Protokoll der Sitzung vom 17.10.2019

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

Das Wort hat jetzt für die Fraktion DIE LINKE der Abgeordnete Herr Koplin.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Mit der Forderung der AfD, ein Landespflegefördergeld an jene zu zahlen, die die Pflege von Angehörigen in der Häuslichkeit übernehmen, haben wir uns, das ist vorhin schon bemerkt worden, im Juni dieses Jahres schon einmal auseinandergesetzt. Auch in anderen Landtagen oder auch im Bundestag verfolgt die AfD mit ihren Initiativen als Antwort auf die Herausforderungen der Pflege in der Zukunft den kompletten Rückzug der Pflege ins Private und gibt damit die Verantwortung des Staates, flächendeckende, bedarfsgerechte Strukturen zu schaffen, an die Familien ab.

(Thomas de Jesus Fernandes, AfD: Eine infame Lüge! Das haben Sie damals auch schon gemacht als SED!)

Schauen Sie mal, Herr de Jesus Fernandes, Sie haben,

(Thomas de Jesus Fernandes, AfD: Das ist eine infame Lüge!)

Sie haben vorhin …

Sie können ja noch reden.

Sie haben vorhin gesprochen, als Sie den Antrag begründet haben und den Gesetzentwurf begründet haben, von der Verzahnung von Pflege in Heimen, ambulanter Pflege und Pflege durch Angehörige. Diesen Aspekt, den haben Sie hier vorgetragen. In Ihrem Gesetzentwurf, weder in der Problembeschreibung noch in der Lösungsdarstellung taucht das auf.

(Zuruf von Thomas de Jesus Fernandes, AfD)

Sie gehen auf einen Aspekt hier ein und mit dem setze ich mich auseinander. Sie müssten sonst einen anderen Antrag stellen.

(Thomas de Jesus Fernandes, AfD: Nein, Sie holen sich punktuell, was Ihnen passt!)

Aha! Ihnen passt zum Beispiel,

(Zuruf von Thomas de Jesus Fernandes, AfD)

Ihnen passt zum Beispiel, dass die Pflege von Angehörigen in die Häuslichkeit verlagert wird, die Sorgeleistung in den Privatbereich geht. Das ist der Kern, der inhaltliche Kern Ihres Antrages. Oder möchten Sie einen anderen Antrag stellen? Das weiß ich nicht.

(Thomas de Jesus Fernandes, AfD: Sie können gern einen Antrag stellen, wie Sie den Pflegenotstand beheben wollen!)

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf soll ein Landespflege…

Haben Sie Interesse an unserer Position?

(Thomas de Jesus Fernandes, AfD: Nein.)

Sie haben das vorgelegt. Sie haben gar kein Interesse daran, das wollen wir mal festhalten.

(Zuruf von Simone Oldenburg, DIE LINKE)

Ich habe ein Interesse daran, die Position der LINKEN darzustellen.

(Thomas de Jesus Fernandes, AfD: Sie setzen sich gar nicht damit auseinander.)

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf soll ein Landespflegefördergeld ausgezahlt werden, wörtlich: „wenn die erforderliche Pflege für den Pflegebedürftigen durch diese Pflegeperson sichergestellt wird“. So heißt es im Text. „Sichergestellt“ hieße dann auch, dass diese Pfle

geperson alle Pflegeleistungen, die 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche anfallen, alleine bewältigen soll. Je nach Pflegegrad wäre das tatsächlich ein Rundumjob, der sage und schreibe mit 150 – das ist Ihr Vorschlag – bis 300 Euro Landespflegefördergeld pro Monat vergütet werden soll. Das ist eher ein Abspeisen der privat Pflegenden, denn diese Summen sind ein Taschengeld, aber kein Fördergeld, wie es der Titel suggeriert.

Die Verfasser des im September erschienenen Reports des Instituts der deutschen Wirtschaft „Pflegende Angehörige in Deutschland“ merken an, dass häusliche Pflege sozialen Zwängen und Dynamiken unterworfen ist, die aus einer sozialen Ungerechtigkeit herrühren. Wörtlich dort: „Einerseits könnte es sein, dass Angehörige mit geringerem Einkommen in höherem Umfang selbst pflegen, weil sie sich die Unterstützung durch eine professionelle Pflegekraft nicht leisten können. Andererseits könnte gerade für die Gruppe der (noch) Erwerbstätigen eine Ausweitung der Pflegetätigkeit mit einer Reduktion der eigenen Erwerbstätigkeit einhergehen –“ – auf den Aspekt sollten Sie nachher noch mal eingehen, weil der hat eine volkswirtschaftliche Dimension – „entsprechend geringer ist das Einkommen, wenn viel Pflege geleistet wird.“

Pflege hat auch immer eine soziale und soziologische Komponente, Zusammenhänge und Auswirkungen. Wir dürfen das soziale Ungleichgewicht nicht ignorieren, wenn wir über die Pflege in der Gegenwart und Zukunft sprechen. Auch aus gleichstellungspolitischer Sicht hat eine einseitige Zuwendung Auswirkungen. Zu einem überwiegenden Teil wird Pflege noch immer von weiblichen Angehörigen übernommen. Das stellt auch der eingangs erwähnte Report aus dem September 2019 heraus. Wenn also vor allem Frauen selbst pflegen, weil sie sich keine Pflegeunterstützung leisten können und auf Einkommen und damit auch auf Rentenpunkte verzichten, um Zeit für die Pflege zu erübrigen, ist es immer auch eine Frage der sozialen Gerechtigkeit gegenüber Frauen und eine Frage der Gleichstellungspolitik, wie Pflege ausgestaltet wird. Es muss dabei Leitlinie sein, soziale Ungerechtigkeiten und tradierte, überholte Rollenmuster nicht noch zu verschärfen, sondern sie durch passgenaue professionelle Pflegeangebote zu beheben.

Laut Prognosen der Landesregierung aus meiner Kleinen Anfrage aus dem März dieses Jahres wird es in den kommenden 15 Jahren einen Anstieg von Pflegebedürftigen auf bis zu 140.000 Personen in MecklenburgVorpommern geben. Das ist ein Anstieg um 50 Prozent. Dieser Prognose kann doch nicht anhand einer Zuwendung in Höhe von 150 bis 300 Euro Aufwandentschädigung, oder wie auch immer Sie das nennen mögen, begegnet werden. Diese Prognose lässt nur ein umfassendes politisches Herangehen zu, das Pflege nicht allein den Familien überlässt, sondern nachhaltige Versorgungsstrukturen schafft, es also als eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe begriffen wird. Es kann auch nicht das Ziel pflegepolitischer Initiativen sein, bis zum Jahr 2035 eine fünfstellige Zahl erwerbstätiger Menschen in die Teilzeit oder gar Arbeitslosigkeit zu schicken, um die Pflege ihrer Angehörigen zu bewältigen. Und genau das, und nur das will die AfD mit Ihrem Gesetzentwurf befördern.

Und ich kürze mal meine Rede an der Stelle ab, weil mir das so ungeheuer wichtig ist, um sechs, zumindest sechs Argumente mal noch herauszuarbeiten, warum wir Ihren Antrag ablehnen. Ich wiederhole noch mal:

Die Sorgearbeit verlagern Sie allein in den familiären Bereich. Und damit, wenn Sie nämlich bewirken, dass diejenigen ihre Arbeit – Teilzeit oder Vollzeit – aufgeben für ein Geld von 150 bis 300 Euro, das Sie zugestehen wollen, hat das aber den Effekt gesellschaftlich gesehen, dass sich das Fachkräfteproblem, das wir an anderen Stellen in der Gesellschaft haben, noch viel deutlicher verschärfen wird. Haben Sie darüber eigentlich mal nachgedacht?

Und für diejenigen, für die Sie dieses Geld bereithalten wollen, weil sie ja dann auf einen Teil des Erwerbseinkommens, und zwar eines nicht geringen Teils des Erwerbseinkommens verzichten müssen, also Lohnverzicht haben werden – Sie wollen das mit 150 bis 300 Euro kompensieren –, inszenieren Sie aber eine soziale Abwärtsspirale für die betroffenen pflegenden Angehörigen, weil es keinen adäquaten Lohnausgleich gibt. Und die Sicherungssysteme, in die sie sonst einzahlen würden, das ist ja die Systematik bei uns, die Sie im Übrigen aushebeln wollen, diese Sicherungssysteme werden dann nicht mehr bedient von den jeweiligen und sie fallen dann zukünftig in eine prekäre soziale Situation. Das machen die 150 bis 300 Euro, die Sie da vorhaben, gar nicht weg.

Und im Übrigen ist das dann auch volkswirtschaftlicher Irrsinn, denn, wenn wir weniger Menschen haben, die sozialversicherungspflichtig in der Gesellschaft tätig sind, ob in der Industrie, in der Landwirtschaft, im Dienstleistungsbereich, sie dann rausgehen mit dem entsprechenden Entgelt, was Sie da vorhaben, in die persönliche Pflege, sich darauf dann konzentrieren müssen, geht auch die Gesamtwertschöpfung zurück, gehen auch Steuereinnahmen zurück. Und die wiederum haben dann auch wieder in der Folge eine Schwächung der sozialen Sicherungssysteme. Das ist das, woran Sie drehen und was die Konsequenz Ihres Antrages ist.

(Zuruf von Thomas de Jesus Fernandes, AfD)

Und, ich habe es eben gerade noch mal referiert, Sie verstärken die strukturelle Benachteiligung von Frauen. Das ist das, was Sie bewirken.

Und dann, ganz zum Schluss der sechste Punkt noch, weil Herr Professor Dr. Weber hier noch mal deutlich gemacht hat, wie er mit Geflüchteten umgehen will, und das noch mal bemerkt hat: Ihr Antrag, darauf sind Sie vorhin gar nicht eingegangen, der hat natürlich auch noch so eine Hinterhältigkeit,

(Dirk Lerche, AfD: Genau.)

dass Sie sagen, …

Genau. Sie wussten, dass wir draufkommen, ja?

… dass Sie sagen, anspruchsberechtigt sind nur diejenigen, die bereits fünf Jahre in Mecklenburg-Vorpommern leben. Können Sie das in der Sache mal begründen, warum? Ich unterstelle …

(Thomas de Jesus Fernandes, AfD: Weil es in Landespflege ist!)

Entweder gibt es einen Pflegebedarf oder es gibt ihn nicht. Sie unterscheiden und sagen: Landespflegefördergeld geben wir, aber nicht für alle. Ob die Pflege notwen

dig ist oder nicht, interessiert uns nicht. Wir geben für diejenigen, die fünf Jahre hier gelebt haben, wenn sie, sage ich mal, in Schleswig-Holstein oder in Niedersachsen gelebt haben, dort eingezahlt haben, sich beteiligt haben am gesellschaftlichen Leben, dann haben sie das also nicht verdient. Wir haben überlegt, warum, warum diese fünf Jahre. Ja, es geht um die Geflüchteten. Sie wollen nicht, dass die Geflüchteten gepflegt werden. Die haben dann nämlich, die jetzt zu uns gekommen sind, keinen Anspruch nach Ihrer Regelung.

(Dr. Ralph Weber, AfD: Ja, das ist richtig.)

Das ist Ihre Absicht. Das ist Ihre Absicht. Das ist Ihre Absicht. Ja. Und das wollten wir mal herausarbeiten. Und dann ist die Würde des Menschen doch nicht gleichermaßen gesichert. Sie unterscheiden in der Würde des Menschen. Und aus unserer Sicht ist das ein ganz eklatanter Fall, wie Sie an dieser Stelle das Grundgesetz missachten.

Ich fand das sehr gut, dass das gestern eine große Rolle gespielt hat, das Grundgesetz in der Rede von Herrn Meckel. Streitbar. Vielen Sachen stimme ich nicht zu. Aber das Grundgesetz hochzuhalten, das halte ich für ungeheuer wichtig. Und an der Stelle,

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

an der Stelle zeigen Sie ganz deutlich, dass Sie ganz verschiedene Auffassungen haben zu dem, was im Grundgesetz steht,

(Zuruf von Horst Förster, AfD)

und dem, was Sie wollen. Die Würde des Menschen ist antastbar für Sie, nämlich dann, wenn jemand Pflege benötigt und hier gelebt hat, und wenn jemand Pflege benötigt und hier innerhalb der letzten fünf Jahre zu uns gekommen ist, dann zählt das nicht mehr. Da machen wir nicht mit

(Zuruf von Horst Förster, AfD)