Protokoll der Sitzung vom 10.06.2020

Die Inklusionsstrategie der Landesregierung sah ursprünglich ja auch die Schließung der Förderschulen mit dem Schwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung vor, doch fand dieser Plan keinen Eingang in die Schulgesetzänderung, offenbar aufgrund von Erfahrungen aus der Praxis mit dieser Schülergruppe. Insgesamt bieten derzeit 37 Schulen den Förderschwerpunkt Lernen an, mehrere davon in Kombination mit anderen Förderschwerpunkten, von denen perspektivisch nur vier als Förderschulen bestehen bleiben, ausschließlich unter Fortführung des Schwerpunktes geistige Entwicklung. Die Anzahl reiner Förderlernschulen wurde bereits seit 2010 von 37 auf 26, also um etwa 30 Prozent, reduziert.

Mit dem weiteren Auslaufen wird ein ganz erheblicher Teil unserer Förderschullandschaft wegbrechen. Beim

Schwerpunkt Sprache sind das Sprachheilpädagogische Zentrum Schwerin und die Förderzentren Stralsund und Anklam von Schließungen betroffen. In diesen drei Fällen ist der Verlust des Sprachheilzweiges zugleich mit dem Wegfall weiterer Schwerpunkte verbunden.

Wie versucht nun die Inklusionsstrategie, den Verlust der Förderschulen auszugleichen? Zunächst wird versucht, möglichst viele Schüler aller Förderbedarfe in Regelschulen unterzubringen, um damit den sozialen Kern des Inklusionsgedankens zu verwirklichen. Das führt aber dazu, dass förderbedürftige Schüler, die sonst in kleinen Lerngruppen mit guter technischer Ausstattung von erfahrenen, sonderpädagogisch ausgebildeten Lehrkräften unterrichtet worden wären, sich nun in sehr großen Klassen zurechtfinden müssen, in denen sie zunächst eine Außenseiterposition einnehmen, von Mobbing bedroht sind, ihre Schwächen im Vergleich zu anderen besonders spüren und dem Unterricht oft schlechter oder gar nicht folgen können, damit dann auch zu Störungen neigen, die Aufmerksamkeit der Lehrkraft über Gebühr beanspruchen, die sich damit weniger den anderen Schülern widmen kann. Kurz gesagt, die Inklusion, so, wie sie jetzt umgesetzt werden soll, birgt mehr Risiken als Nutzen für alle Betroffenen –

(Beifall vonseiten der Fraktion der AfD)

es sei denn, dass alle räumlichen, personellen und technischen Voraussetzungen in der erforderlichen Bandbreite geschaffen werden können. Konsequenterweise beträfe das dann jede Schule im Lande. Und das, meine Damen und Herren, ist nicht erkennbar und praktisch wohl auch nicht umsetzbar.

Deshalb haben wir wohl auch die paradoxe Situation, die für schwierige Fälle eine Lösung in der Exklusion sieht. An ausgeprägten Grundschulstandorten werden nun Lerngruppen für Schüler mit Förderbedarf in den Förderschwerpunkten Lernen, Sprache und emotional-soziale Entwicklung eingerichtet. Daneben gibt es Schulen mit spezifischer Kompetenz für Förderschwerpunkte Sehen, Hören und motorische Entwicklung, die in ihrem Bestand aber wohl nie gefährdet waren.

Diese Ausgliederung entspricht nun freilich nicht mehr der anfänglich propagierten reinen Lehre der Inklusion, sondern bestätigt die Sinnhaftigkeit des ursprünglich vorgehaltenen und mustergültigen Netzes an sonderpädagogischen Einrichtungen in Mecklenburg-Vorpommern, welches nun größtenteils aufgelöst wird. Die Inklusionsstrategie der Landesregierung schafft es nun auch nicht, all diese körperlich-motorisch behinderten Schüler in Regelschulen unterzubringen, sondern lässt für sie die Förderschulen bestehen und schafft lediglich einige Schulen mit spezifischer Kompetenz.

Mit unserem Gesetzentwurf des Schulgesetzes wollen wir in Artikel 1 Nummer 1 das Streichen der mit dem Wegfall bestimmter Inklusionsbereiche unnötig werdenden Förderpläne, was zu einer erheblichen Entlastung der Lehrkräfte führt.

Die Nummer 2 stellt den ursprünglichen Wortlaut des Paragrafen 34 zur sonderpädagogischen Förderung wieder her.

Nummer 3 macht die Beschulung von Kindern mit Förderbedarf an Regelschulen unter den Bedingungen mög

lich, dass die nötigen räumlichen, sächlichen und personellen Voraussetzungen gegeben sind und der Unterrichtserfolg aller Schüler dadurch nicht beeinträchtigt wird.

In Nummer 4 und 5 stellen wir den ursprünglichen Wortlaut der Paragrafen 36 und 37 wieder her und damit die Regelung zu den Förderschulen und zur näheren Ausgestaltung der sonderpädagogischen Förderung.

Nummer 6 ist die Folge von Nummer 1, und Nummer 7 nimmt die Schulen mit den Förderschwerpunkten Lernen und Sprache wieder in die Liste der Förderschulen auf.

Nummer 8 hebt die Einzelregelungen zur Inklusion auf, vor allem die Termine zur Aufhebung von Förderschulen mit den Förderschwerpunkten Lernen und Sprache.

Meine Damen und Herren, mit unserem Gesetzentwurf und dem damit verbundenen Antrag wollen wir ein Umdenken in der Inklusionsdebatte befördern. In mehreren Bundesländern, wie Bayern, Baden-Württemberg und NRW, ist dieses Umdenken bereits im Gange. Die Bildung unserer Kinder ist zu wichtig, als dass wir sie den ideologischen Gleichheitswunschträumen und Experimenten von Wissenschaftlern opfern sollten. Vielmehr müssen wir uns an den besten und erfolgreichsten pädagogischen Konzepten, gerade auch aus dem eigenen Land, orientieren.

Selbstverständlich beantrage ich für eine so wichtige Entscheidung die Überweisung in den Ausschuss. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall vonseiten der Fraktion der AfD)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter!

Das Wort zur Begründung des Antrages der Fraktion der AfD auf Drucksache 7/5002 hat für die Fraktion der AfD der Abgeordnete Herr Schneider.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Wertes Präsidium! Meine Damen und Herren! Liebe Gäste! Liebe Landsleute! Unser Antrag auf Erhalt aller Förderschulen ergibt sich als Folge aus unserem eben eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Schulgesetzes. Die dort vorgenommenen Änderungen verlangen auch eine Änderung der Schulentwicklungsplanung, die von den Landkreisen und kreisfreien Städten vorzunehmen ist, sowie eine Änderung der Schulentwicklungsplanungsverordnung, nach der sich die Schulentwicklungspläne richten müssen.

(Thomas de Jesus Fernandes, AfD: Sehr richtig!)

Die derzeit gültige Schulentwicklungsplanungsverordnung wäre regulär am 31. Juli dieses Jahres außer Kraft getreten. Ihre Geltungsdauer ist aber durch eine Verordnung vom 16. März 2019 um zwei Jahre verlängert worden. Wie wir durch eine Kleine Anfrage erfuhren, befindet sich eine Änderungsverordnung zur Schulentwicklungsplanungsverordnung gerade in der ressortinternen Abstimmung. Da diese Änderungsverordnung eine Anpassung an das am 2. Dezember 2019 geänderte Schulgesetz vornehmen soll, verlangen die von uns beantragten Änderungen am Schulgesetz mit dem Erhalt aller Förder

schulen eine entsprechende Überarbeitung dieser Änderungsverordnung und damit der Schulentwicklungspläne.

Besonders dringliche Maßnahmen sind erforderlich für den Erhalt des Sprachheilpädagogischen Förderzentrums Schwerin, das auch einen Förderschwerpunkt Lese-Rechtschreib-Schwäche hat, der ebenfalls wegbrechen wird.

(Beifall Thomas de Jesus Fernandes, AfD)

Als man die Aufhebung der Förderschulen beschloss, haben vermutlich anfangs auch Hoffnungen auf Kosteneinsparungen eine Rolle gespielt,

(Torsten Renz, CDU: Nein!)

denn die Schüler-Lehrer-Relation beträgt bei Förderschulen im Landesdurchschnitt nur etwa 7, bei Grundschulen dagegen etwa 17, also das Zweieinhalbfache, bei den übrigen Schularten 13 bis 14. Zumindest scheint die Landesregierung nicht mit den erheblichen Mehrkosten gerechnet zu haben, die sich durch die jetzige Inklusionsstrategie abzeichnen. Bei der Diskussion um die Schulgesetznovelle hat die Landesregierung nämlich die Konnexität bestritten und damit einen Mehrbelastungsausgleich durch das Land für Zwecke der Inklusion abgelehnt. Sie hielt die Mehrkosten also offenbar für nicht allzu hoch.

Auf unsere Frage nach diesen Mehrkosten in einer Fragestunde des Landtages antwortete Frau Ministerin Martin, es würden, ich zitiere, „schrittweise bis zum Jahr 2023 insgesamt 237 zusätzliche Lehrerstellen zur Verfügung gestellt“. Zitatende. Auf unsere Nachfrage bestätigte die Ministerin, dass dies die vollständigen Mehrkosten seien. Das bedeutet also, dass jede Schule im Durchschnitt noch nicht einmal einen halben Lehrer zusätzlich bekommt. Und damit soll dann die Inklusion umgesetzt werden? Wo bleiben die nötigen baulichen Veränderungen und die technischen Aufrüstungen? Wo bleiben Schulbegleiter für die Förderschüler, Schulpsychologen und anderes unterstützendes Personal? Die Landesregierung bleibt nicht nur die Antwort auf die Frage schuldig, woher die Mittel zur Umsetzung der Inklusion kommen sollen, sie weiß auch gar nicht, wie hoch diese Mittel sind, denn sie hat keine Festlegungen getroffen, wie die personelle, bauliche und sächliche Ausstattung der Schulen zum Zwecke der Inklusion sein muss.

(Zuruf aus dem Plenum: So was haben wir doch schon mal gehabt.)

Das wird auch so bleiben.

Offenbar will man alles mehr oder weniger dem Selbstlauf überlassen. Aber damit fahren wir unser Schulsystem dann erst recht an die Wand.

Eine Studie am Institut für Soziologie und Demographie an der Universität Rostock hatte vor zwei Jahren ergeben, dass die Ziele der Inklusion in M-V nur mit ganz wesentlich mehr Personal, kleineren Klassen und mehr Unterrichtsräumen erreicht werden können. Ohne diese Voraussetzungen sollten nach Meinung der Verfasser die Förderschulen – das heißt, auch die für Lernen und Sprache – erhalten bleiben. Förderschulen können aufgrund der sehr viel kleineren Klassengrößen viel individueller auf das einzelne Kind eingehen. Sie haben ausreichend sonderpädagogisch ausgebildete Lehrkräfte,

umfangreiche Erfahrungen mit den einzelnen Förderschwerpunkten, eine meist hervorragende Ausstattung mit Technik, Lernmaterial und Fachräumen und so weiter. Das können Regelschulen einfach nicht bieten. Förderschulen setzen damit ihre Mittel auch effektiver ein, als wenn man ihre Aufgaben auf die Vielzahl von Regelschulen aufsplittet. Die Beschulung förderbedürftiger Kinder hat also an Förderschulen ein höheres Niveau.

In der Pädagogik gibt es die weitverbreitete Überzeugung, dass homogene Lerngruppen aufgrund gleichartiger Voraussetzungen der Schüler insgesamt bessere Ergebnisse erzielen. Dies war ja auch eines der Argumente, als im vorigen Jahr die Leistungskurse an Gymnasien wieder eingeführt wurden. Freilich gibt es wie meist in der Pädagogik neuerdings auch die Gegenposition, dass Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf bessere Leistungen im gemeinsamen Unterricht mit anderen erzielen würden. Diese Einzelstimmen dürfen aber nicht vorschnell als neueste Erkenntnis der Wissenschaft ausgegeben werden. Vielmehr muss kritisch hinterfragt werden, inwieweit ihre Methodik von vornherein auf Stützung einer bestimmten Position ausgerichtet war.

Für uns ist das alles entscheidende Kriterium die Bewährung in der Praxis. Und da haben sich die Förderschulen bestens bewährt, gerade auch die für die Schwerpunkte Lernen und Sprache. Den vielen dort engagiert tätigen Lehrkräften sind wir zu äußerstem Dank verpflichtet, statt sie in einem ideologisch gesteuerten Mammutprozess abzuwickeln. In diesem Sinne stellen wir heute diesen Antrag. Wir bitten um Zustimmung. – Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall vonseiten der Fraktion der AfD und Holger Arppe, fraktionslos)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter!

Im Ältestenrat ist vereinbart worden, eine verbundene Aussprache mit einer Dauer von bis zu 55 Minuten vorzusehen. Ich sehe und höre dazu keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Ums Wort gebeten hat für die Landesregierung die Ministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Am 13.11.2019 hat dieser Landtag in seiner Mehrheit ein modernes und zeitgemäßes Schulgesetz verabschiedet. Die Umsetzung der Inklusionsstrategie dieses Landes war dabei einer der Schwerpunkte. Mit den neuen Regelungen wird nun Veränderungen in der Gesellschaft Rechnung getragen und die Schulen haben einen zeitgemäßen und rechtlich festen Rahmen und gute Rahmenbedingungen dafür, das auch umzusetzen.

Lassen Sie mich aber kurz noch mal in Erinnerung rufen, worum es eigentlich inhaltlich geht. Mit unserer Inklusionsstrategie wollen wir dafür sorgen, dass alle Kinder und Jugendlichen die bestmögliche individuelle Förderung an unseren Schulen erhalten.

(Zuruf von Jens-Holger Schneider, AfD)

Schon heute ist Inklusion, also das gemeinsame Lernen von Kindern mit unterschiedlichen Voraussetzungen, von

der Hochbegabung bis hin zur Lernschwäche, an vielen Schulen bereits gelebte Realität. Und das wollen Sie nun, sehr geehrte Herren der AfD-Fraktion, stoppen. Sie wollen mit Ihren Anträgen die Rolle rückwärts machen in eine Vergangenheit des bildungspolitischen Trennens und Aussortierens der Kinder.

(Jens-Holger Schneider, AfD: Kein Stück!)

Das, sehr geehrte Damen...

Ja, doch, das haben wir ja gerade gehört. Und das, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, entspricht nicht meinem bildungspolitischen Verständnis.

(Beifall Andreas Butzki, SPD)

Mir geht es darum, dass wir allen Kindern die Möglichkeit eröffnen, sich bestmöglich zu entfalten, und das im besten Falle gemeinsam. Und warum das gut ist, dazu komme ich gleich noch.