Protokoll der Sitzung vom 12.03.2002

In diesem Zusammenhang werfen Sie uns Verschmelzung vor. Wir haben den Fortbestand der Real- und Hauptschule im Schulgesetz abgesichert. Ich wundere mich also, was Sie da hineininterpretieren.

Frau Jürgens-Pieper, Sie machen eine Politik der Nadelstiche gegen die Haupt- und Realschulen. Sie geben ihnen weniger naturwissenschaftlichen Unterricht. Sie machen ihnen keine Ganztagsangebote. Sie besetzen die Schulleiterstellen nicht wieder. Sie zwingen die Haupt- und Realschulen in die Gesamtschule, ansonsten bekommen sie keine Förderstufe. Das ist die Wahrheit in diesem Land! Sie bluten diese Schulen aus!

(Beifall bei der CDU - Widerspruch bei der SPD - Klare [CDU]: So ist es!)

Wir wollen, dass Schulen auch unter einem Dach zusammenarbeiten. Aber der eigenständige Bildungsgang muss gewahrt bleiben, die Verantwortung der Kolleginnen und Kollegen für ihre Schüler und deren Abschlüsse. Wir wollen die Begabungsreserven mobilisieren. Das geht in homoge

nen Lerngruppen besser als in heterogenen Strukturen.

(Plaue [SPD]: Das ist eben falsch, was Sie da sagen! Hören Sie doch einmal, was Herr Baumert dazu sagt! Nehmen Sie die Diskussionen eigentlich noch wahr?)

- Lesen Sie doch einmal, was der Ehemann von Frau Jürgens-Pieper im Verband der Gesamtschulen in Niedersachsen zu PISA geschrieben hat: Für die Gesamtschulen waren die Ergebnisse weiß Gott nicht respektabel, kann man dort lesen. Hören Sie doch auf, der Gesamtschule nachzulaufen! Sie ist doch nicht die Lösung für die bildungspolitischen Probleme unseres Landes. Wir brauchen Lehrer, die die Rückendeckung der Politik haben. Wir brauchen eine volle Unterrichtsversorgung. Wir wollen Unterstützung der Schulen und richtige Inhalte. Dann haben wir gute Ergebnisse, und nicht, wenn wir wie Sie ständig mit Ideologien herumdoktern.

(Beifall bei der CDU)

Sie zeigen sich gymnasial orientiert. Sie berücksichtigen nicht, dass Hochschulzugangsreife auch über die Berufsschulen und Fachhochschulen in Niedersachsen vermittelt wird. Damit stehen wir in dieser Statistik im Mittelfeld der Bundesländer.

(Frau Harms [GRÜNE]: Was heißt hier Mittelfeld?)

Nur im Jahr 2000 lagen wir unter Auslassung der Berufsschulen bei den Hochschulzugangsberechtigungen im unteren Drittel.

Wir wollen, dass die Schulreform - wenn sie gemacht wird - im Haushalt abgesichert ist. Sie müssen akzeptieren, dass nichts von dem, was Sie hier vortragen, im Haushalt abgesichert ist. Für die Unterrichtsversorgung steht ab 2003 keine einzige zusätzliche Lehrerstelle zur Verfügung. Die angekündigte Verlässlichkeit der Förderstufe ist an keiner Stelle finanziert, ebenso wenig wie der grüne Plan. 500 Stellen für das Fach Werte und Normen für muslimische Schülerinnen und Schüler sind überhaupt nicht finanziert. Sie haben das Land finanzpolitisch vor die Wand gefahren. Sie haben heute Morgen eingeräumt, dass wegen Ihrer Harakiri-Taktik bei BEB 1 860 Millionen DM auf das Land zukommen. Sie versprechen Dinge, die Sie nur versprechen können, weil Sie hundertprozentig sicher sein müssen, im nächsten Jahr nicht mehr im

Amt zu sein. Sonst könnte man so etwas nicht versprechen.

(Beifall bei der CDU - Widerspruch bei der SPD)

Man muss Bildungspolitik - vor allen Dingen, wenn man den Anspruch erhebt, eine Bildungspartei sein zu wollen; das tun Sie ja zur Genüge zusammen mit den Betroffenen machen. Sie haben den Landeseltern- und Landesschülerrat sowie nahezu alle Lehrergewerkschaften gegen sich. Sie haben die Kommunen und die kommunalen Spitzenverbände gegen sich. Sie haben alle betroffenen Gruppen, einschließlich der ausbildenden Wirtschaft, gegen sich. Das werden Sie in Niedersachsen in den nächsten Wochen sehr deutlich zu spüren bekommen.

(Zurufe von der SPD: Das stimmt doch gar nicht! - Möhrmann [SPD]: Wer steht denn hinter Ihnen, Herr Wulff?)

Sie haben sogar die eigene Partei gegen sich. Wenn wir ehrlich miteinander umgehen - aber das tun Sie ja in dieser Diskussion schon seit einigen Wochen nicht mehr -, dann müssen Sie zugeben – das wissen Sie genau, Herr Plaue -, dass ein SPD-Parteitag ein solches Programm niemals beschlossen hätte, wenn es der Ministerpräsident nicht zur Machtfrage erklärt hätte und die Landtagswahl nicht bevorstünde.

(Plaue [SPD]: Sie sind der einzige, der ehrlich ist. Das kennen wir ja!)

Keiner von Ihnen hätte zugestimmt, wenn diese beiden Voraussetzungen nicht bestanden hätten.

(Beifall bei der CDU)

Sie hatten zwölf Jahre Zeit, bildungspolitische Vorstellungen zu kreieren. Jetzt einen Gesetzentwurf schnell durchs Parlament zu bringen, weil man eine rechnerische Mehrheit hat, ist zum Scheitern verurteilt. Da sind wir uns absolut sicher.

(Starker Beifall bei der CDU)

Zu Wort gemeldet hat sich Frau Ministerin Jürgens-Pieper.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte auch vonseiten der Landesregierung einmal feststellen, dass es auf dieser Seite des Hauses nicht nur eine rechnerische, sondern auch eine gewählte Mehrheit ist.

(Beifall bei der SPD - Plaue [SPD]: Soviel zu Ihren juristischen Fähigkei- ten, Herr Wulff!)

Herr Wulff, ich bin wirklich heilfroh, dass wir jetzt mit Hilfe der Fraktion einen Gesetzentwurf vorliegen haben und dass diese Art der Diskussion, die wir eben gehört haben, aufhört.

(Zustimmung bei der SPD - Zuruf von Klare [CDU])

Wir sind heilfroh, dass wir jetzt Klarheit haben, und Sie, Herr Klare, können im Lande keine Unwahrheiten mehr verbreiten, weil jetzt dieser Gesetzentwurf vorliegt.

(Klare [CDU]: Sie können hier nicht neue Weisheiten erfinden!)

Wenn ich in der Presse lese oder Podiumsdiskussionen habe, erlebe ich ständig Unterstellungen, Verdächtigungen und nichts an Klarheit von Ihrer Seite. Jetzt sage ich Ihnen Folgendes: Herr Wulff hat gesagt, dass wir seit zwei Jahren diskutieren - das ist richtig -, und zwar auf Wunsch des Landeselternrates, der uns dafür sehr dankbar ist und keine Probleme mit dem Gesetzentwurf hat. Er hat nur Probleme damit, ob die Umsetzung in Ordnung geht. Das gebe ich zu. Dies hat mir der Vorsitzende auch so gesagt.

(Widerspruch bei der CDU)

Er wird diesen Gesetzentwurf mit uns aber voller Interesse diskutieren. Seit zwei Jahren diskutieren wir, und Sie stehen hier - ebenso wie die grüne Seite - und haben keinen eigenen Gesetzentwurf. Sie diskutieren keine Feinheiten, z. B. wie man mit Kommunen oder mit dem Elternwillen umgeht oder wie man Schülerströme steuert. Nichts von dem liegt hier vor, und wir können nichts dazu von Ihrer Seite diskutieren.

(Beifall bei der SPD - Busemann [CDU]: Sie haben ja auch nichts vor- gelegt! - Klare [CDU]: Wo liegen denn Ihre Vorschläge zu den Schüler- strömen?)

In einem Punkt haben Sie sich ganz deutlich entlarvt: Sie haben gesagt, dass Sie den Widerstand organisieren werden. - Daran sind wir sehr interessiert. Versuchen Sie das einmal. Wissen Sie, was mir Eltern am letzten Samstag bei der Hotline zur Schulreform gesagt haben? - Wir haben das schon einmal anlässlich der Verlässlichen Grundschule erlebt: Unterstellungen, Geschrei und Gezeter. Sie haben dann umgesetzt, was Sie versprochen haben. - Das werden wir an dieser Stelle auch tun!

(Beifall bei der SPD - Klare [CDU]: Sie haben den Grundschulen damit geschadet! Sie haben Ihre Verspre- chen gebrochen!)

Wir stellen fest, dass wir unsere Hausaufgaben gemacht haben. Hier liegt ein sauberer Gesetzentwurf vor. Wir stellen auch fest, dass Sie Ihre Hausaufgaben noch nicht gemacht haben. Versuchen Sie einmal, so den Widerstand zu organisieren. Darauf sind wir sehr gespannt.

(Beifall bei der CDU)

Wir haben auch keine Sorge, damit in den Landtagswahlkampf zu gehen. Hier soll ein Gesetz vorliegen, damit wir damit in den Landtagswahlkampf gehen. Sagen Sie uns einmal, wie Ihr Entwurf aussieht!

(Klare [CDU]: Warten Sie doch ab, in fünf Jahren Frau Ministerin!)

Jetzt geht es parlamentarisch zur Sache. Dann werden wir endlich mit dem Kriegsgeschrei und der Kriegstreiberei aufhören. Die Leute sind es satt, in dieser Art und Weise über Kinder zu reden.

(Beifall bei der SPD)

Der Entwurf des Gesetzes zur Weiterentwicklung des Schulwesens in Niedersachsen macht deutlich, so meine ich, dass wir sowohl strukturelle als auch inhaltliche Elemente regeln wollen. Aber, Herr Wulff - das haben Sie richtig festgestellt -, nicht alle Themen, die in unserem Maßnahmenpaket zur Schulreform enthalten sind, sind auf der Gesetzesebene zu regeln. Die Leistungsorientierung - dazu können Sie dem GBD gerne einen Vorschlag vorlegen - werden wir auf der Erlassebene an anderen Stellen, also nicht im Gesetz, regeln, ebenso wie andere Themen, die wir angesprochen haben wie z. B. das Thema Abitur nach 12 oder 13 Jahren.

Meine Damen und Herren, das Maßnahmenpaket richtet sich nach unterschiedlichen Zielen. Vor

allem wollen wir mehr Förderstunden, mehr Verlässlichkeit und mehr Ganztagsschulen.

(Klare [CDU]: Aber Sie waren doch vorher schon so gut!)

- Wir werden jetzt noch besser, Herr Klare! Haben Sie das noch nicht gemerkt? Das wird sich auch deutlich auf den Bildungshaushalt auswirken.

(Beifall bei der SPD)

Wir wollen auch bezüglich der Förderung der Kinder besser werden. Hier haben Sie richtig zitiert, Herr Wulff, und da haben Sie völlig Recht. Das gilt aber nicht nur für Niedersachsen, wie ich Ihnen an dieser Stelle auch einmal sagen möchte. Im Hinblick auf die PISA-Studie sind Sie ganz vorsichtig, die ja die Leistung aller Schüler in der Bundesrepublik wiedergibt. Wie es in Niedersachsen tatsächlich aussieht, werden wir erst sehen, wenn der Ländervergleich angestellt worden ist. Darüber können Sie aber jetzt noch nichts sagen. Sie haben PISA offensichtlich nicht in dem Sinne verstanden, wie man es nach der Lesekompetenz erwarten kann, nämlich sinnentnehmend.

(Beifall bei der SPD)

Frau Kultusministerin, möchten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Klare beantworten?

Nein, ich möchte in einem Stück vortragen. - Außerdem streben wir eine verbesserte Kooperation an. Daraus machen Sie, dass wir keine selbstständige Schule mehr haben wollten. Das Gegenteil aber ist der Fall. Hören Sie mit Ihren Unterstellungen auf! Sie finden die selbstständigen Schulen auch weiterhin im Schulgesetz verankert. Die Schulformen sind da.