauche, online erledigen kann. Wo wir noch einen Schritt vor uns haben – das sind dann die Dinge, wo die Bundesregierung, wenn sie so ein Modellprojet will, mitspielen muss –, ich kann zurzeit eine GmbH eben noch nicht online gründen. Das ist in Estland anders. Und ich bin überzeugt davon, dass man, wenn man es will, wenn man die Digitalisierung ausprobieren will, genau so ein Modellvorhaben braucht, um auszuprobieren, geht so eine digitale Gründung, meinethalben auch digital über einen Notar, ermöglicht es mir, also vom Ausland, aus einem anderen Mitgliedsstaat der EU heraus, all diese Schritte vorzunehmen, die ich brauche, um so eine elektronische Residenz eben auch durch eine Firmengründung voranzutreiben.
Das, was wir verwaltungsseitig können – noch mal –, wird mit der MV-Serviceplattform bei der Gewerbeum-, -an- und -abmeldung ein Schritt mehr sein. Wir werden aber an anderen Stellen die Hilfe der Bundesregierung brauchen. Dafür würden wir gern auf die Bundesregierung zugehen, um so etwas auszuprobieren. Und da ist, glaube ich, ein Bundesland wie Mecklenburg-Vorpommern hochgradig geeignet, weil Sie in einer sehr überschaubaren, eigenen Verwaltungsstruktur sind. Wir können also relativ schnell mit Kommunen reagieren. Wenn Sie auf die Größe Estlands schauen – 1,3 Millionen Einwohner –, dann sind wir mit unseren 1,6 Millionen nicht so weit entfernt.
Genau diese kleinen Einheiten erschaffen im Übrigen die Flexibilität, die Sie brauchen, wenn Sie in so einem Prozess merken, dass noch irgendwas digitalisiert werden muss, was bisher nicht digital ist, weil wir im Zweifel in relativ schnellem Gesprächskontakt mit den größeren Städten des Landes Dinge vorantreiben können. Wenn Sie in großen Bundesländern sind mit 18/20 Millionen Einwohnern, dann haben Sie meistens noch eine Regierungsebene dazwischen, Sie haben ganz andere Strukturen. Bis die sich bewegen, ist sehr viel mehr Vorlaufzeit erforderlich. Von daher glaube ich, dass man der Bundesregierung gut erklären kann, dass so ein kleines Bundesland an der Stelle einfach flexibler reagieren kann und ein relativ gutes Testgebiet ist, um sehr flexible und auf schnelle Reaktion angelegte Tätigkeiten zu versuchen.
Ich würde mich freuen, wenn Sie uns gemeinsam auf den Weg schicken. Das ist keine Garantie, dass die Bundesregierung uns folgt, aber es ist der Versuch, überhaupt mal einen Stein ins Rollen zu bringen, weil wir glauben, dass bundesweit Interesse bestehen muss, dass man quasi so ein Reallabor für die elektronische Unternehmerschaft beginnt und dass man damit ein ganzes Stück weit die Prozesse, die die Bundesregierung für das OZG ergriffen hat, nämlich Verwaltungsdigitalisierung an allen Ecken und Enden für einen Bereich, bei dem es sich, glaube ich, wirklich lohnt, es zu probieren, nämlich für die Unternehmerseite, genau so einen Prozess zu beginnen.