Protokoll der Sitzung vom 12.06.2002

(Jugendliche äußern lautstark ihren Unmut und werfen von der Zuschau- ertribüne Zettel in den Plenarsaal)

Meine Damen und Herren auf der Tribüne, bitte unterlassen Sie das!

(Unruhe)

- Ich bitte das Haus jetzt wieder um Aufmerksamkeit für Herrn Minister Oppermann.

Ich möchte den jungen Leuten, die Papier in den Plenarsaal geworfen haben, anbieten, im Anschluss an die Debatte mit mir über das neue LHG zu diskutieren

(Beifall bei der SPD - Klare [CDU]: Das ist jetzt zu spät! - Weitere Zurufe von der CDU - Unruhe - Glocke der Präsidentin)

- natürlich erst nach der Verabschiedung, damit wir eine gute Gesprächsgrundlage haben.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Hochschulen können im 21. Jahrhundert nicht mehr als Staatsbetriebe geführt werden, jedenfalls nicht erfolgreich. Sie agieren auf einen internationalen Bildungsmarkt und konkurrieren um die besten Forscher und um die begabtesten Studierenden.

(Unruhe - Glocke der Präsidentin)

Wenn sie in diesem harten internationalen Wettbewerb erfolgreich sein wollen, müssen sie stärker als bisher unternehmerisch denken und unternehmerisch handeln. Das geht aber nicht, wenn wir ihnen, ob nun bürokratisch über das Ministerium oder kameralistisch über den Haushaltsplan, im Einzelnen genau vorschreiben, was sie tun

(Unruhe - Glocke der Präsidentin)

und was sie nicht tun sollen.

Wir ziehen daraus Konsequenzen, und wir machen drei rigide Schritte in die Entstaatlichung.

Der erste Schritt in die Entstaatlichung ist die Entrümpelung und Deregulierung unserer Hochschulgesetzgebung. In der Tat, selten ist es vorgekommen, dass so viele Vorschriften - einengende Vorschriften, Genehmigungsvorbehalte, Verordnungsermächtigungen oder Programmsätze - in einem Hochschulgesetz gestrichen worden sind. Das soll Motivation freisetzen, das soll eigenverantwortliche Gestaltung ermöglichen.

Der zweite Schritt in die Entstaatlichung ist die Einführung von Globalhaushalten. Seit 2001 haben alle niedersächsischen Hochschulen Globalhaushalte, kaufmännische Buchführung, Kosten-Leistungs-Rechnung. Sie wissen, welche Angebote wie viel kosten, und sie können Rücklagen bilden. Das

heißt, wir schaffen die Voraussetzung dafür, dass sie auch strategisch handeln können.

Der dritte Schritt in die Entstaatlichung ist die Rücknahme der Fachaufsicht. Das heißt, wir geben Einflussmöglichkeiten im operativen Geschäft auf und beschränken uns darauf, die Hochschulen künftig durch Zielvereinbarungen zu steuern.

Damit einher geht ein neues Förderprinzip. Das Förderprinzip lautet nicht mehr, wir fördern euch, weil es euch gibt; sondern künftig heißt das Förderprinzip: Das Land finanziert die Hochschulen und gibt eine Leistung und erwartet dafür eine Gegenleistung. Wir steuern um auf das Leistungsprinzip. Der Inhalt von Leistung und Gegenleistung wird künftig in Zielvereinbarungen mit den Hochschulen verhandelt.

Entstaatlichung und Finanzautonomie sind aber nur vertretbar, wenn in den Hochschulen schnell, kompetent und verantwortlich entschieden wird. Das ist genau das Kernproblem der deutschen Universitäten. Sie sind durch ihre komplizierten Entscheidungsstrukturen extrem schwerfällig. Sie schleppen die Hypothek der Gruppenuniversität seit 30 Jahren mit sich.

Die Senate, Frau Mundlos, die Sie so beschworen haben, haben die Allzuständigkeit. Aber im Rahmen dieser Allzuständigkeit haben sie leider nicht immer klare und eindeutige Entscheidungen getroffen. Wir stärken die Hochschulleitungen. In der Tat, künftig werden die Hochschulpräsidien entscheiden über den Wirtschaftsplan, über den Abschluss von Zielvereinbarungen, über die Vorschläge, welche Professorinnen und Professoren berufen werden sollen und im Einvernehmen mit dem Senat auch über die Entwicklungsplanung.

Damit überwinden wir eine Kultur des Minimalkonsenses. An dieser Kultur will die CDUFraktion mit ihrem Änderungsantrag ganz offenkundig festhalten, indem sie all diese Zuständigkeiten, die wir jetzt vom Senat in das Hochschulpräsidium übertragen, dem Senat wieder zurückgeben will.

Frau Mundlos, ich stelle fest, hinter Ihrem Antrag ist ein hochinteressantes Bündnis aus konservativen Ordinarien

(Zurufe von der CDU: Oh!)

- damit meine ich keinen formalen Status, sondern eher einen mentalen Status - und verträumten Altachtundsechzigern.

(Zustimmung bei der SPD)

Ihr Antrag, Frau Mundlos, ist abgeschrieben von Joachim Perets aus der „Kritischen Justiz“. Aber beide, Ordinarien und Altachtundsechziger, irren in einem Punkt ganz fundamental. Die Geschichte der Gruppenuniversität, die vor 30 Jahren mit so viel Elan begonnen hatte, ist eine Geschichte der Mutation eines ursprünglich auf Partizipation ausgerichteten Gremiums zu einem Gremium der Besitzstandswahrung.

Sie sagen: Alle Macht den Gruppen, die im Senat verpflichtet sind. Ich aber erlaube mir, den Altbundespräsidenten Herzog zu zitieren, der gesagt hat: „In einer Struktur, in einem Gremium, in dem alle Verantwortung tragen, trägt in Wirklichkeit niemand Verantwortung.“ Genau das war der Zustand in unseren Hochschulen.

(Beifall bei der SPD)

Sie wollen mit diesem Änderungsantrag den Mief der Gruppenuniversität konservieren, wir dagegen reißen die Fenster auf, damit frische Luft hineinströmen kann, die frische Luft der Veränderung. Wir bereiten die Hochschulen auf das 21. Jahrhundert vor, und Sie machen eine Rolle rückwärts in die 70er-Jahre.

(Beifall bei der SPD)

Aber, meine Damen und Herren, es genügt nicht, die Hochschulen zu entstaatlichen. Sie müssen auch stärker in der Gesellschaft verankert werden. Deshalb bekommen alle Hochschulen in Niedersachsen künftig Hochschulräte, in denen herausragende Persönlichkeiten die Hochschulen beraten sollen, die auch an der Wahl der Hochschulleitung teilnehmen.

Frau Mundlos, Sie sagen, das seien alles abgehalfterte Politiker und versorgungsbedürftige Leute.

(Wulff (Osnabrück) [CDU]: Hat sie nicht gesagt!)

- Das hat sie gesagt. Sie hat Herrn Schreiber zitiert und hat das Zitat gebracht, damit die Leute glauben, es sei so. Oder war es nicht so? Wollten Sie das Gegenteil behaupten?

(Wulff (Osnabrück) [CDU]: Da müssen Sie Frau Mundlos fragen, was sie gemeint hat!)

- Mein lieber Herr Wulff, jetzt möchte ich mal vorlesen, wer im Hochschulrat der TU München sitzt: Professor Roland Berger, Professor Richard Ernst - ich weiß nicht, ob Sie den kennen; er hat 1991 den Nobelpreis für Chemie bekommen -, Professor Roman Herzog, Dr. Bernd Pischetsrieder und Dr. jur. Dr.-Ing. Heinrich von Pierer. Ich weiß nicht, ob das versorgungsbedürftige Politiker sind.

(Beifall bei der SPD)

Ich glaube, das sind alles Persönlichkeiten, die viel zur Qualitätsentwicklung einer Hochschule beitragen können.

(Plaue [SPD]: Besser jemand befra- gen, der etwas davon versteht!)

Ich bitte Sie, solche Persönlichkeiten und solche Strukturen nicht länger zu diffamieren.

Stattdessen, lieber Christian Wulff, habe ich gesehen, wie Sie geklatscht haben, als Herr Golibrzuch Mitbestimmung in Stiftungshochschulen gefordert hat. Dazu will ich Ihnen mal etwas sagen. Außer Ihnen fordert das übrigens, bevor Christian Wulff dazu Beifall geklatscht hatte, keiner in Deutschland außerhalb der Personalräte.

(Golibrzuch [GRÜNE]: Ach!)

Die Kombination aus staatlicher Absicherung – d. h. das Geld muss nicht selbst verdient werden -, Wissenschaftsfreiheit – d. h. niemand darf in die Hoheit reinreden -, Gruppenuniversität – d. h. alle dürfen intern mitbestimmen - und Mitbestimmung von außen, das wäre eine tödliche Dosis für die deutschen Universitäten.

(Beifall bei der SPD)

Damit würden sie die nächsten fünf Jahre nicht überstehen.

Ich habe gesehen, Christian Wulff, dass Sie an der Stelle geklatscht haben. Wenn das Stoiber wüsste, dann würden Sie - -

(Zurufe von der SPD: Oh! - Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

Wenn das Stoiber gesehen hätte, würden Sie sofort aus dem Kompetenzteam herausfliegen.

(Möhrmann [SPD]: Er ist doch gar nicht drin!)

- Ich sage, er würde, wenn er drin wäre.

(Adam [SPD]: Aber er steht vor der Tür!)