Das ist eine Ohrfeige der kommunalen Ebene gegenüber dieser Politik der Landesregierung; nichts anderes!
Heute Morgen ist hier das Hohelied der kommunalen Nähe zu den Familien, zu den Bildungseinrichtungen und zu den Schulen gesungen worden, und es wurde gesagt, deswegen seien die Kommunen zuständig. Welchen Sinn aber macht es, wenn ich das Kind aus Leer, Emden oder Aurich in Gauting bei München unterbringe, weil man auch da wieder auf die Schützenhilfe Bayerns angewiesen ist? Nein, sie sollen hier in Niedersachsen möglichst wohnortnah untergebracht werden.
nisse, die manche hier haben, über Bord zu werfen. Spätestens nach dem richtigen Satz des Ministerpräsidenten, dass das falsch verstandener Liberalismus gewesen sei, steht fest: Es waren Fehler der so genannten antiautoritären Erziehung. Es war ein Fehler, Autoritäten zu schwächen.
Es war ein Fehler, Familien und Institutionen zu zerstören. Sie haben lange dem Irrtum angehangen, wir müssten nur lange genug gut zureden, wir müssten mit denen einmal im Segelboot in Argentinien durch die Gegend fahren, dann würde das schon ein guter Mensch werden.
Nein, wir brauchen auch Gebote und Verbote. Wir brauchen auch Strafen, die auf dem Fuße folgen. Wir brauchen ein Gesamtkonzept aus Prävention und Repression. Dazu haben Sie die notwendigen Entscheidungen in der Vergangenheit bedauerlicherweise nicht getroffen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir debattieren über ein sehr ernstes Thema. Es passiert immer wieder, dass die Entwicklung einzelner Kinder so aus dem Gleis gerät, dass sie hoch aggressiv, dass sie gewalttätig werden und so auffallen. Das passiert nicht von einem Tag auf den anderen, sondern das ist ein Prozess.
Bedauerlich aber ist bei diesem Thema, dass es regelmäßig vor Wahlen für durchsichtige politische Kampagnen missbraucht wird.
- Doch, das war eben schon wieder so. Sie bringen die Sachverhalte durcheinander. Wir reden über Kinder bis 14 Jahre, die strafunmündig sind. Wir reden nicht über Jugendliche, die strafmündig sind. Sie werfen aber alles in einen Topf und kochen eine Suppe daraus.
(Beifall bei den GRÜNEN - Zustim- mung bei der SPD - Frau Pruin [CDU]: Meta, du hast es nicht begrif- fen!)
- Meta hat es sehr wohl begriffen, liebe Hedwig. Ich habe jahrelang in diesem Bereich gearbeitet. Daher weiß ich, wie es läuft.
Hier passiert Folgendes: Kinder werden instrumentalisiert und stigmatisiert. Es wird unmöglich gemacht, mit der erforderlichen Differenziertheit über dieses Thema zu sprechen. Wir müssen uns nur einmal den Ablauf der letzten 18 Tage und die Presselandschaft angucken. Am 7. September erschien ein ganzseitiger Artikel. Die Schlagzeilen lauteten: „Er schlägt.“ „Er erpresst.“ „Er ist erst 12.“ - Darunter steht: „Manche Kinder verbreiten Angst und Schrecken. Sie terrorisieren ihre Mitschüler.“ Daneben ein großes Bild mit einem tropfnassen Kampfmesser. Das ist fast Propaganda, um es einmal so zu sagen.
Am 9. September gibt die niedersächsische CDU eine Presseerklärung heraus, mit der noch einer draufgelegt wird: Zwölfjähriger terrorisiert einen Stadtteil. - Der Lösungsvorschlag, wie Sie, Herr Wulff, ihn alle Wahljahre wieder vorlegen: geschlossene Unterbringung für Kinder. - Sie wollen einen Kinderknast. Sagen Sie das doch einmal laut und deutlich.
Am 13. September sprach der Innenminister in einer Pressekonferenz davon, dass man kriminelle Kinder wegsperren müsse. Was wird daraus? Kein Kinderknast; aber fast.
Am 14. September - es geht so weiter - wurde der Presse offenbar auf dem Weg von der zuständigen Polizeiinspektion zum Innenministerium eine vertrauliche Information zugespielt und dazu genutzt, ein Jugendzentrum, das mit dem Fall „Artur“ nichts zu tun hat, abzuwatschen. Welche Rechnung hat die Polizeistelle noch mit dem Jugendzentrum offen gehabt? Das frage auch ich mich in diesem Zusammenhang.
Natürlich kann der Ministerpräsident in dieser Situation nicht ruhig bleiben. Am 17. September benannte er den Schuldigen im Fall „Artur“, nämlich den Jugenddezernenten der Stadt Hannover. Außerdem verkündete er marktschreierisch, wie wir es gewohnt sind, dass niedersächsische Kinder als Ultima Ratio notfalls in geschlossenen Heimen untergebracht werden sollen. Pech für Sie, Pech für die CDU, Herr Wulff: Erst kommen Sie mit Ihrem Antrag betreffend Sofortprogramm gegen Jugendgewalt und Jugendkriminalität - ein ziemlich wildes Sammelsurium - zu spät, und bevor die Debatte richtig losgeht, legt der Ministerpräsident noch einen oben drauf. Schade, Sie haben immer das Nachsehen. Das ist so, wenn man in jedem Wahljahr versucht, alte Kamellen neu aufzuwärmen. Der Populist Gabriel hat Sie wieder einmal ausgestochen.
Die Scheinheiligkeit, über die wir erst heute Morgen gesprochen haben, kennt gerade in der Kinderund Jugendpolitik keine parteipolitischen Grenzen. Ob SPD oder CDU - scheinheilig sind bei diesem Thema alle.
- Herr Vorsitzender des Ausschusses für Jugend und Sport, hier wird Politik auf dem Rücken von Kindern und Jugendlichen gemacht, und in der Bevölkerung werden Ängste geschürt, um mit einem Sammelsurium von Maßnahmen - zusammengepackt in diesem Sofortprogramm - auf Stimmenfang zu gehen. Die SPD-Fraktion geht sogar so weit - Herr Pfeiffer hat dies heute Morgen widerlegt -, frech zu behaupten, dass Jugendgewalt und Jugendkriminalität deutlich zunähmen und dass die Auseinandersetzungen immer brutaler und skrupelloser würden. Das aber lässt sich überhaupt nicht belegen. Herr Pfeiffer hat dazu heute Morgen schon Stellung genommen.
Frau Kollegin, können Sie innerhalb Ihrer restlichen Redezeit auch einmal Ihre Vorstellungen zur Lösung der Probleme mitteilen?
Vielleicht sollten Sie einmal etwas mehr Geduld haben und nicht immer so schnell über das Ziel hinausschießen. Sie werden es hören. - So kann man mit den Problemen von verhaltensauffälligen und hoch aggressiven Kindern nicht verantwortlich umgehen.
Sieht man sich die Situation der Jugendhilfe in Niedersachsen an, dann kann man feststellen, dass sie kaum Luft zum Atmen hat. Das haben Sie gesagt, Herr Wulff. Das haben Sie richtig erkannt.
Krisenintervention gehört zum täglichen Geschäft. Gleichzeitig - ich glaube, auch diesbezüglich sind wir einer Meinung - besteht der Druck zum Sparen. Jede Hilfe zur Erziehung wird permanent dahin gehend hinterfragt, ob sie unter pädagogischen und erzieherischen Aspekten wirklich dringendst notwendig ist oder ob man nicht noch einmal sparen und diese Hilfe etwas weiter nach hinten schieben könnte. Die Haushälter haben den Daumen auf alle Maßnahmen in der Kinder- und Jugendhilfe gelegt und deckeln ganz gewaltig. Diese Kostenfrage führt zu Reibungsverlusten. Das aber geht zulasten der Kinder und der Jugendlichen und wirkt bei der Umsetzung des Erziehungsgedankens kontraproduktiv.
Die Kinder- und Jugendhilfe braucht Hilfe. Sie braucht diese Hilfe genau so, wie straffällige und strafunmündige Kinder diese Hilfe brauchen. Nicht die Sozial- und Jugendämter müssen ihre Zurückhaltung aufgeben, sondern das Land muss seine Zurückhaltung aufgeben. Es muss endlich finanzielle und konzeptionelle Landeshilfen für kommunale Interventionsprogramme zur Verfügung stellen. Dazu gehört auch, die Defizite bei der Umsetzung der Kinder- und Jugendhilfe zu analysieren und zu beheben. Auch die Entwicklung von fachlichen Konzepten und geeigneten Verfahren sowie Methoden der sozialen Diagnostik dürfen nicht fehlen. Qualitätskontrolle ist angesagt, nicht
Noch einmal: „Klare Linie“ heißt unser Konzept. Die geschlossene Unterbringung ad acta legen. Konkrete Hilfsangebote an die Träger der Jugendhilfe richten. - Nur so kann den Kindern geholfen werden. Da fängt auch Prävention an, damit wir nicht immer zu diesen Krisenfällen kommen und auch nicht immer diese Wahlkampfschlager haben.
Der Ministerpräsident und die CDU-Fraktion haben den Berg in Niedersachsen mit ihrem Populismus gemeinsam ganz schön zum Beben gebracht. Herausgekommen ist eine Task Force KIT nicht mehr als ein Mäuschen, aber viel Porzellan ist zerschlagen worden. Türkische und russlanddeutsche Kinder und Jugendliche sind stigmatisiert worden. Das Vertrauensverhältnis zwischen dem Land und den kommunalen Jugendämtern ist zerstört. Auf der Strecke geblieben sind die Kinder und Jugendlichen, um die es doch eigentlich geht, um die wir uns kümmern wollten. Diese Aufgabe sollten wir anpacken, statt immer nur über die geschlossene Heimunterbringung zu reden. - Danke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem wir heute Vormittag so ausgiebig über das Thema geschlossene Heimunterbringung gesprochen haben, wollte ich mich diesem Thema jetzt eigentlich nicht mehr zuwenden. Nachdem Sie nun aber einen so großen Teil Ihrer Redezeit auf dieses Thema verwendet haben, möchte ich auf eine Veranstaltung eingehen, über die ich mich gestern Abend noch einmal gründlich informiert habe.
Vor acht oder neun Jahren war ich Vorsitzender der Deutschen Jugendgerichtsvereinigung und wurde von der damaligen Jugendministerin Merkel gebeten, gemeinsam mit ihr ein Hearing zum Thema geschlossene Heimunterbringung durchzuführen, das wir dann in Bonn - mit Sachverständigen von ihr und von mir bestellt - gemeinsam realisiert haben. Ich habe mir noch einmal das gesamte
Protokoll dieser Veranstaltung durchgelesen. Das Ergebnis war eindeutig. Sämtliche Sachverständige - ganz gleich, ob sie von Frau Merkel oder von mir benannt worden waren - haben eine geschlossene Heimunterbringung als Dauerkonzept abgelehnt.
Sie haben auch gesagt, warum sie dagegen sind. Ich möchte jetzt ein neues Argument in Ergänzung zu den Argumenten anführen, die wir heute Morgen schon gehört haben. Ein zentrales Argument war: In der geschlossenen Heimunterbringung gibt es irgendwann - nach einem Vierteljahr, nach einem halben Jahr - den Übergang von der geschlossenen in die offene Unterbringung innerhalb der Einrichtung. Da wechseln für die Jugendlichen die Personen, die Bezugsmenschen. Dabei wechseln für die Jugendlichen die Menschen, die für sie verantwortlich sind. Auch die Gleichaltrigen, mit denen sie in einer Gruppe waren, wechseln. Von daher waren sich alle darüber einig, dass die geschlossene Unterbringung als Dauerkonzept keine Lösung ist.