Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der SPD und CDU auf Drucksache 7/4617. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. – Die Gegenprobe. – Gibt es Stimmenthaltungen? – Damit ist der Antrag der Fraktionen der SPD und CDU auf Drucksache 7/4617 einstimmig angenommen.
Ich könnte auch eine andere Lösung anbieten. Wenn sich ein Schriftführer aus den Fraktionen zur Verfügung stellt, den Herrn Kolbe, der den nächsten Antrag einzubringen wünscht, abzulösen, dann brauchen wir jetzt die Sitzung nicht zu unterbrechen. – Vielen Dank, Frau Weißig.
Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 24: Aussprache gemäß Paragraf 43 Nummer 2 der Geschäftsordnung des Landtages zum Thema „Für ein solidarisches und soziales Europa – Schlussfolgerungen aus dem Brexit für Mecklenburg-Vorpommern ziehen“.
Aussprache gemäß § 43 Nummer 2 GO LT zum Thema Für ein solidarisches und soziales Europa – Schlussfolgerungen aus dem Brexit für Mecklenburg-Vorpommern ziehen
Im Ältestenrat ist vereinbart worden, eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 58 Minuten vorzusehen. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.
Ja, sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! So einen kurzen Weg zum Rednerpult hat man ja auch nicht alle Tage.
Ja, ich glaube, mit der Aussprache behandeln wir heute ein höchst aktuelles Thema, welches gleichzeitig auch eine tief greifende Zäsur in der Geschichte der Europäischen Union darstellt. Mit dem positiven Votum des Europäischen Parlaments gestern zum Austrittsabkommen besteht nun Gewissheit über die Modalitäten des Austritts des Vereinigten Königreichs. Offen hingegen ist in vielen Politikbereichen die Ausgestaltung der zukünftigen Beziehungen. Fest steht nur, dass für die Aushandlungen ein enger Übergangszeitraum definiert wurde, der eine Verlängerung um maximal zwei Jahre vorsieht.
Schenkt man den aktuellen Verlautbarungen aus der Downing Street nun Glauben, wird die Übergangszeit ja bereits zum Ende dieses Jahres enden. Eine Verlängerung ist ja seitens Premier Johnson abgelehnt worden. Allerdings, wenn wir eines in den letzten Monaten mit ganz großer Sicherheit gelernt haben, dann, glaube ich, ist es das, dass Ultimaten aus London nicht zwangsläufig immer das letzte Wort sein müssen,
zumal sogar drei Jahre bei der Themenvielfalt und bei der Komplexität der Verhandlungsgegenstände, mit denen wir es zu tun haben, doch höchst sportlich sein dürften, dort zu vernünftigen Vereinbarungen zu kommen. Diese Verhandlungen übers Knie zu brechen – das sage
ich ganz deutlich –, ist aus meiner Sicht höchst gefährlich, zumal uns dann doch noch eine Art „Hard Brexit“ durch die Hintertür drohen könnte, weil klar ist, alles, was nicht vereinbart ist, alles, was nicht festgehalten wird, das findet dann auch erst mal nicht mehr statt.
Ich glaube, hier steht auch für Mecklenburg-Vorpommern viel auf dem Spiel. Ich denke nur an meinen eigenen Themenbereich der Hochschulen, an Studentenmobilität, an Forschungsaustausch. Wir haben gerade darüber ge- redet, wie eng beispielsweise Dummerstorf auch vernetzt ist. Ich glaube, das kann niemand wollen. Und hier, glaube ich, müssen wir auch als Parlament große Sorgfalt darauf legen, das eng zu begleiten, den Übergangszeitraum, und vielleicht auch mit den Möglichkeiten, die wir haben, zu gestalten. Genauso wenig wollen wir als Linksfraktion, dass nach dem Brexit nun weitere Mitgliedsstaaten diesen, aus meiner persönlichen Sicht sehr bedauerlichen Schritt gehen.
Umso wichtiger ist es an dieser Stelle, auch noch mal in aller Kürze die wesentlichen Gründe zu skizzieren, warum denn eine Mehrheit der Briten für ein Ausscheiden aus der EU gestimmt hat. Zum einen ist da natürlich die oft zitierte britische Eigenart, die genannt wird, die Rolle der Boulevardpresse. Wir haben über die Rolle der Medien gesprochen und gestern über die Rundfunkbeiträge, und ich glaube, das ist auch noch mal ein ganz wichtiger Punkt zu sehen, wie wichtig ein guter, starker öffentlicher Rundfunk ist, damit so was, wie es in Großbritannien passiert ist, halt nicht passiert,
Dann haben wir den Euroskeptizismus, der wohl am prägnantesten in der Aussage von Maggie Thatcher – wir erinnern uns: „I want my money back!“ – seinen Niederschlag fand. Und obwohl oder vielleicht auch gerade, weil mit dem Britenrabatt in der Folge dann immer weitere Extrawürste zugestanden wurden, wurde die EU mehr und mehr in Großbritannien zu einem Spielball der Innenpolitik und damit eben auch zu einem willkommenen Sündenbock für eigene Verfehlungen. Ich glaube, das ist eine ganz wichtige Lehre, wo wir auch in MecklenburgVorpommern und auch in der Bundesrepublik genau aufpassen müssen, wenn wir Europapolitik machen, dass wir es uns da auch nicht so einfach machen und immer den Finger nach Brüssel zeigen, weil oft ist es ja doch wesentlich komplexer.
Ein zweiter Punkt, unbestritten, ist der Aufstieg des Rechtspopulismus in weiten Teilen Europas. Die Ressentiments gegen die vermeintlichen Altparteien und die sogenannte politische Klasse, meine Herren der AfD, der Zorn auf die Welt und Veränderungen, die ins Aggressive umschlagende Verängstigung, Ausländerfeindlichkeit, die Abwehr von Zuwanderung – all das hat sich auch in Großbritannien zu einer Wut verdichtet, der mit Sachargumenten nur schwerlich beizukommen war und auch ist.
Und der dritte Grund – und das ist eigentlich ein sehr bedauerlicher – ist eine verfehlte Politik auch in der EU selbst. Die Union wurde mehr und mehr zu einem neoli
beralen Projekt, in der die Freiheit des Marktes und die Wettbewerbsfähigkeit zentrale Pfeiler der Politik sind. Um nicht falsch verstanden zu werden – das habe ich hier auch immer wieder betont –, als Linksfraktion stehen wir selbstverständlich fest zur Idee der europäischen Integration, die auch zu Recht als Staatsziel in unserer Landesverfassung verankert ist. Ich sage aber auch – und auch das als eine wesentliche Konsequenz aus dem Erlebten –, dass es wesentlicher Veränderungen bedarf und wir die europäische Idee auch mit einem neuen Leben erfüllen müssen.
Das hat ja selbst die neue Kommission erkannt. Die hat jetzt ja ein neues Dialogformat wieder aufgelegt, das hat ja den hochtrabenden Titel „Konferenz der Zukunft Europas“. Und da hat sich auch schon der Druck von LINKEN, von Sozialdemokraten, von GRÜNEN gelohnt, die Kommission darauf zu dringen, dass wir nicht zwei Jahre miteinander reden und dann ist es gut, sondern dass auch die Möglichkeit besteht, dass wir die Verträge danach wirklich anfassen, weil ich glaube, es ist notwendig, dass wir auch Veränderungen an den Verträgen bringen, wenn wir Europa anders gestalten wollen.
Wenn man sich allerdings den Start der Legislaturperiode in Erinnerung ruft, ist dann doch einige Skepsis angebracht. Ich weiß nicht, erinnern Sie sich noch an die Namen der Spitzenkandidaten der europäischen Parteien? Anstatt den Gewinner der Europawahl zum Chef der EU-Kommission zu bestimmen, wie ursprünglich ja vorgesehen war, wurde dann Ursula von der Leyen wie Kai aus der Kiste gezaubert.
Sie mag zwar zuvor einige Expertisen mit dubiosen Beraterverträgen, mit teuren Schiffsreparaturen oder auch kaputten Waffensystemen erlangt haben,
aber in Europafragen bis dato ist sie doch eher weniger in Erscheinung getreten. Das sind dann genau die Vorgänge – und da bin ich genau beim Thema, Herr Renz –,
die Skepsis gegenüber der EU fördern und den Schwung, den wir auch in der höheren Beteiligung an den Europawahlen gesehen haben, doch wieder jäh haben abebben lassen. Es wird weitergemacht wie bisher, als wäre nichts passiert. Und ich finde das unverantwortlich, meine Damen und Herren.
Doch damit nicht genug. Auch an anderer Stelle gibt es ja immer noch keine Bewegung. Ich weiß ja nicht, Herr Renz, Sie mal als Beispiel nehmend, als fleißiger Abgeordneter in Ihrem Wahlkreis, wenn Sie ein Problem bekommen, dann gehen Sie damit ja im besten Falle – da gehe ich von aus – konstruktiv um,
und wenn es notwendig ist, kommen Sie ins Parlament, stellen hier einen Antrag als Fraktion oder einen Gesetzentwurf und dann wird sich dieses Problems angenommen.
Von mir aus sogar auch einen Strategiefondsantrag, aber Sie tun etwas. Nun sind Sie gewähltes Mitglied des Europäischen Parlamentes, was machen Sie dann? Dann stehen Sie doof da,
weil – das muss man sich vorstellen – 68 Jahre nach Gründung des Europaparlamentes haben wir immer noch keine Gesetzgebungsrechte des Europaparlamentes. Da sind Sie da, Sie können aber kein Gesetz einbringen.
als die Institution mit der höchsten demokratischen Legitimation, dass Sie immer noch kein Gesetzgebungsrecht hätten.
(allgemeine Unruhe – Vincent Kokert, CDU: Ziehen Sie doch die Abgeordneten ab, holen Sie die einfach nach Hause! Die braucht doch eh keiner.)
Und wenn wir über die Institution debattieren, lassen Sie uns doch auch mal darüber nachdenken, wie wir die Rolle der Bundesländer auf europäischer Ebene weiter stärken können. Mein geschätzter Kollege Gundlack ist jetzt nicht da, aber ich weiß, er ist da sehr engagiert