Protokoll der Sitzung vom 12.09.2000

- Mensch, Herr Adam, konzentrieren Sie sich ganz auf den Tiefwasserhafen, kann ich nur sagen!

(Heiterkeit bei der CDU)

Die Problematik ist, geeignete - -

(Plaue [SPD]: Darüber konnte Herr Biallas gar nicht lachen!)

- Wissen Sie, Herr Biallas ist, weil er für Cuxhaven kämpft, der Grund gewesen, Herrn Adam zu empfehlen, sich ganz auf das Thema zu konzentrieren.

Die sozialdemokratische Landesregierung hat erhebliche Probleme, die notwendigen Lehrkräfte insgesamt, vor allem aber die Vertretungskräfte zu bekommen. Das macht uns Sorge im Hinblick auf die Unterrichtsversorgung. In einer teuren, den Haushalt 2000 belastenden großformatigen Zeitungsanzeige hat Herr Gabriel Anfang des Jahres stolz verkündet: „Alle frei werdenden Lehrerstellen werden wieder besetzt und 2.000 zusätzliche Stellen geschaffen.“

Der Blick in den Haushalt sagt: 500 zu Beginn dieses Schuljahres, 500 im Jahr 2001. Unter keinen Umständen aber 2.000 zusätzliche Lehrerstellen. Mit den Stellen, die Sie schaffen wollen, gleichen Sie noch nicht einmal die 13.000 Schüler aus, die wir in diesem Schuljahr zusätzlich bekommen haben. Damit geben Sie auch auf die wachsende Zahl der Schüler bis zum heutigen Tage keinerlei Antwort.

Ich sage Ihnen offen: Das Thema Bildung ist prioritär zu behandeln. Dort liegt der Schwerpunkt der Politik. Wir lassen uns von Ihnen aber nicht mehr in der bisherigen Art und Weise behandeln.

Wir haben die Themen in den Landtag gebracht: Hauptschule, Realschule, Gymnasium, reformierte Oberstufe, Orientierungsstufe. Vor wenigen Monaten hat die Ministerin in diesem Landtag auf eine Große Anfrage der CDU-Landtagsfraktion hin Folgendes ausgeführt:

„Die Realschule in unserem Land Niedersachsen ist eine attraktive und akzeptierte Schulform, eine hoch akzeptierte Schulform, weil sie leistungsstark ist, weil sie anerkannt ist und vor allem, weil ihr Abschluss natürlich gute Chancen bietet. Niedersachsen ist daher in der Tat ein Realschulland. So soll es auch bleiben.“

(Beifall bei der CDU)

Frau Ministerin, nicken Sie nicht zu früh. Sie haben dann noch in der dieser Landesregierung so ureigenen Arroganz angefügt:

„In diesem Zusammenhang erheben Sie von der Opposition dann den Vorwurf der Verschmelzung. Wir haben den Fortbestand der Realschule und der Hauptschule im Schulgesetz abgesichert. Ich wundere mich also, was Sie da interpretieren.“

Ja, Frau Jürgens-Pieper, wir haben wieder einmal völlig Recht gehabt. Bei aller Bescheidenheit: Wir haben wieder einmal Recht gehabt. Mit Ihrer Einheitslehrerausbildung, mit Ihrer Angleichung der Schulformen, mit Ihrer Diffamierung der Hauptschulen, mit Ihrem Forcieren der Sekundarschule bereiten Sie schon seit Jahren den Weg vor, den Herr Gabriel jetzt beschreiten will.

(Beifall bei der CDU)

Unterschätzen Sie nicht den Glaubwürdigkeitsverlust, den Sie dabei erleiden. Noch in seiner Regierungserklärung hat Herr Gabriel gesagt, Glaubwürdigkeitsdefizite der Politik müssten beseitigt werden. Im „Spiegel“ wenige Monate später hat er dann aber geschrieben: „Glaubwürdigkeit ist politisch eigentlich keine Tugend“. Die Tugenden Ihrer Regierung sind Wankelmütigkeit, Sprunghaftigkeit und Unzuverlässigkeit. Frau Jürgens-Pieper, wenn Sie bei der Aktion „Gesicht zeigen - Zivilcourage“ mitmachen würden, würde ich mich wirklich wundern. Das sage ich Ihnen hier ganz deutlich und mit aller Härte und Schärfe. Ich würde mich wirklich wundern.

(Beifall bei der CDU)

Wer hier so den Wendehals dokumentiert, wer dem Landtag gegenüber so deutlich sagt, dass er für die Gliederung des Schulsystems ist, dann aber innerhalb von wenigen Stunden beidreht und die Meinung des Ministerpräsidenten vertritt, der hat keine Zivilcourage für seine bildungspolitische Überzeugung, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU - Zurufe von der SPD: Pfui!)

Da jeder unserer Vorschläge, jede unserer Initiativen und jedes unserer Gesprächsangebote, Defizite mitzutragen, in so arroganter Art und Weise abgekanzelt wird, und da die Minister jedes Mal der Meinung sind, nur sie allein hätten die Weisheit mit Löffeln geschluckt und alle anderen seien doof, muss solch ein Fall fehlender Zivilcourage in der Form benannt werden, wie er sich zugetragen hat. Das in aller Deutlichkeit.

(Beifall bei der CDU - Beckmann [SPD]: So mies wie Sie kann keiner sein!)

Aus dem Wald schallt es immer so heraus, wie man in ihn hineingerufen hat. Sie übergehen ständig das Parlament, wie wir es im Jahr 1994 im

Zusammenhang mit der EXPO erlebt haben. Seinerzeit hatten wir einen eigenständigen Ausschuss zur Weltausstellung einrichten wollen; denn wir waren der Meinung, dass die Leute, die hier sitzen, etwas zu sagen haben und deshalb die Möglichkeit bekommen sollten, mitzureden. Sie hätten sich über Werbung, über eine Verbreitung des EXPOGedankens und über eine Infizierung des gesamten Landes für die EXPO mit einbringen können. So hätte Herr Biestmann, der mir gerade Zustimmung signalisiert, eine Idee gehabt, wie wir die Bauern zur EXPO bringen können. Sie, Herr Möhrmann, hätten eine Idee gehabt, wie Sie Ihren Landkreis hierher bekommen. Auch andere hätten Ideen gehabt. Stattdessen aber wurde gesagt: Nein, das machen die im Aufsichtsrat und in der Landesregierung schon alles. Die kriegen das schon hin.

(Zuruf von Beckmann [SPD])

- Nach vier Jahren haben Sie den Wirtschaftsausschuss mit dieser Aufgabe zusätzlich betraut. Jahrelang haben Sie im Ausschuss aber nicht über EXPO-Fragen beraten. Sie haben sich geweigert, den Landtag angemessen zu beteiligen.

(Beifall bei der CDU)

Irgendwann rächt sich das.

(Beckmann [SPD]: Sie fangen jetzt schon an, Legendenbildung zu betrei- ben!)

Irgendwann rächt es sich, wenn man über Jahre hinweg über Hinweise aus dem Parlament - auch von den Grünen, die ja manch gute Initiative vorgeschlagen hatten, oder von der CDU, die ja ebenfalls manch gute Initiative unterbreitet hatte systematisch hinweggeht.

Wir wollen Niedersachsen mit Ihnen gemeinsam entwickeln, weil wir diese Aufgabe als Parlament haben. Ich denke zum Beispiel an die Entwicklung des Landes als Biotechnologiestandort. Wir haben eine hochrangige Landschaft mit Forschungsinstituten an renommierten Universitäten wie Göttingen, Hannover oder Braunschweig. Wir haben die Gesellschaft für biotechnologische Forschung. Dort vorhandene Stellen werden vonseiten des Landes aber nicht nur immer weniger gegenfinanziert, sondern sogar abgebaut. Es wird überhaupt kein Engagement an den Tag gelegt, um die Bewerbung Braunschweigs um die Impfstoffforschung zu begünstigen.

Abgeschossen haben Sie den Vogel erst kürzlich, als es um die Vergabe des Standorts für die europäische Luftfahrtbehörde gegangen ist. Auf Nachfrage hin haben wir erfahren, dass sich die Bundesregierung für Köln ausgesprochen habe. Die Bundesregierung des Bundeskanzlers Schröder aus Niedersachsen ist der Meinung, dass Köln besser geeignet sei als Braunschweig, weil in Braunschweig bereits zu viel Luftverkehrskompetenz vorhanden sei, sodass Braunschweig als Standort in Europa nur schwer durchsetzbar sein werde. Dazu kann ich nur sagen: Dazu habe ich von der Landesregierung bislang nichts gehört, außer, dass man nichts mehr machen könne, weil die Frage bereits entschieden sei. Die Sache sei gelaufen. Die Sache steht aber erst im Januar 2001 an. Ich kann nur sagen: Wenn ich diese dümmliche Begründung höre, Köln hätte nichts und müsste deshalb eine europäische Behörde bekommen, Braunschweig aber habe im Bereich der Luftfahrt schon zu viel, dann hätte die Europäische Zentralbank nach Salzgitter oder nach Osnabrück gehört, auf keinen Fall aber nach Frankfurt, weil wir dort schon die Deutsche Bundesbank haben.

(Beifall bei der CDU)

Ich muss Ihnen wirklich sagen: Für die Entwicklung der Steuereinnahmen unseres Landes ist entscheidend, ob unsere Universitäten Cluster für weitere Entwicklungen werden, ob sie Brutkästen für neue Unternehmen bzw. neue Forschungseinrichtungen sind, ob wir Gründerzentren und Laborräume bereitstellen, Risikokapital anbieten, ob wir Standortvorteile nutzen oder aber die Dinge laufen lassen und nur einen buchhalterischen Haushalt aufstellen. Ihre Rede war ja im besten Sinne des Wortes buchhalterisch. Ich selbst tue mich schwer, dies in irgendeiner Form zu würdigen und zu werten, weil man im Moment ja die höchsten Sympathiewerte dann bekommt, wenn man es möglichst buchhalterisch macht; ich denke immer nur an Herrn Eichel. Letztlich aber wird der Erfolg eines Landes davon abhängen, ob man mit einer gewissen Kreativität, mit einer gewissen Aufbruchstimmung, mit einem gewissen Interesse an den Meinungen anderer - auch anderer Fraktionen und Parteien - hausieren geht oder ob man sich die Augen und Ohren zuhält.

Angesichts der Tatsache, dass die Regierungsbank wieder einmal sehr leer ist und die Minister überall hinlaufen außer dorthin, wo die Debatten geführt werden, kann ich nur sagen: Das ist Ausweis einer gewissen Erbärmlichkeit, einer gewissen Ver

brauchtheit, einer gewissen Gelassenheit. Wenn man wie Herr Minister Fischer inzwischen zehn Jahre Wirtschaftsminister ist, dann macht man sich allenfalls Gedanken darüber, wohin man die nächste Auslandsreise macht. Man macht sich aber keine entscheidenden Gedanken mehr darüber, wie man Niedersachsen für das Jahr 2010 oder für das Jahr 2020 vernünftig gestalten will. Das ist Ausweis Ihrer Verbrauchtheit.

(Beifall bei der CDU)

Sie haben zur entscheidenden Einbringung des Haushalts Ihre Unterlagen zusammengepackt, sitzen jetzt aber irgendwo eine Etage tiefer oder höher oder anderswo, aber Sie sind nicht da, wo Sie jetzt eigentlich hingehören. Das hat es zu Zeiten Ernst Albrechts nie gegeben. Ernst Albrecht hat gesagt: Wir sitzen bis zum Ende der Plenarsitzung. - Er hat peinlich genau darauf geachtet, dass das Kabinett dem Parlament eine gewisse Hochachtung entgegenbrachte. Das ist jetzt aber vorbei.

(Beifall bei der CDU)

Das ist in diesem Hause verloren gegangen. Ich sage aber, dass es auch Ausnahmen gibt. Herr Gabriel führt im Moment ein wichtiges Gespräch. Das kritisieren wir auch nicht. Es gibt solche Ausnahmen. Das kritisiere ich auch nicht. Sie haben einfach keine Lust mehr, sich mit den Grünen und der CDU auseinander zu setzen. Bei den Grünen gibt es nicht viel, womit man sich auseinander setzen könnte, sodass ich dafür Verständnis habe. Bei uns gibt es jedoch einiges, womit man sich auseinander setzen könnte. Dass Sie das aber nicht tun, belastet die Parlamentarier, die früher hier im Landtag waren und sich das jetzt manchmal von der Tribüne aus anschauen, oder diejenigen, die schon länger hier im Parlament sind. In diesem Hause haben sich bestimmte Sitten verändert, wie man miteinander umgeht, wie man Anfragen beantwortet und wie man Initiativen gemeinsam verfolgt oder vereinbart.

Wir wollen die Erschließung der Infrastruktur in unserem Land. Darüber könnten wir diskutieren. Die Küstenregion ist mit Blick auf InterRegio und Autobahnen völlig vernachlässigt worden.

Aber wir hören in diesen Tagen, dass Hamburg erklärt, Niedersachsen sei gar nicht mehr daran interessiert, dass die notwendige A 26 vollständig ausgebaut wird. Wir hören, dass beim Bundesverkehrsministerium in Berlin und Bonn gar kein Druck für den Ausbau der A 20, der westlichen

Elbquerung, gemacht wird. Wir hören, dass bei der Bahn wenig erreicht wird, obwohl wir im Jahr Aufträge in Höhe von mehr als 800 Millionen DM an die Bahn vergeben. Aber wir schaffen es nicht wie Rheinland-Pfalz, Bayern und BadenWürttemberg, wasserdichte Verträge mit Sanktionsmöglichkeiten für die Bahn abzuschließen.

(Biel [SPD]: 16 Jahre habt ihr nichts gemacht!)

Wir schaffen es nicht, in diesem Parlament oder außerhalb des Parlaments eine Debatte darüber zu führen, ob wir zu bestimmten Unternehmensbeauftragten kommen sollten, die sich für Ansiedlungsvorhaben engagieren.

BMW sucht gerade einen Standort in Deutschland für ein neues Werk. Aber ich erlebe nicht, dass zwischen den Parteien und Fraktionen darüber geredet wird, wie die günstigsten Voraussetzungen für Wirtschaft und Beschäftigung geschaffen werden könnten, um ein BMW-Werk an der niedersächsischen Küste einzurichten. Das wäre eine besondere Chance.

(Zuruf von der SPD: Warum an der Küste?)

- Das hat bestimmte Gründe. Ich könnte es mir auch in Helmstedt vorstellen, aber es hat bestimmte Gründe, warum gerade Küstenstandorte gesucht werden.

Warum so wenig Gemeinsamkeiten in für das Land elementaren Fragen? Warum so viel Arroganz und Ignoranz gegenüber Vorschlägen anderer?

Ich mag es kaum noch sagen, weil ich zuhauf Gelegenheit hatte, auf Regierungserklärungen verschiedenster Ministerpräsidenten zu erwidern und immer wieder darauf hingewiesen habe, dass Existenzgründungen und Risikokapital das Thema sind.

(Zuruf von Plaue [SPD])

Sie ändern nichts daran, dass ein Beratungsnetzwerk und Existenzgründer-Lehrstühle zu schaffen sind. Sie ändern nichts daran, dass die Rahmenbedingungen für Selbständige und den Mittelstand verbessert werden müssen.