Protokoll der Sitzung vom 14.06.2002

(Beifall bei der CDU)

Der zweite Punkt ist der Jahresabschluss 2000. Gestern hat Sie der Kollege Wiesensee in der Dringlichen Anfrage gefragt, wann Ihnen persönlich zur Kenntnis kam, dass der Jahresabschluss 2000 bis heute nicht gelungen ist und auch nicht gelingen kann, weil wichtige Datensätze schlicht gelöscht worden sind. Mit gelöschten Daten können Sie keinen Haushaltsabschluss mehr aufstellen.

Darauf sind Sie nicht eingegangen, sondern Sie haben nur gesagt, dass, als diese Zahlungen virulent wurden, von dem im Haus dafür Zuständigen sofort entsprechende Anweisungen gegeben worden sind.

Wenn man als zuständiger Fachminister erst eineinhalb Jahre nach dem 5. Januar 2001 durch eine Mitteilung des Landesrechnungshofes davon erfährt, dass es nicht gelingen wird, den Jahresabschluss 2000 aufzustellen, weil die Zahlen hinten und vorne nicht stimmen, dann ist man in seinem Amt schlicht überfordert und nicht in der Lage, ein solches Ministerium zu führen.

(Beifall bei der CDU)

Nun kommt das Schlimmste: Dass einmal etwas schief gehen kann, hat der Ministerpräsident vorhin ja schon gesagt. Das will ich ihm auch zugestehen. Überall dort, wo Menschen arbeiten, kann auch einmal etwas schief gehen. Das ist richtig. Anschließend muss es aber doch zu einer Fehlerkultur kommen, und man muss sagen: Hier ist ein Fehler gemacht worden. Jetzt arbeiten wir alle mit Hochdruck daran, diesen Fehler abzustellen. Nein, man hat stattdessen versucht, alles zu vertuschen. Man hat gar nicht erst versucht, diese Buchungen mit Mitarbeitern der Kasse und des Finanzministeriums nachzuvollziehen bzw. auf den Punkt zu bringen, sondern man hat die Mitarbeiter der betreffenden Softwarefirma kommen und in den Büchern und in denn Festplatten des Ministeriums herumfuhrwerken lassen, wobei all das passiert ist, was hier auch zugegeben worden ist: Beim Überspielen sind ganze Datensätze verloren gegangen. Das kann doch nicht hingenommen werden.

(Beifall bei der CDU)

Ich will Ihnen einmal Folgendes sagen: Das Land ist praktisch pleite. Dazu, wenn das einer Firma passiert, die pleite ist, will ich auf § 283 b des Strafgesetzbuches verweisen, in dem es u. a. wie folgt heißt:

„Mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer Handelsbücher, zu deren Führung er gesetzlich verpflichtet ist, zu führen unterlässt“

- das ist hier nicht geschehen

„oder so führt oder verändert, dass die Übersicht über seinen Vermögensstand erschwert wird.“

In Ihren Büchern sind Veränderungen vorgenommen worden, sodass bis heute nicht klar ist, welchen Vermögensstand Sie im Jahre 2000 hatten.

(Beifall bei der CDU - Zuruf von Wegner [SPD])

- Ich weiß ja, Herr Wegner, dass Sie als ehemaliger Strafrichter es nicht so gern hören, wenn man aus dem Strafgesetzbuch zitiert. Fakt aber ist doch: Wer so etwas tut, kann bestraft werden. Natürlich nicht in der Öffentlichkeit.

Ich möchte Ihnen nur einmal die Zahlen nennen. Der Landesrechnungshof hat die Bestandsdifferenzen dargestellt. Am 5. Januar 2001 hatten Sie eine Differenz von 699 271 009,42 DM. Sie hatten einen Kontobestand in Höhe von 35,9 Millionen DM. Der Jahresabschluss wies am 28. Februar 2001 - nachdem Sie sieben Wochen lang versucht hatten, hin und herzurechnen - immer noch eine Differenz in Höhe von rund 538 Millionen DM aus. Die Bestände hatten sich auf 32,9 Millionen DM reduziert. Das heißt, allein beim Kontostand waren innerhalb von sieben Wochen plötzlich 3 Millionen DM verschwunden. Der Tagesabschluss per 22. Februar 2002 - also 13 Monate später - ergab immer noch eine Differenz in Höhe von 11,4 Millionen Euro. Die letzte Differenz liegt am heutigen Tag bei 750 000 Euro. Das sind 1,5 Millionen DM. Trotzdem aber sagen Sie: Das ist doch ein großer Erfolg. - Kein Mensch kann nachvollziehen, wie Sie das hingebucht haben. Sie könnten die Differenz sogar auf null bringen, wenn Sie diese 1,5 Millionen DM in die Leine schmeißen und sagen: Jetzt ist sie weg, jetzt bin ich bei null, und meine Kasse stimmt. - Nein, so kann keine Buchführung funktionieren.

(Beifall bei der CDU)

Wenn das der Finanzchef einer Aktiengesellschaft oder der Finanzbuchhalter einer GmbH so machen und es nicht schaffen würde, den Jahresabschluss innerhalb von zwei bis drei Monaten hinzukriegen, dann verlören sie ihre Jobs. Sie würden nach Hause geschickt werden, weil es sich keine Firma leisten kann - auch keine Firma unter staatlicher Aufsicht -, zu sagen: Ich schaffe es nicht, den Jahresabschluss 2000 hinzukriegen. Ich bin dazu leider unfähig. Ihr müsst so lange warten, bis es geht.

Neulich habe ich einen ziemlich bekannten Steuerberater gefragt: Was passiert, wenn Sie für eine Firma die Buchführung machen, dann aber zu dieser Firma gehen und sagen, dass Ihre Software leider abgestürzt sei, weshalb der Jahresabschluss 2000 und die Bilanz nicht erstellt werden könnten. Der hat die Frage gar nicht verstanden. Daraufhin habe ich ihm erklärt, warum ich das frage. Da hat er gesagt: Oh Gott, wenn so etwas vorkommt, werde ich meine ganzen Mandanten los. Das darf gar nicht vorkommen. Ich muss eine Software haben, die sicher ist. - Wenn das schon bei jedem kleinen Selbstständigen so ist, dann darf so etwas beim obersten Finanzbuchhalter dieses Staates, dieses Landes erst recht nicht hingenommen werden. Hier ist geschludert worden.

(Beifall bei der CDU)

Ich möchte Ihnen ein konkretes Beispiel nennen: In einem Krankenhaus bei uns im Lande ist die Software abgestürzt mit der Folge, dass drei Monate lang keine Rechnungen geschrieben werden konnten. Aus diesem Grunde hat das Krankenhaus kein Geld mehr bekommen. Wer keine Rechnungen bekommt, der zahlt auch keine Krankenhauskosten. Nach drei Monaten kam dieses Krankenhaus in Liquiditätsschwierigkeiten. Das Krankenhaus hatte nicht so ein dickes Polster und konnte nicht mehr die Löhne zahlen. Daraufhin ist das Krankenhaus hergegangen und hat versucht, alles zu retten. Eines aber war klar:

(Zuruf von Möhrmann [SPD])

- Ich kann es Ihnen sagen: Der Verwaltungsleiter dieses Krankenhauses, der vielleicht auch nichts dafür konnte, dass seine Software drei Monate lang nicht lief, ist seinen Job losgeworden. Man hat ihn schlicht entlassen, weil er dafür verantwortlich war, dass die Software zu laufen hat. Er hat das zu organisieren, damit das Geld in die Kasse kommt. Das aber ist hier versäumt worden. Was nun dem kleinen Krankenhausleiter passiert ist, müsste doch beim obersten Finanzchef dieses Landes auch funktionieren.

(Beifall bei der CDU - Zuruf von Biel [SPD])

Ich komme jetzt zum Jahresabschluss 2001. Den Jahresabschluss 2001 hat der Minister trotz eines Fehlbetrages in Höhe von 616 Millionen DM als Punktlandung bezeichnet. Er konnte ja nichts dazu, dass plötzlich das BEB-Urteil auf ihn zugekommen ist, obwohl er diesen Prozess bis zur bitteren Neige

ausgekostet hat. Alle Forderungen der Opposition, sich mit den anderen Bundesländern und mit BEB zu vergleichen, hat er aber hochnäsig zurückgewiesen, weil wir ja gewinnen. Inzwischen haben wir die Akten eingesehen. Sie haben zwar versucht, uns durch die Menge der vorgelegten Akten irre zu schüren. Sie haben nämlich alle Akten von 1947 an vorgelegt. Die ersten Vermerke waren noch in Sütterlin geschrieben. Wir haben uns all diese Akten ordnungsgemäß angeguckt. Wir haben festgestellt, dass Sie halsstarrig hergegangen sind, verloren haben und 2,5 Milliarden überweisen mussten, was zu diesem Fehlbetrag geführt hat. Jetzt sagen Sie: Entgegen der Landeshaushaltsordnung und dem Haushaltsgrundsätzegesetze werde ich das nicht in den nächsten zwei Jahren ausgleichen, sondern ich werde das auf zehn Jahre strecken. - Das ist schlicht gesetzeswidrig. Ein Minister, der von vornherein sagt, dass er sich gar nicht gesetzestreu verhalten wolle, bricht nicht nur seinen Ministereid, sondern der ist zu entlassen.

(Beifall bei der CDU - Meinhold [SPD]: Eine Unverschämtheit ist das!)

Sie verstoßen bewusst auch gegen Artikel 67 unserer Verfassung. Danach dürfen Sie über- und außerplanmäßige Ausgaben nur tätigen, wenn nicht rechtzeitig ein Haushalt oder ein Nachtragshaushalt beschlossen werden kann. Ein Beispiel - wir haben es schon einmal gesagt -: Die VBL-Belastung ist in diesem Jahr aufgrund eines Kompromisses, den Sie in der Tarifkommission der Länder mit beschlossen haben, gestiegen. Die Mehrbelastung beläuft sich allein in diesem Jahr auf 43 Millionen Euro. Hätten Sie diesen Betrag in den Haushaltsplan hineingeschrieben, und zwar während der Beratung, was Sie hätten tun müssen, dann wäre Ihr Haushalt verfassungswidrig gewesen, wovor Sie allerdings Angst hatten. Deshalb haben Sie über einen SPD-Antrag 10 Millionen Euro hineingeschrieben. Die restlichen 30 Millionen Euro wollen Sie überplanmäßig bereitstellen. Das ist nicht in Ordnung. Damit verstoßen Sie gegen Artikel 67 der Verfassung.

(Beifall bei der CDU)

Das heißt: Ihnen steht das Wasser doch bis zum Hals.

(Zuruf von der CDU: 1 m unter Was- ser!)

- Nein, nicht 1 m unter Wasser, 2 m unter Wasser oder auf dem Boden liegend. - Herr Minister, wem

das Wasser bis zum Hals steht, der darf nicht warten, bis ihm Kiemen wachsen. Der muss handeln. Daran aber fehlt es bei Ihnen.

(Beifall bei der CDU)

Nun komme ich zum letzten Punkt, weil meine Redezeit gleich abgelaufen ist. Der Finanzminister steht hilflos vor einem riesigen Scherbenhaufen. Er hat das Niedersachsenross finanziell zu Tode geritten. Die Steuerschätzungen ergeben allein für dieses Jahr Steuerausfälle in Höhe von 653 Millionen Euro. Das sind nicht weniger Steuern, sondern nur geplante Steuern, die nicht eingenommen werden. Sie haben ja in der Mipla schon einmal geschrieben, die Realität habe sich nicht an die Planung anpassen wollen. Es ist natürlich Pech, wenn sich die Realität nicht an die Planung anpasst. Das ist Ihnen nun aber einmal so passiert. Hinzu kommt das Minus aus dem Jahresabschluss 2001, dann noch Mehrausgaben aus dem Schulbereich, die hier schon immer versprochen worden sind. Dann packen wir das drauf, das drauf, das drauf, was aber noch nirgends finanziert war, von überschlägig 140 Millionen DM. Bezüglich der Tarifsteigerungen im öffentlichen Dienst haben Sie hier gestern ganz schön rumgeeiert, weil der Ministerpräsident gesagt hat, die IG Metall müsste 6,5 % bekommen, dem öffentlichen Dienst könnte man aber nicht so viel geben, weil er nicht so hohe Gewinne macht. Aber auch da haben Sie viel zu wenig angesetzt. Auch da werden Sie noch 150 Millionen hinzugeben müssen.

Insgesamt sind es mehr als 1,5 Milliarden DM, die Ihnen fehlen. Es ist bei Ihnen aber kein Ansatz für eine Änderung zu erkennen. Es geht um 1,5 Milliarden DM im vorliegenden Haushalt, die Sie finanzieren müssen. Sie aber weigern sich, einen Nachtragshaushalt aufzustellen, und zwar ganz einfach deshalb, weil Sie Angst davor haben, den Wählerinnen und Wählern endlich einmal die Wahrheit zu sagen. Sie drücken sich darum herum. Das ist nicht hinnehmbar. Deshalb sollten Sie das Beste für dieses Land tun, was man tun kann, und als Minister zurücktreten und den Platz für einen anderen freimachen.

(Zuruf von Frau Merk [SPD])

- Doch, wenn man fachlich in seinem Amt versagt hat, dann sollte man diesen Platz vielleicht einmal für einen Besseren freimachen.

(Plaue [SPD]: Wieso reden Sie dann eigentlich noch? Sie versagen doch ständig!)

Dazu fordern wir den Minister auf. Da er dazu nicht fähig ist, fordern wir den Ministerpräsidenten auf, ihn zu entlassen.

(Beifall bei der CDU)

Herr Minister, damit es Ihnen dann nicht zu langweilig wird, habe ich Ihnen ein kleines Geschenk mitgebracht. Ich habe eben gesagt, Sie haben die Finanzen des Landes Niedersachsen zu Tode geritten. Als Sie heute Morgen in der Fragestunde einsam und allein gekämpft haben, da hat man gemerkt, dass niemand mehr für Sie in die Bütt gegangen ist und der Ministerpräsident nur noch leise den Kopf geschüttelt hat. Deshalb habe ich Ihnen ein Buch mit dem Titel ausgesucht: „Es ist so einsam im Sattel, seit das Pferd tot ist“. - Ich wünsche Ihnen viel Spaß dabei.

(Heiterkeit und lebhafter Beifall bei der CDU - Möllring [CDU] überreicht Minister Aller ein Buch)

Das Wort hat Herr Golibrzuch.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dass ein Rechnungshof einer Landesregierung bescheinigt,

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

dass sie ihren Haushalt nicht ordnungsgemäß geführt hat und die Buchungen nicht nachvollziehbar sind, so etwas hat es in der Bundesrepublik noch nicht gegeben.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Das ist ein beispielloser Vorgang, der sich allerdings schon seit einigen Jahren angedeutet hat. Die hier eingesetzte Software hat in keinem anderen Unternehmen, in keiner anderen öffentlichen Verwaltung vor 1999 funktioniert. In Teilen funktioniert sie bis heute in diesem Hause nicht. Es gab eine Vielzahl industrieller Anwender – Umformtechnik in Erfurt, der Textilhersteller Kettelberg oder Radzubehörhersteller -, die sich nicht nur mit dieser Firma gestritten haben, sondern vor Gericht erfolgreich Schadenersatzforderungen durchgesetzt

haben, weil die Finanzbuchhaltung in diesen Firmen nicht funktionierte.

Es gab keine Referenzkunden. Der einzig mir bekannte große Kunde, der diese Finanzbuchhaltungssoftware eingesetzt hat, war die EXPO GmbH. Leider Gottes hat sich deren Minus von 2 Milliarden DM am Schluss nicht als Fehlbuchung erwiesen, sondern das war echtes Geld, was in der Kasse fehlte. Es gab keine Referenzkunden. Deswegen muss man natürlich die Frage stellen: Was war eigentlich der Grund für diese Auftragsvergabe Mitte der 90er-Jahre?

Wenn ich die Zeitungen von damals durchlese, dann fällt mir eine ganze Reihe von möglichen Gründen auf. Da war die Rede davon, dass die besagte Firma ihre Deutschland- oder Europa-Zentrale mit mindestens 1 000 Beschäftigten in Hannover ansiedelt. Da war die Rede davon, dass diese Firma als Weltpartner mit einem zweistelligen Millionenbetrag in die Finanzierung der EXPO einsteigt. Da war die Rede davon, dass sich diese Firma an einer Stiftungslösung zur Gründung einer European Business School beteiligt. Das ist das, was wir heute als GISMA, als Managerakademie für Großkonzerne, kennen. Da war auch die Rede davon, dass diese Software-Firma mit der Stiftung Neurobionik eines in Hannover ansässigen Mediziners zusammenarbeiten will.