Protokoll der Sitzung vom 13.06.2002

Ich möchte der CDU-Fraktion in einem Punkt entschieden widersprechen. Wenn man Persönlichkeiten wie Frau Hamm-Brücher, Gerhart Baum

und andere wirklich demokratisch infrage stellt wahre Politiker -, wenn man sie in Möllemanns Art und Weise angreift, sie diffamiert und die gleiche Methode, die er gegenüber Friedman angewandt hat, auch gegenüber denen anwendet, dann ist doch deutlich: Es steckt ein politisches Konzept dahinter, mit dem man bestimmte Tabus durchbrechen will und mit dem auf eine bestimmte Art und Weise Gefühle mobilisieren will, und zwar zulasten Dritter, zulasten der jüdischen Bevölkerung bei uns, aber zulasten letztendlich aller Minderheiten, weil es den Schutzcharakter, den demokratische Mechanismen ausüben, für alle Minderheiten, für alle - ich sage mal - möglicherweise gesellschaftlich infrage zu stellenden Gruppen destabilisiert. Auf diese Art und Weise Politik zu machen, ist schäbig und politisch unzulässig, egal in welche politische Richtung.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe daher die Beratung.

Wir kommen zur Abstimmung. Die Fraktion der SPD und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen haben sofortige Abstimmung beantragt. Das ist nach § 39 Abs. 3 Satz 2 unserer Geschäftsordnung möglich. Insofern frage ich entsprechend unserer Geschäftsordnung zunächst, ob Ausschussüberweisung beantragt wird. - Das ist nicht der Fall. Es kommt also nicht zur Ausschussüberweisung.

Daher stimmen wir jetzt über den eingangs genannten Antrag in der Drucksache 3469 ab. Wer dem Antrag zustimmen möchte, den bitte ich um ein Handzeichen. - Stimmt jemand dagegen? - Das ist nicht der Fall. Möchte sich jemand der Stimme enthalten? - Das ist auch nicht der Fall. Dann hat das hohe Haus einstimmig so beschlossen.

(Beifall bei der SPD)

Wir kommen jetzt zu

Tagesordnungspunkt 32: Einzige (abschließende) Beratung: Initiative der Landesparlamente zur Stärkung des Föderalismus - Antrag der Fraktionen der SPD, der CDU und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 14/3455

Zur Einbringung erteile ich Frau Kollegin Müller das Wort.

(Unruhe)

Frau Müller, wir warten aber, bis die Damen und Herren, die an der Beratung nicht teilnehmen wollen, den Plenarsaal verlassen haben. - Bitte schön, Frau Müller!

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unsere gemeinsame Initiative aller Fraktionen in diesem Hause, die Länderparlamente zur Stärkung des Föderalismus aufzurufen, hat folgenden Hintergrund: Die niedersächsische EnqueteKommission hat u. a. den Auftrag, die Frage zu untersuchen, welchen Aufgaben sich der Landtag zu Beginn des 21. Jahrhunderts zu stellen hat und mit welchem Selbstverständnis er den besonderen Herausforderungen, die sich aus den Veränderungen auf der bundesstaatlichen und europäischen Ebene ergeben, gerecht werden kann.

Wir sind uns darüber einig, dass sich mit fortschreitender europäischer Einigung und einer Ausweitung der EU Aufgaben und Gewichte der Landtage verschoben haben. Wir sind uns aber auch einig, dass die föderalistische Struktur der Bundesrepublik erhalten und gestärkt werden muss.

(Zustimmung bei der SPD)

Die Enquete-Kommission hat in ihre Arbeit die Ergebnisse anderer Enquete-Kommissionen der anderen Bundesländer und die Ergebnisse der Konferenz der Präsidenten der deutschen Länderparlamente mit einbezogen. Im Kern stellen eigentlich alle die gleiche Forderung, nämlich die Stärkung des Föderalismus.

Zur Vorbereitung der NizzaNachfolgeregierungskonferenz hat der Europäische Rat am 15. Dezember 2001 in der Erklärung von Laaken mehrfach die Notwendigkeit hervorgehoben, die demokratische Legitimation und die Bürgernähe zur EU zu stärken. Nach unserer Auffas

sung wären gerade die Länderparlamente dazu prädestiniert gewesen, daran mitzuarbeiten. Denn wir, die Landesparlamentarier, nehmen doch in besonderer Form eine Mittlerfunktion zwischen Bürger und Politik wahr. Wir sind nah am Bürger, wir sind nah an den Bürgerinnen.

Unsere Enquete-Kommission will den vielen, zum Teil sehr detaillierten Berichten anderer EnqueteKommissionen mehr hinzufügen als nur einen weiteren Bericht. Wir wollen es auch nicht nur bei Regierungskonferenzen auf verschiedenen Ebenen belassen, und wir wollen auch nicht nur Regierungskonferenzen über die Zukunft der Länderparlamente entscheiden lassen.

(Zustimmung von Rabe [SPD])

Oder, liebe Kolleginnen und Kollegen, können Sie sich folgendes Szenario vorstellen? - Da findet eine Ministerpräsidentenkonferenz statt, es treffen sich alle 16 Ministerpräsidenten, sie ziehen die Berichte ihrer unterschiedlichsten EnqueteKommissionen aus der Tasche, vergleichen sie miteinander und verabreden dann, was die Ministerpräsidenten für die Länderparlamente umsetzen wollen. - Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Phantasie reicht nicht so weit nicht.

(Wernstedt [SPD]: Doch, meine reicht so weit - das zu verhindern!)

Wir sind uns in unserer Enquete-Kommission einig gewesen. Wir haben das einstimmig beschlossen, und zwar auch mit den Stimmen aller Sachverständigen. Wir sind zu der Überzeugung gekommen, dass wir es lieber mit einem Satz sehr frei nach Kennedy halten wollen: Fragt nicht, was die Regierungen für die Länderparlamente tun können, fragt lieber, was wir Parlamentarier für die Rechte und Kompetenzen unserer Parlamente tun können!

(Beifall bei der SPD)

Deshalb, meine Damen und Herren, legen Ihnen alle Fraktionen des Niedersächsischen Landtages diesen gemeinsamen Antrag vor. Wir wollen erreichen, dass sich ein Konvent von Landesparlamentariern mit der ureigensten Sache der Landesparlamente befasst. Wir haben ganz bewusst auf einen detaillierten Aufgabenkatalog für den Konvent verzichtet. Wir machen nur eine einzige Vorgabe: Teilnehmer des Konvents sind Landesparlamentarier. Dies haben wir am 23. Mai in der Sitzung unserer Enquete-Kommission beschlossen, und wir haben den Vorsitzenden unserer Kommission ge

beten, davon sofort unseren Landtagspräsidenten, Herrn Professor Wernstedt, zu unterrichten; denn so konnte bei der Konferenz der Landtagspräsidenten Anfang dieses Monats diese Idee aus Niedersachsen schon weitergetragen werden. Sie ist von den Mitgliedern der Präsidentenkonferenz positiv aufgenommen worden. Soweit wir wissen, hat sich das Land Schleswig-Holstein bereit erklärt, diesen Konvent zu organisieren.

Wir möchten, dass der Niedersächsische Landtag diese Idee durch eine überzeugende Mehrheit für diesen Antrag unterstützt. Ich beantrage für die SPD-Fraktion sofortige Abstimmung. - Danke schön.

(Beifall bei der SPD)

Danke schön. - Herr Kollege Althusmann, Sie sind der nächste Redner.

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! „Wer den Föderalismus ändern will, der muss ihn lieben und darf nicht heimlich dem zentralistischen Goldesel huldigen“ - so kürzlich ein Kommentar in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung auf die diesmal vom Bundesverband der Deutschen Industrie angestoßene Föderalismusdebatte.

Kernfrage aller Forderungen der Reform unserer föderativen Ordnung ist letztlich, ob starke Bundesländer in einem zusammenwachsenden Europa eine Stärke oder eher eine Schwäche unseres demokratischen Systems sind.

Ein Blick zurück: Nach 1945 sind im Übrigen zuerst die Länder entstanden und ist erst danach der Bund entstanden.

(Wernstedt [SPD]: Das stimmt!)

Artikel 30 des Grundgesetzes spiegelt diese historische Entwicklung wider; denn danach sind die Ausübung staatlicher Befugnisse und die Erfüllung staatlicher Aufgaben Sache der Länder, soweit das Grundgesetz keine andere Regelung trifft oder zulässt. Hinzu kommt die Kompetenz- und Zuständigkeitsvermutung durch Artikel 70 Abs. 1 eindeutig zugunsten der Länder.

Die klare Zuordnung von Kompetenzen und Verantwortlichkeiten zwischen Bund und Ländern hat sich in den vergangenen Jahrzehnten allerdings eindeutig hin zum Bund oder gar zur Europäischen Union entwickelt - und, wenn man es noch ergänzen kann, eindeutig zu den Länderregierungen und weg von den Landtagen, den eigentlichen Landesparlamenten. Die Eigenständigkeit und Selbstbestimmung der Länder sind in der Verfassungswirklichkeit zwischen der Kompetenzwahrnehmung des Bundes und einer kontinuierlichen Zuständigkeitserweiterung der Europäischen Union inzwischen massivst eingeengt worden. Verfassungsexperten sprechen inzwischen davon, dass der im Grundgesetz ursprünglich angelegte Gestaltungsföderalismus mittlerweile zu einem Beteiligungsföderalismus degeneriert sei.

Wenn wir es auch in Niedersachsen mit der Bedeutung dieses Parlaments wirklich ernst meinen, dann müssen wir dieser schleichenden Entwicklung Einhalt gebieten.

(Beifall bei der CDU)

Der Landtag dieses Bundeslandes sollte sich sehr selbstbewusst an die Spitze aller Landtage, aller Länder setzen, um für ein Land mit 8 Millionen Einwohnern - immerhin größer als so manches Mitgliedsland der Europäischen Union - Gesetzgebungskompetenzen, die Budgethoheit in einem solidarischen föderativen Wettbewerb zwischen den Ländern, aber auch zwischen Bund und Ländern sowie der Europäischen Union zurückzugewinnen.

Ich meine, der Zuständigkeitsverlust, fehlende Transparenz, eine voranschreitende Missachtung des vielfach von uns allen in vielen Sonntagsreden so hoch gelobten Subsidiaritätsprinzips im Hinblick auf die kommunale Selbstverwaltung, auch die Frage des Konnexitätsprinzips, also im Prinzip unklare Kompetenz- und Finanzierungsabgrenzungen, sind die eigentlichen Ursachen für eine ziemlich gefährliche Entwicklung hin zu einem Entschließungs- und Anfrageparlament.

Eine wirklich landeseigene Gestaltung der Budgethoheit ist nicht nur angesichts der dramatischen Verschuldung des Landes Niedersachsen kaum noch vorstellbar, sondern ebenso fesseln uns gesetzliche Bindungen des Bundes oder der EU weit über das verträgliche, dem Föderalismus in Deutschland zuträgliche Maß hinaus in die eigene Landeszuständigkeit hinein.

Alles das, was wir unter Gemeinschaftsaufgabemitteln oft auch gegenfinanzieren müssen - ob auf kommunaler Ebene oder auf Landesebene -, schränkt die landesspezifische Haushaltsgestaltung inzwischen derart massiv ein, dass die Fragen der Möglichkeiten der Gestaltung eines Landeshaushaltes tatsächlich deutlich zurückgegangen sind. Nicht erst, aber im Kern liegen die weitergehenden Forderungen der Föderalismusreform seit 1991 durch die Präsidenten der Landtage vor.

Als Ministerpräsident Clement - ich glaube, es war im Jahre 2001 - vermeintlich neue und originelle Vorschläge unterbreitete, lag überdies das bereits bearbeitete Papier der Präsidenten aller Landtage vom 23. Mai des Jahres 2000 ebenfalls vor. Vor den Konsequenzen dieser Forderung der Präsidenten der Landtage allerdings weichen in der Regel alle in der Bundesrepublik Deutschland und auch in den Länderparlamenten Verantwortung Tragenden zurück.

Zugegeben: Allein die notwendige Änderung des Länderfinanzausgleiches zeigt, wie schwierig es bei den unterschiedlichen Interessenlagen ist, 16 Länderregierungen - gleich welcher Couleur - unter einen Hut zu bringen. Denken Sie nur an die Forderung nach einer Abkehr von einem bundeseinheitlichen öffentlichen Dienstrecht und daran, welche Bedeutung es hätte, wenn ein landeseinheitliches öffentliches Dienstrecht plötzlich in einem Wettbewerbsföderalismus greifen würde. Denken Sie an die Frage des Besoldungsrechtes, auch unter dem Gesichtspunkt einer ländereigenen bildungspolitischen Gestaltung oder wo auch immer. In erster Linie werden beim Blick auf diesen Wettbewerbsföderalismus, gerade im öffentlichen Dienstrecht, Gefahren beschworen. Ich glaube allerdings, es könnte auch Chancen bergen.

Roman Herzog hat 1998 in seiner PaulskirchenRede auf Walter Rathenau verwiesen, der gesagt hat:

„Die Klage über die Schärfe des Wettbewerbs ist in Wirklichkeit meist nur eine Klage über einen Mangel an Einfällen, über einen Mangel an Ideen.“

Ein lebendiger Föderalismus, meine Damen und Herren, lebt von einem selbstbewussten Parlamentarismus der Länder. Die Überlast der Landesregierung gegenüber dem Landesparlament läuft

faktisch auf eine Entmachtung des Landesparlamentes und seiner Landesparlamentarier hinaus.

Das, was die Landesparlamente in Deutschland an Gestaltungsmöglichkeiten inzwischen verloren haben, wurde an Mitwirkungsrechten der Landesregierung tatsächlich hinzugewonnen. Aber es ist bekannt, dass das Votum dieses Hauses die Landesregierung, die hier vorne sitzt - gleich welcher Partei -, in ihren Entscheidungen im Bundesrat nicht bindet. Die Landesregierungen sind in dem Bundesorgan Bundesrat nicht an das Votum dieses Hauses gebunden.

Ich meine, ein Konvent der Landtage könnte diesem Bedeutungsverlust unseres Landtages und aller Landtage in der Bundesrepublik Deutschland entgegenwirken. Die Vorschläge der Landtagspräsidenten sind nur deshalb nicht weiter erörtert worden, weil zu vermuten ist, dass auch dieses Landesparlament, das niedersächsische Landesparlament - vielleicht wie viele andere Landtage in Deutschland - diese Ohnmacht noch gar nicht erkannt und noch nicht problematisiert hat.

Meine Damen und Herren, die Interessen eines Landes werden nicht automatisch nur durch die Interessen einer Landesregierung repräsentiert, sondern durch dieses Haus. Es kann und darf uns nicht beruhigen, sondern muss uns vielmehr beunruhigen, wenn die Bundesregierung auf Staatssekretärsebene gemeinsam mit den Landesregierungen - allein auf dieser Ebene - Fragen der Subsidiarität, der Gewaltenteilung, der Transparenz des Wettbewerbs, der Finanzabgrenzung - all dieser Dinge -, der Mischfinanzierung, der Gemeinschaftsaufgabe bereits bis 2005 entschieden und die Weichen dafür gestellt haben will, ohne dass auch nur ein einziger Landesparlamentarier an diesem Vorgang beteiligt ist. Das ist nicht hinnehmbar. Deshalb gilt es im Sinne einer Wiederbelebung und Stärkung der Länderkompetenzen, hier durch einen Konvent der Landtage und Landesparlamentarier ein Zeichen zu setzen.

(Beifall bei der CDU)