Protokoll der Sitzung vom 23.09.2020

Nur, die Bürger, die die Gewalt auf unseren Straßen auszuhalten haben, sehen das anders und beginnen, am Rechtsstaat zu zweifeln. Die auffällige Asymmetrie in der Behandlung von systemkonformen und systemkritischen Meinungen hat in Deutschland eine neue Dimension erreicht. Getreu der Losung des früheren Chefs der KGBDesinformation, General Agayants, gilt auch heute: „Jeder, der über unsere wahren Pläne genau oder unparteiisch... schreibt oder spricht, muss rasch als Rechter oder Faschist abqualifiziert oder der Lächerlichkeit ausgesetzt werden.“

Meine Damen und Herren, woher kommt es, dass rund zwei Drittel der Bürger der Meinung sind, dass es mit der Meinungsfreiheit schlecht bestellt sei in unserem Land, dass man sich bei bestimmten Themen genau überlegen müsse, was man sagt, sonst drohen Nachteile im Beruf, im Geschäft, schlimmstenfalls die soziale Ächtung?

(Beifall Christoph Grimm, AfD)

Ein ehemaliger Bürger hat es mir gegenüber kürzlich so formuliert: Die Indoktrination in der DDR war plump.

(Zuruf von Torsten Koplin, DIE LINKE)

Jetzt ist sie subtil.

Der ehemalige Verfassungsschutzpräsident Maaßen führt dazu, wie die Herrschaft der Moral den Rechtsstaat untergräbt und die demokratische Debatte zerstört, folgendes Beispiel an: Eine Gastwirtin aus NRW hatte eine AfD-Gruppe zu Gast. Danach stellte sie ein Selbstbezichtigungsvideo ins Netz, in dem sie unter Tränen beteuerte, nicht gewusst zu haben, wer hinter der Anmeldung gesteckt habe. Das hat schon etwas wahrhaft Totalitäres an sich!

(Beifall vonseiten der Fraktion der AfD)

Es zeigt, wie ein Klima der Selbstzensur geschaffen wird, wo plötzlich Grenzen gezogen werden, aus Angst anzuecken und Nachteile zu erleiden. Das alles hat eine lange Entwicklung.

Meine Damen und Herren, es geht mir keinesfalls nur um den Umgang mit meiner Partei. Es geht um mehr. Der links-grüne Korridor des Sagbaren wird immer enger gesteckt. Dafür gibt es viele Beispiele, so die Ausladung der Kabarettistin Lisa Eckhart bei einem Literaturfestival in Hamburg, aus Angst davor, dass ein linksradikaler Mob die Veranstaltung sprengen könnte, oder die Kampagne gegen den Kabarettisten Dieter Nuhr wegen eines nicht konformen Beitrags in der Klimadebatte. Seine

Botschaft, Wissenschaft sei keine Heilslehre, keine Religion, ließ den rechten Klassenstandpunkt vermissen, war geradezu ein Akt der Blasphemie.

(Beifall Jens-Holger Schneider, AfD)

An den Hochschulen herrscht Jagdstimmung. Missliebige Professoren wie Baberowski, Münkler oder Lucke werden an den Pranger gestellt. Wo Sarrazin auftritt, tobt und pöbelt der linke Mob.

(Unruhe vonseiten der Fraktionen der SPD und CDU)

Der verengte Meinungskanal führt ohne Beachtung des historischen Zusammenhangs rückwirkend zu Zensur und Säuberungsaktionen, denen unter anderem Ernst Moritz Arndt und Helmut Schmidt zum Opfer fielen. Während die Namen unzähliger kommunistischer und damit demokratiefeindlicher Widerstandskämpfer weiterhin unsere Straßenschilder schmücken, wird an anderer Stelle kräftig umbenannt. Nach Hindenburg gerät jetzt sogar Bismarck ins Visier linker Tugendwächter.

(Vizepräsidentin Dr. Mignon Schwenke übernimmt den Vorsitz.)

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft hat die Debattenkultur so beschrieben: „In verschiedenen Bereichen unserer Gesellschaft hat sich eine Debattenkultur entwickelt, in der oft nicht das sachliche und stärkere Argument zählt, in der weniger zugehört und nachgefragt, sondern immer häufiger vorschnell geurteilt und verurteilt wird.“

Werte Kolleginnen und Kollegen, das sollte Ihnen zu denken geben! Wir sollten gemeinsam dafür eintreten, der Meinungsfreiheit für einen offenen und sachlichen Diskurs zu den wirklich brennenden Themen unserer Zeit mehr Raum zu geben. Zugleich sollten wir die Grenzen zur Diffamierung und Verächtlichmachung neu definieren, und zwar nach allen Seiten. Denn bei der Frage, wie weit die Meinungsfreiheit geht und wo die Verleumdung und Beleidigung des Gegners beginnt, haben wir ebenfalls eine erstaunliche, teils mithilfe der Gerichte geschaffene Schieflage zu beklagen.

Es kann nicht sein, dass unsere Polizisten mit Sprühtexten an den Hauswänden als „Bastarde“ oder nur noch als „für die Mülldeponie geeignet“ bezeichnet werden,

(Beifall Jens-Holger Schneider, AfD)

dass ein Banner in Greifswald aufgespannt wird mit dem Text: „Rassismus tötet, Polizei mordet“, dass an der Warschauer Straße in unserer Hauptstadt in riesigen Lettern die Vision kaputter Linker verkündet wird „Deutschland verrecke“ und dass eine Alice Weidel als „Nazischlampe“ bezeichnet werden darf. Nein, da stimmt irgendetwas im Lande nicht, da sind die Maßstäbe, die bei der Gewährung, dem Schutz und der Beschränkung der Meinungsfreiheit angelegt werden, kräftig durcheinandergeraten.

(Beifall Jens-Holger Schneider, AfD)

Meine Damen und Herren, wir sollten darüber reden, wenn uns die Freiheitsrechte und das Wohl des Landes am Herzen liegen. – Vielen Dank!

(Beifall vonseiten der Fraktion der AfD)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter!

Es ist eine Auszeit von fünf Minuten beantragt worden. Ich unterbreche die Sitzung für fünf Minuten.

Unterbrechung: 18.05 Uhr

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Wiederbeginn: 18.06 Uhr

Okay, der Grund für die Auszeit hat sich erledigt. Ich eröffne die unterbrochene Sitzung wieder.

Im Ältestenrat ist vereinbart worden, eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 58 Minuten vorzusehen. Ich sehe und höre …

(allgemeine Unruhe)

Okay!

(Dr. Ralph Weber, AfD: Es sind ja drei. – Ministerin Katy Hoffmeister: Wir haben drei, ja, drei: Glawe, Drese, ich. – Zuruf von Wolfgang Waldmüller, CDU)

Ach so, okay!

Wie gesagt, ich wiederhole: Im Ältestenrat ist vereinbart worden, eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 58 Minuten vorzusehen. Ich sehe und höre dazu keinen Widerspruch, dann verfahren wir so und ich eröffne die Aussprache.

Für die Landesregierung hat ums Wort gebeten die Justizministerin. Bitte, Frau Hoffmeister!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liest man den Titel der Aussprache, könnte man geneigt sein zu sagen: Ja, was denn sonst?!

(Heiterkeit bei Wolfgang Waldmüller, CDU)

Aber, meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn wir uns damit beschäftigen, dann will ich vorweg vor allem Folgendes sagen, Herr Förster: Demokratie lebt vom gegenseitigen Zuhören. Demokratie lebt von der lebendigen und lebhaften Debatte. Demokratie lebt davon, unterschiedliche Meinungen zu hören und unterschiedliche Meinungen entgegenzunehmen

(Dr. Ralph Weber, AfD: Und nicht zu verbieten!)

und unterschiedliche Meinungen auch auszuhalten. Das vorweg!

Dass die Grundrechte wesentliche Bestandteile des Grundgesetzes und der Landesverfassung sind und dass sie das Verhältnis von Bürgerin und Bürger einerseits und staatlicher Gewalt andererseits prägen und dass sie unsere, dass sie die zentrale Werteentscheidung des Verfassungsgebers enthalten, darüber dürften wir uns einig sein. Die Grundrechte sind die Basis unse

res Gemeinwesens und für unser Zusammenleben überhaupt.

Wenn also die AfD für die heutige Aussprache das Thema „Grundrechte bewahren, Meinungsfreiheit verteidigen“ anmeldet, dann kann man ihr nicht, dann kann man Ihnen nicht den Vorwurf machen, dass Sie den Landtag mit einer Kleinigkeit beschäftigen würden. Nein, ganz im Gegenteil! Lassen Sie uns also über die wichtigsten verfassungsrechtlichen Grundlagen unseres Staates, unseres Mecklenburg-Vorpommern sprechen!

Nach Artikel 5 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes hat jeder „das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten“. Und das gilt auch nach Artikel 5 Absatz 3 der Landesverfassung als Landesverfassungsrecht. Und damit gehört die Meinungsfreiheit zweifellos zu den wichtigsten Freiheitsrechten überhaupt, und das Bundesverfassungsgericht hat die besondere Bedeutung der Meinungsfreiheit für den demokratischen Staat stets hervorgehoben.

Die Meinungsfreiheit ist der unmittelbarste Ausdruck der menschlichen Persönlichkeit in der Gesellschaft, eines der vornehmsten Menschenrechte überhaupt, und für eine demokratische Staatsordnung ist sie schlechthin konstituierend. Nur die Freiheit der Meinungsäußerung ermöglicht die ständige Auseinandersetzung und den Streit der Meinungen, der ein Lebenselement der Demokratie ist. Selbstverständlich ist es die ständige Aufgabe jeder staatlichen Gewalt, die Meinungsfreiheit und überhaupt alle Freiheitsrechte zu verteidigen. Aber die Funktion des Rechtsstaats ist nicht auf die Garantie der Freiheitsrechte beschränkt. Da der Staat über das Gewaltmonopol verfügt, obliegt es ihm auch, die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger zu schützen. Und der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts Hans-Jürgen Papier hat daher von einer „Doppelfunktion“ des Rechtsstaats gesprochen. Der Rechtsstaat muss stets bestrebt sein, sowohl die Freiheitsrechte als auch die Sicherheit der Bevölkerung so umfassend wie möglich zu schützen.

Nun sind die Gewährleistung der Freiheitsrechte einerseits und der Schutz der Bürgerinnen und Bürger andererseits zwei Ziele, die nicht in jeder Situation vollständig miteinander in Einklang gebracht werden können. Sie können miteinander in Konflikt geraten. Aktuell bekommen wir das durch die Corona-Pandemie vor Augen geführt. Wir haben seit dem Ausbruch der Pandemie die unterschiedlichsten Maßnahmen kennengelernt, die

unsere Grundrechte vorübergehend eingeschränkt haben oder sogar noch einschränken und die dennoch zum Schutz vor Gefahren für Leben und Gesundheit notwendig waren und sind.

Es ist selbstverständlich, dass die Schutzmaßnahmen auch in einer Pandemiesituation nicht zur Aufgabe der Freiheitsrechte führen dürfen. Vielmehr haben „der Staat und seine Gesetzgebung“, um noch einmal Papier zu zitieren, „eine angemessene Balance von Freiheit und Sicherheit herzustellen“ – in Zeiten der Pandemie eine Herausforderung und ein Test für die rechtsstaatliche Demokratie.

Will man ein Zwischenfazit ziehen, so besteht Anlass zu der Feststellung, dass der deutsche Rechtsstaat dieser Doppelaufgabe in beeindruckender Weise gerecht ge