Protokoll der Sitzung vom 21.06.2000

(Beifall bei der CDU - Plaue [SPD]: Sie müssen sich bei Leuten erkundi- gen, die etwas davon verstehen, Herr Kollege!)

Die Leute haben sich damals wirklich kringelig gelacht. Ich kann mich an die Situation heute noch ganz präzise erinnern,

(Zuruf von Minister Aller)

als die in Bonn sagten: Na ja, wir in Bayern, die CSU, die FDP und die SPD sind zwar nicht unbedingt für die EXPO, Herr Aller, aber dass ihr in Hannover eine Befragung macht, ob ihr sie überhaupt wollt, begreifen wir partout nicht. - So ist es doch gewesen.

(Beifall bei der CDU)

Führen Sie sich doch das Gesicht von Herrn Trittin noch einmal vor Augen. Nachdem Helmut Kohl auf der CeBIT-Eröffnung 1992 gesagt hat, dass die EXPO kommt, dass es eine fröhliche Feier wird und dass die Deutschen ruhig mal lachen und sich durchaus mal freuen dürfen, ist Trittin herumgelau

fen wie Falschgeld nach dem Motto: Es ist mir doch nicht gelungen, das Ding in Bonn kaputtzukriegen. - Das war unser Repräsentant in Bonn, um die EXPO kaputtzumachen.

(Frau Pawelski [CDU]: So ist es! Ge- nau!)

Wir haben es hingekriegt, dass sie trotzdem gekommen ist und dass sie Niedersachsen vorangebracht hat. Darüber sollten wir uns freuen.

(Beifall bei der CDU - Zuruf von Mi- nister Aller)

Ich darf die Mitglieder der Landesregierung bitten, keine Zwischenrufe zu machen. Das ist nach der Geschäftsordnung nicht gestattet. Das gilt auch für Kommentare.

Wobei ich den Hinweis geben würde: Wenn sie wenigstens gut wären. Das ist ja das Problem.

(Beifall bei der CDU)

Die Dinge kommen halt nicht von allein, man muss schon etwas dafür tun. Niedersachsen hat heute eine um 12 % schlechtere Unterrichtsversorgung als 1990, gravierenden Lehrkräftemangel, gravierende Probleme bei den Berufsschulen mit 85-prozentiger Unterrichtsversorgung und den wenigsten Lehrerstunden pro Klasse. Wir haben eine Philosophie der Einheitsausbildung, bei der alle nach gleichen Maßstäben behandelt werden,

(Frau Pawelski [CDU]: Alle gleich schlecht!)

und das halten wir für falsch. Die Förderung von Gesamtschulen, die Angleichung von Haupt- und Realschulen, die schleichende Auflösung von Sonderschulen, die neue Einheitslehrerausbildung, die Grundsatzerlasse ohne feste Stundentafelvorgaben halten wir für falsch, weil sie zulasten schulischer Qualität gegangen sind. Aus der Vorreiterrolle Niedersachsens beim Projekt „Neue Technologien und Schule“ sind wir in eine Nachzüglerrolle geraten. Die Hochschulen wurden barbiert, und der Wissenschaftsminister Oppermann wird im Regen stehen gelassen.

Die Wahrheit ist doch, dass der Staatsvertrag zu Studiengebühren soeben gescheitert ist, dass die

Ankündigung der SPD, im Bundestag etwas zu machen, sowieso erledigt ist.

(Ministerpräsident Gabriel: Bei der CDU!)

- Lieber Herr Gabriel, die CDU-Ministerpräsidenten sind doch nicht bekloppt. Die machen doch keinen Staatsvertrag, um sich etwas zu verbieten, was sie machen könnten, wenn sie es machen wollten.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU)

Es ist manchmal wirklich unbegreiflich. Sie wollten nach der Bundestagswahl im Deutschen Bundestag eine BAföG-Reform machen, Sie wollten Studiengebühren verbieten. Alles das haben Sie versprochen, alles das haben Sie nicht eingehalten. Da kriegen Sie es nicht hin, da können Sie es nicht machen, und jetzt wollen Sie den Weg des Staatsvertrages gehen und suchen Ministerpräsidenten der Union, die die Länder aufwerten wollen, die Kompetenzen erweitern wollen. Die sollen mit Ihnen einen Staatsvertrag abschließen, mit dem sie sich selber Fesseln anlegen und nach dem sie bestimmte Dinge, die sie machen könnten, nicht mehr machen dürfen. Was Sie hier vertreten, ist der reine Irrsinn!

(Zustimmung bei der CDU)

Erst sagen Sie „Kompetenzen stärken“, und dann sagen Sie „Staatsverträge abschließen“, um die Kompetenzen einzugrenzen.

(Beifall bei der CDU)

Wir wollen Studiengebühren für Langzeitstudenten, und die Einnahmen sollte man verwenden, um die Meisterprüfung in Niedersachsen für die angehenden Meister kostenlos durchzuführen. Das wäre ein Beitrag zur Effizienz der Hochschulen und zu mehr selbständigen Meistern in Niedersachsen.

(Beifall bei der CDU - Möhrmann [SPD]: Das ist endlich mal ein Vor- schlag, Herr Kollege!)

Seien Sie bitte nicht so trödelig! Wir brauchen ein differenziertes begabungsgerechtes Bildungswesen. Dazu gehören differenzierte Bildungsgänge, Vorbereitung auf lebenslanges Lernen, Durchforstung der Ausbildungs-, Studien- und Bildungsinhalte und auch das Abitur nach Klasse 12.

Hier ist über Internationalisierung Niedersachsens gesprochen worden. Nehmen Sie dann doch auch zur Kenntnis, dass bei uns Absolventen mit 28 Jahren mit Absolventen konkurrieren - -

(Unruhe)

- Da Frau Jürgens-Pieper Zwischenrufe macht, obwohl das unzulässig ist, zitiere ich einmal den Herrn Bertram, Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik. Herr Bertram hat gesagt: Wenn deutsche Absolventen mit 28 ihren Hochschulabschluss erhalten, konkurrieren sie auf dem europäischen Arbeitsmarkt mit italienischen und französischen Absolventen, die 23 oder 25 Jahre alt sind. - Das heißt: Wir müssen darangehen - von der Einschulung über die Orientierungsstufenabschaffung bis hin zum Abitur nach Klasse 12. Wir müssen darangehen, dass die Deutschen nicht nur die Welt im Kopf haben, sondern den Kopf in die Welt stecken, und das kann man, wenn man mobil ist, eher, als wenn man eine Familie gegründet hat, Kinder hat und über 30 ist.

(Beifall bei der CDU)

Wenn wir über Zukunft und die Notwendigkeiten der nächsten zehn Jahre reden, dann müssen wir uns darauf verständigen, dass wir buhlen müssen um die Besten, um die Kapazitäten, um die Talente, um den Nachwuchs, und zwar um alle. Alle müssen mitgenommen werden; keiner darf verloren gehen. Wer aber aus Niedersachsen weggeht, der wird eben so schnell nicht zurückkommen. Deswegen müssen wir Lehrern volle Stellen anbieten, dürfen ihnen nicht nur Dreiviertelstellen anbieten und sie dann nach Hessen oder Nordrhein-Westfalen abwandern lassen.

(Beifall bei der CDU)

Wir brauchen einheitliche Bildungsgänge, lang anhaltende, in denen auch Erziehung neben Wissensvermittlung stattfinden kann. Professor Pfeiffer vom Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen hat es auf den Punkt gebracht. Lehrer an Hauptschulen klagen darüber, dass sie gerade die demotivierten Verlierer der Orientierungsstufen übernehmen müssen. Ich habe gerade hier im Landtag die beeindruckendsten Erlebnisse mit Hauptschulklassen, mit Berufsschulklassen, mit Sonderschulklassen, mit Werkstatträten von Behinderteneinrichtungen, weil sie sich eben oft anders vorbereiten als die Schülerinnen und Schüler anderer Schulformen. Deswegen sollten wir der Hauptschule gerade als Hauptsache der Bildungs

politik eine wirkliche Chance geben, über die Jahrgangsstufen 5 bis 9 bzw. 10 in einem einheitlichen erzieherischen Bildungsgang vernünftige Abschlüsse zu vermitteln.

(Beifall bei der CDU)

Ich finde es jedenfalls beglückend, dass diesbezüglich ein Lernprozess bei den Grünen einsetzt und die Grünen heute an der Orientierungsstufe nicht mehr festhalten, weil sie erkannt haben, dass eine solche Kurzschulform, verbunden mit dem mehrfachen Schulwechsel in der Phase der Pubertät, eben genau das Falsche ist, wie wir nach Jahrzehnten inzwischen genau wissen.

Wir spüren die Folgen falscher Bildungspolitik in den Bereichen der Chemie, der Physik, der Mathematik und der Ingenieurwissenschaften. Waren es vor wenigen Jahren in Hannover noch 500 Studenten, die Maschinenbau wählten, sind es jetzt im Wintersemester nur noch 140. Waren es noch hunderte, die mit Chemie, mit Physik und mit Mathematik anfingen, ist es jetzt nur noch eine Hand voll Lehramtsstudenten. Im letzten Jahr waren es fünf, die neu mit Chemie für das Lehramt angefangen haben - jenseits der Sonderschulen und Gymnasien. Wir brauchen aber die 13-fache Anzahl. Sie tragen jetzt die Verantwortung dafür, dass wir im Jahr 2005, wenn keine Lehrer zur Verfügung stehen, irgendwie und irgendwo Chemiker, Biologen, Physiker anwerben müssen, um sie kurzfristig umzuschulen, fit zu machen, um als Lehrer unterrichten zu können.

(Beifall bei der CDU)

Dass so etwas noch einmal notwendig wird, ist mir völlig unerklärlich.

Wir weigern uns, Ihre Mogelpackung mitzumachen, die so genannte Bildungsoffensive als solche zu bezeichnen, weil da ein Loch gestopft wird, indem andere Löcher aufgerissen werden. Den 120 Millionen DM für die Bildung stehen 50 Millionen DM Einsparauflagen der Hochschulen und Minderausgaben sowie Einsparvorgaben auch im Bildungsressort gegenüber. Frau Jürgens-Pieper, Sie werden machen können, was Sie wollen: Was Sie hier sagen, ist das eine; was die Menschen draußen im Lande erleben, ist das andere. - Während der Ausführungen eben über das Erfolgsprojekt Verlässliche Grundschule sind von meinen Kollegen aus Braunschweig, aus Wilhelmshaven, aus anderen Städten Zitate der Bezirksregierungen überreicht worden: Ja, wir kön

nen zusätzliche Lehrer nur dann bereitstellen, wenn wir sie anderswo abziehen; für die abgezogenen Lehrer gibt es keine Ersatzeinstellung von Lehrern.

(Zustimmung bei der CDU)

Ich habe die Artikel hier, in denen die Betreuungsprobleme angesprochen werden, die dadurch entstehen, dass man in Braunschweig und anderswo nicht genügend 630-DM-Kräfte findet. Sie können hier schöne Reden halten - am Ende werden Sie an der Wirklichkeit vorbei, gegen die Realität keine Politik vertreten können, und Sie werden davon eingeholt.

Das gilt übrigens auch für den vierten Punkt. Sie haben den ländlichen Raum systematisch vernachlässigt, nicht nur durch Maßnahmen wie die Ökosteuer, die den Menschen in der Fläche das Geld aus der Tasche zieht, sondern auch durch schlichte Vernachlässigung der Landesstraßen, der Verkehrsinfrastruktur, durch Abbau des öffentlichen Personennahverkehrs, Abbau der Schiene und anderer wichtiger Teile in den Regionen. Die Regionen unseres Landes werden sich eigenverantwortlich nur dann entwickeln können, wenn Niedersachsen auf die Entwicklung regionaler Räume größeres Gewicht legt. Eben ist etwas in so einer ganz kleinkarierten Bemerkung deutlich geworden; das zeigt Ihr kleines Karo, Herr Gabriel. Einerseits sagen Sie „Wir Niedersachsen müssen in Brüssel, müssen in Straßburg, müssen in Berlin auftreten“, und wenn man dann andererseits versucht, den Riester bei seinen vielfältigen Nachbesserungsversuchen in der Rentenpolitik ein bisschen zu unterstützen, dann ist für Sie die Fahrt nach Berlin schon sozusagen Anlass, zu sagen, dass Sie mich vermisst hätten.

(Zustimmung von Möllring [CDU])

Ich muss Ihnen ehrlich sagen: Wenn Sie heute Nachmittag mit der holländischen Königin etwas hinbekommen, dann ist das allemal mehr wert, als wenn Sie heute Nachmittag bei der Steuerdebatte zuhören und doch nichts von dem umsetzen, was Sie hier Kluges reden.

(Beifall bei der CDU)

Den Riester lassen nun wirklich alle im Stich. Der entlässt seinen Abteilungsleiter Rente; der entlässt seinen Vorsitzenden des Sozialbeirats; die SPDFraktion entlässt ihn quasi; das Präsidium hat die Entscheidung vertagt. Da muss doch wenigstens

einer noch sein, der weiter mit dem Mann redet, damit auch die Alten in Niedersachsen noch einigermaßen mit Sicherheit bei der Altersversorgung leben können und junge Leute bei den Beiträgen und den Steuerzahlungen nicht überfordert werden.