Protokoll der Sitzung vom 23.01.2003

2. Welche Maßnahmen hat sie bisher ergriffen, um den steigenden Bedarf an Pflege durch mehr qualifiziertes Personal auszugleichen?

3. Sind bisher im Dialog „Soziales Niedersachsen“ Lösungsmöglichkeiten erarbeitet worden, die eine kostendeckende Erstattung von Leistungen in der ambulanten und stationären Pflege ermöglichen?

(Beifall bei der CDU)

Die Antwort erteilt Frau Dr. Trauernicht, die Ministerin für Soziales.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Pflege in Niedersachsen Niedersachsen ein Pflegefall? - Meine sehr geehrten Damen und Herren von der CDU-Fraktion, welches Bild zeichnen Sie eigentlich von tausenden von Einrichtungen und zehntausenden von Pflegekräften in unserem Land?

(Beifall bei der SPD)

Mit dieser negativen Haltung, mit dieser Skandalisierungsperspektive lösen Sie die Zukunftsanforderungen nicht,

(Zustimmung bei der SPD)

übrigens auch nicht, wenn Sie nicht wissen, dass die Pflege auch in Niedersachsen auf dem Blüm‘schen Pflegegesetz basiert. Das war ja die Geburtsstunde für Wettbewerb zwischen den Trägern für Pflege nach Minutentakt, auch für die Übertragung der Verantwortung von der Politik auf die Selbstverwaltung.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, das Thema der Zukunftsfähigkeit der Pflege gehört zu meinen politischen Schwerpunktthemen.

(Frau Schliepack [CDU]: Davon merkt man wenig!)

Dies werde ich mit der Beantwortung der Anfrage auch belegen. Wir haben schon 1996 die Altenpflegeausbildung auf einen Stand gebracht, wie er für alle Länder in der Bundesrepublik erst ab Mitte dieses Jahres durch das Altenpflegegesetz des Bundes gilt. Mit dem Landespflegegesetz haben wir solide Grundlagen für die Bestandssicherung und den Ausbau der pflegerischen Versorgungsstruktur gelegt. Das heißt, dass sich seit 1996 die Zahl der Pflegedienste im Land verdoppelt hat, die Zahl der Plätze in Pflegeheimen ist um annähernd 40 % gestiegen.

(Frau Schliepack [CDU]: Es ist doch nicht das Verdienst der Landesregie- rung!)

Wir haben mit dem Weiterbildungsgesetz und der dazu ergangenen Verordnung für andere Heilberufe wesentlich zur Stärkung des Pflegeberufes beigetragen, und die Fachlichkeit in der Pflege wurde deutlich gestärkt. Es wurden Entwicklungsmöglichkeiten für Pflegepersonal mit diesem Weiterbildungsgesetz und der Verordnung geschaffen.

Die Qualitätsentwicklung in der Pflege hat die Niedersächsische Landesregierung vorangetrieben. Beispielhaft nenne ich nur den Qualitätspreis in der Pflege, die Förderung der Entwicklung von Qualitätsmanagement in Pflegediensten und Pflegeeinrichtungen sowie meine mit den Landesverbänden, den Pflegekassen und den Einrichtungsträgern sowie den kommunalen Spitzenverbänden im Oktober 2002 getroffene Vereinbarung über eine flächendeckende Einführung der Zertifizierung und damit eine Qualitätsoffensive in der Pflege.

Darüber hinaus wurde das Pflegenottelefon geschaffen. Es bietet pflegebedürftigen Menschen, ihren Angehörigen, aber auch Pflegepersonal in Einrichtungen Rat und Hilfe. Es trägt zur Kunden

souveränität und Qualitätssicherung in der Pflege bei.

Damit nicht genug: Wer in Niedersachsen niedrigschwellige Betreuungsangebote nutzt, bekommt neuerdings Unterstützung aus der Pflegeversicherung. Das bedeutet vor allem Entlastung für diejenigen, die ihre dementen Angehörigen betreuen. Das Land fördert diese niedrigschwelligen Betreuungsangebote aus Mitteln des Haushaltes 2003. Außerdem finanzieren wir eine Koordinierungsstelle zum Aufbau eines flächendeckenden Netzes zur Entlastung von Angehörigen Demenzkranker.

Auf meine Initiative hin sind Standards für Einrichtungen der Tagespflege, der Kurzzeitpflege, der Pflege von Schädel-Hirn-Geschädigten erarbeitet worden. Das ist gemeinsam mit den Verbänden der Einrichtungsträger und der Pflegekassen sowie den kommunalen Spitzenverbänden geschehen. Damit gibt es landeseinheitliche Vorstellungen von Standards, die vom Landespflegeausschuss den Kostenträgern empfohlen werden.

Des Weiteren habe ich eine Personalinitiative „Pflege“ ins Leben gerufen und finanziere dafür eine Leitstelle beim Sozialverband Landesverband Niedersachsen. Werbecampagnen für den Altenpflegeberuf, wie von Ihnen gefordert, sind auf dem Weg.

(Zurufe von der CDU)

Ein Internetauftritt mit Job- und Ausbildungsbörse ist in Arbeit. Patenschaften zwischen Schulen und Ausbildungsstätten sind auf den Weg gebracht.

Das ist das, was, wie die Fachleute aus den Trägerverbänden sagen, gebraucht wird.

Im Dialog „Soziales Niedersachsen“ erarbeiten erstmalig alle relevanten Gruppierungen und Organisationen, Wissenschaftler und Praktiker eine Handlungs- und Entwicklungsstrategie zur Lösung der Zukunftsaufgaben in Niedersachsen - eben dieser Zukunftsaufgaben, die mit der Alterung der Gesellschaft und der Versorgung und Betreuung der pflegebedürftigen Menschen verbunden sind.

Meine Damen und Herren, das sind nur zehn Beispiele. Die Reihe ließe sich fortsetzen. Ich will es aber dabei bewenden lassen. Die Aufzählung spricht für sich.

Dies vorausgeschickt, beantworte ich Ihre Fragen namens der Landesregierung wie folgt:

Zu 1: Nach den im Pflegerahmenplan meines Hauses ausgewiesenen Prognosen wird bis zum Jahr 2010 für die ambulante Pflege ein Anstieg der Zahl der Pflegebedürftigen um 13,1 % geschätzt, für die stationäre Pflege gehen wir von einem Anstieg um 15,7 % aus. Die Zahlen beziehen sich jeweils auf das Jahr 2000.

Zu 2: Bisher haben die für die pflegerische Versorgung verantwortlichen Träger, Organisationen und Verbände den Ausgleich des steigenden Bedarfs mit zusätzlichem Personal gut bewältigt. Der steigenden Anzahl von pflegebedürftigen Frauen und Männern steht eine hinreichende Zahl von Beschäftigten gegenüber.

(Frau Schliepack [CDU]: Donner- wetter!)

Die Zahlen: Zwischen 1999 und 2001 gab es 4 000 Heimbewohnerinnen und -bewohner mehr und 3 450 Beschäftigte in Heimen mehr. Dieses gute Ergebnis ist im Wesentlichen den Ausbildungsträgern, Pflegeeinrichtungen und den Kostenträgern zu verdanken. Sie wissen es: Das Pflegeversicherungsgesetz sieht bei den Pflegeberufen keine Planungshoheit für die Länder vor. Um gleichwohl auch für die zukünftigen Herausforderungen gerüstet zu sein, entfaltet die Landesregierung vielfältige Aktivitäten für positive Rahmenbedingungen für ein gutes Klima im Pflegebereich. Das geschieht z. B. durch die verbesserten Berufsperspektiven, die mit der Altenpflegerausbildung bei uns schon vor Jahren und im Weiterbildungsgesetz für Pflegeberufe geschaffen wurden. Es lohnt sich, Altenpflegerin oder Alterpfleger zu sein. Das machen wir durch systematische Information über das Berufsfeld an den Schulen

(Möllring [CDU]: Die erzählt einen Scheiß - unerträglich!)

und in Imagecampagnen zugunsten der Pflegeberufe im Rahmen der Personalinitiative „Pflege“ sowie durch die genannten unterschiedlichen Aktivitäten zur Qualitätsentwicklung und -sicherung in der Pflege deutlich.

Zu 3: Die für den Abschluss leistungsgerechter Vergütungen verantwortlichen Vertragspartner sind durch Bundesrecht abschließend bestimmt. Meine Damen und Herren von der CDU-Fraktion, Sie wissen aus verschiedenen Antworten der Landesregierung auf Große und Kleine Anfragen, dass weder das Land noch der Dialog „Soziales Niedersachsen“ Einwirkungs- und Entscheidungsmög

lichkeiten auf die Verfahren der Preisfindung und Höhe der Vergütung haben.

Der Bundesgesetzgeber hat hier die Verantwortung allein den Vertragsparteien auf der Kostenträgerund Leistungsanbieterseite übertragen. Im Streitfall kann eine Schiedsstelle angerufen und geklagt werden. Von beiden Regularien wird in Niedersachsen Gebrauch gemacht.

Für Vereinbarungen von grundsätzlicher oder übergreifender Bedeutung hat der Bundesgesetzgeber die Instrumente des Rahmenvertrags und der Pflegesatzkommission geschaffen. Beide sind ebenfalls der Selbstverwaltung zugeordnet. Das Land hat als Aufsichtsbehörde lediglich die Aufgabe, für eine funktionsfähige Schiedsstelle zu sorgen. Dieser Verpflichtung kommen wir selbstverständlich nach, erst kürzlich wieder für die neue Amtsperiode der Schiedsstelle ab 2003.

Bei Bedarf und auf Wunsch der für die leistungsgerechte Vergütung zuständigen Parteien kann das Land eventuell moderierend tätig sein. Mit dem gebotenen Fingerspitzengefühl geschieht dies auch, zuletzt im Hinblick auf die in dem Vorspann erwähnten letzten Vereinbarung über die Vergütung in der häuslichen Pflege nach SGB XI und SGB V. Dies geschieht - wie Sie sicherlich wissen - mit Erfolg für die Menschen und mit Dank und Respekt von Trägern und Verbänden.

Zur finanziellen Sicherung der Pflegeeinrichtungen ist für mich klar: Sie brauchen ein leistungsgerechtes Entgelt. Meine Damen und Herren, dies ist in den letzten vier Jahren in Niedersachsen um durchschnittlich 16 % gestiegen, in den personenstarken Pflegestufen I und II sogar um über 20 %. Wer erheblich mehr Geld für die Einrichtungen ausgeben will, der muss sich entscheiden, ob er entweder die gesetzlich gedeckelten Zuschüsse aus der Pflegekasse erhöhen - das hätte zur Folge, dass die Sozialversicherungsbeiträge stiegen - oder die Bewohner der Pflegeeinrichtungen und ihre Angehörigen sowie die Sozialhilfeträger für die erhöhten Kosten aufkommen lassen will. Ich sage klar: Ich will beides nicht: keine höheren Sozialversicherungsbeiträge und keine höheren Belastungen für die pflegebedürftigen Menschen.

(Frau Schliepack [CDU]: Also Sie wollen gar nichts machen!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, grundsätzlich gilt: Wettbewerb im Interesse der Pflegebedürftigen ja, aber keinen ruinösen Wettbewerb,

sondern ein Wettbewerb, bei dem Tradition, Leistungsfähigkeit und Effizienz der verschiedenen Anbieter, gerade auch unserer Wohlfahrtsverbände, zum Zuge kommen. - Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Für eine Zusatzfrage hat sich Frau Kollegin Schliepack gemeldet. Anschließend Frau Schröder.

Frau Ministerin, wie beurteilt die Landesregierung die Schaffung einer Schiedsstelle für die häusliche Krankenpflege? Ich gehe davon aus, dass sie das positiv sieht. Was hat sie bisher unternommen, um diese Schiedsstelle einzurichten, besonders in Kenntnis der Tatsache, dass die rot-grüne Bundesregierung einen Gesetzesantrag der CDU/CSUBundestagsfraktion zur Einrichtung von Schiedsstellen abgelehnt hat?

Frau Ministerin!

Sehr geehrte Frau Schliepack, offensichtlich liegt ein Missverständnis vor. Im SGB XI, dem einschlägigen Gesetz, ist vorgesehen, dass das Land eine Schiedsstelle für den Fall einrichtet, dass es zu Streitigkeiten zwischen den Kostenträgern und den Leistungsanbietern kommt, wenn man sich schlicht gesagt - über das Entgelt nicht einig wird. Diese Schiedsstelle gibt es im Land Niedersachsen.

(Frau Schliepack [CDU]: In der häus- lichen Krankenpflege!)

- Ich bezog mich jetzt auf den gesamten Komplex der Pflege.

(Möllring [CDU]: Sie sollen die Frage beantworten! - Frau Zachow [CDU]: SGB XI!)

Hier gilt SGB XI, und in der entsprechenden Schiedsstelle werden die Streitigkeiten geschlichtet. Bezüglich der häuslichen Krankenpflege gibt es in der Tat zurzeit Diskussionen, die in einem größeren Zusammenhang stehen. Das Land Niedersachsen unterstützt diesen Ansatz, denn es geht darum, die Selbstverwaltung zu stärken und Mög

lichkeiten zu schaffen, dass Streitigkeiten im Rahmen von Schiedsstellen erledigt werden.