Protokoll der Sitzung vom 10.11.2023

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich bitte, Platz zu nehmen, und die Fotografen, auch wieder auf ihre Plätze zu gehen. Ich begrüße Sie alle zur 68. Sitzung des Landtages von MecklenburgVorpommern. Ich stelle fest, dass der Landtag ordnungsgemäß einberufen wurde und beschlussfähig ist. Die Sitzung ist eröffnet. Die Tagesordnung der heutigen Sitzung liegt Ihnen vor. Wir setzen unsere Beratungen vereinbarungsgemäß fort.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 30: Aussprache auf Antrag der Fraktion der SPD gemäß Paragraf 43 Nummer 2 der Geschäftsordnung des Landtages zum Thema „Die Kutter- und Küstenfischerei im Wandel – Transformationsprozesse forcieren und aktiv begleiten“.

Aussprache auf Antrag der Fraktion der SPD gemäß § 43 Nummer 2 der Geschäftsordnung des Landtages zum Thema Die Kutter- und Küstenfischerei im Wandel – Transformationsprozesse forcieren und aktiv begleiten

Gemäß Paragraf 84 Absatz 1 unserer Geschäftsordnung ist eine Aussprachezeit von bis zu 71 Minuten vorgesehen. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Das Wort hat für die Fraktion der SPD Frau Dr. RahmPräger.

Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Präsidentin! Wir haben heute das Thema „Kutter- und Küstenfischerei“ aufgerufen, ein Thema, was uns über die letzten drei Jahrzehnte immer wieder intensiv beschäftigt hat. Und ja, es ist nicht unbedingt ein Gewinnerthema, das wissen wir alle. Und genau deshalb ist es umso wichtiger, dass wir trotzdem darüber reden.

Ich bin mir sicher, dass Ihnen zuerst die vielen negativen Schlagzeilen eingefallen sind, wie die Schlagzeilen vom Niedergang der Fischerei, über den Zerfall der Fischereigenossenschaften, über teilweise veraltete Fischereiboote, über Nachwuchsprobleme für diesen unsere Küstenregion prägenden Beruf, über Preisverfall, Fangquoten und nicht zuletzt natürlich Robbe und Kormoran.

(Thomas de Jesus Fernandes, AfD: Alles unter SPD-Herrschaft.)

Und sicherlich werden auch Sie all die Zahlen bemühen, die wir kennen.

Mit dem Beitritt zur Bundesrepublik Deutschland haben wir auch die Marktwirtschaft übernommen und die EUFischereipolitik.

(René Domke, FDP: Da habe ich gestern einen anderen Eindruck gehabt.)

Sie wissen, dass die Anzahl der Betriebe in den vergangenen Jahrzehnten ständig abgenommen hat. Hatten wir 1995 noch 580 Haupterwerbsbetriebe, so waren es im Jahr 2022 noch 171. Wenn Sie sich in der Parlamentsdatenbank des Landtages durch die einzelnen Wahlperi

oden hangeln, werden Sie sehen, dass die Kutter- und Küstenfischerei schon immer Thema im Landtag war.

(Zuruf von Thomas de Jesus Fernandes, AfD)

Wenn wir jetzt zurückblicken, dann erscheinen uns die Zahlen unwirklich zu sein, weil dort noch Fänge in Größenordnungen möglich waren. Im Agrarbericht auf Drucksache 2/1691 ist nachzulesen, dass die Fangmengen 1993 bis 1995 bei circa 9.000 bis 12.000 Tonnen Hering lagen. Die Dorschfänge lagen vor der Quotierung bei 2.000 Tonnen im Jahr, und unter dem Aspekt der Ausschöpfung der Quote erhöhte sich die Fangmenge beim Dorsch im Jahr 1995 auf 4.632 Tonnen.

Und trotz dieser Fangmengen war die wirtschaftliche Situation der Fischer nicht rosig. Aufgrund der kleinen Betriebe und fehlender gut am Markt etablierter Erzeugerorganisationen schlugen die niedrigen Weltmarktpreise für Fisch in die Bilanzen der Unternehmen durch. Zur gleichen Zeit wurden in Schleswig-Holstein durchschnittlich 30 Prozent höhere Erträge für den Fisch generiert aufgrund der dort gewachsenen Erzeugergemeinschaften und Vermarktungsstrukturen. Es gab Probleme, ausreichend junge Leute für die Ausbildung und diesen Beruf nachzuziehen. Fischer zu werden schien nicht mehr lukrativ. Und das war 1995.

Unsere Landesregierung hat damals gegengesteuert und viel Geld in den Aufbau von sechs Erzeugergemeinschaften und Mittel in die Hafeninfrastruktur der kleinen Fischereihäfen investiert. Auch der touristische Aspekt stand zum damaligen Zeitpunkt auch schon im Vordergrund. Es war klar, dass es wichtig ist, wenn in diesen kleinen Häfen, die wir haben, die Fischereiboote ihre Fischladungen löschen, dass das dann auch ein touristischer Höhepunkt des Tages ist.

Am 06.06.2011 lag auf Drucksache 5/4383 der Agrarbericht 2011 auf dem Tisch. Die Heringsquote wurde aufgrund massiver Nachwuchsprobleme des Fisches erst um 40 Prozent und dann noch einmal um 13 Prozent gesenkt. Der Preis des Herings lag damals bei 38 Cent je Kilo. Ich bin im Vorstand des Rügen Produkte Vereins. Dort war der Geschäftsführer der Kutter- und Küstenfisch GmbH auch die ganzen Jahre Mitglied in diesem Vorstand, und es war immer wieder Thema, wie diese Preise dann dafür sorgen, dass die Fischer trotz Fängen nicht oder kaum überleben können. Die Dorschbestände hatten sich durch das Eindämmen der illegalen Fischerei deutlich erholt und daher wurde die Quote noch einmal um 13 Prozent angehoben. Die finanzielle Situation der Fischer war gemessen an den Erlösen in den Jahren 2009 und 2010 die schlechteste seit der Wende. Ich habe das gerade gesagt, Heringspreis 38 Cent je Kilo. Es gab trotz Förderung der Modernisierung von Fischereibooten und Investitionen in die Infrastruktur keine guten Nachrichten zu verkünden.

Aktuell darf Mecklenburg-Vorpommern 73 Tonnen Dorsch anlanden, allerdings nur als Beifang erlaubt. Beim Hering ist die deutsche Quote konstant bei 435 Tonnen geblieben. Auch hier wieder die Ausnahme, nur die kleine Küstenfischerei darf noch gezielt mit passiven Fanggeräten fischen. Und wir haben Robben und Kormorane. Sie sind wieder heimisch geworden und sie leben vom Fisch. Im Greifswalder Bodden werden teilweise bis zu 400 Kegelrobben gleichzeitig gesichtet und der Bestand wächst langsam, aber stetig. Die Kormorane haben mittlerweile

große Teile unserer Küste besiedelt. 60 Prozent der gesamten Kormoranpopulation Deutschlands sind in Mecklenburg-Vorpommern zu Hause. Das sind circa 14.000 Brutpaare.

Ja, auch die Angler sind von den Regelungen massiv betroffen. Im Jahr 2017 wurde im Landtag noch lang und breit über das Baglimit beim Dorsch diskutiert. Ich erinnere, drei bis fünf Dorsche pro Person letztes Jahr und in diesem Jahr war es nur noch ein Dorsch pro Person. Und auch damit ist 2024 Schluss. Am 23.10. hat der EU Ministerrat das Baglimit für Angler beim Dorsch auf null gesetzt. Es geht jetzt darum, die Fischart Dorsch, Ostseedorsch zu retten. Was für eine Entwicklung! Innerhalb von nur 13 Jahren von einer positiven Entwicklungsprognose im Jahr 2010, ich gucke noch mal zurück, wurden die Fangquoten noch einmal erhöht wegen einer positiven Bestandsprognose zu den Maßnahmen der Rettung der Fischart im Jahr 2023.

Und natürlich gehört auch dazu, dass Fisch als Lebewesen und kostbares, gesundes Lebensmittel nicht angemessen gewertschätzt wurde. Ich kenne Anglerausfahrten mit Angeltouristen – Fisch gefangen, Filet entnommen, die Reste wurden weggeschmissen. Ja, natürlich, der Angeltourismus ist mittlerweile auch Wirtschaftsfaktor geworden, in dem Millionen umgesetzt werden. Aber es bleibt dabei, wenn zu wenig Fisch da ist, müssen wir unser Verhalten ändern, bevor es wirklich zu spät ist.

Und natürlich gehört auch dazu, dass wir über die Ursachen sprechen, warum die Fischbestände so klein geworden sind. Die Auswirkungen des Klimawandels sind auch für uns jetzt schon spürbar. Wir sind unmittelbar betroffen. Dank der wissenschaftlichen Ergebnisse beginnen wir klarer zu sehen, warum der Fischnachwuchs zu gering ausfällt. Dr. Zimmermann vom Thünen-Institut gelingt es sehr gut, die wissenschaftlichen Ergebnisse darzustellen.

Beim Hering verändert sich aufgrund der gestiegenen Wassertemperatur der Entwicklungszyklus der Heringslarven. Larvenschlupf und Nahrungsangebot passen nicht mehr zusammen. Das betrifft zumindest den Frühjahrslaicher. Für den Herbstlaicher hoffen wir, dass sich die Heringsbestände doch wieder erholen. Die Dorsche haben ein anderes Problem. Die Kombination von zu hohen Nährstofferträgen, insbesondere Düngung, und erhöhter Wassertemperatur führt dazu, dass der Dorsch zwischen zu warmem Oberflächenwasser und sauerstoffarmem Tiefenwasser gesandwitcht wird. So ist es auf der Seite des Thünen-Instituts beschrieben und das ist ein sehr einprägsames Bild.

Und natürlich kann man auch jahrzehntelange Überfischung nicht verschweigen. In den letzten Jahren wurde mit verschiedenen Maßnahmen versucht, entgegenzusteuern und die Fischerei zu erhalten. Stilllegungsprämie, Abwrackprämien, Förderung der Betriebe für Diversität, Diversifizierungsvorhaben sind hier die Schlagworte.

Ich selber habe in den letzten zwei Jahren in verschiedenen Runden mit unseren Fischern gesessen. Wir hatten Dr. Zimmermann vom Thünen-Institut zu Gast und immer einen Vertreter des Landwirtschaftsministeriums. Wenn der Minister nicht konnte, dann war Kay Schmekel als Fachmann aus dem Haus vor Ort. Es ging immer um Ideen und Perspektiven für die Fischer. Es wurde immer nach vorne gedacht und es wurden die Probleme benannt.

Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, seit 33 Jahren gibt es nun das Auf und Ab bei der Fischerei. Sie hat bessere und schlechtere Zeiten gesehen. Hat sie eine Zukunft? Ja. Und welche? Sehen wir Licht am Ende des Tunnels oder macht der Letzte das Licht aus?

Ich bin gespannt, welche neuen Erkenntnisse der Runde Tisch auf Bundesebene für die Zukunft der Fischerei bringen wird. Ich wünsche mir sehr, dass die Ergebnisse mehr Gehör finden und Eingang in politisches Handeln und nicht so enden wie das abgestimmte Papier der Borchert-Kommission.

Mecklenburg-Vorpommern hat seinen Fokus auf das Licht am Ende des Tunnels gelegt und aus meiner Sicht gute Ideen für die Rettung der Fischerei vorgelegt, neue Technik, multifunktionale Boote und ja, warum nicht auch ein Grundeinkommen für die Übergangszeit für die hauptberuflichen wenigen Fischer, die wir noch haben. – Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD, DIE LINKE und Dr. Harald Terpe, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Abgeordnete!

Bevor ich den nächsten Redner aufrufe, begrüße ich recht herzlich auf der Besuchertribüne Schülerinnen und Schüler der Beruflichen Schule Wirtschaft und Verwaltung Schwerin. Schön, dass Sie heute hier sind und der Debatte beiwohnen!

Ich rufe auf für die Fraktion der AfD Herrn Timm.

(Im Plenarsaal klingelt ein Handy mit der Melodie von „Celebration“. – Heiterkeit vonseiten der Fraktionen der AfD und FDP)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Präsidentin! Hohes Haus! Bei diesem Thema ist nicht so viel Celebration im Raum,

(Heiterkeit vonseiten der Fraktion der AfD)

denn man könnte ketzerisch fragen mit dem Blick auf die Aussprache, was es da eigentlich heute noch großartig zu transformieren gibt und warum dieses Thema erst heute durch die Koalition bespielt wird und dann große Krokodilstränen vergossen werden. Fest steht, noch nie war es um die Küstenfischerei so schlecht bestellt wie heute. Da reicht ein Blick auf die nackten Zahlen: circa 100 übrig gebliebene Fischer im Nebenerwerb und 184 im Haupterwerb. Die sind doch recht überschaubar, eine Schrumpfung um 90 Prozent seit der Wende.

Aber wie heißt es so schön: „Der Fisch stinkt vom Kopf“, und auch wenn wir Programme wie das „Sea-RangerProgramm“, was mit der Fischereigenossenschaft in Wismar als Prototyp fortgeführt wird, ausdrücklich begrüßen, ist der Verlust und die Folgenschwere des Verlustes der kleinen Kutter- und Küstenfischerei über all die Zeit natürlich bei der SPD-geführten Landesregierung zu suchen.

(Beifall vonseiten der Fraktion der AfD)

Frau Dr. Rahm-Präger, alles, was Sie hier aufgeführt haben an Negativschlagzeilen, ist in Ihrer Amtszeit oder in der Amtszeit der SPD hier im Land passiert.

(Beifall vonseiten der Fraktion der AfD – Zuruf vonseiten der Fraktion der AfD: Richtig!)

Und Sie haben ja noch Redezeit und ich würde mir wünschen, dass Sie noch einmal nach vorne gehen und hier erläutern, was Abwrackprämien mit dem Erhalt der Fischerei zu tun haben. Wenn ein Schiff abgewrackt ist, wenn der Fischer in den Ruhestand geht, ist dieser Fischer weg und der kommt auch nicht wieder. Das hat nichts mit dem Erhalt der Fischerei zu tun.

(Beifall vonseiten der Fraktion der AfD und Dr. Eva Maria Schneider-Gärtner, fraktionslos)

Minister Backhaus hatte als dienstältester Minister ja das Privileg, die Übergriffigkeit der EU als einen Hauptgrund des Niedergangs der Branche unserer kleinen Kutter- und Küstenfischerei von Anfang an beobachten zu dürfen. Mit 25 Dienstjahren, also zu Beginn seiner Politikerkarriere, da gab es die Europäische Union noch gar nicht, da war es nämlich noch die Europäische Gemeinschaft. Und was die EU heute nicht schafft,

(Zuruf von Torsten Renz, CDU)

das machen grüne Wunschphantasien von Naturschutz und der Kormoran. Laut der deutschen Wikipedia kann ein Kormoran ohne Probleme gut 20 Jahre alt werden, aber ich persönlich glaube, dass er in MecklenburgVorpommern noch älter werden kann, da er hier erst recht nichts zu befürchten hat. Minister Backhaus wacht ja als Kormoranpate eisern über die Überpopulation.

(Beifall vonseiten der Fraktion der AfD und Dr. Eva Maria Schneider-Gärtner, fraktionslos)

Wir als Alternative für Deutschland haben, seitdem wir diesem Hause angehören, immer Politik für unsere kleinen Kutter- und Küstenfischer gemacht.

(Tonausfall – Thomas de Jesus Fernandes, AfD, und Thore Stein, AfD: Mikro! Mikro geht nicht!)

Unterbrechung: 09:18 Uhr

__________