Protokoll der Sitzung vom 23.10.2002

Der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wurde am 24. September zur Beratung und Berichterstattung an den Ausschuss für Haushalt und Finanzen überwiesen. Eine Berichterstattung ist nicht vorgesehen, sodass wir gleich in die Beratung eintreten können.

Die Beratung wird durch den Kollegen Golibrzuch eröffnet. Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zum wiederholten Male diskutieren wir heute über die Finanzlage Niedersachsens. Wir beantragen einen Nachtragshaushalt. Wir beantragen ihn deswegen, weil mittlerweile sonnenklar geworden ist, dass die Einnahmen- und Ausgabenentwicklung des Landeshaushalts zwingend Abstriche am verabschiedeten Doppelhaushalt 2002/2003 erforderlich macht. Wir beantragen ihn aber auch aus einem anderen Grunde. Wir können nämlich nicht verstehen, warum die Landesregierung dieses Jahr ein anderes Verfahren wählt, als sie es bei der Verabschiedung des einfachen Haushalts für das Jahr 2001 getan hat.

Seinerzeit wurde ein Etatentwurf vor der so genannten November-Steuerschätzung auf den Tisch gelegt. Er enthielt ganz konkrete Einsparabsichten. Das waren zugegebenermaßen nicht so viele. Das ist bei der Landesregierung häufiger der Fall. Aber er enthielt ganz konkrete Ausgabenwünsche. Damals hat man die Ergebnisse der NovemberSteuerschätzung über eine so genannte Ergänzungsvorlage in die Beratungen des Haushaltsausschusses und der Fachausschüsse eingespeist.

Wir können nicht nachvollziehen, warum man sich dieses Mal nicht vor der Landtagswahl zu konkreten Einsparwünschen und Ausgabenkürzungen durchringen kann. Wir halten das deswegen für erforderlich, weil wir in nahezu allen Posten des Einnahmehaushalts Veränderungen haben, die in der niedersächsischen Geschichte einmalig sind. Sie werden am Wochenende die Zeitung gelesen haben und werden wissen, dass wir bei den Steuereinnahmen des Landes mit Einnahmerückgängen von bis zu 11,7 % rechnen müssen. Im Rückblick der letzten Jahrzehnte ist dies eine historisch einmalige Situation. Es wird im Landeshaushalt zu Einnahmeausfällen in der bisher unvorstellbaren Größenordnung von 1,5 Milliarden Euro kommen.

Entgegen dem, was der Finanzminister gleich vielleicht noch sagen wird, ist keine ausreichende Kompensation durch die Steuerbeschlüsse der rotgrünen Bundesregierung in Berlin in Sicht. Natürlich freuen wir uns über jeden Euro, der durch eine Mindestbesteuerung, durch die Begrenzung des Verlustvortrages oder durch eine Neuregelung der Besteuerung der Kapitalerträge hereinkommt. Natürlich freuen wir uns, wenn man insbesondere die Steuerschlupflöcher bei Großkonzernen schließt, die in der Vergangenheit geschaffen

worden sind, und damit zusätzliche Einnahmen generiert. Das wird aber in der Summe allenfalls ausreichen, um die zusätzlichen Einnahmeausfälle der November-Steuerschätzung auszugleichen. Es wird vielleicht nicht einmal ausreichen, um den absehbaren Anstieg der Kranken- und Rentenversicherungsbeiträge zu kompensieren. Auch sie treffen den Landeshaushalt. Das Land ist der größte Arbeitgeber für Angestellte und Arbeiter.

Wir werden also tatsächlich ein Haushaltsloch von rund 1,5 Milliarden Euro haben. Wir werden dieses Haushaltsloch nicht weiterhin über Luftbuchungen schließen können.

Wenn ich von Luftbuchungen rede, dann wissen Sie, dass diverse Einnahme- und Ausgabenposten dieses Haushalts überholt sind. Es ist völlig unrealistisch, anzunehmen, dass sich die Tarifentwicklung im öffentlichen Dienst mit einem Einkommenszuwachs von 1,5 % befrieden werde. Das ist völlig unrealistisch. Die Beschäftigten wissen, was ver.di gefordert hat. Jeder Prozentpunkt mehr beim Tarifabschluss bedeutet Mehrausgaben für das Land in Höhe von 54 Millionen Euro.

(Dr. Domröse [SPD]: Es ist unerträg- lich, dass Sie das jetzt hier erwähnen!)

- Herr Dr. Domröse, es ist deswegen völlig korrekt, das hier zu erwähnen, weil ursprünglich 2 % im Haushalt veranschlagt waren. Nach der Steuerschätzung im Mai hat man willkürlich um 0,5 Prozentpunkte abgesenkt.

Genauso falsch sind die Ausgabenschätzungen im Bereich der Betreuungskosten und im Bereich des Wohngeldes. Wenn man einen Haushalt verabschiedet, kann man natürlich hineinschreiben, dass die Ausgaben entgegen der Entwicklung der letzten zehn oder zwölf Jahre nicht weiter steigen, wie es tatsächlich der Fall ist. Man kann sogar behaupten, dass diese Ausgaben sinken. Tatsächlich steigen diese Ausgaben jedoch in einem Umfang, wie es in den letzten Jahren nicht der Fall war. Allein beim Wohngeld steigen sie um rund 30 Millionen Euro. Am Ende des Jahres wird ein gigantischer Jahresfehlbetrag aufgelaufen sein, den Sie für das Haushaltsjahr 2002 notwendigerweise in zwei Jahren ausgleichen müssen. Deswegen kommen Sie an dieser Stelle nicht an der Wahrheit vorbei.

Sie werden vor der Landtagswahl erklären müssen, wie Sie die 700 neuen Stellen für Lehrerinnen und Lehrer, die zum 1. November geschaffen werden,

ab Februar bezahlen wollen. Sie werden das deswegen erklären müssen, weil im Haushaltsausschuss auf Nachfrage eingestanden werden musste, dass hier nur eine dreimonatige Kurzfristfinanzierung aus den Einsparbeträgen der Altersteilzeit verankert ist, die im Kultusministerium bisher nicht in dem erforderlichen Umfang abgeflossen sind. Über den Januar hinaus haben Sie kein Finanzierungskonzept. Wenn Sie sagen, Sie möchten einen Nachtragshaushalt vorlegen, dann möchten wir gerne wissen, wie Sie diese Finanzlage angesichts dieser Rahmendaten von steigenden Ausgaben und gleichzeitig dramatisch wegbrechenden Steuereinnahmen des Landes in den Griff bekommen werden. Deswegen sage ich Ihnen, Sie müssen vor der Landtagswahl einen solchen Nachtragshaushalt vorlegen. Das ist ein Gebot der Ehrlichkeit. Deswegen beantragen wir das an dieser Stelle.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Nun hat Herr Kollege Möllring das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es wäre ganz schön, wenn der Ministerpräsident im Raum wäre.

(Zuruf: Immer das Gleiche!)

- Nicht immer das Gleiche. Er hat zwei Tage nach der Wahl gesagt: „Die Wahrheit vor der Wahl - das hättet ihr wohl gerne gehabt!“ Das ist genau das, was wir gerne gehabt hätten, dass man nämlich den Bürgerinnen und Bürgern vor der Wahl sagt, was nach der Wahl passieren soll.

(Beifall bei der CDU)

Herr Möhrmann hat uns gebeten, nicht ständig von Wahlbetrug zu reden. Er geht offenbar davon aus, dass das, was in Berlin passiert ist, Wahlbetrug ist. Das, was in Hannover wieder versucht wird, ist ein unwahrscheinlich großer Wahlbetrug,

(Zurufe von der SPD)

weil man den Bürgerinnen und Bürgern nicht vor der Wahl sagt, was passieren soll.

Wir haben heute

(Mientus [SPD]: Mittwoch! – Heiter- keit bei der SPD)

dieses Papier bekommen, das ich letztes Mal angemahnt habe. Es ist schon am Montag gekommen. Herr Möhrmann, es lag heute im Fach. Ich bin heute einmal schneller als Sie. Dieses Papier sagt deutlich, dass uns in den ersten neun Monaten des Jahres 2002 bereits 1,5 Milliarden Euro an Steuern fehlen.

(Wulff (Osnabrück) [CDU]: 1 500 Millionen Euro oder 3 000 Millionen DM!)

Das sind 1 500 Millionen Euro. Sie müssen 1 500mal bei Jauch die Million Euro holen. Das muss man deutlich sagen.

(Möhrmann [SPD]: Dazu muss man intelligent sein!)

Dieser Betrug des Volkes und des Landtags war langfristig geplant und beabsichtigt. Das ergibt sich aus einem ganz kleinen Satz des Haushaltsbegleitgesetzes, das am 18. Dezember 2001 verabschiedet worden ist. Sie werden wahrscheinlich gar nicht begriffen haben, was darin steht.

(Zuruf von Frau Leuschner [SPD])

- Frau Leuschner, Sie werden es auch nicht gemerkt haben. - In Artikel 7 steht: „In § 34 a der Landeshaushaltsordnung wird die Zahl 8 durch die Zahl 12 ersetzt.“ - Das ist der ganze Artikel 7. Warum ist dies vor der Verabschiedung des Haushalts 2002 passiert? - Das ist deshalb passiert, weil 8 % von 20 Milliarden 1,6 Milliarden sind. § 34 a der Landeshaushaltsordnung bestimmt, dass eben nur 8 % des Gesamthaushalts von 20 Milliarden Euro als Kassenverstärkungskredite aufgenommen werden dürfen. Wir sind im Moment an der damaligen Grenze. Sie haben die Grenze um 50 % auf 12 % hochgesetzt. Jetzt können Sie Kassenverstärkungskredite in Höhe von 2,4 Milliarden Euro aufnehmen. In § 34 a der Landeshaushaltsordnung steht aber auch, dass sie ein halbes Jahr nach Haushaltsabschluss fällig werden müssen. Das bedeutet, Sie müssen diese Beträge am 30. Juni zurückzahlen.

Es ist hinten und vorne nicht dargestellt, wie Sie sechs Monate später 1,5 oder 1,6 Milliarden Euro - wahrscheinlich noch mehr - zurückzahlen wollen.

Ich zitiere einmal einen der größten Sozialdemokraten nach Willy Brandt; so hat es unser Minis

terpräsident Gabriel mal gesagt. Damals war er noch Fraktionsvorsitzender. „Es ist leider zur Gewohnheit geworden, vor der Wahl zu lügen.“ Das hat Herr Lafontaine gestern in der BildZeitung geschrieben. Er hat das mit „Lügen haben kurze Beine“ überschrieben.

(Zuruf von der SPD)

Herr Mühe, ich sage Ihnen jetzt etwas. Vor wenigen Tagen hat Frank Ossenbrink unseren Ministerpräsidenten auf seiner Segelyacht in Griechenland besuchen dürfen. Das ist derselbe Journalist, der auch Herrn Möllemann auf seinem Krankenlager fotografieren durfte. Unser Ministerpräsident hat sich in kurzen Spielhöschen ablichten lassen. Da haben wir den bildlichen Beweis für Lafontaines Behauptung, Lügen hätten kurze Beine.

(Beifall bei der CDU – Unruhe bei und Zurufe von der SPD)

Ich will Ihnen sagen, was Ihr Berger-Gutachten wert ist, mit dem Sie nach vorne kommen wollen. Wir haben das, was in der uns übermittelten Darstellung des Berger-Gutachtens steht, einmal mit dem verglichen, was in unseren Haushaltsanträgen stand, die wir vor sechs Jahren vorgelegt hatten. Wir sind dabei auf Vorschläge in einem Umfang von anderthalb Seiten gekommen. Deshalb wäre es, nachdem Berger bei uns abgeschrieben hat, richtig - -

(Lachen bei der SPD)

- Passen Sie auf, Frau Leuschner! Sie kennen es vielleicht. - Ich lese das einmal ganz schnell vor: Förderprogramme des Landes sollen regelmäßig alle drei Jahre auf Schwachstellen, Effektivität usw. überprüft werden; Änderung von personalund kostenintensiven Gesetzen, Verordnungen und Erlassen, Moratorium für alle nicht zwingend notwendigen kosten- und personalträchtigen Gesetze; Veräußerung von Liegenschaften des Landes. - Das alles ist vor sechs Jahren beantragt worden. - Es geht weiter mit: Radikaler Aufgabenund Personalabbau; Optimierung des Beschaffungswesens; Verminderung der Geldbeschaffungskosten. - Ich könnte eine weitere ganze DIN-A 4-Seite vorlesen. Das alles stand in unseren Haushaltsanträgen und findet sich jetzt in dem Berger-Gutachten wieder. Nur, man muss doch irgendwann einmal anfangen umzusteuern.

(Beifall bei der CDU - Möhrmann [SPD] : Vier Seiten lang vorlesen, oh- ne konkret zu werden!)

Wir brauchen eine Mipla und einen Haushaltsplanentwurf, der nicht mit irgendeiner Grafik von ODEON ZWO, sondern mit dem Titel „Zurück zur Vernunft“ überschrieben ist, weil wir umkehren müssen. Wir müssen einen Turnaround vollziehen und dahin kommen, dass nur noch Geld für etwas ausgegeben wird, was das Land voranbringt.

Ausweislich des uns vorliegenden Papiers betragen die Gesamteinnahmen bisher 14,4 Milliarden, denen Ausgaben in Höhe von 16,05 Milliarden gegenüber stehen. Wenn wir also Mehrausgaben von 1,5 Milliarden haben und die Nettokreditaufnahme schon in den Einnahmen berücksichtigt ist, dann müssen wir uns vergegenwärtigen, dass wir nicht nur die Erde, sondern auch diesen Staat von unseren Kindern nur geliehen haben, die alles das, was wir im Moment in den Sand setzen, werden bezahlen müssen. Deshalb müssen wir umkehren.

Wir stellen uns vor, dass man in jedem Einzelplan - von 1 bis 15 -, und zwar in jeder Ausgabenposition - in Hauptgruppe 4, Personalausgaben, in Hauptgruppe 5, Sachausgaben, in Hauptgruppe 6, Zuwendungen, in Hauptgruppe 7, Bauausgaben, in Hauptgruppe 8, den Investitionen, und in Hauptgruppe 9, Investitionen -, einen bestimmten Prozentsatz einspart und daraus einen großen Fonds bildet, den wir Turnaround-Fonds genannt haben, um aus den darin zusammengefassten Mitteln wieder neue, innovative Politik zu gestalten. Wer dazu nicht die Kraft hat, der hat aufgegeben, Finanzpolitik in Niedersachsen zu betreiben. Sie haben nicht die Kraft dazu.

Es beruhigt uns überhaupt nicht, wenn wir hier auf den Fluren des Landtags hören, dass der Ministerpräsident Mitte November ganz alleine ein Konsolidierungskonzept für dieses Land darstellen will. Das ist doch das Gleiche wie mit dem Schulkonzept, das auf Servietten und Heim-PC geschrieben wird, ohne das mit Fachleuten zu beraten.

(Widerspruch bei der SPD)

Es gibt bis heute kein Aufstellungsverfahren für einen Nachtragshaushaltsplan. Das ist einfach fahrlässig. Deshalb ist der Antrag der Grünen mehr als überfällig. Sie sollten den darin erhobenen Forderungen nachkommen.

Herr Golibrzuch hat darauf hingewiesen, dass uns im nächsten Jahr mindestens 2 Milliarden Euro fehlen werden. Die Steuerreform ist verschoben worden. Aber das Geld, das mehr hereinkommt, geht an die Flutopfer, bleibt also nicht in Niedersachsen.

(Möhrmann [SPD]: Wie wollten Sie denn die Flutschäden bezahlen?)

- Die sollten aus einem anderen Programm bezahlt werden.