Protokoll der Sitzung vom 18.10.2019

Solange er existiert, würde die Arbeitslosigkeit in Deutschland sofort wieder die 10-Prozent-Marke übersteigen, sobald die Agendapolitik rückabgewickelt werden sollte, denn die Agenda 2010 war eigentlich das erste Eurorettungspaket.

Sie erinnern sich, 1999 wurde der Euro als Buchgeld eingeführt. 2002 erhielten wir die sogenannten Starterkits. Bereits deutlich vor diesem Zeitpunkt, nämlich 1995 als Folge der bloßen Ankündigung des Europäischen Rates, es werde dereinst 2002 eine Gemeinschaftswährung verbindlich eingeführt, begannen die Zinsen langlaufender Staatsanleihen in Südeuropa ungewöhnlich tief zu sinken. Davon besonders profitierten Länder wie zum Beispiel Italien, Portugal oder Griechenland, die bis dahin für langlaufende Staatsanleihen noch unter der Ägide ihrer nationalen Währungen zum Teil Zinsen von deutlich über 10 Prozent bis hin zu 20 Prozent bezahlen mussten.

Deutschland, bisher als sicher angesehener Hafen für Kapital aus aller Welt, bekam auf einmal überaus attraktive südeuropäische Konkurrenz. Die Mittelmeereuroteilnehmerländer zogen mit ihren neu erworbenen Niedrigzinsen Kapital an und investierten es in Geisterautobahnen, Wohnanlagen und Flughäfen. Das zuvor in Deutschland investierte Kapital floss dadurch ab wie Wasser aus der Badewanne, wenn man den Stöpsel zieht. Sinkende Neuinvestitionen, Rezession und steigende Arbeitslosigkeit in Deutschland waren die Folge. In den Jahren 1999 bis 2005 stieg die Arbeitslosigkeit in Deutschland auf fast 5 Millionen Menschen entsprechend einem Anteil von knapp zwölf Prozent. Wegen des Kapitalabflusses in das Ausland wurde im eigenen Land immer weniger investiert. In den Jahren 2002 bis 2007 hatte Deutschland die niedrigste Nettoinvestitionsquote von allen Euroteilnehmern aufzuweisen. Schon bald sprach man von Deutschland als dem „kranken Mann Europas“. In diesem Zusammenhang möchte ich Herrn Holter freisprechen, der hat nun wirklich keine Schuld daran. Es war der Euro, durch den wir in dieser Zeit auch hier in MecklenburgVorpommern eine derart hohe Arbeitslosigkeit hatten.

Die Regierung Schröder/Fischer hatte aus heutiger Sicht nur zwei Möglichkeiten, meine Damen und Herren: entweder den Euro aufzugeben oder Deutschland eine Rosskur zu verordnen, um wieder wettbewerbsfähig zu werden. Sie entschied sich für die Rosskur und damit gegen das eigene Volk. Ökonomen sprechen übrigens von innerer Abwertung. Sie kommt immer dann zum Tragen, wenn ein Land die eigene Währung nicht abwerten kann, was hier wegen des Euro der Fall war. Das bedeutet – also „innere Abwertung“ – runter mit den Löhnen, runter mit den Sozialleistungen, runter mit den Preisen. Nichts anderes war die Agenda 2010.

Die Hartz-IV-Maßnahmen gänzlich rückabzuwickeln, das funktioniert unter dem Euro nicht. Was also ist ein denkbares Konzept?

(Zuruf von Torsten Renz, CDU)

Meine Damen und Herren, wir von der AfD könnten uns vorstellen, dass das Arbeitslosengeld I länger gezahlt wird. Dies muss sich aber daran orientieren, wie lange ein Arbeitnehmer zuvor beschäftigt war und in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt hat. Auf die Lebensleistung soll es also ankommen. Es geht nicht, dass ein Facharbeiter, der 30 Jahre gearbeitet und in die Sozialkassen eingezahlt hat, bereits nach einem Jahr in Arbeitslosengeld II hinabfällt. Es ist nicht nachvollziehbar, dass der Facharbeiter damit die gleichen Leistungen erhält wie ein Arbeitsloser, der überhaupt noch nicht oder nur für kurze Zeit Beiträge in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt hat.

(Beifall vonseiten der Fraktion der AfD)

Ein weiterer Konstruktionsfehler bei Hartz IV ist, dass, bevor ALG II ausgezahlt wird, erst einmal ein Großteil der eigenen Ersparnisse aufgebraucht werden muss,

(Dr. Ralph Weber, AfD: Genau.)

obwohl diese auch für ein menschenwürdiges Leben im Alter angespart worden sind. Es ist aber ein Unding, diejenigen zu bestrafen, die teilweise unter Entbehrungen fürs Alter vorgesorgt haben, wohl wissend, dass die Rente nicht auskömmlich sein wird. Deshalb bedarf es drin

gend einer spürbaren Erhöhung des Schonvermögens, welches unter keinen Umständen angetastet werden darf. Dafür setzen wir uns ein.

(Beifall vonseiten der Fraktion der AfD)

Stattdessen wollen linke und grüne Sozialromantiker, dass jeder das gleiche Grundeinkommen erhält, unabhängig davon, ob jemals in die deutschen Sozialkassen eingezahlt worden ist. Das lehnen wir ab.

Meine Damen und Herren, Hauptziel muss es bleiben, das Ideal der Vollbeschäftigung anzustreben, nur das wäre wirklich sozial.

(Torsten Renz, CDU: An dem Thema sind wir dran.)

Es geht aber nur mit Fordern und Fördern. Hartz IV kann deshalb derzeit nur abgemildert werden, ganz abschaffen ist keine Möglichkeit. – Vielen Dank.

(Beifall vonseiten der Fraktion der AfD)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter.

Das Wort hat jetzt für die Fraktion der SPD Herr Brade.

(Heiterkeit bei Torsten Renz, CDU: Nimmst du einen längeren Weg?)

Also zuerst sollte das Wasser da sein.

Sehr geehrte Landtagspräsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Kollegen! Es ist immer wieder dieselbe Leier, die wir hier im Landtag von der Fraktion DIE LINKE erleben dürfen. Man kann fast die Uhr nach Ihren arbeitsmarktpolitischen Schaufensteranträgen stellen, sehr geehrter Herr Foerster, wie ich vorhin hörte, schon ungefähr seit 15 Jahren.

Was mich dabei am meisten stört, ist die Tatsache, dass Sie die Situation der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Mecklenburg-Vorpommern und der gesamten Wirtschaft im Land schlechter machen, als sie in Wirklichkeit ist.

(Torsten Renz, CDU: Jawoll!)

Sie spielen sich als Samariter der hart arbeitenden Menschen im Land auf, obwohl Sie im Gegensatz zu uns, die wirklich etwas zur Verbesserung der Situation der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer tun, nur Forderungen formulieren, für die wir hier im Landtag gar nicht zuständig sind. Trotzdem möchte ich noch auf einige Punkte in Ihrem Antrag eingehen und einige aktuelle Zahlen der Arbeitsmarktstatistik Mecklenburg-Vorpommern nennen.

Sie suggerieren mit einigen Formulierungen immer wieder, dass das Land und der Bund in Bezug auf die Integration in den Arbeitsmarkt wenig bis gar nichts tun würden. Dabei leisten sowohl das Land als auch der Bund einen hohen Beitrag zur Integration in den Arbeitsmarkt. Ein aktuelles Beispiel ist das neu gestartete Kompetenzzentrum 4.0 zur Digitalisierung der Arbeitswelt in Mecklenburg-Vorpommern, das Unternehmen und Beschäftigte bei der digitalen Transformation des Arbeits

marktes unterstützen und die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer fit für die Zukunft machen soll.

Des Weiteren lassen Sie auch das Teilhabechancengesetz meistens komplett außen vor. Dabei schafft es genau das, was vor allem uns als SPD-Landtagsfraktion am Herzen liegt, nämlich Frauen und Männer in existenzsichernde und nachhaltige Erwerbstätigkeit zu bringen.

Die Zahlen – Harry Glawe sprach es vorhin an – sprechen hier eine deutliche Sprache. Aktuell sind in Mecklenburg-Vorpommern etwa 19.400 Menschen langzeitarbeitslos. Das ist zwar immer noch zu viel, doch ich denke, hier sind wir auf dem richtigen Weg, denn immerhin sind das 13.700 Menschen weniger als noch vor fünf Jahren. Wir sind also wirklich auf einem richtig guten Weg. Die aktuellen Arbeitsmarktzahlen bestätigen zudem diesen positiven Trend. Die Arbeitslosenquote beträgt gerade einmal 6,5 Prozent. Die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung legt weiter zu. Im Nordosten ist eine kontinuierlich wachsende Entwicklung der Beschäftigtenzahlen zu verzeichnen. Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Mecklenburg-Vorpommern liegt bei 578.700, das sind 4.100 mehr als im Vergleich zum Vorjahr.

Damit die Zahlen in Zukunft noch besser werden und wir die Situation der Menschen im Land auch weiter verbessern können, gibt es zwischen den Ländern und dem Bund – genauer, dem Bundesministerium für Arbeit und Sozia- les – einen kontinuierlichen Diskussionsprozess zur Verbesserung der im SGB II vorgesehenen Maßnahmen zur Eingliederung in Arbeit und zur Vereinfachung der Verwaltungsverfahren. Dies wird zum Beispiel durch die regelmäßige Befassung der Arbeits- und Sozialministerkonferenz mit dem SGB II, wo Ministerin Steffi Drese die Interessen unseres Landes ziemlich toll vertritt, sehr deutlich.

(Torsten Renz, CDU: Ziemlich toll?)

Schauen Sie sich einfach mal die Tagesordnung und die Protokolle an!

(Sebastian Ehlers, CDU: Was? Die Arbeitsministerin?)

Viele der Forderungen in Ihrem Antrag sind ja an sich auch nichts Neues. Werfen Sie mal einen Blick auf das neue Sozialstaatskonzept der deutschen Sozialdemokratie! Bei vielen Themen...

(Torsten Renz, CDU: Wat für ein Ding?! – Henning Foerster, DIE LINKE: Wie lange regiert ihr jetzt?)

Bei vielen Themen, wie der Abschaffung von Hartz IV,

(Henning Foerster, DIE LINKE: Euer Papier nützt niemandem.)

der Einführung der Kindergrundsicherung, des Rechts auf Weiterbildung oder der Anhebung des Mindestlohns auf 12 Euro, liegen wir doch auf einer Wellenlänge. Doch wissen Sie, wo der entscheidende Unterschied zwischen uns liegt? Wir stellen in den Landesparlamenten keine Schaufensteranträge, wo die Zuständigkeiten eigentlich woanders liegen

(Zuruf von Torsten Renz, CDU)

und die Situation der Menschen nicht verbessert wird. Wir setzen uns auf den zuständigen Ebenen für die richtigen Sachen ein, auch wenn die Diskussionen mit dem Koalitionspartner, Herr Renz,

(Torsten Renz, CDU: Endlich sind wir dran!)

oftmals hart sind und man Kompromisse finden muss.

(Torsten Renz, CDU: Haben Sie uns schon mal einen Antrag rübergeschickt mit den 12 Euro?)

Letztlich steht aber für uns das Wohl der Bürgerinnen und Bürger im Mittelpunkt.

(Minister Harry Glawe: Genau.)

Statt einer Korrektur in der Arbeitsmarktpolitik brauchen Sie eine Kurskorrektur in der Intention Ihrer Anträge. – Vielen Dank.

(Beifall vonseiten der Fraktion der SPD)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter.

Das Wort hat jetzt für die Fraktion der CDU Herr Ehlers.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren!