Protokoll der Sitzung vom 23.09.2020

Doch bitte differenzieren Sie, sehr geehrte Herren von der AfD, dass jegliche Überlegungen, die irgendwo im Bund kursieren, nichts mit der Wahrnehmung unserer politischen Pflichten zu tun haben.

(Zuruf von Stephan J. Reuken, AfD)

Ähnlich wie der Brief, den die drei US-Senatoren an diverse Projektbeteiligte mit markigen Worten versandt haben,

(Zurufe von Thomas de Jesus Fernandes, AfD, und Stephan J. Reuken, AfD)

handelt es sich bei der Diskussion in Berlin nach meiner Auffassung in erster Linie um Meinungsäußerungen. Diese kann man missbilligen, aber man muss sie auch akzeptieren und kann sie nicht verbieten.

Und, werte Herren der AfD-Fraktion, Sie predigen uns doch so oft, dass wir uns auf die Meinungsfreiheit besinnen sollen. Wer hat denn zu dieser Landtagssitzung eine Aussprache zum Thema „Grundrechte bewahren, Meinungsfreiheit verteidigen“ eingereicht? Und wenn jemand

den Fall Nawalny nutzt, um irgendwelche gelagerten Interessen zum Stopp des Baus von Nord Stream 2 umzusetzen, dann gibt es kein Gesetz, das diese Personen daran hindern könnte, das zu sagen. So funktioniert letztlich Populismus. Aber das wissen Sie ja zur Genüge.

Lassen Sie uns unseren Job machen und lassen Sie uns beim nächsten Antrag vielleicht einmal etwas Neues zukommen! – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit und meine Fraktion wird Ihren Antrag ablehnen.

(Beifall vonseiten der Fraktion der SPD)

Mit liegt noch ein Antrag auf Kurzintervention von Herrn Obereiner vor.

Frau Präsidentin! Danke, Herr da Cunha!

Im Europaparlament gab es ja jüngst eine Abstimmung zu dem Thema. Ist Ihnen das Abstimmungsergebnis bekannt? Ist Ihnen auch bekannt, dass dort vier SPDEuropaabgeordnete sich gegen den Weiterbau dieser Pipeline ausgesprochen haben? Und warum erwecken Sie hier den Eindruck, dass die SPD geschlossen dahintersteht? Offensichtlich ist es ja – zumindest auf Bundesebene – nicht so, weil es sind ja Ihre Parteifreunde aus dem Bundesgebiet, die dort, zumindest vier, dagegengestimmt haben.

(Zuruf von Tilo Gundlack, SPD)

Können Sie mir erklären, warum diese vier dagegengestimmt haben? Haben Sie mit denen vielleicht mal Kontakt aufgenommen?

Herr Obereiner, ich muss Sie darauf hinweisen, Sie haben das Instrument der Kurzintervention gewählt,

(Andreas Butzki, SPD: Keine Frage.)

das bedeutet, Sie können jetzt keine Frage stellen.

Herr da Cunha kann ja antworten.

(Heiterkeit vonseiten der Fraktionen der SPD und CDU – Zuruf von Andreas Butzki, SPD)

Trotzdem, trotzdem haben Sie, haben Sie die Kurzintervention gewählt. Das heißt, Sie gehen darauf ein, was gerade der Abgeordnete ausgeführt hat, und keine Fragestellung.

Trotzdem frage ich den Abgeordneten, ob er dennoch erwidern möchte.

Die Zwischenfrage, ich kann die Zwischenfrage gerne beantworten am Ende meiner Rede.

Sehr geehrter Herr Obereiner, ich kenne den Beschlusstext des Europaparlaments nicht und ich habe auch in keinster Weise gesagt, dass es nicht irgendeinen Europa-SPD-Abgeordneten oder sonstigen SPDParlamentarier gibt. Ich habe gesagt, kein Mitglied dieses Hauses hat irgendwo meines Wissens sich gegen diesen Bau gestellt. Und das unterstellen Sie mit diesem Antrag, denn dieser Antrag formuliert eine Neupo

sitionierung des Landtages. Der Landtag hat sich in der letzten Sitzung aber einstimmig positioniert hinter diesen Bau. Daran hat sich nichts verändert. Wir als Vertreter dieses Bundeslandes, als Landtag MecklenburgVorpommern haben keine neue Positionierung. Und in Ihrem Antrag suggerieren Sie, dass das so wäre. Und kein Vertreter dieses Hauses ist mir bekannt, der sich dagegengestellt hat. – Vielen Dank!

(Beifall vonseiten der Fraktion der SPD – Zuruf von Andreas Butzki, SPD)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter!

Das Wort hat jetzt für die Fraktion der AfD Herr Horst Förster.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Abgeordnete! Im August haben wir über dieses Thema gesprochen, nachdem drei US-Abgeordnete meinten, sich hierzu äußern zu müssen, und Sanktionen gefordert haben. Wir haben damals einen Antrag nicht verschlafen. Ich habe ganz konkret auch darüber nachgedacht. Wir waren uns dann aber einig, dass man drei USAbgeordnete möglicherweise unnötig, ihnen eine unnötige Bedeutung geben würde, wenn man das deshalb zum Thema hier macht.

Ich war deshalb überrascht – ich war nicht allein überrascht –, dass die anderen Parteien dann hieraus diese Landtagsresolution entwickelt haben, die wir ja auch dann mitunterschrieben haben. Also verschlafen haben wir da gar nichts! Aber Sie haben offensichtlich nicht mitbekommen, was danach geschehen ist. Herr Pegel hat, der Minister Pegel hat in aller Breite die Sinnhaftigkeit von dieser Pipeline hier dargelegt.

(Zuruf von Rainer Albrecht, SPD)

Dagegen ist nichts zu sagen, nur hat das mit dem eigentlichen Thema nichts zu tun.

Dass wir zur Vergiftung nichts gesagt haben, ja, das halten wir nicht für nötig, weil wir der Meinung sind, dass die Verurteilung eines Giftanschlags völlig selbstverständlich ist. Das muss man nicht in den Antrag aufnehmen.

Und wenn ich eben diese vielleicht etwas unbedachte Äußerung gemacht habe mit dem Erschießen, dann war das natürlich nicht, als ob ich Ihnen so was zutraue. Ich habe damit nur angespielt, Sie kennen den Vorgang zu dem Strategiekongress der Antikapitalistischen Linken. Das nur zur Klarstellung.

Nachdem wir diese Resolution hier gefasst hatten, hat sich die Lage aber in Bezug auf dieses Projekt völlig verändert. Und ich denke, das haben Sie alle mitbekommen. Es war der Fall Nawalny, der meinungsmäßig zu einem Aufruhr geführt hat. Abgeordnete der CDU, und zwar nicht wenige, in Brüssel und auch hier im Lande, Herr Amthor zum Beispiel, die haben sich plötzlich ganz anders geäußert.

(Torsten Renz, CDU: Wir sprechen von Landespolitik!)

Viele sind aus den Löchern gekrochen. Jedenfalls medial und in der politischen Landschaft hatte sich die Situation

völlig verändert. Wenn es um andere Themen geht, etwa um die Werften, müssen wir alle paar Wochen ein Bekenntnis ablegen. Und kein wirtschaftlich vernünftig denkender Mensch würde das Projekt, das kurz vor der Fertigstellung steht, beenden. Und weil das eben so ist, hatte der Landtag einstimmig sich zu diesem Projekt bekannt.

Der Fall Nawalny hat an den Fakten, die für oder gegen Nord Stream sprechen, überhaupt nichts geändert. Dennoch steht das Projekt auf der Kippe, und zwar erheblich auf der Kippe, denn die Moral hat sich dieses Projekts bemächtigt. Russland wird des Giftanschlags gegen Nawalny beschuldigt und würde, so die Argumentation des CDU-Außenpolitikers Röttgen, und das ist ja ein maßgeblicher Mann, dafür quasi belohnt werden, wenn Nord Stream 2 nicht gestoppt würde. Hier wird also eine komplexe Angelegenheit durch die Verknüpfung mit einem versuchten Tötungsdelikt auf eine ganz neue Ebene der Moral gehoben. Wir erkennen hier ein Muster, das uns auch sonst in der Politik begegnet. Plötzlich geht es nicht mehr um nüchtern abzuwägende Sachargumente, es geht nur noch um Gut und Böse.

Da stellt sich die Frage, was ganz grundsätzlich von der Verknüpfung von Moral und Politik und Sanktionen zu halten ist. Die Trennung von Moral und Politik ist nach dem Staatsphilosophen Niccolò Machiavelli eine Grundvoraussetzung für eine vernünftige Politik, die Trennung von Moral und Politik. Machiavelli, dem auch der Satz „Der Zweck heiligt die Mittel“ zugeschrieben wird, hat sich damit aber keinesfalls gegen die Moral generell ausgesprochen. Er war der Ansicht, dass die Regeln politischen Handelns nicht aus moralischer Überzeugung oder Grundsätzen abgeleitet werden können, sondern durch Kenntnisse der Geschichte und der konkreten politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse.

Aktuell hat sich mit diesem Ewigkeitsthema der deutsche Philosoph Vittorio Hösle in seinem grundlegenden Werk „Moral und Politik, Grundlagen einer politischen Ethik“ befasst. Für ihn ist das Sittengesetz etwas unabweisbar Gegebenes und die Politik müsse ethische Grundsätze aufnehmen. Er weist aber auch darauf hin, dass ethisch rigorose Politiker von jakobinischem Zuschnitt gerade in moralischer Hinsicht mehr Unheil angerichtet haben als viele der so häufig geschmähten Realpolitiker.

(Beifall Jens-Holger Schneider, AfD)

Ich will mit diesen kurzen Ausführungen darauf hinaus, dass es keine verbindliche Wahrheit gibt, inwieweit Politik moralischen Grundsätzen verpflichtet ist. Vor allem gibt es kein verpflichtendes Prinzip, fremdes Unrecht zu sanktionieren, denn es geht ja im Fall Nawalny nicht um die moralische Bewertung eigenen Handelns, sondern um die Sanktionierung fremden Unrechts in Gestalt eines Russland zugeschriebenen Giftanschlags.

Die Kanzlerin war sicherlich gut beraten, als sie sich zunächst dahin gehend positionierte, dass der Fall Nawalny von Nord Stream 2 zu entkoppeln sei, denn in der Tat hat dieser Anschlag gegen einen russischen Staatsbürger, selbst wenn Russland dafür verantwortlich sein sollte, nichts mit dem Pipelineprojekt zu tun. Der Anschlag lässt keine Rückschlüsse auf Tatsachen oder Umstände zu, die für das Pipelineprojekt irgendwie von Bedeutung sein könnten. Insbesondere gibt es keine Zweifel an der Lieferverlässlichkeit und Vertragstreue der russischen Seite.

Es geht um den mit einem moralischen Ansatz erhobenen Anspruch, Russland mit Sanktionen für eine im eigenen Land begangene Tat, wenn diese denn bewiesen sein sollte, zu bestrafen. Und hier zeigt sich die ganze Fragwürdigkeit einer Verknüpfung von Moral und Politik, denn mit der Moralkeule wird der Boden der in der Politik gebotenen nüchternen Sachlichkeit des Abwägens der Interessen, der Einbeziehung der Folgen verlassen. Am Ende steht die in Empörung gezeugte moralische Willkür oder sogar die pure Heuchelei.

Genau das lehrt uns der Fall Nawalny. Wer glaubt denn im Ernst, dass es bei den Sanktionen vorrangig um die Vergiftung Nawalnys geht? Das geradezu explosionsartige Auftreten der Empörer, die schon immer gegen das Projekt waren und nun aus allen Rohren dagegen schießen und dabei so tun, als ob die Pipeline unserem Land schade, die keinerlei Abwägung mit den Folgen eines Stopps vornehmen, lässt nur eine Antwort zu, und die heißt: Heuchelei, pure Heuchelei!

Im Trend der Androhung von Sanktionen geht es bei einigen CDU-Politikern offensichtlich auch um Profilierung. Amthor sieht wohl neue Chancen darin, sich als Atlantiker neu in Stellung zu bringen.

(Torsten Renz, CDU: Wer hat Ihnen den Satz aufgeschrieben?)

Ich würde ihm raten, erst mal sein Referendariat zu absolvieren, damit er einen ordentlichen Beruf vorweisen kann.

(Torsten Renz, CDU: Bringen Sie doch mal die Zitate von Herrn Amthor, bitte!)

Das können Sie wohl nicht anzweifeln.

(Torsten Renz, CDU: Bringen Sie doch mal Zitate von Herrn Amthor!)