Protokoll der Sitzung vom 23.04.2002

(Möhrmann [SPD]: Sie machen gar nichts!)

Meine Damen und Herren, das ist nicht nur entgegen des Wählerauftrages, sondern Sie verstoßen gegen alles, was Sie bei der letzten Wahl versprochen haben. Der Gesetzentwurf der Grünen hebt sich wohltuend von dem der SPD ab, weil hier nicht getäuscht wird, sondern weil klare Positionen besetzt werden.

(Zurufe von der SPD)

Diese Positionen sind zwar klar, aber sie gehen aus unserer Sicht in die falsche Richtung. Sie wollen die sechsjährige Grundschule, setzen auf integrierte Schulformen und verwenden noch einige schöne Begrifflichkeiten. Ich sehe es so, Frau Litfin, dass sich hier eine Art von falsch verstandener Oppositionsarbeit zeigt, denn Sie versuchen, mit einem sehr einfachen Weltbild und mit sehr einfachen Überlegungen ein großes komplexes System einzufangen. Das lässt sich auf diese Art und Weise nicht machen.

(Beifall bei der CDU)

Ihr Gesetzentwurf strotzt vor ideologischen Wunschvorstellungen. Ideologien sind aber ein falscher Ratgeber, weil es um die Interessen der Kinder geht.

(Möhrmann [SPD]: Das passt nicht mit dem zusammen, was Sie vorhin erzählt haben!)

Ihre Vorstellungen gehen an den Schulproblemen vorbei. Sie werden keine Probleme beseitigen, sondern Sie werden neue schaffen und einige verstärken. Ihre Gesetzesvorschläge sind keinesfalls finanziert. Sie drücken die Kosten weg und bleiben in den Formulierungen, die Sie verwendet haben, wie Sie finanzieren wollen, absolut nebulös. Sie werfen der SPD vor, dass sie sich bei der Weiterentwicklung des Schulsystems nur auf Strukturfragen beschränke. Sie machen das jedoch in gleicher Weise. Sie beziehen sich zwar auf PISA, Frau Litfin - das tun ja eigentlich alle, um Ihre Ansätze zu begründen; vielleicht sollten wir darüber einmal reden -, aber ich kann Ihnen eines sagen: Dass Sie die integrierten Systeme, so wie Sie es gemacht

haben, so deutlich favorisieren und die Integrierte Gesamtschule sozusagen als Schulform der Zukunft darstellen, ist durch nichts zu begründen. Wenn Sie das machen wollen, dann müssen Sie uns sagen, wo Sie die vielen zusätzlichen Lehrer herbekommen und wie Sie kleine Klassen schaffen wollen. Denn nur dann funktioniert ein integriertes System. Das zeigen die Erfahrungen aus Finnland. Sie sollten sich einmal das Schulwesen in Finnland ansehen: 20 Kinder pro Klasse, zwei, vielleicht sogar zweieinhalb Lehrer. Nur dann funktioniert ein integriertes System. Es funktioniert nicht mit den Möglichkeiten, die wir haben.

Wenn Sie dieses System wollen, dann müssen Sie uns sagen, wo die zusätzlichen, vielen tausend Lehrer herkommen sollen. Das ist sonst nicht glaubwürdig.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, die sechsjährige Grundschule hat sich entgegen Ihren Aussagen nicht bewährt. Sie sollten ein Gutachten der Bertelsmann-Stiftung lesen, das es dazu gibt. Sie hat sich nicht in pädagogischer, nicht in lernpsychologischer und auch nicht in organisatorischer Hinsicht bewährt. Es ist doch unbestritten, meine Damen und Herren, dass die Begabungsbreite ab dem 10. Schuljahr auseinander geht und dass sich das Lernverhalten viel differenzierter darstellt. Die richtige Lösung wäre also, ab diesem Alter - etwa ab zehn Jahren - die richtige Schule für das Kind zu wählen, die auf die Begabungen der Kinder ausgerichtet ist. Eine Schule für alle ist immer der verkehrte Weg! Man muss an differenzierte Begabungen auch differenziert herangehen; dann kann das auch funktionieren.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, das DIPF-Gutachten hat uns klar gezeigt, dass der gemeinsame Unterricht aller Schüler in der OS dazu geführt hat, dass die stärkeren Schüler nicht genügend gefordert und die schwächeren Schüler nicht genügend gefördert wurden. Das ist doch offensichtlich klar geworden. In der sechsjährigen Grundschule passiert genau dasselbe. Warum lassen Sie die Ergebnisse des Gutachtens, das 1 Million DM gekostet hat, hier außer Acht? Das darf nicht sein.

Das Gutachten ernst zu nehmen, hieße, langfristige Bildungsgänge einzurichten. Da sind wir uns einig. Selbstverständlich darf es zweijährige Bildungsgänge nicht weiterhin geben. Langfristige Bil

dungsgänge zu schaffen, die an den jeweiligen Begabungen, an den Fähigkeiten und an den Fertigkeiten der einzelnen Schüler ausgerichtet sind, ist das Gebot der Stunde. Das ist das Modernste, was ich mir vorstellen kann, nämlich auf die Begabungen der einzelnen Kinder einzugehen.

Nun zum Finanzproblem. Die Grünen haben den Personalbedarf für Integration beschrieben. Doch haben sie dann gesagt, dass dies aus dem Gesamthaushalt erwirtschaftet werden muss. Ich hätte mir gewünscht, dass Sie das etwas klarer machen würden, so wie wir es bei unserem Antrag für 3 000 Lehrer gemacht haben. Wir haben im Detail dargelegt, wo wir das Geld hernehmen und wo wir es wegnehmen wollen, damit wir es in Schule investieren können.

(Beifall bei der CDU - Frau Janssen- Kucz [GRÜNE]: Wir warten auf ei- nen Gesetzentwurf!)

Meine Damen und Herren, der Hauptanteil der Finanzierung geht zulasten der Kommunen. Sie werden - da hat der Ministerpräsident Gabriel Unrecht - keine Schulen schließen müssen. Das ist Unsinn, wenn so etwas behauptet wird. Keine Grundschule muss geschlossen werden. Aber Sie müssen an jeder Grundschule mindestens zwei Klassen zusätzlich anbauen, an den größeren natürlich mehr. Ein Klassenraum kostet mindestens 3 000 DM. Das können Sie einmal umrechnen. Das ist ein gewaltiges Finanzvolumen, welches Sie bei den Kommunen abladen wollen. Die Kommunen können es sich ohnehin nicht leisten; Sie wissen das. Ihr Modell ist das Teuerste. Das hat das Gutachten gezeigt. Die massiven Belastungen einfach auf die Kommunen zu schieben und ihnen den schwarzen Peter zuzuschieben, ist der verkehrte Weg.

Das Setzen auf die Schulform der IGS als die Schulform der Zukunft - ich sagte es bereits - ist ein falscher Weg. Der Herr Clement in NordrheinWestfalen hat einmal gesagt: Die Integrierten Gesamtschulen sind die Standortnachteile für Nordrhein-Westfalen.

(Frau Harms [GRÜNE] lacht)

Die IGS ist also nicht die Schulform der Zukunft. Das hat er tatsächlich so gesagt; ich habe das Zitat hier vorliegen.

Sie postulieren eine rückwärts gewandte Schulform, und ich werfe Ihnen das Zurückgehen in die

Zeiten von antiautoritärer Erziehung oder Blumenkinder-Mentalität vor. Das genau ist die Richtung, in die Sie gehen.

(Frau Harms [GRÜNE]: Musikalisch kennen Sie sich aber noch gut aus!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich meine, dass diejenigen, Frau Litfin, die ständig über Integrierte Gesamtschulen reden, oft dabei ertappt werden, dass sie ihre Kinder auf ein ordentliches Gymnasium schicken. Siehe Herrn Fischer, der das auch so gemacht hat; ebenfalls ein Parteifreund von Ihnen.

Was wir wirklich brauchen, meine Damen und Herren, ist eine 100-prozentige Unterrichtsversorgung; die herzustellen ist unsere gemeinsame Pflicht. Wir brauchen eine Veränderung der Lerninhalte, ausgerichtet an den Erfordernissen von heute. Wir brauchen ein klares Bekenntnis zu unverzichtbaren Grundfertigkeiten. Wir brauchen eine Schule, in der Leistungsfähigkeit wieder eine zentrale Bedeutung hat.

(Zuruf von der SPD: Das haben wir!)

Wir brauchen eine Grundschule, die wesentlich gestärkt wird - mehr Unterricht, damit auch differenziert gefördert werden kann. Meine Damen und Herren, wir brauchen einen freien Elternwillen nach der 4. Klasse. Qualitätssicherung im Schulwesen bedeutet für uns die Förderung der Profile der jeweiligen Schule. Das ist Zukunftspolitik, ausgerichtet an den Interessen der Kinder.

Meine Damen und Herren, wir brauchen nicht die eine Schule für alle, sondern wir brauchen die richtige Schule für jeden. Das ist auf die Zukunft unserer Kinder ausgerichtet.

(Beifall bei der CDU - Zuruf von Frau Harms [GRÜNE])

Wir wollen die Schule mit einem unverwechselbaren Profil ausstatten. Das ist auf die Zukunft unserer Kinder ausgerichtet, das ist zeitgemäß, das ist kindgemäß, und das ist unsere Antwort auf die Herausforderungen der Zukunft.

Das, was die SPD vorgelegt hat, ist unmöglich, ist nicht umsetzbar. Das, was Sie vorgelegt haben, Frau Harms, geht in die verkehrte Richtung.

(Frau Harms [GRÜNE]: Vorsichts- halber legen Sie gar nichts vor!)

Ich bitte Sie, sich unsere Konzepte genau anzugucken und - das wäre am besten - zu übernehmen. Dann täten wir etwas für unsere Kinder.

(Beifall bei der CDU - Zuruf von der SPD: Was haben Sie denn vorgelegt?)

Meine Damen und Herren, jetzt spricht Herr Kollege Wulf zu dem Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Bitte sehr, Herr Wulf!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Heute ist insofern ein historischer Tag, als mit der Vorlage des Schulgesetzentwurfs durch die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in Niedersachsen endgültig das Ende der Orientierungsstufe eingeläutet wird. Nunmehr ist absolut klar, dass auch die Grünen per Gesetz die Orientierungsstufe abschaffen wollen, und keine relevante Partei in Niedersachsen wird die Orientierungsstufe noch auf ihre Fahne schreiben.

(Zurufe von den GRÜNEN und von der CDU)

Die Grünen versetzen heute der Orientierungsstufe den endgültigen Todesstoß. Das kann man heute einmal so feststellen.

(Lachen bei den GRÜNEN)

Im Übrigen sind mit diesem Tag alle - auch von den Grünen - angekündigten Petitionskampagnen zum Erhalt der Orientierungsstufe absurd und werden überflüssig. Es wird auch für alle an diesem Diskussionsprozess Beteiligten klar sein,

(Klare [CDU]: Wer hat denn die Ori- entierungsstufe gefeiert?)

wie die neue Ausgangslage ist. Wir, Herr Klare, waren sicherlich auch Befürworter der Orientierungsstufe, haben sie auch für eine richtige Schulform gehalten, haben aber auch einen schmerzvollen Lernprozess durchmachen müssen. Aus diesem Grund haben wir ein neues Konzept entwickelt, das in einem hervorragenden Schulgesetz zum Ausdruck gekommen ist.

(Klare [CDU]: Wer sagt das?)

Ich bin der Ansicht, dass sich bei der Auseinandersetzung über die Ausrichtung der Schule in der

heutigen Zeit alle Beteiligten angesichts dieses Antrages der Grünen auf die neue Ausgangslage einstellen müssen. Diese neue Realität sollten alle Beteiligten zur Kenntnis nehmen. Die Debatte über das Für und Wider der Orientierungsstufe ist damit beendet. Diese Debatte ist spätestens mit dem heutigen Tag vorbei. Die Frage, ob Orientierungsstufe ja oder nein, ist entschieden. Die Orientierungsstufe in der bisherigen Form wird es in der Zukunft in der niedersächsischen Schullandschaft nicht mehr geben.

Die entscheidende Frage - das ist der Kern der Auseinandersetzung - ist aber: Was kommt stattdessen? - In der Anhörung zum Schulgesetzentwurf - die Anhörung empfand ich als durchaus positiv, weil dort sehr viele konkrete Anregungen kamen -,

(Lachen bei der CDU)

wurde eines sehr deutlich: Es geht eigentlich nicht um die Frage der Förderstufe in der von uns vorgelegten Form oder als verlängerte Grundschule - wie es die Grünen vorschlagen -, sondern es geht vielmehr um eine Grundsatzfrage der Gestaltung des Schulsystems generell. Es geht um die Frage: Welche Schlussfolgerungen werden die verschiedenen Parteien unter anderem aus der PISAUntersuchung ziehen? Das ist die Frage, um die es konkret geht.

Sie und die Ihnen nahe stehenden Verbände, das konservative Lager, waren ja nach der Veröffentlichung der PISA-Studie hinreichend geschockt - zu Recht!