Protokoll der Sitzung vom 21.06.2000

Erstens, meine Damen und Herren, geht es um einen fairen Finanzausgleich. Ich habe bereits darauf hingewiesen,

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

in welcher Art und Weise derzeit auch unsere finanzielle Situation durch die süddeutschen Länder bedroht wird. Zweitens brauchen wir auch eine Überprüfung der Gemeinschaftsaufgaben und der Mischfinanzierungen. Unter der Voraussetzung einer aufgabengerechten Finanzausstattung halten wir eine Überprüfung der Gemeinschaftsaufgaben und der Mischfinanzierungen für geboten. Möglichkeiten der Entflechtung sehe ich z. B. in der Wohnungs- und Hochschulbaupolitik, beim Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz und bei der Gemeinschaftsaufgabe zur Förderung der regionalen Wirtschaftsstruktur.

Meine Damen und Herren, diejenigen im Niedersächsischen Landtag, die beim kommunalen Finanzausgleich ebenfalls für einen aufgabengerechten Finanzausgleich plädieren, die müssten dann hier auch dafür eintreten, dass die Mischfinanzierungen aufgegeben werden, und nicht bei jedem Vorhaben dagegen argumentieren, weil sie hier im Landtag anders sprechen als in den Wahlkreisen zu Hause. Das gehört auch zur Realität der Debatte.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, wir brauchen sicherlich auch eine Neuordnung der Gesetzgebungskompetenz in Deutschland. Wiederholt und in verstärktem Maße ist hier die Kritik an der zunehmenden Bedeutungslosigkeit von Landesparlamenten geäußert worden. Ich teile diese Kritik und begrüße jede sinnvolle Initiative, die diese verhängnisvolle Entwicklung beendet. Die Landesregierung tritt für eine Stärkung der Gesetzgebungskompetenz der Länder ein; denn sie stärkt damit auch die Landesparlamente selbst.

Politik im geeinten Europa - das ist jedenfalls meine feste Überzeugung - muss um ihrer Akzeptanz willen regional ausgerichtet und bürgernäher werden. Wir werden uns daher aktiv an der Neuordnung der Gesetzgebungskompetenzen beteiligen und nicht ängstlich darauf schielen, das bisherige System um jeden Preis zu verteidigen. Aber wir wollen eben nicht um jeden Preis die Neuordnung, jedenfalls nicht um den Preis nach unten veränderter sozialer oder rechtlicher Standards in ganz Deutschland. Dies wird es jedenfalls nicht mit Zustimmung Niedersachsens geben.

Bei der konkurrierenden Gesetzgebung durch den Bund halte ich einen deutlichen Abbau der Regelungsdichte für notwendig. Das fast undurchdring

bare juristische Beziehungsgeflecht muss entflochten werden. Ich schlage deshalb - natürlich auch auf Bundesebene - Experimentier- und Öffnungsklauseln vor, wie wir sie in unserer Niedersächsischen Gemeindeordnung längst beschlossen haben, um die Beteiligungsmöglichkeiten von Landesparlamenten und den Spielraum von Landesregierungen zu stärken. Nur so können wir eigene Regeln als Alternativen entwickeln.

Meine Damen und Herren, die Landesregierung arbeitet aktiv an der Neugestaltung der föderalen Ordnung in der Bundesrepublik mit. Wir brauchen vor allen Dingen mehr Freiheiten und Spielräume für unsere eigene regionale Strukturpolitik und für die von uns angestrebte Zusammenarbeit mit europäischen Nachbarn. Deshalb müssen Mischfinanzierungen, Lastenverteilung und Gesetzgebungskompetenzen auf den Prüfstand. Es bleibt aber festzuhalten: Wir stehen zu dem in der Verfassung verankerten und dem deutschen Föderalismusgedanken innewohnenden Solidaritätsgedanken. Eben dieser Weg war in Deutschland die Grundlage für den Wiederaufbau nach dem Krieg und die Basis für die Gestaltung der deutschen Einheit.

Bei aller Reformbereitschaft, die die Landesregierung mittragen will, werden wir uns nicht an einem Prozess beteiligen, an dessen Ende die Transformation von einem Bundesstaat in einen Staatenbund steht, wie dies von Bayern vorgeschlagen wurde.

Meine Damen und Herren, der Zusammenbruch des Ostblocks hat nicht nur zur Einheit Deutschlands geführt. Unversehens ist durch die Neuordnung Osteuropas Niedersachsen von der westeuropäischen Peripherie in das Zentrum Gesamteuropas gerückt. Gerade und im Besonderen verstärkt durch die in naher Zukunft anstehende Osterweiterung ergeben sich für unser Land völlig neue Perspektiven. Wir werden Zeitzeugen und auch Beteiligte sein beim Aufbau eines europäischen Regierungssystems, zu dem nach der Osterweiterung rund 500 Millionen Menschen zählen werden.

Unabhängig vom Fortgang der Beratungen über die Neuordnung der Kompetenzverteilung zwischen EU, Nationalstaaten und in Deutschland zwischen Bundesregierung und Ländern muss Niedersachsen seine Aufgaben im Dreieck Brüssel - Berlin - Hannover neu bestimmen.

Es sind vor allem drei Aufgaben, denen sich die Landespolitik mit großer Intensität widmen muss,

wenn wir im europäischen Einigungsprozess einen erfolgreichen Platz einnehmen wollen. Über allem steht: Niedersachsen muss international werden.

Erstens müssen wir für eine qualifizierte Ausbildung in Schule, Beruf, Hochschule und lebenslange Weiterbildung sorgen. Allein die demographische Entwicklung wird dafür sorgen, dass der Standortwettbewerb innerhalb Deutschlands und innerhalb Europas sehr stark über die Qualifikation der Arbeitskräfte, der Wissenschaftler und Forscher und des Nachwuchses erfolgen wird. Die zweite Aufgabe betrifft die Erschließung der New economy und des Internet für die mittelständische Wirtschaft in Niedersachsen. Drittens muss die Landespolitik die Regionalentwicklung in Niedersachsen stärken. Es geht um die Schärfung und Stärkung der Profile und Potentiale in den Regionen Niedersachsens. Wir müssen die Kernkompetenzen unserer niedersächsischen Regionen weiter entwickeln und ihre Infrastruktur verbessern.

Zum ersten Punkt: Qualifizierung für das Europa von morgen. Meine Damen und Herren, Deutschlands eigentliche Ressource lag schon immer in der intelligenten Integration neuer Entwicklungen in die vorhandene Produktions- und Dienstleistungsstruktur unserer Wirtschaft. Innovationen wurden in Deutschland immer auf einer wirtschaftlich starken Grundlage in unseren Unternehmen und Betrieben vorangetrieben. Darin liegt unsere eigentliche Kernkompetenz. Es geht auch heute wieder um die intelligente Integration der New economy in die traditionellen Bereiche von Industrie, Gewerbe, Handel und Dienstleistungen. Es wird keinen Staat geben, in dem die postindustrielle Gesellschaft - Dienstleistung, Forschung und Entwicklung - vorherrscht und in anderen Ländern die Produktion. Nur in den Staaten, in denen auch industrielle Produktion und gewerbliche Fertigung existieren, wird es auch zukunftsorientierte Forschung und Entwicklung geben.

(Beifall bei der SPD)

Deshalb wollen wir uns vor Übernahmen und Verlagerungen von Standorten auch dadurch schützen, dass wir uns zur Anteilseignerschaft bei Volkswagen, bei Salzgitter, bei der NORD/LB bekennen, dass wir Unternehmen wie Continental, die Meyer-Werft in Papenburg und viele andere Betriebe in Niedersachsen unterstützen. Das ist der Grund für diese Form der Industriepolitik.

(Beifall bei der SPD)

Diese Integrationsleistung wird die Hauptaufgabe der kommenden Jahre sein. Die Voraussetzung dafür ist die Qualifizierung unserer Schülerinnen und Schüler, Auszubildenden, Studentinnen und Studenten und der Menschen im Erwerbsleben. Aus diesem Grund hat die Landesregierung mit der Regierungserklärung vom 15. Dezember des letzten Jahres die Bildungsoffensive in den Mittelpunkt ihrer Politik gestellt. Die Ergebnisse der letzten sechs Monate können sich sehen lassen:

Erstens. Wir haben eine Bildungsoffensive gestartet, die bis zum Jahre 2003 mit einem Volumen von 463 Millionen DM ausgestattet ist. Für den kommenden Haushalt stehen bereits 125 Millionen DM zusätzlich für den Bildungssektor zur Verfügung. Nach nur wenigen Monaten hat diese Initiative zu vielen fruchtbaren Aktivitäten, Fortschritten und vorzeigbaren Ergebnissen geführt. Dies wird insbesondere von den Unternehmen, aber auch von Lehrerverbänden und den Eltern und von den Schülerinnen und Schülern anerkannt.

Zweitens. Die Unterrichtssituation haben wir sofort zum Einstellungstermin am 1. Februar dieses Jahres durch die Einstellung von 759 jungen Lehrerinnen und Lehrern verbessert. Zum nächsten Einstellungstermin in diesem Sommer werden weitere neue Lehrkräfte eingestellt, sodass sich die Gesamtzahl der Neueinstellungen in diesem Jahr schließlich auf rund 3.000 Lehrerinnen und Lehrer summieren wird.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, dies ist ein Rekordergebnis. Es ist die höchste Einstellungszahl in Bezug auf Lehrerinnen und Lehrer in unserem Bundesland in den vergangenen 20 Jahren.

(Beifall bei der SPD - Unruhe bei der CDU)

- Hören Sie gut zu, damit Sie sich die Zwischenrufe sparen können. - Damit werden wir schon in diesem Jahr 500 Lehrkräfte mehr eingestellt haben, als Stellen durch Pensionierungen frei geworden sind.

(Beifall bei der SPD)

Dies ist ein erster und spürbarer Teil unserer angekündigten 2.000 zusätzlichen Stellen bis zum Jahr 2003. Wie in der Regierungserklärung zugesagt, können somit von 1998 bis 2003 insgesamt 15.000

Lehrer neu eingestellt werden, um die Kollegien an Niedersachsens Schulen deutlich zu verjüngen.

Drittens. Die von uns eingeführte Verlässliche Grundschule ist zum Erfolgsmodell des Landes Niedersachsen geworden.

(Beifall bei der SPD - Widerspruch bei der CDU)

- Wenn das nicht so wäre, dann würden doch die CDU-regierten Landkreise keine Anträge stellen. Dies sind zwar Ihre Abgeordneten, sie sind aber als Stadträte und Mitglieder des Kreistages an den Beschlüssen beteiligt, in denen die Verlässliche Grundschule einvernehmlich gefordert wird.

(Starker Beifall bei der SPD)

Sie wollen doch wohl nicht erklären, dass die 460 Schulen, die im nächsten Jahr hinzu kommen, ausschließlich aus sozialdemokratischen Initiativen entstanden seien. Ihre Eltern, Ihre Abgeordneten, Ihre Ratsmitglieder sind doch ebenso daran beteiligt. Seien Sie doch stolz auf Ihren Gesinnungswandel, statt sich immer hinter Ihren alten Argumenten zu verstecken, die selbst bei Ihnen keiner mehr glaubt.

(Lebhafter Beifall bei der SPD)

Viertens. Umgesetzt ist auch eine stärkere Förderung des Erlernens von Fremdsprachen. Der zweisprachige Unterricht ist bereits jetzt ein Erfolg. In der Verlässlichen Grundschule wird Englisch ab der dritten Klasse unterrichtet; eine sinnvolle Fortführung in den Klassen fünf und sechs wird derzeit vorbereitet.

Fünftens. Wir haben in Niedersachsen einen neuen Schritt zur gemeinsamen Verantwortung von Wirtschaft und Politik für die verbesserte Ausbildung unserer Schülerinnen und Schüler getan: Die Gründung des Vereins „N 21 - Niedersachsens Schulen gehen online“ führt 75 Millionen DM Landesmittel in den kommenden drei Jahren mit dem Engagement von Unternehmen und Kommunen in gleicher Höhe zusammen. Rund 150 Millionen DM werden dadurch für die verbesserte Ausstattung von Schulen mit Internet und MultimediaAnwendungen und für eine Intensivierung der Aus- und Weiterbildung von Lehrerinnen und Lehrern zur Verfügung gestellt. Wir wollen in Niedersachsen eine neue Lernkultur fördern, die das Internet nicht nur als modernen Buchersatz

nutzt, sondern seine interaktiven Möglichkeiten im Alltag unserer Schulen verankert.

Der Wirtschaft wird damit eine aktive und mitgestaltende Rolle bei der Umsetzung dieses Aktionsprogramms zugeordnet, und sie ist bereit, sie anzunehmen. Ich möchte mich an dieser Stelle ausdrücklich bei den 18 niedersächsischen Unternehmen, die Gründungsmitglieder waren, und beim Niedersächsischen Städte- und Gemeindebund als Vertretung der kommunalen Spitzenverbände für die Bereitschaft, dies mitzutragen, bedanken.

(Beifall bei der SPD)

Das Ziel ist der Laptop oder das E-Book im Tornister jedes Schülers. Weil diese Nutzung moderner Informationstechniken nicht am Geldbeutel der Eltern scheitern darf, haben wir das ehrgeizige Ziel, ab dem Jahr 2003 als Alternative zur Lernmittelfreiheit einen deutlichen Zuschuss zur Beschaffung von Laptops an die Schulen zu geben, die dies zum integralen Bestandteil ihres Unterrichts gemacht haben.

(Beifall bei der SPD)

Sechstens. Mit der Neuorientierung der Schulen und der Lerninhalte schaffen wir die qualifikatorischen Voraussetzungen für die Berufsanforderungen der Zukunft, nicht nur im eigentlichen ITBereich, aber auch dort. Wir haben die nötigen Vorkehrungen getroffen, dass wir bereits im kommenden Jahr die Zahl der im IT- und Medienbereich zur Verfügung stehenden Ausbildungsplätze durch zwölf Lernortverbünde, vom Land gefördert und unter großer Beteiligung der Kommunen, der Wirtschaft, der Gewerkschaften, der IHKs, von 1.000 auf vermutlich 2.000 verdoppeln können.

(Beifall bei der SPD)

Siebtens. Wir erarbeiten im Bündnis für Arbeit und Ausbildung in Niedersachsen darüber hinaus gemeinsam mit dem Landesarbeitsamt ein Konzept, um arbeitslose Akademiker im Bereich der IT- und Medienberufe so zu qualifizieren, dass ihnen der Wiedereinstieg in das Berufsleben ermöglicht wird. Es kann nicht sein, dass in Niedersachsen 2.000 arbeitslose Akademiker nur deshalb in diesen Bereichen keinen Arbeitsplatz finden, weil sie älter als 45 Jahre sind.

(Beifall bei der SPD)

Achtens. Wir wollen unsere niedersächsischen Schulen auf den Prüfstand stellen. Die Debatte um

den besten Übergang für unsere Kinder von der Grundschule in weiterführende Schulen ist eröffnet - ergebnisoffen, ohne Ideologien und vor allem unter Beteiligung der Eltern, der Lehrerinnen und Lehrer, der Schülerinnen und Schüler und der Schulträger. Sie wird Auswirkungen auf das Schulsystem insgesamt und sicherlich auch auf die grundsätzlichen Perspektiven unseres Schulsystems in Niedersachsen haben.

Meine Damen und Herren, niemand zweifelt heute daran, dass die E-Commerce-Anwendungen im weltumspannenden Internet künftig einen boomenden Wirtschaftszweig darstellen werden. Auch anlässlich der diesjährigen CeBIT 2000 wurde das mehr als deutlich.

Wie zu Beginn der Industrialisierung die Eisenbahn für den Aufbruch in ein neues Zeitalter stand, eröffnet heute die Informations- und Medienwirtschaft unabsehbare Perspektiven. 8,4 Millionen Menschen zwischen 14 und 59 Jahren nutzen heute das world wide web zumindest gelegentlich. Das sind immerhin fast 20 % des Anteils an der Bevölkerung. Allein im letzten Jahr hat die Nutzung des Internet um mehr als 40 % zugenommen. Damit ist in diesem Bereich ein riesiger Markt auch für uns in Niedersachsen entstanden. Die Landesregierung hat diese Entwicklung bereits sehr frühzeitig erkannt und seit längerem begleitet: