Protokoll der Sitzung vom 13.12.2002

(Wulff (Osnabrück) [CDU]: Die Besten hat man ja genommen! Die Guten haben wir ja eingestellt!)

Sie behaupten, wir hätten 6 000 Stellen mehr als 1990. Meine Damen und Herren, wenn der Oppositionsführer redet, müssen Sie genau hinschauen und zuhören. Wenn Sie einmal in den Stellenplan schauen - hier sitzen Menschen, die Stellenpläne lesen können -, stellen Sie fest: Mein Gott, da ist ja Titelgruppenpersonal umgewandelt worden. Das bedeutet für den Landeshaushalt: keine einzige Mark, kein Euro Mehrausgabe. Dann stellen Sie weiter fest: Donnerwetter, in Landeskrankenhäusern sind ja Pflegekräfte eingestellt worden. Das kostet das Land keinen Pfennig. Sie müssen hier schon öffentlich sagen, dass Sie gegen die Einstellung von Pflegekräften gewesen sind. Haben Sie den Mut und sagen Sie das öffentlich.

(Beifall bei der SPD)

Am Ende bleiben 89 Stellen übrig, die den Landeshaushalt belastet haben, und ein Stellenabbauprogramm von 12 000 Stellen, das wir wieder reduziert haben auf 7 000 Stellen. Warum haben wir es wieder reduziert? Weil wir Lehrer und Polizeibeamte eingestellt haben. Die CDU macht immer Folgendes: An jeder Stelle eine unterschiedliche Halbwahrheit in der Hoffnung, dass das niemand kontrollieren kann. Ich sage Ihnen: Wir haben

7 000 Stellen abgebaut, nicht 12 000, sondern 7 000, weil wir Lehrer und Polizeibeamte eingestellt haben. Wenn Sie dagegen sind, melden Sie sich. Sagen Sie, Sie wollen nicht, dass Lehrer und Polizeibeamte eingestellt werden. Den Mut haben Sie nicht. Dann kommen Sie her und reden darüber, dass Sie Pflegekräfte in Landeskrankenhäusern offensichtlich nicht einstellen wollen. Wahlkampf macht man mit der eigentlichen Wahrheit und nicht mit einer Summe von Halbwahrheiten, mit der Sie hier durchs Land ziehen.

(Lebhafter Beifall bei der SPD)

Sie machen es sich wirklich ausgesprochen leicht, indem Sie alles ablehnen, aber nicht sagen, wie Sie es verändern wollen. Das Beste, was Sie in den letzten Monaten hier geleistet haben, waren Ihre über 100 Anträge mit Mehrausgaben von 2 Milliarden Euro ohne jede Deckung. Das ist die Solidität von Herrn Wulff und seinem Schattenminister Herrn Möllring.

(Beifall bei der SPD - Plaue [SPD]: Sehr viel Schatten, Herr Wulff!)

Ich kann Ihnen nur sagen: Ich bin auch nicht der Überzeugung, dass jedes Detail dessen, was die rot-grüne Bundesregierung vorträgt, den Vermittlungsausschuss passieren darf. Ich bin auch der Meinung, dass wir an ein paar Punkten Korrekturen vornehmen müssen. Aber die Richtung stimmt, und die Richtung heißt: Subventionen abbauen, Beitragssätze stabilisieren, Umbau des sozialen Sicherungssystems und dafür sorgen, dass wir auch auf dem Arbeitsmarkt eine vernünftige Reform voranbringen.

Damit sind wir bei der Frage, ob das Niedersachsen gut tut oder nicht. Ich kann Ihnen nur sagen: Es tut uns gut, dass die Bundesregierung 4 Milliarden Euro für Ganztagsschulen aufgelegt hat. Sie waren im Bundestagswahlkampf noch dagegen. Ich hoffe, dass die CDU-geführten Länder auf das Geld verzichten; dann bleibt mehr für die anderen übrig.

Es tut uns gut, dass die Bundesregierung 500 Millionen Euro für Straßenbau in Norddeutschland aufwendet. Sie haben das Geld jahrelang nach Bayern und Baden-Württemberg gebracht - und den Atommüll in den Norden.

(Beifall bei der SPD)

Wenn Sie gegen die Steuerpakete sind, dann schreiben Sie den Kommunen in Niedersachsen bitte einen Brief: „Meine Damen und Herren, die CDU will die Steuergesetzgebung in Berlin blockieren, und Sie müssen deshalb leider auf Beträge von 200 bis 400 Millionen Euro pro Jahr verzichten.“ Das wäre ehrlich. Stattdessen versprechen Sie den Kommunen mehr Geld, aber sorgen nicht dafür, dass sie es auch bekommen.

(Beifall bei der SPD)

Ich möchte noch ein paar Bemerkungen zu den Hartz-Gesetzen machen. Meine Damen und Herren, ich finde es bemerkenswert, dass derjenige, der noch vor wenigen Monaten hier im Landtag die Hartz-Kommission in Grund und Boden diskutieren wollte, sich heute als ihr Retter aufspielt. Das ist schon interessant.

Sie kommen nur ein bisschen spät. Wir haben im Vermittlungsausschuss die Angebote gemacht. Sie werden verstehen, dass ich darüber ein bisschen mehr weiß als Sie, weil ich Vorsitzender des Vermittlungsausschusses bin.

(Oh! bei der CDU)

Der Antrag, den Sie heute einbringen, kommt zu spät, meine Damen und Herren. Sie wissen, dass wir bei den 400-Euro-Jobs 25 % Sozialabgaben bei den Arbeitgebern für alle Bereiche einführen werden. Sie wissen, dass wir bei den haushaltsnahen Dienstleistungen sogar nur 12 % nehmen werden. Sie wissen, dass wir einen Stufenplan zwischen 400 und 800 Euro Verdienst machen werden, dass wir ein Minimalsteuerrecht bei Mini-Jobs machen und dass für die Existenzgründungen Herr Clement ein Gesetz vorbereitet, nach dem diese jungen Unternehmen in den ersten drei bis fünf Jahren von allen bürokratischen und steuerrechtlichen Hemmnissen befreit werden.

Und nun kommen Sie und wollen über das Scheinselbständigengesetz reden. Da sage ich Ihnen: Ich bin auch dafür, dass wir darüber diskutieren. Aber eines will ich nicht: Ich will nicht zurück zu Zeiten wie unter Ihrer Regierung, als der Kellner in einer Gaststätte zur Ein-Kellner-AG und der Lkw-Fahrer zur Ein-Lkw-Fahrer-AG gemacht wurde, und das nur, damit der Arbeitgeber die Sozialversicherungsbeiträge sparen konnte. Das wollen wir nicht, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD - Zurufe von der CDU: Ich-AG!)

- Kommen Sie nicht mit der Ich-AG! Da geht es um Einkommensbeträge, die deutlich darunter liegen. Wir wollen nicht, dass diese Form der Scheinselbständigkeit, wie Sie sie jahrelang zugelassen haben, weiter vorangeht.

Meine Damen und Herren, am Ende wird es darum gehen, wie wir in unserem Land das Thema Bildung und Wissenschaft weiter voranbringen. Ich stimme Herrn Wulff in seiner Beschreibung der Vermögensteuer nicht zu. Ich erspare mir aber, darauf einzugehen. Sie wissen ganz genau, dass der Begriff „Sollertragsteuer“ nicht von mir, sondern vom Bundesverfassungsgericht stammt. Das Bundesverfassungsgericht sieht die Vermögensteuer als Sollertragsteuer und eben nicht als Substanzsteuer.

Selbstverständlich, Herr Wulff, ist in unserem Gesetzentwurf der Kirchhoff‘sche Halbteilungsgrundsatz enthalten.

(Wulff (Osnabrück) [CDU]: Nach oben, aber nicht nach unten! Sie haben keine Ahnung!)

Es kann keine Besteuerung geben, wenn jemand keine Erträge hat. Das ist doch völlig klar, meine Damen und Herren. Sie kennen doch unseren Gesetzentwurf überhaupt nicht! Worüber reden Sie eigentlich in der Öffentlichkeit?

Es ist auch völliger Unsinn, den Witwen oder den Witwern Angst davor zu machen, dass wir ihnen das Mobiliar wegbesteuern wollen. Sie wollen Panik machen in Deutschland. Mehr haben Sie in dieser Frage nicht zu bieten.

(Lebhafter Beifall bei der SPD)

Und nun, Herr Wulff, zu etwas, was wir gestern erleben mussten. Ich hatte eigentlich erwartet, dass Sie heute hierher kommen und sagen: Meine Damen und Herren, wir haben einen Steuerstreit, aber ich finde, wir sollten ihn sachlich und auf der Basis unserer Verfassung austragen.

(Wulff (Osnabrück) [CDU]: Das müssen Sie gerade sagen, mit Ihrem „Stürmer“-Vergleich!)

- Sie wissen ganz genau, dass der Unterschied zwischen uns beiden ist - -

(Wulff (Osnabrück) [CDU]: Das ist die Parallelität zu Koch!)

- Ich habe nicht - - - Das hat bisher niemand in Deutschland fertig gekriegt: eine Steuerdebatte zu vergleichen mit der Judenverfolgung. Das hat niemand bei uns fertig gekriegt.

(Wulff (Osnabrück) [CDU]: Sie haben mich verglichen mit dem „Stürmer“Chefredakteur! - Weitere Zurufe)

- Herr Wulff, ich habe Ihnen gut zugehört. Warten Sie doch einfach ab, was ich sage. Sie haben damals hier im Landtag den heutigen Bundeskanzler mit Erich Honecker verglichen. Auf diese Entgleisung hin habe ich Ihnen gegenüber einen Vorwurf erhoben, der nicht vertretbar gewesen ist, keine Frage.

(Wulff (Osnabrück) [CDU]: So ist es!)

Ich meine übrigens, dass der Vergleich mit Erich Honecker ebenfalls unverschämt gewesen ist.

(Beifall bei der SPD)

Im Unterschied zu mir haben Sie sich nicht entschuldigt. Aber das brauchen Sie auch nicht.

Ich sage Ihnen: Ihr Vorgänger im Amt, Herr Gansäuer, hätte sich zu Beginn der Debatte hier hingestellt und gesagt: Wir werden hier auf einem anderen Niveau diskutieren. Wir werden nicht in der gleichen Art und Weise, wie das Herr Koch in Hessen getan hat, in diesem Klima, diskutieren.

Ich sage Ihnen: Ich kann mir vorstellen, warum Sie das nicht getan haben. Ich behaupte, das, was Herr Koch dort gemacht hat, war zwar infam, aber keine Entgleisung.

(Zurufe von der SPD: So ist es!)

Im Gegenteil: Es ist nach meiner festen Überzeugung ein kalkulierter Missbrauch des Holocaust.

(Starker Beifall bei der SPD - Erregte Zurufe von der CDU - Wulff (Osna- brück) [CDU]: Wir gehen! - Der Großteil der CDU-Abgeordneten verlässt den Plenarsaal)

- Ich als CDU in Hessen wäre rausgegangen, als Herr Koch diese Bemerkung gemacht hat. Das wäre richtig gewesen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Herr Koch braucht die Verschärfung der innenpolitischen Debatte. Meine Damen und Herren, er ist nach meiner Auffassung ein außerordentlich berechnender Politiker. Er ist nämlich Wiederholungstäter. Ich erinnere mich jedenfalls noch ganz genau, dass in der Schwarzgeldaffäre auch von angeblichen jüdischen Vermächtnissen gesprochen wurde.

Wie viel infame Energie, meine Damen und Herren, muss man eigentlich haben, um Unterschriftenaktionen gegen Ausländer zu organisieren und andere in den Zusammenhang mit Judenverfolgung in Deutschland zu stellen? Wie viel infame persönliche politische Energie?

(Zuruf von Oestmann [CDU])

Ich glaube, dass das eiskalte Berechnung ist, denn nur in einer aufgeheizten innenpolitischen Stimmung wie jetzt hat er in Hessen und hat Herr Wulff in Niedersachsen eine Chance. Sie in der Union haben alle miteinander Angst, dass sich diese Stimmung beruhigt und wieder sachlich über politische Alternativen gestritten wird. Denn nichts ist für die CDU gefährlicher als die Frage nach den Alternativen. Das wäre das Ende der Blockadepolitik im Bundesrat.

Meine Damen und Herren, Sie brauchen in der Union offensichtlich ein aufgeheiztes innenpolitisches Klima, damit man sich darin besser verstecken kann und weil Sie damit Ihre politischen Anhänger - Herr Stratmann sitzt ja noch hier - besser mobilisieren können.

(Oestmann [CDU]: Sie sind ein schlimmer Wicht, dass Sie so etwas sagen!)